Aus den Briefen
des höchst heiligen Clemens,
des Autors der Stromateis.
Clement of Alexandria 'Titus Flavius Clemens' 150
C.E. - ~211/216 C.E.
An Theodoros:
"Du hast gut daran getan, die scheußlichen
Lehren der Karpokratianer zum Schweigen zu bringen. Denn diese sind die
"wandernden Sterne", auf die im Buch der Propheten Bezug genommen wird,
die vom engen Pfad der Gebote in einen bodenlosen Abgrund der fleischlichen
und körperlichen Sünden gleiten. Denn während sie sich eines
Wissens "um die verborgenen [Dinge des] Satans" brüsten, wissen sie
nicht, daß sie sich in die untere Welt der Finsternis der Lüge
wegwerfen, und während sie sich rühmen, frei zu sein, sind sie
Sklaven knechtischer Begierden geworden.
Solchen [Menschen] ist auf jede
Weise und ganz und gar entgegenzutreten. Denn selbst wenn sie etwas Wahres
sagen sollten, sollte einer, der die Wahrheit liebt, ihnen nicht zustimmen.
Denn nicht alle wahren [Dinge] sind die Wahrheit, noch auch sollte jene
Wahrheit, die nach menschlichen Ansichten [lediglich] wahr zu sein scheint,
der wahren Wahrheit, nämlich jener nach dem Glauben, vorgezogen werden.
Was nun die [Dinge] angeht, die sie fortwährend
über das von Gott inspirierte Evangelium laut Markus behaupten, so
sind einige ganz und gar Fälschungen und andere, auch wenn sie einige
echte [Bestandteile] enthalten, trotzdem nicht getreulich berichtet. Denn
die wahren [Dinge], die mit Erfundenem vermischt sind, sind verfälscht,
so daß, wie das Sprichwort [sagt], sogar das Salz seine Würze
verliert.
[Was nun] Markus [angeht], so schrieb er
damals, während des Aufenthalts des Petrus in Rom, [eine Darstellung
von] den Taten des Herrn, nicht jedoch gab er alle bekannt, noch machte
er schon Andeutungen auf die geheimen, sondern wählte diejenigen aus,
die er für die nützlichsten hielt, den Glauben jener zu stärken,
die gerade unterwiesen wurden.
Als aber Petrus als Märtyrer starb,
kam Markus nach Alexandria herüber und brachte seine eigenen Aufzeichnungen
wie auch die des Petrus mit, von denen er in sein früheres Buch diejenigen
Dinge übertrug, die geeignet waren, welchen Fortschritt auch immer
zur Erkenntnis [gnosis] zu machen. [Solchermaßen] verfaßte
er ein geistigeres Evangelium zum Gebrauch für jene, die eben vervollkommnet
wurden. Desungeachtet enthüllte er nicht die nicht zu verbreitenden
Dinge, noch schrieb er die hierophantische [1] Lehre des Herrn nieder, sondern
fügte den schon geschriebenen Geschichten noch andere hinzu und brachte
überdies gewisse Aussprüche hinein, von denen er wußte,
daß ihre Interpretation als ein Mystagogon [2] die Hörer in das
innerste Heiligtum jener Wahrheit führen würde, die von sieben
[Schleiern] verhüllt ist.
So bestimmte er insgesamt, meiner Meinung
nach, weder ungern noch unvorsichtig, die Dinge vorher und hinterließ
sterbend sein Werk der Kirche in Alexandria, wo es noch heute aufs sorgfältigste
behütet und nur denen vorgelesen wird, die in die großen Geheimnisse
eingeweiht werden.
Da aber die unreinen Geister immer auf
die Zerstörung der Rasse der Menschen sinnen, machte sich Karpokrates,
von ihnen unterrichtet und hinterlistige magische Künste gebrauchend,
einen gewissen Presbyter der Kirche in Alexandria so gefügig, daß
er von ihm eine Abschrift des Geheimen Evangeliums bekam, das er seiner
blasphemischen und fleischlichen Doktrin entsprechend auslegte und es darüber
hinaus beschmutzte, indem er den makellosen und heiligen Worten äußerst
schamlose Lügen beimengte. Aus dieser Mischung sind die Lehren der
Karpokratianer abgezogen.
