Hochfest der Gottesmutter Maria

1. Jänner 2000

 

Num 6,22-27

Gal 4,4-7

Lk 2,16-21

Das Hochfest der Gottesmutter Maria befindet sich im liturgischen Kalender bald nach Weihnachten. Auf diese Weise werden wir vor dem Risiko bewahrt, Maria zu isolieren indem wir ihre bedeutende Mission in Verbindung mit Christus ihrem Sohn und der Kirche schmälern. Die Feiern der Weihnachtstage waren für uns Anlaß, die Nähe und Zärtlichkeit Gottes, der mit uns die menschliche Natur und unseren Weg durch die Zeit teilt, zu betrachten. Maria steht inmitten dieses Geheimnisses gleichsam stellvertretend für die Menschheit, welche sich der Gabe Gottes öffnet; Maria ist gleichsam die Verwirklichung des Ideals der Armen JHWHs, sie ist das Modell des Jüngers, der das Wort Gottes hört und es in die Tat umsetzt. Das neue Jahrtausend beginnt unter dem Zeichen des göttlichen Segens (Erste Lesung), sowie unter dem liebenden Blick der Mutter Christi, ihres Sohnes "geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt" (Zweite Lesung). Der heutige Tag - der erste des neuen Jahres und der erste des neuen Jahrtausends - ist traditioneller Weise dem Frieden - dem großen messianischen Geschenk, dem biblischen shalom - gewidmet. Beginnen wir also den neuen Weg mit der Bitte um Frieden und Einheit in der Kirche und unter der gesamten Menschheit - eine Bitte, die ihren tiefsten Ausdruck in der Feier der Eucharistie erfährt.

Die erste Lesung (Num 6,22-27) ist eine wunderbare Segensformel, welche Gott durch Moses den Priestern anvertraute, damit sie sie über das Volk aussprechen (vv. 22-23). Es ist der gleiche Segen, den unsere jüdischen Brüder noch heute während der Feiern in der Synowie an seinem heiligen Geheimnis. Der Segen, im biblischen Sinn, ist nicht eine bloße Erklärung des wohlwollenden Willens, sondern etwas Wirkkräftiges im Leben des Menschen, das etwas Neues loslöst und ein Ereignis herbeiführt. Der Text setzt den Segen Gottes mit seinem Angesicht in Verbindung: "der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten" und "der Herr wende sein Angesicht dir zu". Dem biblischen Verständnis entsprechend bedeutet das Angesicht sehenowie an seinem heiligen Geheimnis. Der Segen, im biblischen Sinn, ist nicht eine bloße Erklärung des wohlwollenden Willens, sondern etwas Wirkkräftiges im Leben des Menschen, das etwas Neues loslöst und ein Ereignis herbeiführt. Der Text setzt den Segen Gottes mit seinem Angesicht in Verbindung: "der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten" und "der Herr wende sein Angesicht dir zu". Dem biblischen Verständnis entsprechend bedeutet das Angesicht sehen, die Person selbst zu sehen; das Angesicht einer bedeutenden Persönlichkeit (z.B. des Königs) zu sehen heißt zugleich, in seine Gegenwart zugelassen zu werden, im Vertrauen, daß dies zum eigenen Gunsten sein wird. Jemanden zu sagen, daß Gott "sein Angesicht über ihn leuchten lasse" bzw. daß er ihm "sein Angesicht zeige" bedeutet, daß Gott bereit ist, dem Volk sein Wohlwollen und seine Gunst zu offenbaren - oder kurz gesagt - seinen Frieden zu zeigen. Der Friede (hebr.: shalom), steht für die Gesamtheit der Gaben Gottes: Schutz, Sicherheit, Fruchtbarkeit, Gesundheit und Wohlbefinden. Israel ist das Volk Gottes, weil es sich seines Segens erfreut, durch welchen der Mensch seiner bedingungslosen Liebe und seines Lebens teilhaftig wird. Der Segen Gottes bringt Frieden, Barmherzigkeit, Leben und Fruchbarkeit mit sich. Der Mensch, gesegnet von Gott, wird deshalb auch "Geheiligter" genannt, weil er an der gleichen Heiligkeit Gottes teilnimmt und von ihm eingeladen wurde an seinem Heilsplan mitzuarbeiten.

