Ursachen...
Home Nach oben Ursachen... Geschichte... Methode... Technik... LBZ-Methodik... Berufe... Quellen

 

1) Ursachen und Arten der Hörschädigung

Corinna Krause

 

Dr. Raffael Coen ( Spezialarzt für Krankheiten der Hals- und Sprachorgane und Leiter der ersten österreichischen Heilanstalt für Sprachkranke in Wien ) untergliederte die Taubstummheit in einzelne Gattungen in seinem 1883 erschienenen Werk " Das Stottern, Stammeln, Lispeln und alle üblichen Sprachfehler sowie die Entstehung, Verhütung und Heilung dieser Übel " wie folgt:

" Man kann demgemäß verschiedene Gattungen von Taubstummheit nennen, welche sich untereinander wesentlich unterscheiden, und zwar

1. Angeborene Taubstummheit; Diese betrifft jene Unglücklichen, welche von Geburt her nicht hören und daher nie gesprochen haben.

2. Erworbene Taubstummheit; Diese betrifft jene Menschen, welche bis zu einer gewissen Zeit ihrer Kindheit gehört und gesprochen haben, und dann infolge Krankheit die Gehörfähigkeit und somit auch die Sprache eingebüßt haben.

3. Taubstummheit als Folge sehr hochgradiger Schwerhörigkeit. Den Betreffenden ging die Gehörempfindung nur teilweise verloren; sie sind im Stande, noch die Stimme und die Geräusche wahrzunehmen und einige spärliche Wörter auszusprechen."

 

Zu den Ursachen machte er folgende Ausführungen:

"...die Taubheit, welche das Gebrechen der späteren Stummheit zur Folge hat, unterscheidet sich von jeder anderen Taubheit in nichts anderem, als sie noch im Mutterleib entsteht, und hiermit als fertiges, nicht mehr zu behebendes, organisches Gebrechen zur Welt gebracht wird.

Es haben demnach in diesen Fällen die Ursachen der Taubheit schon im fötalen Leben zu wirken begonnen. Anders verhält es sich mit der später erworbenen Taubheit, bzw. Taubstummheit; die Ursachen dieser scheinen sich beim Menschen im vierten Lebensjahr allmählich zu entwickeln, um dann gegen das 10. Lebensjahr hin immer seltener zu werden. Der Eintritt der Taubstummheit bis zum 14. Lebensjahr gehört schon zu den seltensten Ereignissen.

Nach der Zeit der Geschlechtsreife jedoch wurde der Eintritt der Taubstummheit niemals beobachtet.

...

Eine der Hauptursachen der angeborenen Taubstummheit soll die Blutsverwandtschaft der Eltern bilden.

Namentlich sind es die französischen Forscher, die das meiste Gewicht auf diesen Umstand legen.

Dies würde die Erklärung liefern, warum die Taubstummheit gerade unter den Israeliten so häufig vorkommt; denn bekanntlich heiraten die meisten Juden gern in der Verwandtschaft, besonders unter den begüterten Kreisen, um das Vermögen in der Stammfamilie zu erhalten.

...

Unter den hiesigen Krankheiten, welche am häufigsten Taubstummheit im Kindesalter verursachen, sind zu nennen:

Typhus, Scharlach, Masern Gehirnhautentzündung und innerliche Ohrenentzündung. "

 

Im " Leitfaden der gesamten Heilpädagogik " von W. Henz (1909) wird ebenfalls von angeborener und erworbener Taubheit gesprochen. Henz stellt fest: " Das Gehör ist neben dem Gesicht der wichtigste Sinn. ... Bei der angeborenen Taubheit spielt die Vererbung eine große Rolle, wenn sie auch nicht die einzige Ursache ist. Von Vererbung kann man aber nur sprechen, wenn eine erbliche Anlage in der Familie vorhanden ist. Dabei ist es durchaus nicht nötig, daß sie bei den Eltern zum Ausbruch kommt. Oft vererbt sich ein Leiden von den Großeltern auf die Enkel, oder es zeigt sich in Seitenlinien."

