"Gulf-War-Syndrom" unter deutschen Dächern?
Konsequenzen für Bewohner der ehemaligen US-Army-Wohnungen in Frankfurt/Main
Kuklinski, B.
Einleitung
Vor ca. 2 Jahren wurden ca. 2800 leerstehende Wohnungen in Frankfurt/M. bezogen. Sie befanden sich vorher im Besitz der USA-Armee und wurden von deren Bediensteten und Angehörigen bewohnt. Auftretende unspezifische Beschwerden und Symptome unter den ca. 7000 neuen Bewohnern ließen bei einer Mieterin den Verdacht auf Schadstoffe im Wohnbereich aufkommen. Eine von ihr im Februar 1997 veranlaßte Hausstaubanalyse ergab stark erhöhte Werte an DDT, Chlorpyrifos, polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) und polychlorierten Biphenylen (PCB). Die Mieterin informierte daraufhin das Stadtgesundheitsamt Frankfurt. Vom Vermieter wurden daraufhin Material- und Raumluftmessungen veranlaßt.
Im Juli 1997 wandten sich weitere Mieter an das Stadtgesundheitsamt und an den Vermieter wegen dringenden Verdachts auf häusliche Schadstoffbelastungen. Einen Handlungsbedarf sah der Vermieter nicht. Er hatte im April 1996 schon eine Parkettboden-Materialprobe analysieren lassen. Sie ergab eine hohe Belastung an PAK. Vom Gutachter vorgeschlagene Raumluftmessungen (!) im Mai 1996 führten zum gutachterlichen Schluß, daß eine gesundheitliche Gefährdung für die Nutzer (Mieter) weitestgehend ausgeschlossen werden könne.
Am 17.11.1997 versammelten sich besorgte Mieter. Das Stadtgesundheitsamt und der Vermieter ließen sich wegen Terminkollision entschuldigen. Am 18.11.1997 wurde auf einer Mieterversammlung durch den Vermieter eine gesundheitsgefährdende Schadstoffbelastung ausgeschlossen und eine Sanierung als nicht erforderlich erachtet. Ende November wurden aus 8 Wohnungen Staub-, aus drei Quartieren Raumluftuntersuchungen sowie bei 70 Kindern Urinanalysen auf PAK-Metabolite (Kontrollgruppe 30 Kinder) veranlaßt. Die Resultate ergaben stark erhöhte Schadstoffkonzentrationen im Staub, von PAK auch in der Luft.
Da viele Mieter über Hautausschläge, Atemwegserkrankungen, Asthma bronchiale, massive Kopfschmerzen u. a. Gesundheitsschäden klagten, gründete sich im Januar 1998 eine Mieterinitiative der ehemaligen US-Housings.
Da das Stadtgesundheitsamt und die Vermieter vorerst keine Notwendigkeit zu weiteren umfassenden Untersuchungen der Wohnungen sahen, entschlossen sich viele Mieter, auf eigene Kosten Staubanalysen durchführen zu lassen. Mit der Leiterin des Gesundheitsamtes und Fachleuten fand hierzu am 5.2.1998 eine Expertenrunde über die Konsequenzen statt.
Resultate der Staubanalysen
Mit dem Stand vom 16.2.1998 lagen 107 Staubmessungen vor. In allen Staubproben waren in unterschiedlichen Konzentrationen polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, PCB, die Organochlorpestizide DDT (-metabolite), PCP und HCH (-isomere) sowie der Phosphorsäureester Chlorpyrifos nachweisbar. Tabelle 1 gibt die n-Zahlen in den Konzentrationsbereichen, die Durchschnittswerte sowie die Maximalwerte an.
Tabelle 1
Summerische Konzentrationen von
Xenobiotika, -metaboliten bzw. -isomeren in 107 Hausstaubproben.
Angaben in mg/kg
PAK | ||||
< 10 | 11 bis 100 | 101 bis 1000 | > 1000 | |
n | 26 | 40 | 31 | 10 |
x ± s:
222 ± 435 Gemessener Maximalwert: 2618 |
PCB | ||||
< 5 | 6 bis 10 | 11 bis 20 | > 20 | |
n | 56 | 17 | 16 | 18 |
x ± s: 11 ± 19 Maximalwert: 161 |
||||
DDT | ||||
< 1 | 1 bis 5 | 6 bis 10 | > 10 | |
n | 30 | 60 | 4 | 13 |
x ± s: 4,8 ± 9,9 Maximalwert: 44,7 |
Chlorpyrifos | |||
< 1 | 1 bis 5 | > 5 | |
n | 47 | 47 | 13 |
x ± s: 3,4 ± 8,4 Maximalwert: 28,3 |
PCP | |||
< 0,5 | 0.6 bis 1 | > 1 | |
n | 69 | 29 | 9 |
x ± s: 0,73 ± 2,4 Maximalwert: 29,8 |
Lindan | |||
< 0,5 | bis 1 | > 1 | |
n | 89 | 8 | 10 |
x ± s: 0,35 ± 0,66
Maximalwert: 4,2 |
In Tabelle 2 finden sich die n-Zahlen weiterer gefundener Xenobiotika mit Mittel- und Maximalwerten.
Tabelle 2
Weitere im Hausstaub gefundene
Xenobiotika:
Dieldrin | Eulasane
(PCSD/AS) |
Moschus-
Keton |
Methoxychlor | Permethrin | |
n | 28 | 18 | 33 | 17 | 15 |
% | 26 | 17 | 31 | 16 | 14 |
x | 1,18 | 7,3 | 0,30 | 2,3 | 8,2 |
± s | 2,1 | 6,9 | 0,29 | 2,0 | 5,5 |
Max.-wert | 9,0 | 22,4 | 1,8 | 8,9 | 18,8 |
Cyflutrin: n = 2 zu 4 und 4,4 mg/kg
Tolyfluanid: n = 1 zu 0,33 mg/kg
In Tabelle 3 ist ein willkürlicher Auszug der Staubproben 29 bis 39 angeführt.