Die zweite Lesung (Gal 4,4-7) bezieht sich nur indirekt auf Maria. Paulus bekundet ausdrücklich: "Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt..." (Gal 4,4). Der Text ruft in erster Linie die Geschichte des Handelns Gottes "in der Zeit" (Geschichte) der Menschheit in Erinnerung. Die Sendung des Sohnes durch den Vater entspricht der "Fülle der Zeiten", erreicht also den Höhepunkt der Heilsgeschichte. Genau in diesem entscheidenden und erfüllten Moment der Erlösung berichtet Paulus von der Fleischwerdung Christi ("geboren von einer Frau"). Diese Frau ist Maria, welche im Mittelpunkt des Heilsplanes Gottes steht. In ihr wird der Messias - der Sohn Gottes - wahrhaftig unser "Bruder" (Hebr 2,11), von gleichem Fleisch und Blut (Hebr 2,14). Maria ist also Mutter Gottes. An ihre göttliche Mutterschaft zu glauben bedeutet deshalb, die unbegrenzte Liebe Gottes gegenüber den Menschen, welche sich in der Menschwerdung offenbarte, zu bezeugen. Wenn also Christ-sein bedeutet, daß wir das ewige WORT Gottes, das für uns Fleisch geworden ist, in unser eigenes Leben aufnehmen sollen, so wird deutlich, daß Maria einen besonderen Platz im Leben der christlichen Gemeinschaft einnimmt: Maria trug Jesus, den Messias und Herrn, in ihrem Schoß, sie pflegte ihn, erzog ihn, führte ihn in die Gebräuche des erwählten Volkes ein, sie folgte ihm im Glauben bis zum Kreuz und wurde dadurch die erste Glaubende des Neuen Israels.

Das Evangelium (Lk 2,16-21) bringt uns den letzten Teil der Kindheitsgeschichte des zweiten Kapitels des Evangelisten Lukas. Nachdem die Hirten die Botschaft der Engel vernommen hatten, "gingen" sie (griech. speudô - "eilen") nach Betlehem (v.16) und zeigten sich auf diese Weise dem Willen Gottes fügsam. In derselben Weise handelte auch Maria als sie "in Eile" (griech.: spoudé) zu Elisabeth ging (Lk 1,39). Sowohl Maria als auch die Hirten antworten bereitwillig dem Plan Gottes, der sich "heute" verwirklicht, und dem gegenüber es keine Verzögerung oder Verspätung geben darf. Dies ist zugleich die Haltung des Glaubenden, der den Wegen des Herrn und seinen Eingebungen gegenüber offen und fügsam lebt.

Die Verkündigung durch den Engel entspricht genau den Tatsachen (vv. 15-17): die Hirten "fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag" (v.17). Jene, die zuvor Adressaten der frohen Botschaft waren (Lk 2,10: euaggelízomai) werden nun selber zu Verkünder der selben Freudenbotschaft und beginnen "zu erzählen, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war" (2,17). "Und alle, die es hörten, staunten über die Worte der Hirten" (v.18). Die Leute staunten (griech.: thaumazein) also über das Erzählte; sie reagieren auf die gleiche Weise dem Handeln Gottes gegenüber, wie zuvor Zacharias (Lk 1,21), Maria und Josef (Lk 2,23) und die Bewohner von Nazareth (4,22; vgl. 9,43; 11,14.38; 20,26; 24,12.41). Dennoch unterscheidet sich von allen anderen die Haltung Marias: "Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach" (v.19). Im Griechischen steht für "bewahren" das Verb syntêreô, was soviel wie "etwas Kostbares hüten" oder auch "etwas Wertvolles mit Sorgfalt bewahren" bedeutet. Das andere Verb, welches mit "sie dachte darüber nach" übersetzt wird, steht für das Griechische symballô und bedeutet "zwei Sachen zusammenfügen", "Dinge zu vereinen, die getrennt sind" sowie "vergleichen", "gegenüberstellen". Diese Haltung erfordert jedoch eine geistige Aktivität und eine Fähigkeit des Geistes zur Synthese, welche es schafft, in scheinbar zusammenhangslosen Dingen oder Situationen dennoch einen Zusammenhang zu erkennen. Das griechische Verb steht hier in der Imperfektform, was eine wiederholte, ständige Aktion zum Audruck bringen möchte. Lukas beschreibt also Maria als eine, die als Hörerin des Geheimnisses lebt, und die stets die Ereignisse in einer tiefen kontemplativen Haltung liest, um ihren Sinn zu entdecken. Maria erscheint hier als tatsächliche Interpretin und Auslegerin der Geschehnisse. Der Evangelist will damit auch zu verstehen geben, daß Maria nicht alles von Anfang an verstanden hat, sondern nur langsam, Schritt für Schritt, im Verlauf der Zeit und hellhörig für die Ereignisse, versteht sie die innere Logik bzw. den Sinn der Ereignisse. Maria erinnert sich an all das, was Gott in ihrem Leben gewirkt hatte und beginnt, die Wege und den Willen des Herrn zu entdecken, indem sie die einzelnen Ereignisse miteinander verbindet. Diese Haltung tiefster Kontemplation geschieht im Herzen, dem Sitz der Unterscheidungskraft, der intellektuellen Fähigkeit und vor allem des Glaubens, der offen ist für die Pläne Gottes. Die Perikope schließt mit dem Lob und dem Preis der Hirten, welche das erfahren durften, was Gott ihnen verkünden ließ (v.20).