Ihnen darf man daher, wie ich oben sagte,
nie nachgeben, noch auch sollte man, wenn sie ihre Fälschungen herausstellen,
ihnen zugeben, daß das Geheime Evangelium von Markus ist, sondern
sollte es sogar unter Eid verneinen. "Nicht alles Wahre muß allen
Menschen gesagt werden."
Aus diesem [Grund] rät die Weisheit Gottes
durch Salomon "Antworte dem Toren aus seiner Torheit" und lehrt damit,
daß das Licht der Wahrheit vor denjenigen verborgen bleiben sollte,
die geistig blind sind.
Und wieder sagt sie "Von dem, der nicht hat, soll
genommen werden" und "Laßt den Toren in Dunkelheit wandeln". Wir
aber sind "Kinder des Lichts", nachdem wir von der "Morgenröte" des
Geistes des Herrn "von hoch oben" erleuchtet worden sind, und sie sagt
auch "Wo der Geist des Herrn ist, ist Freiheit", denn "Alle Dinge sind
dem Reinen rein".
Ich werde deshalb nicht zögern, dir
die [Fragen] zu beantworten, die du gestellt hast, und die Fälschungen
mit eben den Worten des Evangeliums widerlegen.
Zum Beispiel bringt [das
Geheime Evangelium] nach "sie waren aber auf dem Wege und gingen hinauf
gen Jerusalem" und weiter bis "und am dritten Tage wird er auferstehen"
Wort für Wort das Folgende: [zwischen Mk 10,34 und 35:]
"Und sie kamen nach Bethanien, und eine
gewisse Frau, deren Bruder gestorben war, war dort. Und herzu kommend,
warf sie sich vor Jesus nieder und sagte zu ihm: 'Sohn Davids, habe Erbarmen
mit mir.' Aber die Jünger wiesen sie zurück. Und Jesus, der in
Wut geriet, ging mit ihr in den Garten, wo das Grab war, und sogleich wurde
ein lauter Schrei aus dem Grab gehört. Und näher tretend, rollte
Jesus den Stein vom Eingang des Grabes weg. Und sogleich ging er hinein,
wo der Jüngling war, streckte seine Hand aus und zog ihn hoch, indem
er dessen Hand ergriff. Aber der Jüngling, als er ihn ansah, liebte
ihn und fing an, ihn anzuflehen, daß er bei ihm sein möge. Und
sie gingen aus dem Grab heraus und kamen in das Haus des Jünglings,
denn er war reich. Und nach sechs Tagen sagte ihm Jesus, was er tun solle,
und am Abend kommt der Jüngling zu ihm, ein leinenes Tuch über
[seinem] nackten [Körper] tragend. Und er blieb diese Nacht bei ihm,
denn Jesus lehrte ihn das Geheimnis des Reiches Gottes. Und von da erhob
er sich und ging auf die andere Seite des Jordans zurück."
Nach diesen [Worten] folgt der Text "Und
Jakobus und Johannes kommen zu ihm" und dieser ganze Abschnitt. Aber "nackter
[Mann] mit nacktem [Mann]" und die anderen Dinge, über die du schriebst,
werden nicht gefunden. Und nach den [Wörtern] "Und er kommt nach Jericho"
fügt das Geheime Evangelium nur hinzu [in Mk 10,46:] "Und die Schwester
des Jünglings, den Jesus liebte, und seine Mutter und Salome waren
dort, und Jesus empfing sie nicht".
Aber die vielen anderen [Dinge, über]
die du schriebst, scheinen falsch zu sein und sind Fälschungen.
Nun, die wahre Erklärung und das,
was mit der wahren Weisheit übereinstimmt... "
[Hier bricht der Text mitten auf der Seite
ab.]
Ref. [1] Hierophant
= "Enthüller der heiligen Geheimnisse", [2] Mystagoge,
in die (eleusinischen) Mysterien eingeweihter und einführender
Priester [griech. mystagogos]
volker doormann
- 2002
|