Tabelle 3
PAK
gesamt |
PCB
gesamt |
DDX
gesamt |
Chlorpyrifos | PCP | Lindan |
339 | 4,8 | 1,02 | 5,5 | 0,48 | 0,14 |
322 | 4,4 | 0,48 | 4,1 | 1,1 | 0,01 |
33,4 | 22,7 | 0,52 | 1,1 | 0,83 | 0,07 |
1036 | 18,4 | 0,77 | 3,9 | 0,41 | 0,19 |
112 | 16,4 | 1,04 | 0,01 | 0,93 | 0,25 |
548 | 44,9 | 3,25 | 0,58 | 0,35 | 0,1 |
405 | 31,6 | 1,56 | 0,19 | 0,68 | 0,05 |
1459 | 11,2 | 0,79 | 0,14 | 0,29 | 0,17 |
19,8 | 2,8 | 1,22 | 2,3 | 0,32 | 0,52 |
868 | 24,8 | 4,64 | 3,44 | 1 | 0,24 |
1911 | 27,6 | 1,37 | 2,3 | 1,9 | 0,8 |
Diskussion der Ergebnisse
Die in Tabelle 1 angeführten Werte fanden sich in allen Wohnungen. Die ermittelten Konzentrationen spiegeln den "großzügigen" Einsatz in Armeeobjekten wider, wie sie in Ost und West durch die Besatzungsmächte gehandhabt wurden. Die Werte der Tabelle 2 sind als fakultative Einträge zu werten. Als Expositionsquellen kommen Raumausstattungen, Möbel, Bodenbeläge, Textilien, Haushaltschemikalien und Kosmetika in Frage.
Erstmals in Deutschland wurden in einer Region solch umfangreiche Messungen durchgeführt. Armeespezifisch dürften nur die hohen Konzentrationen an PAK, Phosporsäureestern und DDT zu werten sein. Selbst das in Deutschland verbotene DDT ist längst "über die Hintertür" nach Deutschland zurückgekehrt (Textilien, Teppiche aus Nordafrika, Nah- und Fernost und Nahrungsmittel).
Qualitativ dürfte das gefundene Xenobiotikaspektrum typisch für eine wärmegedämmte deutsche Wohnung sein. Mischbelastungen sind hier die Regel. Organochlorpestizide, PCB, Phosphorsäureester, Permethrin, Pyrethroide sind häufig zu finden, falls danach gesucht wird (25). Wenn bisher derartige umfangreiche Analysen unterlassen wurden, lag es darin begründet, daß Betroffene sich als Laien überwiegend auf die ihnen bekannten Leitsubstanzen orientierten.
Bewertung der Analysen
Die vorliegenden Daten belegen sehr hohe Mischbelastungen. Hinsichtlich ihrer klinischen Auswirkungen ist damit eine Beurteilung ihrer Toxizität anhand der Grenz- bzw. Richtwerte von Einzelsubstanzen nicht mehr möglich. Monokausale Dosis-Wirkungsbeziehungen verbieten sich. Sie würden bei Betroffenen zu Fehldiagnosen mit all ihren sozialen Konsequenzen führen.
Die toxischen Wirkungen von Schadstoffen beruhen auf den Beziehungen
W = å K x t
EK
W = Wirkung
å K = Summe aller Xenobiotika im Organismus
(Schwermetalle, Biocide, Aldehyde, PCB etc.)
(= Body burden, Gesamtbelastung)
t = Einwirkdauer
EK = individuelle Entgiftungskapazität
Die Summe der Schadstoffe läßt keine konkreten Aussagen über synergistisch-potenzierende Effekte von Schadstoffgemischen zu. Mit Sicherheit laufen diese aber bei den exponierten Personen ab. Diese stellen heute noch unbekannte Größen dar. Je höher die Schadstoffkonzentrationen und je länger die Einwirkdauer sind, desto größer ist das Erkrankungsrisiko. Die individuelle EK wird vom Alter, Geschlecht, Ernährungsstatus, psychosozialem Status, Erkrankungen, Medikamenteneinnahme, Genußmittelabusus und vom individuellen, genetisch bedingten Enzympolymorphismus bestimmt. Je schlechter die individuelle EK, desto ausgeprägter ist die individuelle Susceptibilität (Empfindlichkeit) der Person. Diese Darlegungen erklären, warum bei gleichen Xenobiotikabelastungen einige Personen schwer erkranken, andere dagegen gesund bleiben können.
Bei den gefundenen Mischbelastungen geht es nicht nur um Reizungen der Atemwege, der Augen und der Haut. Es geht um mehr.
Die Erkrankungen der US-Soldaten im Kuweit-Krieg 1991 am "Gulf-War-Syndrom" beruhte auf der Mischintoxikation von Phosphorsäureestern, Pyrethroiden, DEET (Autan) und medikamentösen Cholinesterasehemmern, die vorbeugend gegen befürchtete Giftgaseinsätze verabreicht wurden (3, 4, 5). Die verwendeten Insektizidkonzentrationen lagen im Low level-Bereich, wurden pharmakologisch/toxikologisch als unbedenklich eingeschätzt und erzeugten trotzdem irreversible Erkrankungssymptome bei über 30.000 Kriegsteilnehmern. Die Symptome zeigt Tabelle 4.
Tabelle 4
Symptome im Gulf-War-Syndrom, von dem über 30.000 US-Soldaten betroffen waren
1. Kognitionsstörungen mit Schläfrigkeit, Ablenkbarkeit, Störungen im Kurzzeitgedächtnis, Sprachartikulation, Migräne, Depressionen
2. Verwirrtheit und Ataxie mit Desorientierung, Störung im abstrakten Denken, Benommenheit, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel, Impotenz
3. Arthromyoneuropathie mit Gelenk-, Muskelschmerzen, Paraesthesien und Taubheit in Händen, Füßen, Muskelschwäche, -müdigkeit
4. Durchfälle
In den untersuchten Wohnungen liegen
ähnliche Verhältnisse vor. Es verbietet sich, Vergleiche zu
belasteten Berufsgruppen anhand von Einzelsubstanzen (PAK, PCB
etc.) und evtl. hieraus Schlußfolgerungen für die
Unbedenklichkeit zu ziehen. Nach dem Vorliegen der Resultate der
Gulf-War-Studien wäre ein derartiges Vorgehen wissenschaftlich
nicht nur nicht mehr haltbar, sondern käme einer Bemäntelung
gleich, unabhängig davon, ob Unkenntnis der Sachverständigen
oder diverse Intentionen die Beurteilung beeinflussen.
Um die Ernsthaftigkeit vorliegender Belastungen zu verstehen, muß kurz auf die Wirkung der einzelnen Stoffklassen eingegangen werden (9, 10, 11).
