(Lesejahr B)
2 Kor
4,6-11
Mk
2,23-3,6
Die Lesungen des heutigen Sonntags
stellen uns Jesus als Lehrer der Freiheit sowie als authentischen Ausleger der
Schriften und Traditionen Israels vor Augen. Im Gegensatz zur legalistischen
und rituellen Religiosität der Pharisäer verkündet Jesus als den obersten Wert
der spirituellen Erfahrung das Wohl des Menschen. In den zwei Szenen des
heutigen Evangeliums wird dem Sabbat sein eigentlicher und ursprünglicher Wert
zurückgegeben, verstanden als ein Tag der Freude und der Freiheit und als eine
Zeit der Erholung und der Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen. Die
freudige Freiheit, in der Jesus und seine den geweihten Tag des Sabbats leben
lehrt, dass es viel wichtiger ist, einem bedürftigen Menschen zu helfen als ein
religiöses Gebot zu erfüllen. Jesus stellt nicht die rituellen Vorschriften in
den Mittelpunkt des Sabbats, sondern den Menschen, der durch diesen geheiligten
Tag die Möglichkeit hat, sich selbst und Gott zu begegnen.
Die erste Lesung (Dtn 5, 12-15) ist der deuteronomistischen Redaktion
des Dekalogs entnommen und bezieht sich auf das Gebot, das die Sabbatruhe
vorschreibt. Gott teilt die Tage des Menschen in zwei Teile: sechs Tage für die
Arbeit und ein Tag für die Freude und für die Erholung. Die Heiligung des
Sabbats besteht darin, dass er sich von den anderen Tagen der Woche
unterscheidet. An diesem Tag "opfert " der Israelit das Werk seiner
Hände, und auf diese Weise, d.h. im Akt des Verzichtes, erhält er von JHWH die
Fülle des Lebens. Gott verlangt von Israel bezüglich der Heiligung des Sabbats kein bestimmtes Werk. Jedoch
verlangt er von Israel den Verzicht auf jegliche Arbeit, die Frucht seiner
Anstrengung ist, um über seine eigenen Werke hinauszugehen. In einer bestimmten
Weise weist der Israelit durch die Sabbatruhe jegliche Form von Götzendienst
zurück, welcher nichts anderes bedeutet als die Erlösung mit den eigenen Händen
zu erwirken wollen, und im selben Moment offenbart die Sabbatruhe, dass das
erfüllte Leben vom Herrn allein kommt. Der Sabbat ist eine Zeit, in der sich
der Mensch mittels des "Nichttätigseins" in den Bereich der absoluten
Unentgeltlichkeit begibt, um in Gemeinschaft mit dem Gott zu treten, der alles
Tun und alle Kreatur übersteigt.
Der Sabbat ist ausserdem ein
"symbolischer" Tag, eine Art wöchentlicher Gedenktag, an dem das Volk
aufgrund des "Nichttätigseins" die freudige Erfahrung der Befreiung
aus der Sklaverei wieder aufleben lässt. Jede Generation nimmt durch die
Sabbatruhe an dem befreienden Akt Gottes teil. Deshalb erfreut sich der Mensch
an diesem Tag der Gnade Gottes, welcher alle aus der Sklaverei befreit, die mit
ihm leben: Söhne, Sklaven, Fremde, Tiere, etc. "Denk daran: Als du in
Ägypten Sklave warst, hat dich der Herr, dein Gott, mit starker Hand und hoch
erhobenem Arm dort herausgeführt. Darum hat es dir der Herr, dein Gott, zur
Pflicht gemacht, den Sabbat zu halten" (Dtn 5,15). Am Sabbat schenkt der
Israelit den anderen, was er auf unverdiente Weise von Gott erhalten hatte: die
Freiheit und das Leben. An diesem Tag sind alle Mensch gleich, alle sind
eingeladen, sich der Vergebung, der Freiheit, des Wohlseins und des Friedens zu
erfreuen. Dies ist der wahre Sinn des biblischen Sabbats. Er ist ein Moment, in
dem jeder Mensch - gleich welcher Versklavung auch immer unterworfen -
eingeladen ist, sich der einzigen Gabe zu erfreuen, die wirklich allen Leben
schenkt, nämlich die Erlösung durch Gott.
