Festung Ofen um 1852.
 

II. Kapitel.


 

Erste Pester Epoche.

(1841-1854)


Bei seiner Niederlassung in Pest lagen für den jungen Musiker die Verhältnisse äusserst günstig. Denn durch die Empfehlungen der Gräfin Stainlein-Saalenstein erhielt er bald hinreichend Privatschüler, um durch deren Honorare seine bescheidene Lebensführung bestreiten zu können. Zur Annahme irgend einer festen Stellung, zu der ihm geraten wurde, konnte sich jedoch Volkmann nicht entschliessen; die Ämter, die er bekleidet, hatten ihm zum Bewusstsein gebracht, wie schlecht sich seine Natur einem solchen Joch - so sanft es auch war - fügte, und dass völlige Unabhängigkeit sein Glück bedeutete. Nur als "freier Mann" fühlte er sich fähig, all dem Ausdruck zu verleihen, was seine Brust erfüllte und nach Gestaltung verlangte.

Seine Arbeitslust wurde kräftig angespornt durch Aufführungen einzelner seiner Werke. Denn der Einfluss der Gräfin hatte Volkmann die Salons der Pester Aristokratie geöffnet, in denen man ihn mit den oben erwähnten beiden Violinsonaten zu Worte kommen liess. Auch ein "erstes", - wohl im Sommer 1841 entstandenes E-moll-Streichquartett von ihm wurde gespielt, eine Arbeit, die er später vernichtete. Nur das Scherzo daraus schonte er und nahm es 1857 in sein E-moll-Quartett (op. 35) auf. Den Erfolgen in Familienkreisen reihte sich ein öffentlicher an, als der Pester Musikverein seine grosse, in Szemeréd geschriebene C-moll-Ouvertüre zur Aufführung brachte. Sie gefiel derart, dass sie mehrfach wiederholt wurde.

Im Jahre 1842 entstand Volkmanns erstes Trio für Pianoforte, Violine und Violoncello. Dieses Trio in F-Dur (1852 als op. 3 erschienen) spiegelt die heiter-glückliche Stimmung wieder, die den jungen Komponisten damals beseelte. Das weihevolle Adagio quasi Andante, mit dem der erste Satz beginnt und schliesst, mutet wie ein dankbarer Blick zum Himmel an. In dem dazwischen liegenden Allegro entfaltet sich ein fröhliches, harmloses Getriebe. Die Verwandtschaft des ersten Allegro-Themas mit dem des Andante cantabile aus Beethovens B-dur-Trio (op. 97) ist trotz der anderen Rhythmisierung leicht erkennbar. Auch das Scherzo ist Beethovenisch bis auf das Alternativ (Un poco più moderato), in dem Volkmann zu Mendelssohn abschwenkt. Das Andante malt ein wohliges Ruhen und Geniessen und erweckt durch seine feinen imitatorischen Geflechte Interesse. Wie seine Synkopen den lieblichen Traum hinauszuspinnen suchen! Allegro con fuoco erfolgt im Finale, dem originellsten Abschnitt des Werkes, ein Aufraffen zu trotzig-energischer Bewegung. Aber bald wird der Ernst durch Heiterkeit abgelöst. Graziöse Pizzikatofiguren stellen sich ein und führen zu einer köstlichen Tanzmelodie hinüber. Einfach und natürlich fliesst der Satz dahin.

Wie in seinen früheren Versuchen, so bekennt sich Volkmann auch in diesem Trio, das infolge seiner leichten Spielbarkeit bei vielen Dilettanten Eingang fand, als Schüler Beethovens und Mendelssohns. Er beweist, dass er nach deren Vorbildern Neues zu schaffen im stande ist.

Neben der Komposition und dem Unterricht widmete sich Volkmann seit dem Herbst 1842 auch schriftstellerischer Tätigkeit. Er schrieb Berichte über das Musikleben Pests für die von Dr. A. Schmidt redigierte "Allgemeine Wiener Musik-Zeitung" {Zum ersten Male erscheint ein Aufsatz Volkmanns in der citierten Zeitschrift am 22. Oktober 1842 (Jahrg. II Br. 127), unterzeichnet mit "V-n". Im Jahrgang IV Nr. 7 rückt der Verfasser mit dem vollen Namen heraus. Zugleich brechen seine Berichte ab.}. Diese Aufsätze enthalten Kritiken über das Auftreten fremder Virtuosen, z.B. Vieuxtemps', und Besprechungen damals beliebter italienischer opern von Ricci, Mercadante und anderen heute vergessenen Komponisten. Im richtigen Gefühl für das Bleibende weist Volkmann die Opernleitung auf Méhuls "Joseph", Beethovens "Fidelio" und die Opern Webers hin, die in Pest so gut wie unbekannt waren.