PCB
Die Toxizität der PCB ist nicht aus der Gesamtbelastung von 6 Kongeneren beurteilbar, sondern auch vom Anteil koplanarer Kongenere, z. B. der PCB 77, 126 und 169. Der Abbau im Organismus erfolgt über Cytochrom P 450 Monoxygenasen. Es entstehen hierbei höchsttoxische, elektrophile (radikalische) Arenoxide (Epoxide), die Addukte mit DNS und RNS bilden. Im Entgiftungskomplex II erfolgt über S-Transferasen die Kopplung an Glutathion, aber auch an Schwefel- und Glucuronsäuren. Im Darm werden die Konjugate gespalten und die PCB enteral zum Teil rückresorbiert. Die T½ liegt zwischen Monaten bis über 10 Jahre je nach Kongener (6).
Subzelluläre Auswirkungen von PCB:
1. Hemmung der oxidativen Phosphorlyrierung (Zellatmung, 1)
2. Klastogene Wirkung
3. Melaninakkumulation
4. Hemmung der SH-Gruppen in den Cysteinmolekülen der GSH-S-Transferasen
5. verstärkte Histaminfreisetzung
6. Glutathionverbrauch
7. Pseudohormonwirkungen:
7.1. Stimulation des Aryl-Hydrokarbon-Hydroxylase (Ah-)-Rezeptors durch koplanare PCB, damit Aktivierung von Nuklearfaktoren, z. B. NFKB
7.2. Hemmung der Tyrosinhydroxylase und damit auch der Dopaminsynthese
7.3. Hemmung der Aktivität der Thyroxin-5`-dejodase
7.4. Pro- und antiöstrogene Wirkungen
8. Hemmung der Hämsynthese
9. oxidativer Streß
10. Hemmung des Vitamin K- und A-Haushaltes
PCB besitzen strukturell starke Ähnlichkeiten mit DDT, Dioxinen, Furanen, Schilddrüsenhormonen, Diphenylethern (Eulasane der Teppiche). PCB sind außerdem stets mit Dioxinen/Furanen belastet.
Zelluläre Auswirkungen
1. Die Thymusdrüse enthält zahlreiche Ah-Rezeptoren. PCB hemmen die T- Lymphocytenreifung durch Schädigung des Thymus-Stroma (7, 8).
2. Shift von Th1- zu Th2-Zellen, konsekutiv gesteigerte IgE-Synthese
Die klinischen Auswirkungen zeigt Tabelle 5.
Tabelle 5
Klinische Auswirkungen von PCB-Intoxikationen
1. Chondropathie und Arthropathie
2. Myalgie und Fibromyalgie
3. Immuninsuffizienz, Polyallergien und Autoimmunopathien
4. Encephalo-, Neuropathie der peripheren und vegetativen Nerven.
5. erhöhtes Risiko für koronare Herzkrankheit und maligne Erkrankungen
6. Naevuszell-Naevi-Bildung gesteigert
7. Chronische Bronchitis (Anreicherung
von Methylsulfonmetaboliten in der Bronchialschleimhaut)
8. Leberparenchymschäden (erhöhte SGOT-,
-PT, alkalische Phosphatase und gamma-GT) und Anstieg der
Blutlipide
9. Anaemie
10. verzögerte Pophyrie (d-ALA erhöht)
11. Gewichtsverlust, Alopecie
12. Gastritis, Refluxösophagitis, Ulcera
13. Gingivitis
14. Intestinale Dysbiosen
15. Blutungsneigung, auch zerebral
16. Sicca-Syndrom
17. Infertilität, Spermakonzentrationen bis 10fach höher als im Blut und Reproduktionsstörungen (Schwangerschaft)
18. Schilddrüsenfunktionsstörungen mit Struma, Knotenstruma, Über-, Unterfunktionen. Klinisch häufig das Bild einer Hyperthyreose bei unauffälligen peripheren Hormonwerten und erhöhtem oder erniedrigtem TSH-Spiegel
PAK
PAK adsorbieren an Staubbestandteile und Textilien. Ihre Halbwertszeit beträgt Monate bis Jahre und wird durch UV-Licht und Ozon beschleunigt. Die Aufnahme erfolgt über die Bronchial- und Magen-Darmwege (Verschlucken). Hier gehen sie in Lösung und werden vom Gewebe aufgenommen. Sie speichern sich im Fett, Darmwand, Lymphknoten, Leber, Milz und Nebennieren über Monate.
Partikel < 5 µm Durchmesser verbleiben in den oberen Atemwegen. Bei 1 bis 5 µm Durchmesser gelangen sie in die Bronchien und bei < 0,5 µm bis in die Bronchiolen.
In der Phase I der Biotransformation entstehen durch Cytochrom P 450-Monooxygenasen Epoxide. Diese werden durch Kopplung an Glutathion, Glukuron und Sulfat eliminiert. PAK aktivieren den Entgiftungskomplex I über den Ah-Rezeptor. Im Darm werden Konjugationsprodukte gespalten.
PAK wirken immunsuppressiv und kanzerogen.
DDT
Sein Molekül ähnelt den PCB, Dioxinen/Furanen, Schilddrüsenhormonen und Biphenylethern. Über Glutathion-induzierte Dechlorierung bildet sich das Langzeitspeichergift DDE mit sehr langer biologischer Halbwertszeit von mehreren Jahren. Aus DDE bilden sich durch weitere Dechlorierungen hochtoxische Epoxide. Diese wirken elektrophil und sind für die Kanzerogenese, neuro- und lebertoxischen Wirkungen verantwortlich. Sie hemmen den Natriumeinstrom und die Ca-ATPasen.
Chlorpyrifos
Diese dreifach chlorierte Pyridilverbindung wird oral, dermal und inhalativ aufgenommen. Seine Halbwertszeit beträgt im Boden ca. zwei bis vier Monate, im Fettgewebe ca. 3 Tage. Die dermale Resorption über die Haut wird durch Lösemittel wie Xylole, Toluole (in der Raumluft fast ständig nachweisbar) gesteigert.
Der Abbau erfolgt über Cytochrom P 450-Monooxygenasen oxidativ und durch hydrolytische Spaltung mittels Esterasen. Glutathion-S-Transferasen katalysieren die Demethylierung aus dem Phosphorsäureester. Bei der Desulfurierung entstehen toxische P=O-Metabolite. Vom radikalischen N-Atom des Pyridilringes gehen ähnlich toxische Wirkungen wie vom Paraquat aus (radikalische Wirkung).
