Ein Sprachkünstler ohne Geschichte

Wer in den Buchhandlungen nach dem gewichtigsten Roman eines Schweizer Autors dieser Saison späht, wird Mühe haben, bis er fündig wird. Denn Jürg Laederachs «Emanuel» ist zwar ein stattliehes Buch, aber keineswegs bekömmliche Lektüre.

Andere Romane des Jahres waren schon wortgewaltig dahergelcommen, Gerold Späths Orgelbauereien etwa oder noch Hermann Burgers Stlumpenepos; der Wortschwall aber war einer Geschichte untergeordnet, diente dem Erzählen, machte dieses schmackhft, wirkte appetitanregend.

Virtuose ohne Stoff Jürg Laederach dagegen ist kein Geschichtenerzähler. Er ist ein Sprachkünstler ohne Zweifel, ein Virtuose des Sprechens; was ihm fehlt, ist ein Stoff, der sich mitteilen liesse, der andere, worunter zuvorderst den Schreibenden, interessieren könnte. «Emanuel», so kann man dann hören, sei ein elitäres, ein intellektuelles Buch. Sicher. Aber auch Ecos «Foucaultsches Pendel» wendet sich vornehmlich an eine intellektuelle Leserschft. Doch welch ein Unterschied! Eco wird von Seite zu Seite spannender, während Laederach die Lektüre immer mehr zur Strafaufgabe macht. Eco kreiert Figuren, welche die Phantasie anregen, Figuren, die zu leben beginnen, während Laederachs Emanuel immer nur Kopfgeburt bleibt. Wenn Eco zitiert - und er zitiert reichlich -, so ist jede Textstelle Teil einer Fährte, auf die der Leser in seiner Rolle als Detektiv gestossen wird. Bei Laederach dagegen werden auch die Zitate in keinerlei Beziehung zum Leser gebracht; sie belegen nur die Belesenheit des Autors. Jürg Laederachs Unterfangen muss wohl scheitern. Der Titeheld seines «Romans», Emanuel, möchte seine eigene Biographie schreiben; dabei kommt er sich jedoch selber in die Quere: er bekundet Mühe im Umgang mit seinem Ich, seinem Geschlecht, der Identität der Personen aus seinem Umkreis, der Chronologie und der logischen Verknüpfung seiner Pläne und Erlebnisse, schliesslich auch mit der sprachlichen Erfassung all dieses Materials.

Bemühende Ichbezogenheit Das alles müsste doch eigentlich eine Geschichte abgeben, humorvoll ironisch, möglicherweise gar satirisch. Aber nein: Laederach will nicht von diesem Emanuel reden, wiil nicht kommemitieren, will nicht auf Kosten dieses kompliziertenMenschen seinen Spass haben. Laederach zieht sich hinter die Figur zurück, er lässt Emanuel gleichsam unbegleitet, unbeaufsichtigt auf den Leser los. Mir schien, ein Psychopath, ein Irrer, aber leider kein Genie schwatze dauernd auf mich ein, bis es nicht mehr auszuhalten ist. Denn die gedankliche Ichbezogenheit wirkt nicht auf jeden Leser faszinierend; mich ermüdete sie, setzte mich bei Emanuels Selbstgesprach mit Emanuel auf Seite 401 schachmatt. Voß Emanuel wollte ich endgültig nichts mehr wissen.

Jurg Laederach: Emanuel. Roman. Suhrkarsp Verlag 1990, 506 Seiten, Fr. 36.50