Der Einsame an Gott (von Hermann
Hesse)
Einsam stehe ich, vom Wind
gezerrt,
Ungeliebt und verlassen
In der feindlichen Nacht.
Schwer ist
mein Gemüt und voll Bitterkeit,
Wenn ich Deiner gedenke,
Blinder Gott,
der voll Grausamkeit
Immer das Unbegreifliche tut.
Warum lässest Du,
wenn Du die Macht hast,
Warum lässest Du Hunde und Säue
Eines Glückes
genießen, das nie
Dem verschmachtenden Edleren wird?
Warum peitschest Du
mich, der Dich liebte,
Jagst mich alleine durch die Nacht,
Warum raubst
Du mir alles,
Was Du doch jedem Erbärmlichen gönnst?
Selten hab ich
geklagt, und seltener
Dir im Unmut geflucht,
Jahrelang in gläubiger
Priesterschaft
Lebte ich Dir, nannte Dich Herr und Gott,
Sah in Dir
meines Daseins Kron und Sinn;
Immer ging ich, ob auch im Dunkeln
oft,
Tastend dem Guten nach, immer war Liebe,
Immer Güte und Reinheit
mein hohes Ziel.
Dennoch hast Du, der meinen Feinden
schmeichelt,
Niemals mir einen einzigen Traum,
Eine einzige Bitte
erfüllt!
Niemals kannte ich andres als Kampf und Arbeit,
Während drüben
im Hause der Fröhlichen
Laute und Tanz und süßer Gesang erscholl.
O und
wie hast Du, mein Peiniger,
Wenn ich einmal in blinder
Hoffnung
Zärtlicher Liebe mein Herz voll Vertrauen bot,
Wie hast Du mit
Spott und Verachtung mich überschüttet,
Daß ich grimmig entfloh, vom
Gelächter der Frauen verfolgt!
Einsam nun und ohne Glauben an
Glück,
Schlaflos bei Nacht und am Tag voller Zweifel
Geh ich gottlos
durch diese Welt,
Mir zur Qual und Dir zur traurigen Schande.
Trotzdem,
o Gott, wenn auch Dein Finger tief
Und voll blinder Wollust in meiner Wunde
wühlt,
Trotzdem sollst Du mich nicht verzagen,
Nicht im Staube knien und
weinen sehen.
Denn Dein heimlicher Wunsch, Grausamer,
Tönt ja doch
unbesiegbar im Herzen mir,
Und das Leben zu lieben,
Und das sinnlose
Leben wild und sinnlos zu lieben
Hab ich in aller Verfolgung
Aller
Versuchung niemals völlig verlernt.
Dich auch und Deine launischen
Wege
Liebt mein Herz, indem es Dich trotzdem höhnt.
Ja, ich liebe Dich,
Gott, und ich liebe
Heiß die verworrene Welt, die Du schlecht
regierst.
...Horch! Von drüben, wo die Fröhlichen sind,
Weht mir Lied
und Gelächter,
Weiberschrei und silbernes Bechergeläut.
Aber mit tiefer
Wollust,
Süßer und trunkener glüht als diesen Genügsamen
Mir die Liebe
zum Leben
In der glücklos hungernden Brust.
Und ich schütte
zornig
Aus den schlaflosen Augen die Müdigkeit,
Trinke Nacht und Wind,
Sternschein und Wolkengebirg
Gierig mit atmenden Sinnen
In die
unersättlich Seele ein.