Subzelluläre Auswirkungen sind.
1. Phosphorylierung des Serins der Acetylcholinesterase mit initial reversibler, dann
irreversibler Hemmung
2. Direkte Radikale-Wirkung (oxidativer Streß)
3. Hemmung von Carboxyesterasen. Damit Hemmung des Pyrethroidabbaus im Organismus und direkte neurotoxische Wirkung auf Axone der Nerven
4. Oxidation des Flavoproteins NADPH-Cytochrom P 450-Reduktase, damit Hemmung der Synthese des bronchialen Surfactant-Faktors, der GSH-Reduktase und der Fettsäurensynthese
5. Acetylcholinanreicherung im Hirn, den autonomen Nerven und motorischen Endplatten mit reaktiv verstärkter Freisetzung von Serotonin und Katecholaminen in den Synapsen des Hirns
Klinische Auswirkungen sind:
1. Neurotoxische Wirkungen besonders in Kombination mit Pyrethroiden mit (bis 8 Wochen) verzögert auftretender aufsteigender Polyneuropathie, Nervenlähmung bis hin zur Paralyse, Tremor, unscharfes Sehen. Ein Frühsymptom sind Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule
2. Immuninsuffizienz
3.. Multiorganerkrankung durch Glutathionverlust
4. Bronchiale Hyperreagibilität mit Bronchialkonstriktion und Luftnot
5. Blutdruckanstieg, -abfall, Tachykardien
6. ZNS: Monatelange gesteigerte Erregbarkeit, Unruhe, Angstattacken, Benommenheit, Schlaf-, Sprachstörungen, Depressionen, Krämpfe, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Schweißausbrüche, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
7. Verdauungsorgane: Bauchschmerzen, -krämpfe, Diarrhoen, Nausea und Emesis
8. Harnwege: Pollakisurie
9. Muskulatur: Übererregung, Faszikulieren, Fibrillieren
Die Toxizität erhöht sich bei Selendefiziten. Diese sind bei Deutschen ubiquitär. Optimal-Serumspiegel von > 120 µg/l finden sich selten.
Pentachlorphenol
PCB wirkt neuro-, immunotoxisch und induziert ebenfalls Arthromyopathien (PCP-Arthritis). Letztere sind typisch für alle chlororganischen Xenobiotika. Im Stoffwechsel hemmen sie die oxidativen Phosphorylierung. PCB sind stets mit höherchlorierten Dibenzodioxinen und -furanen verunreinigt. Sie aktivieren den Entgiftungskomplex I (Aryl-Hydrocarbon-Hydroxylasen) und werden über Glucuronsäure, aber auch z. T. über Glutathion konjugiert ausgeschieden.
Lindan
Die HCH-Isomere wirken ebenfalls neuro- und immun-, aber auch leber- und nierentoxisch. Bei chronischer Exposition verzögert sich ihre Ausscheidung. Auch ihr Abbau im Komplex II erfolgt über Glucuronisierung und Glutathionkopplung.
Dieldrin
Als chloriertes Cyclodien ist es das hochtoxische Epoxid des Aldrins. Es wirkt neurotoxischer als DDT. Seine Wirkung setzt sehr häufig erst nach einer Latenzzeit von Wochen und Monaten, aber dann schlagartig und mit aller Dramatik ein.
Eulasane
Es handelt sich hierbei um Sulfonamid- und Aminosäurendiphenyläther. Strukturell ähneln sie den PCB, -Dioxin, DDT-Molekülen. Ihre klinischen Auswirkungen dürften denen dieser verwandten Moleküle entsprechen (26).
Methoxychlor
Dieses dreifach chlorierte Methoxyphenylethan ähnelt ebenfalls von der Molekülstruktur her den PCB-, DDT-, Dioxin- und Schilddrüsenhormonmolekülen. Als Insektizid ist es häufig mit Phosphorsäureestern und Pyrethroiden kombiniert. Es wirkt neurotoxisch. Sein Abbau erfolgt über das Glutathion.
Moschus-Ketone
Als Duftstoffe finden sich diese kanzerogenen Duftstoffe im Fettgewebe angereichert wieder. Expositionsquellen sind Kosmetika, Weichspüler, Deo-Sprays u. v. a. Sie wirken kanzerogen.
Permethrin
Diese neurotoxischen Substanzen finden sich in Teppichen, Auslegewaren aber auch in Insekten-Sprays. Sie hemmen in den Nervenbahnen den Natriumeinstrom. Die Halbwertszeit im Fettgewebe beträgt ca. 3 Wochen. Ihr Abbau wird durch Phosporsäureester wie z. B. Chlorpyrifos gehemmt. Als Folge kumuliert Permethrin. Gastrointestinale, neurotoxische und immuntoxische (27) Symptome stehen im Vordergrund.
Von den meisten Xenobiotika finden sich Gemeinsamkeiten, und zwar
1. Aktivierung der Komplex I-Entgiftungsenzyme, damit stärkere endogene Giftung
2. Abtransport über Glutathion und -S-Transferasen im Entgiftungskomplex II
3. Entstehen radikalischer Zwischenprodukte, die einen oxidativen Streß induzieren
4. Toxische Wirkungen auf die Endorgane
5. Fettlöslichkeit
6. Kanzerogene Wirkung
Die gravierendste metabolische Auswirkung betrifft die Störung der intrazellulären Redox-Regulation. Oxidiertes Glutathion (GSSG) und an Glutathion konjugierte Xenobiotika konkurrieren um die Zellausschleusung kompetetiv. Als Folge steigt der intrazelluläre Gehalt an toxischen GSSG. Da Chlorpyrifos zusätzlich die Rückreduktion von oxidiertem Glutathion blockiert, sinkt die Relation GSH/GSSG. Zellfunktionen aller Organe werden hierdurch hochgradig beeinträchtigt und vital bedroht. Chlororganische Substanzen senken durch SH-Oxidation die Aktivitäten der Glutathion-S-Transferasen. Damit hemmen sie ihren eigenen Abbau, aber auch den der PAK. Der Rückstau an elektrophilen Metaboliten, die im Komplex I entstehen, schaukelt den prooxidativen Status auf. Die dem Mediziner bekannten Erkrankungen sind nur die Folgen dieser chronischen Dysbalancen.
