Jiddu Krishnamurti
spricht über Meditation |
"Der
Raum, den der Gedanke um sich erzeugt, ist ohne Liebe. Dieser
Raum trennt den Menschen vom Menschen und das ganze Werden,
der Lebenskampf, die Pein und die Furcht ist darin eingeschlossen.
Meditation ist die Aufhebung dieses Raumes, das Aufhören des
Ich. Dann gewinnen alle Beziehungen eine ganz andere Bedeutung,
denn in dem Raum, der nicht durch das Denken erzeugt ist, gibt
es nicht das andere - das Werden - , weil "Du" nicht
mehr existierst. Meditation ist dann nicht mehr das Trachten
nach einer Vision, wie geheiligt sie auch durch die Tradition
sein mag. Sie ist vielmehr der endlose Raum, in den das Denken
nicht eindringen kann. Für uns ist der kleine Raum, den das Denken um sich geschaffen hat, der das Ich ist, äußerst wichtig, denn der Mensch, der sich mit allem identifiziert, was in diesem Raum vorhanden ist, kennt nichts anderes, und in diesem Raum wird auch die Furcht geboren, nicht zu sein. Wenn der Mensch das verstanden hat, kann er in der Meditation eine Raumdimension betreten, wo Handlung Nicht-Handeln ist. Wir wissen nicht, was Liebe ist, denn in dem Raum, den das Denken um sich als Ich geschaffen hat, ist Liebe der Konflikt zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich. Dieser Konflikt, diese Qual ist keine Liebe, es kann nicht in jenen Raum eindringen, in dem es kein Ich gibt. In diesen Raum liegt Glückseligkeit, die der Mensch sucht und nicht finden kann. Er sucht sie innerhalb der Grenzen des Denkens, doch das Denken zerstört nur diese Segensfülle. Wahrnehmung, die ohne Formulierung, das heißt ohne den Gedanken ist, gehört zu den seltsamsten Phänomenen. Die Wahrnehmung ist dann weit unmittelbarer - nicht nur der Verstand, sondern auch alle Sinne sind daran beteiligt. Eine Wahrnehmung dieser Art ist weder die bruchstückhafte Wahrnehmung des Intellekts, noch eine rein gefühlsmäßige. Sie kann totale Wahrnehmung genannt werden und ist eine Teil der Meditation. Wahrnehmung ohne den Wahrnehmenden heißt in der Meditation mit dem Unermeßlichen in seiner ganzen Höhe und Tiefe in Kommunion zu sein. Diese Wahrnehmung ist etwas ganz anderes als das Sehen eines Objektes ohne den Beobachter, denn in der meditierenden Wahrnehmung gibt es kein Objekt und keine Erfahrung. Meditation ist möglich, wo es auch sein mag, wenn die Augen offen sind und man von Objekten jeder Art umgeben ist. Aber dann haben diese Objekte überhaupt keine Bedeutung. Man sieht sie, aber es ist damit kein Wiedererkennen verbunden, und das bedeutetet, daß in diesem Vorgang kein Erfahren liegt. Welchen Zweck hat eine solche Meditation? Sie hat keinen Zweck; es ist kein Nutzen damit verbunden. Aber in dieser Meditation liegt ein großes Entzücken, das nichts mit den üblichen Freuden zu tun hat. Dieses Entzücken verleiht dem Auge, dem Kopf und dem Herzen die Eigenschaft der Unschuld. Wenn man das Leben nicht als etwas völlig Neues sieht, läuft es schablonenhaft ab, ist es voller Langeweile, etwas gänzlich Sinnloses. Darum ist Meditation von größter Bedeutung. Sie öffnet das Tor zu dem Unermeßlichen, zu dem Grenzlosen. Wenn Du Dein Haupt von einem Horizont zum anderen wendest, so sehen Deine Augen einen weiten Raum, in dem alle Dinge der Erde und des Himmels sichtbar werden. Aber dieser Raum findet immer dort seine Grenze, wo Himmel und Erde einander begegnen. Der geistige Raum ist so eng. Alles was wir tun, scheint sich in diesem kleinen Raum abzuspielen: Das tägliche Leben und die verborgenen Kämpfe mit ihren widerspruchsvollen Wünschen und Motiven. In diesem begrenztem Raum sucht der Mensch nach Freiheit und bleibt daher immer ein Gefangener seiner selbst. Meditation ist die Aufhebung dieses kleinen Raumes. Wir sind der Meinung, daß in diesem engen Raum des Geistes durch Handlung Ordnung geschaffen wird. Es gibt aber eine andere