Die zweite Lesung (2 Kor 4,6-11) stellt uns das Geheimnis des Lebens
und des Todes vor Augen, welches im Leben und in der Missionstätigkeit des
Apostels Paulus gegenwärtig ist. Der Glaube, den der Verkünder des Evangeliums
lebt und bezeugt, ist dem Lichte gleich, welches das erste Werk der Schöpfung
war (Gen 1,3). Mit dem Licht des Glaubens an Christus, welches Gott in den
Herzen des Glaubenden erstrahlen lässt, beginnt die neue und endgültige
Schöpfung. Gott "ist in unserern Herzen aufgeleuchtet, damit wir
erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antliz Christi"
(v.6). Der Apostel ist berufen, diesen Glauben durch seine Missionstätigkeit zu
bezeugen, und er ist durch das Kreuz und die Auferstehung Christi geprägt, da
er gleichzeitig die Erniedrigung als auch die Verherrlichung des Herrn erfährt.
Das Bild, welches Paulus verwendet, um dieses Geheimnis des Apostels zu
beschreiben ist sehr anregend: "Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen
Gefäßen" (v.7). Der Apostel ist ein zerbrechlicher und begrenzter Mensch,
der seine eigenen Schwächen und Unsicherheiten erleidet und der oft auch die
Grenze des Scheiterns und des Todes berührt. Trotzdem birgt er in sich ein
Geheimnis des Lebens und der Fülle, und überallhin trägt er den wunderbaren
Schatz des Pascha Christi hin, der ihn für immer geprägt hat. Dieser Mensch,
der die Grenzen der menschlichen Vergänglichkeit erleidet und ständig in Gefahr
läuft, zu Boden zu fallen -
niedergeschlagen und deprimiert - genau dieser Mensch ist ein Heiligtum
der Gegenwart Christi, welcher auch im Leiden und im Tod Erlösung bringt.
Paulus ist davon fest überzeugt: "Wohin wir auch kommen, immer tragen wir
das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib
sichtbar wird" (v.10). Das Leiden des Apostels, sein scheinbares
Scheitern, und einschliesslich sein körperlicher Tod, schaffen ein Leben, das
kein Ende kennt, weder für sich selbst noch für die anderen. Mit Recht kann
Paulus den Korinthern sagen: "So erweist an uns der Tod, an euch aber da
Leben seine Macht" (v.12).
Das heutige Evangelium (Mk 2,23-3,6) ist eine Erzählung, die aus zwei Szenen
besteht: die eine handelt inmitten eines Kornfeldes, d.h. am Ort der Arbeit und
der menschlichen Mühe; die andere Szene hingegen ereignet sich in der Synagoge,
dem geweihten Ort, der für den Kult reserviert ist und wo auf eifrige Weise die
religiösen Traditionen beachtet werden. In beiden Fällen ist Jesus mit dem
Legalismus der Pharisäer jener Zeit konfrontiert und stellt den ursprünglich
biblischen Sinn des Sabbats wieder her, nämlich als einen Tag der Freiheit, der
Freude und des Dienstes am Menschen. Einige religiöse Richtungen zur Zeit Jesu
hatten den Sabbat in einen Moment der Versklavung und der rituellen Observanz
umgeformt, fern vom täglichen Leben des Volkes. Einige jüdische Schriften
weisen sogar eine Liste von 40 Verboten bezüglich des Sabbats auf (so durfte
man kein Feuer anmachen, keine Speisen bereiten, man mußte fasten und man
durfte nur eine bestimmte Wegstrecke gehen, etc.). Jesus gibt dem Sabbat - in
Einklang mit der früheren prophetischen Verkündigung, welche die Einheit
zwischen Kult und Leben predigte - wieder seinen wahren Wert. Für Jesus ist der
Sabbat eine Zeit der Erlösung, in welcher sich mit gesteigerte Kraft die
befreiende Macht Gottes erweist, und in welcher der von Gott befreite Mensch
seinen eigenen Glauben in der Liebe bezeugt.
In der ersten Szene (inmitten der Kornfelder) werden die
Jünger Jesu - die Ähren abrissen, um sie zu essen - von den Pharisäern
angeklagt, gegen die Sabbatruhe zu verstossen (Mk 2,13-27). Jesus, der wahre
Ausleger der Schriften Israels, bedient sich einer Episode aus dem Leben
Davids, um das Verhalten seiner Jünger zu rechtfertigen. Jesus liest die
Schrift, um das Leben zu erleuchten, indem er deren tiefsten Sinn auf
befreiende Weise aufdeckt. Am Beispiel Davids zeigte sich, dass die menschliche
Not wichtiger war als das Gesetz bezüglich der geweihten Brote, die nur die
Priester essen durften ( 1 Sam 21,2-7); im Falle Jesu gilt das gleiche Prinzip:
der Hunger udn die Bedürftigkeit der Jünger sind wichtiger als jegliches religiöses
Gesetz. Im verständnis Jesu darf der hungernde Mensch nicht vernachlässigt und
ignoriert werden, sondern es muss ihm in entsprechender Weise geholfen werden,
und dies besonders am Sabbat, an dem die Befreiung aus der Sklaverei gefeiert
wird: "Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den
Sabbat" (v.27). Jesus ist der "Menschensohn", der den Menschen
vom Legalismus befreit und ihn - entsprechend dem ursprünglichen Gedanken der
Schöpfung - in den Mittelpunkt des Heilsplanes Gottes stellt. Jesus ist der
Mensch, der die tiefste Wahrheit des Menschen offenbart, und er sprengt die
legalistischen Schemen des damaligen Judaismus, indem er zeigt, dass "der
Menschensohn Herr auch über den Sabbat ist" (v.28).