Schon allein auf der Basis der Redox-Regulation und der zentralen Rolle des Glutathions wirken die vier Xenobiotika PCB, PAK, Chlorpyrifos und DDT mit Sicherheit synergistisch. Sie potenzieren ihre In vivo-Wirkungen. Damit verbietet sich - wir betonen es nochmals - die Toxizität eines Xenobiotikums einzeln und anhand von Richt- oder Grenzwerten zu beurteilen. Gerade die gehandhabte Dosis-Wirkungsbeziehung-Denkweise, die Vernachlässigung synergistischer Interaktionen und der individuellen Susceptibilität haben zur Unterschätzung der Gefährlichkeit von Mischintoxikationen beigetragen. Das Gulf-War-Syndrom, aber auch die derzeitigen Frankfurter Probleme wären sonst nicht möglich gewesen. Die Verantwortlichkeit der maßgeblichen Meinungsbildner, die monokausale, reduktionistische Denkweisen vertraten, liegt auf der Hand. Die konkreten Folgen waren Fehlbegutachtungen (z. B. PAK-Bewertung), falsche Schlußfolgerungen hinsichtlich weiterer Analysen und Gefährdungsmaß für die Mieter. Damit erhebt sich die Frage nach der Qualifikation des/der Gutachtere(s), die für das Gesundheitsamt/den Vermieter tätig waren.
Auf Veranlassung einer Mieterin wurden im Hausstaub schon im Februar 1997 schwerflüchtige PAK, DDT, PDB und Chlorpyrifos hochkonzentriert nachgewiesen. Trotzdem waren diese Resultate nicht Anlaß für entsprechende nachfolgende Analysen. Statt dessen wurden Raumluftmessungen für mittel- und schwerflüchtige Substanzen (!) vorgeschlagen und durchgeführt. Hier war zumindest Dilettantismus am Werke. Luftmessungen für mittel- und schwerflüchtige Xenobiotika führen zu Fehleinschätzungen. Das wahre Ausmaß der Raumschadstoff-Belastungen wird dadurch verkannt und unterschätzt.
Prognostische Aussagen über das Erkrankungsmuster sind nicht möglich. Die jetzt geklagten Symptome sind Frühsymptome. Schäden im Erbmaterial wären erst nach einer Latenzzeit von Jahren/Jahrzehnten erkennbar, falls es gelingt, die Betroffenen einer Langzeitkontrolle zu unterziehen. DNA-Adduktmessungen erbringen keinen Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Prognose. Sie bestätigen nur die interne Kanzerogenbelastung. Die DNS-Repairkapazität bleibt dabei unberücksichtigt.
Auch ein Biomonitoring o. g. Xenobiotike bringt hinsichtlich der Risikoklärung keinen Erkenntnisgewinn. Die Staubmessungen sind ausreichend. Die an Staubpartikeln fixierten Substanzen sind auch an Textilfasern gebunden. Inhalative, transdermale und perorale Aufnahmerouten sind die Hauptwege. Wichtiger als die absolute Höhe eines gemessenen Schadstoffes ist der qualitative Nachweis der Mischexposition sowie die Bestimmung der individuellen Entgiftungskapazität.
Individuelle Empfindlichkeit
1. Alters- und Geschlechtsabhängigkeit
Kinder mit noch sich entwickelndem Nerven- und Immunsystem sind wegen ihrer schwachen Entgiftungskapazität besonders gefährdet. Psychische Auffälligkeiten, Reduktion der kognitiven und mentalen Leistungsfähigkeit in der Schule werden ihre zukünftige Entwicklung negativ beeinflussen. Immuninsuffizienzen, Allergien und Autoimmunopathien haben ein größeres Risiko, da die lymphocytären Reifungsstörungen irreversibel sein können. Nicht die s. g. Allergien auf Hausstaubmilbe und Pollen sind bedeutungsvoll, sondern die Dysbalance im Immunsystem.
Schwangere und Senioren sind gegenüber o. g. Xenobiotika ebenfalls sensitiv.
Da für innere Detoxifikationen ein erhöhter Bedarf an Spurenelementen und Vitaminen besteht, werden einseitige Ernährungsregimes die Susceptibilität steigern. Aber selbst eine optimale Mischernährung kann unzureichend sein.
2. Diagnostik der individuellen Empfindlichkeit
2.1. Entgiftungskapazität
Die Aktivierung des Entgiftungskomplexes I durch o. g. Xenobiotika führt zu einer verstärkten Anflutung elektrophiler radikalischer, damit höchsttoxischer Metabolite. Arbeitet der Komplex II insuffizient, ist eine Deletion des Glutathions und damit eine Multiorganerkrankung vorprogrammiert. Die Situation ähnelt bildhaft einem dicken wasserführenden Schlauch, der an einen dünnlumigen angeschlossen ist.
1993, also schon vor fünf jahren, empfahl ein Expertenkommitee der WHO Genanalysen bei Personen durchzuführen, die unter Chemikalieneinflüssen erkranken. Anlaß war die Tatsache, daß unter gleichen Schadstoffbelastungen die interviduelle Susceptibilität stark differieren kann. Sie empfahlen im Internationalen Programm on Chemical Safety (IPCS) die Analyse der Gene (24) :
- GSTM1 (µ) (Glutathion-S-Transferase M1)
- NAT2 (N-Acetyl-Transferase 2)
- CYP1A1 (Aryl-Hydrocarbon-Hydroxylase)
- CYP2D6 (Debrisoquin-4-Hydroxylase)
Diese WHO-Empfehlungen haben sich in
Deutschland noch nicht herumgesprochen, sonst gäbe es das
leidige Festhalten an Grenz-, und Richtwerten nicht mehr.
Obligate Untersuchungen | Fakultative Analysen |
Gesamtglutathion (GSH) | GSH-Peroxidase |
Intrazelluläres GSH | Cu/Zn-Superoxiddismutase |
GSH-S-Transferase p | |
Relation oxid./reduziertes GSH | |
GSH-Reduktase | |
Genanalysen | |
GSH-S-Transferase M1 (µ) GST-M1 | Aryl-Hydrocarbon-Hydroxylase CYP1A1 |
N-Acetyltransferase
2 (NAT-2) (Serum, EDTA- und Heparinblut verwenden) |
GST p Debrisoquin-4-Hydroxylase CYP2D6 |
Bei 25 bis 50 % der Deutschen findet sich eine Gendeletion der GST-M1 (12, 13). Diese Personen sind besonders gegenüber Xenobiotika. D. h., nur schwache Entgifter sind Xenobiotika-sensitiv, nur sie haben ein hohes Erkrankungsrisiko.