Handlung, die nicht darauf aus ist, Ordnung in diesen kleinen Raum zu bringen. Meditation ist diese Handlung, die sich einstellt, wenn der Geist seinen begrenzten Raum verloren hat. Die Weite des Raumes, die sich dann auftut und wohin der Verstand, das Ich, nicht gelangen kann, ist Schweigen. Der Geist kann in sich selbst niemals still sein; er ist nur innerhalb des weiten Raumes still, den das Denken nicht erreichen kann. Aus diesem Schweigen erwächst eine Handlung, die mit dem Denken nichts zu tun hat. Dieses Schweigen ist Meditation. Meditation gehört zu den ungewöhnlichsten Dingen und wenn Du nicht weißt, was sie zu bedeuten hat, bist Du wie ein blinder Mensch in einer Welt leuchtender Farben mit ihrem Wechselspiel von Licht und Schatten. Sie ist keine Sache des Intellekts, wenn sich aber Herz und Geist verbünden, dann wird der Mensch ein völlig anderer. Er ist dann wirklich grenzenlos, nicht nur in seiner Fähigkeit zu denken und wirksam zu handeln, sondern sein Lebensgefühl umfaßt einen unendlichen Raum, in dem er Teil eines jeglichen Dinges ist. Meditation ist das Aufbrechen der Liebe. Es ist nicht die Liebe zu dem einen oder zu den vielen. Sie ist gleich dem Wasser, das man aus jedem Gefäß trinken kann, sei es aus Gold oder sei es aus Ton. Sie ist unerschöpflich. Und etwas Seltsames ereignet sich, das durch kein Rauschmittel und durch keine Selbsthypnose erreicht werden kann. Es ist, als ob der Mensch in sich selbst eindringt. Er beginnt an der Oberfläche und geht immer tiefer, bis Tiefe und Höhe ihre Bedeutung verloren haben und jeder Maßstab verschwindet. In diesem Zustand herrscht vollkommener Friede - keine Genügsamkeit, die durch Befriedigung entstanden ist - sondern ein Friede, der Ordnung, Schönheit und Kraftfülle in sich trägt. Alles kann vernichtet werden, wie man eine Blume vernichten kann, und dennoch ist der Friede gerade wegen seiner großen Verletzbarkeit unzerstörbar. Die Meditation kann man nicht von einem anderen erlernen. Man muß beginnen, ohne etwas über sie zu wissen, und muß ständig in diesem Zustand der Unschuld verbleiben. Der Boden, auf dem der meditative Geist beginnen kann, ist das alltägliche Leben, der Kampf, der Schmerz und die flüchtige Freude. Dort muß der Mensch anfangen und Ordnung schaffen und damit fort fahren ohne Unterlaß. Aber wenn Du nur damit beschäftigt bist, Ordnung zu schaffen, dann wird diese Ordnung ihre eigene Begrenzung hervor bringen und Dich zu ihrem Gefangenen machen. In all diesem Tun mußt Du irgendwie von der anderen Seite aus beginnen, von dem anderen Ufer und Du darfst Dich nicht ständig mit diesem Ufer beschäftigen und wie Du den Fluß überqueren kannst. Du mußt den Sprung ins Wasser wagen, ohne zu wissen, wie Du schwimmen sollst. Die Schönheit der Meditation liegt darin, daß Du niemals weißt, wo Du bist, wohin Du gehst und welches das Ziel ist. Gibt es in der Meditation eine neue Erfahrung? Der Wunsch nach Erfahrung, die über das Alltägliche hinaus geht, ist die Ursache, daß der innere Quell versiegt. Das Verlangen nach mehr Erfahrung, nach Visionen, nach höherer Wahrnehmung, nach irgendeiner Realisierung läßt den Menschen nach außen schauen, was nichts anderes ist als seine Abhängigkeit von der Umwelt und den Menschen. Das Merkwürdige der Meditation ist darin zu sehen, daß kein Ereignis zu einer Erfahrung gemacht wird. Es ist da, gleich einem neuen Stern am Himmel ohne daß das Gedächtnis es übernimmt und festhält, ohne den gewohnheitsmäßigen Prozeß des Wiedererkennens und der Reaktion in Form von Zuneigung und Ablehnung. Unser Suchen geht immer nach außen. Der Geist, der irgendeine Erfahrung sucht, geht nach aussen. Nach innen zu gehen, bedeutet, nicht mehr zu suchen; es ist ein unmittelbares Wahrnehmen. Reaktion dagegen ist immer ein Wiederholen, denn sie kommt immer aus demselben Erinnerungsvermögen.