Er vertritt folgende Meinung zur erworbenen Taubheit: " Bei der erworbenen Taubheit hat man gar wohl zu unterscheiden, wann sie aufgetreten ist; denn dieses ist für den Patienten von der größten Wichtigkeit. Es läßt sich schwer feststellen, ob das Leiden angeboren ist, oder ob es in den ersten Wochen nach der Geburt erworben wurde. Für das spätere Leben hat es genau dieselben traurigen Folgen."

Als Ursache der Taubheit sieht er verschiedene Möglichkeiten. Er meint: " Vor allen Dingen kommt eine Anzahl von Krankheiten in Frage, und zwar sind es in erster Linie alle schweren Hautkrankheiten, die nicht nur die äußere Oberhaut, sondern auch die inneren Schleimhäute, folglich auch die des Ohres befallen, also Blattern, Masern, Scharlach, Röteln, außerdem Keuchhusten, Hirnhautentzündung, Genickkrampf, Diphtheritis u. a. haben, wenn sie nicht zum Tode führen, was meistens der Fall ist, fast immer Taubheit zur Folge. Die Kinder sind aber auch bei den verbreitetsten Kinderkrankheiten Scharlach, Masern und Röteln sehr zu hüten, namentlich in der Rekonvaleszentenzeit, da gerade diese die kritische ist und leicht eine Eiterung des Mittelohres eintreten kann, die zur Zerstörung des Trommelfells und der Gehörknöchelchen führt und völlige Taubheit oder wenigstens hochgradige Schwerhörigkeit zur Folge hat."

 

Dr. Paul Maas ( Spezialarzt für Ohren-, Nasen-, Halsleiden und Sprachstörungen in Aachen machte ebenfalls Ausführungen in seinem 1909 erschienenem Buch " Die Sprache des Kindes und ihre Störungen ". Auch er unterscheidet nach angeborener und erworbener Taubstummheit. Seiner Meinung nach kann man in vielen Fällen nicht angeben, " ob die Taubstummheit angeboren oder erworben ist, da die Feststellung der Taubstummheit in den ersten Lebensjahren auf große Schwierigkeiten stößt. Wird sie später erkannt, so sind die Angehörigen nur zu sehr geneigt, die Affektion auf eine inzwischen stattgehabte Erkrankung oder auf eine Verletzung zurückzuführen. Anderseits werden auch Erkrankungen besonders des Ohres in den ersten Lebensmonaten übersehen und eine auf diese Weise erworbene Taubstummheit wie als angeboren bezeichnet."

 

In seinem oben benannten Buch geht er auf von Kollegen gemachte Statistiken ein und ist der Meinung, "daß das männliche Geschlecht von der Taubheit mehr betroffen wird als das Weibliche." Er sagt: " Die Ursachen der Taubstummheit sind verschieden. je nachdem ob es sich um angeborene oder erworbene Taubstummheit handelt. Bezüglich der Entstehung der angeborenen Taubstummheit hat man hauptsächlich zwei Faktoren eine größere Bedeutung beigelegt: der Erblichkeit und der Blutsverwandtschaft der Eltern. Allerdings sind die Anschauungen über den Einfluß dieser beiden Faktoren zu verschieden gewesen und auch heute ist man zu einer vollständigen Lösung der Frage nicht gelangt. ... Außer diesen Ursachen hat man noch Alkoholismus, Syphilis und Altersunterschiede der Eltern, ferner Erkrankungen der Mutter während der Schwangerschaft geltend gemacht.