Das NAT2-Gen ist u. a. zur Entgiftung aromatischer Amine verantwortlich. Nur ein Viertel der Deutschen sind gute Entgifter in der Acetylierung. Bei 16 % der Mitteleuropäer findet sich kein Gen der GST p (14). Da sie im Blut bestimmt wird und auch durch reaktive O2-Spezies in ihrer Aktivität supprimiert wird (15), reicht vorerst die Konzentrationsmessung (RIA-Methode) aus.
Für genetisch schwache Entgifter lösen kleinste Schadstoffmengen ernste Erkrankungen aus. In Deutschland betrifft dies ca. 40 Millionen mit GSTM1-Deletionen, ca. 13 Millionen mit GST p -Deletionen und ca. 10 Millionen mit Kryptopyrrolurie.
Diese Dimensionen verdeutlichen die potentielle Gefahr, wenn höchsttoxische Biocide in den eigenen vier Wänden auftreten.
Biocide - geschaffen um Leben zu vernichten - unterscheiden nicht im Organismus zwischen " Freund und Feind ".
Das Glutathionsystem entgiftet die oben angeführten Insektizide, Herbicide, aber auch Aldehyde, Pilztoxine, aromatische, aliphatische Kohlenwasserstoffe und PCB. Es reduziert oxidierte Eiweiße und Vitamine. Schwermetalle, aber auch reaktive O2-Spezies blockieren dieses System. Die massive Belastung durch die Innenraumgifte stellt eine exzessive Überforderung des Glutathionsystems dar, so daß physiologische Funktionen zusammenbrechen können.
Die latent chronische Erschöpfung des Glutathionspools kann durch geringfügige Belastungen in neue Krankheitsqualitäten umschlagen. Diese können zusätzliche Expositionen zu Chemikalien, Gasen wie Formaldehyd, Schwermetalle (Amalgamfüllungen), eine starke psychische Belastung, ein Schädel-Hirntrauma, eine Narkose oder eine Entbindung sein. Sie reichen als "letzter Tropfen in das volle Faß" zur Dekompensation der biochemischen Homöostasen aus. Ein MCS-Syndrom wird so geboren. Für den Laien ist dann jeweils der letzte auslösende Anlaß die scheinbare Ursache ("Amalgam-, Formaldehyd-, Biocidvergiftung" usw.) und lenkt ihn und den Arzt auf die falsche Fährte.
2.2. Oxidativer Streß
2.2.1. Hier empfehlen sich die Messungen der gesamtplasmatischen Antioxidantienkapazität nach RICE-EVANS (16) mit dem Randox-Test (17). Dieser Test gibt summarisch ein Maß für den Antioxidantienschutz an.
2.2.2. Thiobarbitursäurereaktive
Substanzen gemessen als Malondialdehyd im Serum (MDA). Die Werte
sind methodenabhängig. Pathologisch erhöhte Werte treten erst
bei massiver Zellschädigung auf und signalisieren Peroxidationen
von mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Pathologisch erniedrigte
Konzentrationen spiegeln eine Erschöpfung an diesen Fettsäuren
mit 3 oder mehr Doppelbindungen wider. Diese Fettsäuren sind
wichtig für Hirnreifung, Synapsenfunktionen und eine
ausbalancierte Immunfunktion. Sind ein oder beide Werte
pathologisch, sollten auch einige Vitamine bestimmt werden.
obligat | fakultativ |
Antioxidantienstatus | Vit. B1, B2, B6 |
Malondialdehyd | Nikotinsäureamid |
Homocystein | Vit. E |
Coenzym Q 10 |
2.3. Gesamt-, HDL-Cholesterin und Triglyceride. Cholesterin wirkt als sekundäres Antioxidans (18). Bei Glutathion, Vit. E- und C-Defiziten ist der Organismus gezwungen, Cholesterin als "Notbremse" stärker anzuheben (20, 21). Erhöhte Triglyceride sind Ausdruck einer hepatisch toxischen Wirkung. Niedrige Cholesterinwerte bei Erwachsenen von < 180 mg/dl gehen mit einer gesteigerten Sensitivität gegenüber Xenobiotika einher.
2.4. Spurenelementenversorgung
obligat | fakultativ |
Zink im Vollblut | Mangan im Vollblut |
Selen im Vollblut | Kupfer im Vollblut |
Serumanalysen reichen auch zur Orientierung aus. Zink und Selen sind wichtig als Katalysatoren für Entgiftungsenzyme (SOD, GSH-Px). Ein effektiv arbeitendes Immunsystem benötigt Zinkspiegel von 1 bis 1,5 mg/l und Selenwerte von > 120 µg/l im Serum.
2.5. Ausschluß einer Kryptopyrrolurie
obligat | fakultativ |
Zink im Serum | IgA |
Vit. B6 im Serum | Kupfer im Serum |
Histamin im Plasma | - |
Liegen Zink und Vit. B6 bei gleichzeitiger Histapenie in unteren Referenzbereichen, muß Kryptopyrrol im Urin bestimmt werden. Diese Hämsynthesestörung findet sich bei ca. 10 % der Population und geht mit hoher Susceptibilität gegen Xenobiotika einher. Die Analyse ist besonders bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten (Überaktivität, Autismus, Depressionen, schizoiden Reaktionen) unbedingt erforderlich, da sie sich leicht therapieren läßt und Psychopharmaka kontraindiziert sind (22).
Besonders schwere Multiorganerkrankungen finden sich bei gleichzeitig vorliegender Kryptopyrrolurie und Gendeletionen der GSH-S-Transferasen M1, wenn Schadstoffbelastungen auftreten.
3. Begleituntersuchungen zur Feststellung des Status quo
Bei schon vorliegenden Erkrankungen sollte je nach Bedarf analysiert werden:
Leber: alkalische Phosphatase
g-GT, SGOT, SGPT
Immunsystem: Immunglobuline
T-Zell-Subsets
Porphyrine (bei Neuropathien, Abdominalschmerzen) im Serum oder Urin
d-ALA
Muskelschwäche: Quotient Pyruvat/Lactat i. Pl.
Hormonanalysen: Schilddrüse, Sexualhormone
Autoantikörper: Serotonin
Acetylcholin-Rezeptoren
Phospholipide (Ganglioside, Cardiolipin)
ds-DNS
ANF u. a.