Nach der Regenzeit waren die Hügel herrlich anzuschauen. Sie waren noch braun von der Sommersonne und jetzt würde alles Grüne hervor vorsprießen. Es hatte heftig geregnet und die Schönheit der Hügel war unbeschreiblich. Der Himmel war noch bewölkt und in der Luft lag der Duft von Sumac, Salbei und Eukalyptus. Es war köstlich mitten darin zu sein und eine seltsame Stille nahm von Dir Besitz. Anders als das Meer, das weit unter Dir lag, waren diese Hügel vollkommen reglos. Du
schautest mit wachen Sinnen um Dich; in dem kleinen
Haus da unten hattest
Du alles zurück gelassen - Deine Kleider, Deine
Gedanken und die Welt mit ihrem seltsamen Tun und
Treiben. Es war wirklich
wunderbar und seltsam; die ganze Nacht hindurch warst Du davon
erfüllt und als Du erwachtest, lange bevor die Sonne aufgegangen
war, war es immer noch in Deinem Herzen - mit unvorstellbarer
Freude, für die kein Grund zu finden war. Es war da - ursachlos
- und es war wirklich berauschend. Es würde während des ganzen
Tages mit Dir sein, ohne daß Du überhaupt danach fragst oder
es einlädst, bei Dir zu verweilen.
Der Himmel ist herrlich
blau, von jener Bläue, die sich nach dem Regen einstellt
und diese Regengüsse kamen nach vielen Monaten
der Dürre. Nach dem Regen ist der Himmel rein gewaschen,
die Hügel atmen Freude, und die Erde ist still.
Auf jedem Blatt liegt das Licht der Sonne, und Du
fühlst Dich der Erde eng verbunden.
Und da Du Dich dem Meere zuwandtest, das so still da lag, wurdest Du wirklich ein Teil von allem. Du warst jegliches Ding. Du warst das Licht und die Schönheit der Liebe. Auch hier zu sagen „Du warst ein Teil von jeglichem Ding“ ist gleichermaßen falsch. Das Wort „Du“ ist nicht ganz richtig, weil es in Wirklichkeit kein „Du“ gab. Du existiertest nicht. Da war nur Stille, die Schönheit, das ungewöhnliche Gefühl der Liebe. Die Worte „Du“ und „Ich“ trennen die Dinge. Diese Einteilung gibt es in dieser seltsamen Ruhe und Stille nicht.
Meditation ist in Wirklichkeit sehr einfach. Wir komplizieren sie. Wir umweben sie mit einem Gespinst von Ideen - was sie ist und was sie nicht ist. Aber sie ist nichts von all diesen Dingen. Weil sie so einfach ist, entgleitet sie uns, denn unser Geist ist so kompliziert, so abgenutzt, so zeitgebunden. Und dieser Geist schreibt dem Herzen vor, was es zu tun hat, und damit beginnen Mühe und Plage. Aber Meditation kommt auf natürliche Weise, ganz mühelos, wenn Du am Strande dahin wanderst oder aus dem Fenster schaust und diese prachtvollen Hügel siehst, die von der Sonne des vergangenen Sommers verbrannt sind.