Über die Ursachen der erworbenen Taubstummheit sind wir weit besser unterrichtet. In erster Linie sind es Erkrankungen des Gehirns, welche für die erworbene Taubstummheit verantwortlich zu machen sind, und zwar hauptsächlich die einfache Gehirnhautentzündung und die epidemische Genickstarre.....In zweiter Linie ist als ursächliche Erkrankung das Scharlachfieber zu erwähnen. Masern und Diphtherie spielen in der Ätiologie der erworbenen Taubstummheit eine weit geringere Rolle.... Es ist aber wahrscheinlich, daß unter der Diagnose Typhus sich in vielen Fällen eine Genickstarre verbirgt. Eine größere Bedeutung dürfte vielleicht dem Mumps zukommen, da totale Taubheit in Anschluß an diese Erkrankung gelegentlich konstatiert ist. "

Doktor Maas zählt weiterhin " Infuenza, Keuchhusten, Lungenentzündung " und " primäre Ohrenerkrankungen " als mögliche Ursachen für Taubheit auf.

" Zum Schlusse wären noch Verletzungen zu erwähnen, welche besonders dann, wenn sie zu einem Bruch der Schädelbasis führen, eine Vernichtung des Gehörs zur Folge haben können. Auch Verletzungen während der Geburt sind ev. für die Taubstummheit verantwortlich zu machen. "

Walter Kulemeyer unterscheidet in seinem Buch " Das schwerhörige Kind als medizinisches, psychologisch- pädagogisches und soziales Problem " Krankheiten des äußeren Ohres, Krankheiten des Mittelohres und Erkrankungen des inneren Ohres.

Er meint: " Der sogenannte Taubstumme hat durch angeborene Anomalien oder durch in ganz früher Jugend eingetretene Krankheit sein Gehör vollständig oder bis auf geringe Reste verloren, er kann also nicht genügend akustisch empfinden, um seine sprachliche und geistige Bildung auszubauen...

Über die Erblichkeit der Krankheit ist festgestellt worden, daß die taubgeborenen Kinder nur zum kleinsten Teil von taubstummen Eltern stammen, öfter war das Leiden in der näheren Verwandtschaft herrschend, bei Geschwistern, Vettern, Großeltern, ein Umstand, der für die Prophylaxe Beachtung verdient, z.B. bei der Eheschließung. Daß Taubstummheit in den ärmeren Klassen unverhältnismäßig stärker verbreitet ist als in den gehobenen, ist kein Zufall, da die Entwicklung der sie verursachenden Infektionskrankheiten ( Hirnhautentzündung, epidemische Genickstarre, Scharlach, Masern, Diphtheritis, Lues ) wegen mangelnder hygienischer Einrichtungen und unsachgemäßer Behandlung natürlich in diesen Kreisen sehr begünstigt wird."

Seine Ausführungen zu möglichen Ursachen möchte ich in folgender Übersicht zusammenfassen.

 

Krankheiten des äußeren Ohres:

- Erkrankungen der Ohrmuschel:

 

- Blutüberfüllung

- Hautentzündung

- Nässende Flechten

- Syphilis

- das Othämatom

 

Erkrankungen des äußeren Gehörganges:

 

- Blutüberfüllung

- Ekzeme

- Herpes

- Syphilis

- Entzündungen ( Infektion )

- Fremdkörper ( Bohnen, Steinchen, Knöpfe, Perlen...)

- Furunkel

- Cholesteatom ( Perlgeschwulst )

- Zerumenpfropfen

- angeborene Verengungen und Verwachsungen

 

 

Krankheiten des Mittelohres:

 

Erkrankungen des Trommelfelles:

 

- Schläge auf das Ohr

- heftige Lufterschütterungen

- starkes Niesen oder Husten

- Manipulationen mit Haarnadeln

 

Erkrankungen der Paukenhöhle:

 

- akute und chronische Mittelohrkatarrhe, Mittelohrentzündungen und -eite-

rungen,

 

 

Gehörstörungen durch Erkrankungen des inneren Ohres

 

Entzündungen des inneren Ohres:

 

- Hirnhautentzündung

- Mittelohreiterung

- Leukämie

- Syphilis

 

Durch den Beruf erzeugte Gehörleiden:

 

- bei Schlossern, Schmieden, Artilleristen, Musikern...

