John Updike: Brasilien

Nicht für die zwischenmenschlichen Probleme der Nordamerikaner wie bisher interessiert sich der Erfolgsautor John Updike in seinem sechzehnten Roman, sondern für die starke Liebe zwischen dem schwarzen Triståo und der weissen Isabel in einem Brasilien zwischen Copacabana und Mato Grosso.

John Updike macht kein Geheimnis daraus, dass er für seinen neuen Roman „Brasilien“ viel Vorarbeit geleistet hat. In einer Nachbemerkung gibt er freimütig bekannt, von welchen und aus wie vielen Büchern er sich zu seiner brasilianischen Romanze hat inspirieren lassen. Ob er auch selber nach Brasilien gereist ist, selber, wie sein Liebespaar, von Rio de Janieiro erst nach Såo Paulo, dann ins Innere nach Brasilia und in die Berge gefahren, schliesslich durch den Mato Grosso und über das Hochplateau getrampt und am Schluss wieder an die Copacabana zurückgekehrt ist, das kann der Leser nicht feststellen. Die Schilderungen der verschiedenen Landschaften des Riesenlandes wirken zwar glaubhaft, aber gleichzeitig tönen sie nach Reiseführer und den dort kolportierten Klischees. Doch Updike hat sich nicht nur von den Redaktoren von „Life“ inspirieren lassen, sondern auch von den Reisenotizen des naturschwärmerischen US-Präsidenten Theodore Roosevelt, von Essays des Anthropologen Claude Lévi-Strauss und des Soziologen Gilberto Freyre und von zahlreichen original-brasilianischen Erzählern. Brasilianisches Lokalkolorit liess sich offensichtlich in Hülle und Fülle finden. Es fehlte bloss noch die eigentliche Geschichte. Und die holte sich Updike im alten Europa, bei Joseph Bédier und dessen mittelalterlichem „Roman de Tristan et Iseult“. Isolde heisst jetzt Isabel, ist weiss und jung, verwöhnt, reich und attraktiv. Sie entstammt einer Diplomaten- und Geschäftsfamilie aus dem poschen Vorort Ipanema von Rio de Janeiro. Tristan nennt sich portugiesisch Triståo, ist schwarz, jung, muskulös und hat blendend weisse Zähne. Er stammt aus den Favelas, der schmutzigen Wohnhalde der Aermsten. Die beiden begegnen sich am Strand der Copacabana und gehen gleich miteinander ins Bett. Triståo ist der Mann, von dem sich Isabel entjungfern lassen will, Isabel die Frau, die Trsitåo unbedingt erobern muss. Die beiden können voneinander nicht mehr lassen, sie sind einenader ganz zugetan, sie sind komplementär zueinander. Brasilien, so versteht man Updike hier, Brasilien hätte wohl eine Chance im Miteinander von Schwarz und Weiss sein, von Sklavensohn und Kolonistentochter, nicht nur im gemeinsamen Sex über die Rassenschranken hinweg. Als Isabels Familie die beiden trennt, um eine Mesalliance zu verhindern, wird die Liebesgeschichte zum Abenteuerroman. Triståo und Isabel fliehen in die Wildnis, graben nach Gold und kämpfen sich durch den Dschungel. Sie werden selber beinah zu Wilden, müssen sich gegenüber Indianern und Sektenbrüdern behaupten und werden schliesslich durch die übersinnlichen Kräfte eines Schamanen verwandelt: Triståos Haut hellt sich auf, während Isabel äusserlich immer dunkler und schwärzer wird. Der Naturzauber in Updikes neuem Roman soll einerseits an den Zaubertrank in „Tristan und Isolde“ erinnen, anderseits ist er wohl auch als Reverenz des Autors vor den Meistern des lateinamerikanischen „magischen Realismus“ zu verstehen. Doch Updike, der Yankee, ist kein Marquez, er bleibt stets prosaisch und trotz all seiner Begeisterung über Triståos ansehnliche „Yamswurzel“ und Isabels Schenkeltechnik erreicht seine Schreibe nie und nimmer jenen Grad von Sinnlichkeit, der beim Lesen lateinamerkianischer Autoren erlebbar wird. Updikes „Brasilien“ ist ein Machwerk, eine Konstruktion aus zahlreichen Einzelteilen, informativ, was das Land Brasilien und die Landeskunde betrifft, meist spannend zu lesen und in einzelnen Passagen auch sprachlich überzeugend, als Ganzes aber und als Kunstwerk enttäuschend.

Urs Dürmüller

John Updike, Brasilien. Roman. Rowohlt, 1996. 317 Seiten. Fr. ???