Wenn Du zwischen den Hügeln oder in den Wäldern oder auf der langen gebleichten Sandbank allein dahin wandern würdest - in dieser Einsamkeit würdest Du wissen, was Meditation ist. Das tiefe
Entzücken an der Einsamkeit ist in Dir, wenn Du Dich nicht davor
fürchtest, allein zu sein, wenn Du der Welt nicht länger zugehörst
und keinem Ding mehr verhaftet bist. Gleich der Dämmerung, die
heute morgen herauf kam, kommt es schweigend und bricht einen
goldenen Pfad in diese tiefe Stille , die am Anfang war, die
jetzt ist und die immer sein wird. Es ist nicht der Organismus, mit dem man beginnen muss, vielmehr ist es der Geist mit seinen Meinungen, Vorurteilen und seinem Eigennutz, auf den man schauen muss. Wenn der Geist gesund, vital und kraftvoll ist, dann wird das Gefühl gesteigert und außerordentlich sensitiv. dann wird der Körper mit seiner eigenen natürlichen Intelligenz, die nicht durch Gewohnheit und Neigung verdorben worden ist, so funktionieren, wie es sein sollte. So muss man mit dem Geist beginnen und nicht mit dem Körper. - mit dem Geist, der das Denken ist mit der Vielfalt seiner Ausdrucksmöglichkeiten. Bloße Konzentration macht das Denken eng, begrenzt und reizbar, aber Konzentration stellt sich als ein natürlicher Zustand ein, wenn man der Art und Weise des Denkens gewahr ist. Dieses Gewahrsein kommt nicht von dem Denker, der auswählt und ausscheidet, der festhält und verwirft. Dieses Gewahrsein trifft keine Auswahl und richtet sich sowohl auf das Äußere wie auf das Innere; es ist ein Inneinanderfließen dieser beiden, und so kommt die Trennung zwischen dem Äußeren und dem Inneren zu einem Ende. Das Denken zerstört das Gefühl - und Gefühl ist Liebe. Der Gedanke kann nur den Genuss anbieten, und mit dem Trachten nach Genuss wird die Liebe beiseite gestoßen. Die Freude am Essen und Trinken findet im Denken ihre Fortsetzung und diesen Genuss, den das Denken hervorgebracht hat, nur zu kontrollieren oder zu unterdrücken, ist ohne Bedeutung. Es werden dadurch nur alle möglichen Konflikte und Zwangszustände geschaffen. Der Gedanke, der Materie ist, kann nicht das suchen, was jenseits der Zeit liegt; denn der Gedanke ist Erinnerung, und die Erfahrung aus dieser Erinnerung ist ebenso tot wie das Blatt vom vorigen Herbst. Indem man all diese Dinge gewahr ist, entsteht eine Achtsamkeit, die nicht durch die Auswirkungen der Unachtsamkeit hervorgerufen wird. Es ist die Unachtsamkeit, die dem Körper die angenehmen Gewohnheiten diktiert und die Intensität des Gefühls geschwächt hat. Unachtsamkeit kann nicht in Achtsamkeit verwandelt werden. Das unmittelbare Gewahrsein der Unachtsamkeit ist Achtsamkeit. Diesen komplexen Prozess zu sehen, ist Meditation, die allein Ordnung in diese Verwirrung bringt. Diese Ordnung ist ebenso absolut wie die Ordnung in der Mathematik, und daraus entsteht Handlung als ein unmittelbares Tun. Ordnung ist kein Einteilen, Planen und Gestalten - diese Dinge kommen viel später. Ordnung kommt aus einem Geist, der nicht mit Gedankengut vollgestopft ist. Wenn das
Denken schweigt, ist eine Leere da, die Ordnung ist." Copyright © Krishnamurti Foundation London 1969 Copyright © Aquarelle by Volker Doormann 2000
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J.K. ca. 1950
volker doormann - 2003.10.04