In der zweiten Szene (in der Synagoge) heilt Jesus einen Mann,
dessen Hand verdorrt war (Mk 3,1-6). Jesus stellt eine einschneidende Frage:
"Was ist am Sabbat erlaubt: Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten
oder es zu vernichten?" (v.4) Seine Worte erinnern an die entscheidende Stellungnahme
hinsichtlich des Gesetzes: "Hiermit lege ich dir heute das Leben und das
Glück, den Tod und das Unglück vor... Wähle also das Leben, damit du lebst, du
und deine Nachkommen" (Dtn 30, 15.19). Diese Gesetzesworte verwirklichen
sich klarerweise in der Hilfe dem Nächsten gegenüber, der in Not ist - hier
aber handelt es sich um eine Handlung, die jegliches Gesetz oder religiöse
Vorschrift übertrifft, und noch mehr: um eine Handlung, die über der
legalistischen und unmenschlichen Interpretation steht, welche die Pharisäer
bezüglich des Sabbats machten. Für Jesus musste der kranke Mensch Gesundheit
und Trost erhalten, und dies vor allem am Sabbat, an dem man sich der grossen
Wundertaten Gottes erinnert. Die Pharisäer hingegen opfern den Menschen für die
Institution; Jesus ruft die menschliche Person in die Mitte und bezeugt mit
seiner Haltung, dass die Institution stets im Dienst des Menschen stehen muss.
Die Feinde Jesu, die ihn belauern um einen Grund zur Anklage gegen ihn zu
finden, reagieren mit einem hartnäckigen Schweigen. Markus nennt dieses
Schweigen "verstocktes Herz" (was hier eine Übersetzung des griech. pôrôsis tes kardías ist; an anderer
Stelle nennt es der Evangelist auch sklerokardía
(Mk 10,15; 16,14)). Es ist dies die Verstocktheit des Menschen, der sich
bewusst uind hochmütig wider Gott und wider das Gute verschliesst, und der
schliesslich unfähig ist, auf die Neuheit der Erlösung zu hören und sich ihr zu
öffnen. Paulus spricht von der pôrôsis,
"Verstockung, Verhärtung" einerseits in Bezug auf Israel (Röm 11,25)
und andererseits spricht er im Brief an die Epheser von der pôrôsis, "Verhärtung, Trotz"
in Bezug auf jene deren "Sinn verfinstert ist und die dem Leben entfremdet
sind, das Gott schenkt" (vgl. Eph 4,18). Die Härte des Herzen entfacht den
Zorn Jesu (der griech. Text gebraucht
hier das Wort orge, mit dem im NT der
göttliche Zorn bezeichnet wird) (v.5). Gott duldet also keineswegs diese
Haltung der Pharisäer. So sagt schon Paulus: "Der Zorn Gottes wird vom
Himmel her offenbart wider alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen,
die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten" (Röm 1,18). Im
heutigen Evangelium führt die Härte des Herzens der Pharisäer und der
Herodianer schliesslich zum Entschluss, Jesus zu töten.
Die Texte des heutigen Sonntags sind
ein Aufruf zur authentischen religiösen Erfahrung, welche die Gemeinschaft mit
Gott in der Freude der Freiheit lebt und die das Wohl des Menschen als oberste
Handlungsnorm hat. Das Verhalten Jesu bezüglich des jüdischen Sabbats soll uns
dazu führen, unsere Liturgie des Herrentages zu überdenken, und sie vom blossen
Etikett des Gebotes bzw. der gesetzlichen Verpflichtung befreien. Der Sonntag
als Tag der Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen sollte eigentlich die
ganze Woche und all unser Tun erleuchten, damit wir uns nicht in einer Reihe
von Riten und heiligen Handlungen isolieren. Der Sonntag, d.h. unser
christlicher "Sabbat", ist der Tag des wöchentlichen Exodus, wenn wir
mit Christus vom Tod zum Leben erstehen, was uns dazu befähigt, regelmässig
unsere Kraft in der Liebe zu Gott und den Mitmenschen durch das Wort Gottes und
die Sakramente zu erneuern.