Bei schon vorliegendem MCS-Syndrom ist eine SPECT der Hirnperfusion und eine SPECT der dopaminergen D2-Rezeptoren indiziert (23). Alle weiteren neurologischen Meßverfahren belegen erst Schäden in Spätstadien (CT, NMR, Nervenleitgeschwindigkeit, EEG).
Bei den unter Punkt5 genannten Parametern handelt es sich um Folgeerkrankungen der Xenobiotikaschäden. Sie sind auch zur Verlaufsbeurteilung erforderlich. Eine Therapie muß an den kausalen, pathologischen Parametern ansetzen. Eine symptomatische, organbezogene Behandlung bleibt in der Regel frustran.
Abschlußbetrachtung
Toxische und biocide Xenobiotika haben in Wohnräumen nichts zu suchen. Die vorhandenen Meßdaten signalisieren ein gesundheitsgefährdendes Potential, von denen, neben den jetzigen, auch ernste Späterkrankungen ausgehen können. Die aktuell aufgetretenen Erkrankungen sind richtungsweisende, da von ihnen bei Nichtbeachtung der Lage "Spreading"- und "Switch"-Effekte auftreten werden.
Bei den vorliegenden Xenobiotika-Mischexpositionen werden folgende Krankheitsinzidenzraten vorerst erhöht zu erwarten sein (Tabelle 6).
Tabelle 6
Erhöhte Erkrankungsrisiken bei den Personen, die in Frankfurter Wohnungen den Mischintoxikationen exponiert waren.
Nervensystem:
- Minderung der mentalen und kognitiven Leistungsfähigkeit im Rahmen einer
Encephalopathie, Hemmung der dopaminergen D2-Rezeptoren bis hin zum Parkinson-
Syndrom.
- Periphere und autonome Neuropathie
- MCS- und CFS-Syndrom
- Überaktivität der Kinder
- Psycholabilität
- psychische Auffälligkeiten bis zu schizoiden Reaktionen
Immunsystem:
- NON-HIV-Immuninsuffizienz (Infekte, Mykosen, persistierende Virusinfektionen)
- Polyallergien
- Autoimmunopathien (Phospholipid,-Serotoninantikörper) bis zum Lupus erythematodes, Diabetes mellitus, Vasopathien
Bewegungsapparat:
- Arthromyopathien
- Chondropathie
- Fibromyalgie-Syndrom
- Bandscheibenerkrankungen
- Muskuläre Erschöpfbarkeit
Reproduktionsorgane:
- Fertilitätsstörungen
- Graviditätsstörungen
- Myome, Endometriose
- Prostataerkrankungen
- Hoden-Carcinome
Haut:
- erhöhte UV-Lichtsensibilität
- Naevuszell-Naevi-Bildung
- Dermatosen
Herz-Kreislaufsystem:
- Hyper- und Hypotonien
- Raynaud-Syndrom
- Paroxysmale Tachykardien und Rhythmusstörungen
- koronare Herzkrankheit
Schilddrüse:
- Struma und Schilddrüsenknoten
- Symptome der Hyperthyreose bei normalen Schilddrüsenhormonwerten
- Hypothyreose
Lunge:
- Bronchiale Infektanfälligkeit
- hyperreaktive Bronchitis mit fließendem Übergang zum toxischen Asthma bronchiale
- chronische Lungenkrankheiten
- Sarkoidose
Ohren:
- erschwertes konzentriertes Hören
- Otitis externa, interna
- Tinnitus
Augen:
- Cataract-Bildung
- Mouches volantes
- temporäre Visusinstabilitäten
- Sicca-Syndrom
Nase:
- behinderte Nasenatmung und Polypenbildung
Mundhöhle:
- Gingivitis
- Parodontose
- Herpes labialis
- Aphtosis
Verdauungnsorgane:
- Reflux-Krankheit
- Gastritis, Helicobacter pylori-Infektion
- Ulcuskrankheit
- exkretorische Pankreasinsuffizienz
- Pankreatitis
- Cholecystolithiasis
- Meteorismus, Gährungs- Fäulnisdyspepsie
- rezidivierende Mykosen
- Nahrungsmittelintoleranzen
Urogenitalorgane:
- Cystitis
- Libidoverlust und Impotentia coeundi
Stoffwechsel:
- Hypercholesterinämie durch Glutathionverarmung
- Hypertriglyzeridämie
- Fettleber
- Diabetes mellitus
- Hyperurikämie
- Heißhungerphasen nach kurzer Nahrungskarenz
- Porphyrie
Lymphknoten:
- Adenopathie
- Lymphome
Blut:
- Anaemie
- Blutungsneigung
- Koagulopathie
- Thrombozytopathie
- Hämolyseerkrankungen
- Leukämie
Frankfurter Ärzte, Umweltmediziner und das
Gesundheitsamt stehen vor der Herausforderung, die betroffenen
Personen langzeitig zu betreuen. Da richtungsweisende
Erkrankungen ablaufen, können erst nach Jahrzehnten oder in den
Folgegenerationen klastogene Schäden sichtbar werden. Die
deutsche Medizin wird erkennen müssen, wie breitgefächert und
vielgestaltig Xenobiotika-induzierte Erkrankungen sein können,
die bisher noch als schicksalshaft bedingt angesehen werden.
Die Ereignisse in Frankfurt sind kein Ruhmesblatt für die deutsche Medizin. Nicht von ihr, sondern von sachunkundigen Laien gingen die Impulse zur Kausalitätserklärung aus. Die Ursachen liegen in der konservativen, überwiegend organbezogenen studentischen Aus- und ärztlichen Weiterbildung begründet.. Der Spezialist sieht "sein Organ" und nicht die Gesamtsymptomatik des Patienten, erst recht nicht die Wechselwirkung zur Umwelt des Erkrankten. Aus dieser "Tunnelsicht" stereotyp abgespulte Diagnostikmethoden erfassen nur Schäden, nicht die Ursachen. Fehldiagnosen sind die Folgen.
Die Frankfurter Ereignisse reflektieren ein Versagen der Hochschulmedizin und öffentlichen Hygieneaufsicht. Der Wissensstand in der Umweltmedizin erweiterte sich in den letzten Jahren beträchtlich. Unterlassenes Hinterfragen nach umweltmedizinischen Ursachen muß aus heutiger Sicht als Verletzung der Sorgfaltspflicht gewertet werden.