 

Gehörschäden durch Vergiftungen:

 

- exogene Gifte ( Arsen, Aspirin, Alkohol, Nikotin,... )

- endogene Gifte ( bei Masern, Scharlach, Diphtherie, Angina, Grippe )

 

In seinem Buch " Sprachstörungen bei Kindern " erwähnt Prof. Dr. M. Seeman, daß " bereits Aristoteles in angeborenen und erworbene " Taubheit unterteilte.

Er meint, daß die vererbte Taubheit " manchmal in Familien, manchmal in ganzen Sippen " vorkommt. Auf Grund von Statistiken kommt er zu der Erkenntnis, daß Frauen häufiger als Männer an vererbter Innenohrschwerhörigkeit oder Taubheit leiden.

 

Zur erworbenen Taubheit macht er folgende Ausführungen:

" Die erworbene Taubheit entsteht entweder 1. in der Fetalzeit, 2. bei der Geburt oder 3. im frühen Kindesalter.

 

1. Die Taubheit, die in der Fetalzeit entstanden ist, heißt auch die angeborenen Taubheit. Die Ursachen sind verschiedene Schädigungen, die im Zeitabschnitt der ersten Entwicklung der Frucht auf das Innenohr einwirken.

Die Schäden entstehen bei manchen Erkrankungen der Mutter in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft, und zwar hauptsächlich bei Syphilis, Röteln und Grippe.

Die ausländischen Statistiken halten auch das Einnehmen einiger Medikamente, wie Chinin, Arsen, Salizylate, Kupfer, Blei usw. durch die schwangere Mutter für eine Ursache der kongenitalen Taubheit.

 

2. Die Taubheit, die ihre Ursachen in der Beschädigung der Gehörorgane bei der Geburt hat, heißt perinatale Taubheit. Voss machte im Jahre 1923 darauf aufmerksam, daß bei einer schweren Geburt oder bei einer Sturzgeburt infolge der großen Druckveränderungen im Schädel innere Schäden an den Gehörorganen entstehen.

 

3. Die Taubheit, die im frühen Kindesalter erworben wurde, teilen wir in 3 Gruppen ein:

a) die Taubheit... die durch den Übergang des Krankheitsprozesses von den Hirnhäuten auf das Sinnesorgan des Innenohres entstanden ist.

 

b) die Taubheit ... die durch den Übergang einer Mittelohreiterung oder von Bakterientoxinen ins Innenohr entsteht.

Das kommt gewöhnlich bei Infektionskrankheiten ( Scharlach, Masern, Diphtherie ) vor, seltener bei einer genuinen Entzündung des Mittelohres. Am gefürchtetsten war früher Scharlach.

Masern und Diphtherie sind seltener Ursache für Taubheit, obwohl von ihnen ein größerer Prozentsatz von Kindern befallen wird als von Scharlach und Gehirnhautentzündung.

 

c) die Taubheit, die in toxischen Einflüssen im Labyrinth oder im Hörnerv nach verschiedenen Infektionskrankheiten ihre Ursache hat, z.B. nach epidemischer Parotitis, Keuchhusten, Bauchtyphus, Blattern, Kuhpocken."

 

Meine bisherigen Ausführungen stützten sich auf ältere Schriften.

Nun möchte ich noch einige neue Aspekte, aus den letzten fünfundzwanzig Jahren, zu möglichen Ursache für Taubheit anführen.

 

Auch heute unterscheidet man nach dem Zeitpunkt der Schädigung drei

Gruppen:

- pränatale Schäden,

- perinatale und

- postnatale Schäden

 

Zu den bereits aufgezählten Ursachen sind noch folgende Möglichkeiten zu ergänzen:

 

pränatale Schäden:

- die Gürtelrose

- die infektiöse Gelbsucht

- die Virusgrippe

- Toxoplasmose

- Bestrahlungsfolgen ( Röntgen, radioaktive Substanzen )

- Abtreibungsversuche mit intrauterinen Blutungen

 

perinatale Schäden

- keine weiteren neuen Ursachen

 

postnatale Schäden

- keine weiteren neuen Ursachen

 

Home Nach oben Ursachen... Geschichte... Methode... Technik... LBZ-Methodik... Berufe... Quellen