Jugend aus Werbung, Film und Comics

Ein neuer Autor hat im letzten Jahr in den USA Furore gemacht: «Die Geheimnisse von Pittsburgh», das vom 24jährigen Michael Chabon entworfene Bild der heutigen Jugend Jetzt liegt der Band auf Deutsch vor.

Wer der Meinung ist, die heutige Jugend sei oberflächlich, trete frech ins Leben hinaus, sei egoistisch und strebe vor allem nach Genuss, der wird sich von Michael Chabons Figuren bestätigt. sehen. «Die Geheimnisse von Pittsburgh», das ist der Bericht den der junge Art Bechstein von seinem Sommerleben gibt. Eben hat er am College seine Studien in Volkswirtschaft abgeschlossen und will nun was erleben, einen schönen, intensiven Sommer lang. Frei für Neues ist er auch, weil ihn eben seine Freundin Claire ver1assen hat. «Ich werde diese Stadt auf den Kopf stellen», sagt er zu sich selbst, denn im Herbst ist der Spass vorbei, «dann muss ein verantwortungsbewusster Erwachsener aus mir werden» . Das glaubt er natürlich selbst nicht ganz. Denn Art ist ein arroganter, verspielter Zyniker, immer noch auf der Suche nach sich selbst, nicht nur nach dem einträglichen Job. Und er ist ein Narziss, der Empfindungen auf sich einströmen lässt, der gar sein eigenes Geniessen noch geniesst: Wenn Art sich selber umarmt, kriegt er eine Erektion. Doch Art mag auch andere Menschen, er liebt es, mit Männern und Frauen zu verkehren, die sich toll in Schale werfen und dann wie Filmstars daherkommen. Phlox fällt ihm auf, das Mädchen mit dem blumigen Namen, vormals leicht punkig, jetzt eher Christin, aber doch in erster Linie scharf auf den hübschen Artie. Diesem genügen ihre handgreiflichen Aufmerksamkeiten allerdings nicht. Denn ihm erscheinen auch Männer wie der schwule Arthur Lecomte verführerisch, in dessen Gesicht Art «einen Hauch abgeklärter Dekadenz» entdeckte. Dieser Arthur ist es, der Leben in den schwülen Sommer bringt. Er hat Zugang zu grossen Häusern und exotischen Parties und er kennt den geheimnisvollen Motorradfahrer Cleveland, der neben den drei geilen Softies einen geradezu ruhigen Macho darstellt. Durch ihn und Arts Vater, den professionellen Geldwäscher - ja die Schweiz wird erwähnt -, bringt Chabon auch die verruchte Gangsterwelt in seinen Roman. Denn auf der Suche nach Zeitvertreib, man weiss es, buchen flippige Jugendliche von heute auch mal einen Trip in die kriminelle Unterwelt. Michael Chabon, so will uns die Werbung weismachen, sei ein neuer Salinger. Doch «Die Geheimnisse von Pittsburgh» knüpfen eher an die Romane von Jack Kerouac an als an den «Fänger im Roggen». Ein Zeitbild, das Porträt einer Generation, das hat Chabon wohl gezeichnet. Die Sprache der jungen Studenten, die alles schon wissen und doch nichts wirklich kennen, die von Reizen überflutet werden und dennoch den echten Kitzel suchen, diese Sprache schreibt Chabon so gut, als ob es seine eigene wäre. Er selbst ist ja nicht viel älter als seine «Helden», gerade 24 Jahre alt. Der Wechsel von Spott zu Sachlichkeit fällt ihm leicht, die Zynismen tropfen ihm von den eigenen sinnlichen Lippen, Ernsthaftigkeit ist nicht Engagement, sondern Attitüde. Art (wie Kunst) heisst sein Ich-Erzähler wohl nicht zufällig, Phlox ist eine Blume nur für einen Sommer wirklich wirkt nur die Comics-Figur von Cleveland. Als «demolition man» bringt er den Tod immerhin sich selber. Happy, glücklich, darf sich in diesem Pittsburgh nur nennen, wer wie das gleichnamige Hündchen gleich von zwei Rüden besprungen wird. «Die Geheimnisse von Pittsburgh» ist trotz all dieser Anspielungen auf Sex und Crime kein krudes Buch. Der Roman ist süffig geschrieben, wirkt nach der Lektüre jedoch so platt und schal wie die Jugendlichen, denen er gewidmet ist. Von den romantischen Träumereien, die Jack Kerouac in den Fünfzigern noch beseelten, ist bei Chabon nichts mehr zu spüren. Seine Menschen sind Figuren unserer Zeit leider: halb schon aus Plastik, Abklatsch von Werbung, Film und Comics, der Rest aus Fleisch und Blut, aus Geist und Seele wehrt sich verzweifelt gegen die totale Vereinnahmung, spürbar, aber nur noch unterschwellig .

Urs Dürmüller

Michael Chabon:. «Die Geheimnisse von Pittsburgh». Kiepenheuer & Witsch. 306 Seiten. Fr. 31.30.