Die Gestalt Mariens, Interpretin der geschichtlichen Ereignisse und Kontemplative des Handelns Gottes, ist das Modell für jeden Glaubenden, welcher berufen ist, das Geheimnis und die Gegenwart Gottes im Alltag zu entdecken. Maria, die Mutter Jesu, ist die Lehrmeisterin des inneren Lebens, des Gebetes und des Hörens des Wortes Gottes. Sie hat das Wort Gottes in ihrem Leben aufgenommen, hat es in ihrem Inneren wirksam werden lassen, und zwar vom ersten Moment der Verkündigung durch den Engel an bis hin zum letzten Wort Jesu am Kreuz. Maria wußte es, sich in die Stille zurückzuziehen, um anzubeten und zu betrachten. Sie lehrt uns, das Leben mit dem Herzen zu sehen, indem wir aus dem Glauben die Ereignisse betrachten, die Gott in uns und um uns geschehen läßt. Maria ist die Erfüllung der religiösen Erfahrung der Armen JHWHs, welche im Glauben, Demut und Hoffnung das Kommen des Messias-Retters erwarteten. Sie ist deshalb ein Schatz Israels, der höchste Punkt der Glaubenserfahrung ihres Volkes und sie ist zugleich das Modell des neutestamentlichen Jüngers. Auf die Mutter des Herrn zu schauen bedeutet deshalb, uns selbst zu verstehen und erkennen, daß wir als Gläubige berufen sind, täglich Christus gegenüber unser Ja zu sagen. Maria ist für das Neue Testament, was Abraham im Alten Testament war, weil sie gleich ihm, ohne zu wissen wohin der Weg führt, aufgebrochen ist und sich ganz Gott und seinen Plänen anvertraute. Maria, die "Magd des Herrn", ist der Maßstab für den Jünger Christi und für die Kirche in allen Zeiten. Die Kirche des kommenden Jahrtausends muß gleich wie Maria ihre Heiligkeit und Treue im Alltag leben, ohne sich aufzublähen oder bloß das Außerordentliche zu suchen. Die Kirche muß, dem Beispiel Mariens entsprechend, im Glauben und in der Armut leben. Sie muß jegliche Ambitionen mit der Macht aufgeben und sich solidarisch und nahe den Armen dieser Welt gegenüber machen, welche - gleich Maria - bevorzugte Adressaten der Liebe Gottes sind. Es muß eine Kirche sein, verwurzelt im Glauben, welche nicht als eine bloße religiöse Organisation erscheint - mit mehr oder weniger Macht -, sondern eine Gemeinschaft, welche sich dem Plan Gottes weiht, der auch im Dunklen Wege sucht; eine Gemeinschaft, die vertraut und die ihr Zentrum im Wort Gottes hat. Sie muß also eine Gemeinschaft sein, die sich bewußt ist, Gott zu dienen und welche nie die Absicht hat, seinen Platz einzunehmen bzw. sein Geheimnis zu schmälern. Es muß eine Kirche sein, die gleich wie Maria Dienerin Gottes und der Menschen ist, welche mit unbegrenztem Vertrauen auf den Herrn ihren Weg inmitten von Hindernissen, Untreue, Verrat und Verfolgungen geht.