Da in einem engen Zeitraum gleichartige Belastungen in einem regional begrenzten Kollektiv auftraten, ist eine epidemiologische Langzeitkontrolle unbedingt zu fordern. Von ihr werden wichtige Aussagen über die Gefährlichkeit von Mischintoxikationen zu erwarten sein.
Aus dem Schicksal der Betroffenen ergibt sich als weitere Konsequenz, inwieweit Menschen ohne ihr Wissen oder wider ihren Willen mit hochtoxischen Xenobiotika in ihren Wohnungen konfrontiert werden dürfen. Die Frage der Produktenhaftung sollte durch die Krankenkassen, die kommunalen und gesellschaftlichen Entscheidungsträger aufgeworfen werden.
Gemäß § 537 BGB haftet ein Vermieter, wenn das Mietobjekt mit Fehlern behaftet ist. Als Fehler im Sinne dieser Vorschrift ist der Austritt von Innenraumgiften zu werten. Hieraus können sich Ansprüche des Mieters (Mietminderung, Schadensersatz bis hin zum Schmerzensgeldanspruch, § 847 BGB) ergeben. Treten durch Innenraumschadstoffe ernsthafte und beweisbare Gesundheitsschäden auf, liegt eine Unbewohnbarkeit des Gebäudes vor (2).
Literatur:
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2. Eiding, L.: Zur rechtlichen Einstufung von Innenraumschadstoffen. Z. Umweltmed. 3 (1997) 134 - 138
3. Haley, R. W.: Information der
University of Texas, Southwestern Medical Center an die
Golfkriegsveteranen des 24th Naval Mobile Construction Bataillon.
Bundessprachenamt, Referat SM II 2 Auftragsnummer D 1954 (1997)
4. Haley, R. W., L. Thomas, J. Hom: Is
there a Gulf War Syndrome? JAMA 277 (1997) 215 - 237
5. Abou-Donia, M., K. Wilmarth:
Neurotoxicity resulting from coexposure to pyridostigmine
bromide, DEET and permethrin, Implications of Gulf War chemical
exposure. J. Toxicol. Environ Health 48 (1996) 35 - 56
6. Koss, G.: Polychlorierte Biphenyle. In: H. Marquardt, S. Schäfer (Hrsg.) Lehrbuch der Toxikologie. Wissenschaftsverl. Mannheim (1994) 417 - 438
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8. Esser, C., M. Welzel: Interference of polychlorinated hydrocarbons with tymic stroma results in changes of thymocyte development. Immunobiol. 189 (1993) 13 - 18
9. Marquardt, H., S. J. Schäfer: Lehrbuch der Toxicology. Wissenschaftsverlag Mannheim (1994)
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11. Industrieverband Agrar e. V.: Wirkstoffe in Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln. IVA München (1990)
12. Bolt, H. M., E. Hallier, E. Langhof et al.: Polymorphism of glutathione conjugation of methylbromide, methylene oxide and dichlormethane in human blood: influence of the induction of sister chromatid exchange in lymphocytes. Arch. Toxikol. 67 (1993) 173 - 178
13. Seidegard, J., G. Ekström: The role of glutathione transferase and epoxides hydrolases in the metabolism of xenobiotics. Environ. Health Perspect. 105, Suppl. 4 (1997) 791 - 799
14. Moorthby, B., K. Randerath: Pentachlorphenol enhances 9-hydroxybenzo (a) pyrene- induced hepatic DNA-adduct formation in vivo and inhibits micosomalepoxide hydrolase and glutation-s-transferase activities in vitro: likely inhibition of epoxide detoxication by pentachlorphemol. Arch. Toxicol. 70 (1996) 696 - 703
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23. Müller, K. E., S. Labouvie, M. Finger: Szintigrafie der dopaminergen D2-Rezeptoren bei Belastung durch Xenobiotika. Arzt, Umwelt 1 (1997) 27 - 31
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Hausstäuben. Z. Umweltmed. 1 (1998) 24 - 29
27. Diel, F., B. Schock, R. Modi et al.:
Wirkungen von Pyrethroiden auf menschliche Lymphocyten in vitro.
Umwelt Gesundh. 3 (1995) 70 - 74
Zusammenfassung:
Nach Bezug von ca. 2.800 ehemaligen US-Armee-Wohnungen traten Erkrankungen unter den 7.000 Mietern auf. Auf deren Initiative und Kosten erfolgten komplexe Staubanalysen auf Xenobiotika. In fast allen Wohnungen fanden sich hochkonzentriert PCB, DDT, Chlorpyrifos und PAK. Diese sind auf großzügige Handhabung durch die Vorbesitzer zurückzuführen. Zusätzlich waren bis zu einem Drittel fakultative Belastungen mit Permethrin, Dieldrin, Moschus-Ketonen, Sulfonamid-, Aminosäuren-Diphenyläthern und Methoxychlor nachweisbar.
Die Gefährdung der jetzigen Mieter geht von der Mischintoxikation aus. Synergistisch-potenzierende toxische Auswirkungen führten zu den jetzigen Erkrankungen. Diese besitzen richtungsweisenden Charakter, so daß besonders immunologische und karzinogene Schäden mit erhöhtem Risiko zu erwarten sind. Dieses Risiko ist bei Personen mit Gendeletionen besonders der Glutathion-S-Transferase M1 erhöht. In der jetzigen Situation gilt es besonders die Risikopersonen mit Genpolymorphismen und anderen Defekten zu erfassen, deren Susceptibilität gegenüber den Xenobiotika erhöht ist. Langzeitkontrollen sind besonders bei ihnen unbedingt erforderlich.
Bei den vorgefundenen Mischintoxikationen sind Beurteilungen anhand von Richt-, Grenzwerten einzelner Schadstoffe wissenschaftlich nicht haltbar. Der Ereignisablauf der Kausalitätserfassung offenbarte wesentliche Kenntnislücken in der Einschätzung der Mietergefährdung durch Gutachter, die praktizierende Medizin und Kommunalhygiene.
Stichwörter:
Xenobiotikabelastungen im Wohnbereich
Glutathion-S-Transferasen
Enzympolymorphismus
individuelle Susceptibilität
Krankheitsrisiko
Ich bedanke mich, für die freundliche
Genehmigung von Herrn Kuklinski für die Veröffentlichung!
© alle Recht dieses Artikels bei B.
Kuklinski 1998
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