Unter diesen kritischen Arbeiten, denen er mit all seiner Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit oblag, litt aber Volkmanns musikalischens Schaffen. Das einzige grössere Werk, das in dieser Zeit (1843) entstand, ist die erste Messe für Männerstimmen (mit Soli, D-dur), die 13 Jahre später als op. 28 erschien. Sie war von der Pester Liedertafel bestellt und im Sommer, so rasch es Volkmann möglich, niedergeschrieben worden. kann man auch der Ausführung der Messe keine Flüchtigkeit, die bei Volkmann nie vorkommt, nachsagen, so mangelt ihr doch die in seinen anderen Werken vorhandene Innerlichkeit und tiefreligiöse Empfindung. Nur im Credo, Sanctus und Benedictus erreicht die Komposition eine dem Vorwurf angemessene Weihe und Erhabenheit. Als Ganzes betrachtet ist sie gute Gelegenheitsmusik und nicht mehr. Gleichwohl - oder gerade deshalb fand sie bei dem Liedertafelfest in Pest, zu dem sie geschrieben, eine sehr günstige Aufnahme und noch heute wird sie ihrer leichten Ausführbarkeit und sinnfälligen Melodik wegen gern gesungen.

Während der Arbeit an der Messe mochte es Volkmann zu Bewusstsein gekommen sein, dass er nicht der Mann war, Künstler und Kritiker in sich zu vereinen. Er konnte nur eines von beiden sein. Und die Entscheidung wurde nicht schwer. Anfang des Jahres 1844 schrieb er dem Redakteur Dr. Schmidt in Wien, der ihn immer von neuem um Aufsätze ersuchte, er müsse, um Musse zum Komponieren zu gewinnen, das Berichterstatten ganz aufgeben.

Froh, diesem Hemmnis enthoben zu sein, ging er mit vollen Kräften an das Werk, das Oratorium "Tobias". Der Text {Volkmann entnahm ihn Kahlerts Buche "Tonleben". Novellen und vermischte Aufsätze. Breslau 1838.} dazu stammte von dem Breslauer Professor August Kahlert, der sich als Lyriker wie als kritischer Mitarbeiter an Schumanns "Neuer Zeitschrift" einen Namen gemacht hat. Volkmann vollendete im Frühjahr 1844 die Komposition der zweiten Abteilung des dreiteiligen Werkes. Seine Musik lässt erkennen, wie er sich von Mendelssohn, der auf keinem Gebiete mehr zur Nachahmung reizt als im Oratorium, allmählich loslöst. Sie enthält eine männliche Festigkeit, ja stellenweise eine Herbheit, wie sie Mendelssohns Werken kaum irgendwo eigen ist. Aber auch an dramatischer Spannkraft und quellender Melodik fehlt es ihr nicht. Drei Sätze davon, Arie, Duett mit Chor und Fuge fanden bei ihrer Aufführung im April des genannten Jahres im Pester Musikverein lebhafte Anerkennung; ein kräftiger Sporn für Volkmann, das ganze Oratorium zu Ende zu führen. Er warf sich gleichzeitig auf die Komposition der beiden Aussenteile. Den ersten hatte er bis dicht vor den Schlusschor gefördert, vom letzten einige Chöre und Arien abgeschlossen und das übrige entworfen, als ihn die Misere des Lebens im Schaffen lähmte: Er hatte, um ungestört an dem Oratorium schreiben zu können, seine Unterrichtsstunden aufs äusserste beschränkt. Da verlor er Anfang des Jahres 1845 noch die wenigen Schüler und sah sich plötzlich der Not ausgesetzt. In einer solchen Lage war nicht ans Komponieren zu denken. Es hiess Schüler suchen, was ihm bei seiner Unbeholfenheit in allen praktischen Dingen nicht leicht fiehl.

Zu der Sorge ums Brot gesellte sich eine seelische Bedrückung. Ein Onkel in Sachsen forderte eine Geldsumme, die er ihm vor Jahren geliehen, energisch zurück. Sein Bruder Moritz bat ihn ebenfalls, der Ehrenpflicht zu genügen, zumal der Onkel einmal übers andere auf seine Pfarre komme und der alten Mutter, die Moritz zu sich genommen, bittere Vorwürfe über den "verkommenen" Sohn mache. Dass der hungernde Musiker, auch noch von seinem Bruder zum Zahlen gemahnt, tiefen Groll gegen seine ganze Familie fasste, ist begreiflich. Er schwur, alle Verbindungen mit den Seinen abzubrechen bis zu dem Augenblicke, wo er das geliehene Geld wiedererstatten könne. Die aus Sachsen an ihn gerichteten Briefe kamen mit dem Vermerk "Abgereist" zurück und Nachfragen des Bruders bei den Behörden blieben erfolglos. Die Wirren der Jahre 1848/49 taten das Ihre, alle Spuren von ihm zu verwischen. So geschah es, dass, als sieben Jahre nach Empfang der letzten Nachricht von Robert seine Mutter starb, sie mit der Überzeugung schied, ihrem längst verstorbenen Sohne nachzufolgen.

Dr. Wilhelm Rust.Dr. Wilhelm Rust.

Für die seelischen Bedrängnisse und leiblichen Entbehrungen, die unser Tonsetzer zu erdulden hatte, schien ihn das Schicksal dadurch entschädigen zu wollen, dass es ihm einen Mann zuführte, an dem er bald einen vertrauten, mitfühlenden Freund gewann: Dr. Wilhelm Rust, der später als Komponist bedeutender Orgel- und Gesangstücke sowie als kritischer Herausgeber von Bachs Werken allgemein bekannt und als Professor und Kantor an die Thomasschule in Leipzig berufen wurde. Rust bekleidete damals das Amt eines Hauslehrers in einer ungarischen Adelsfamilie. Als er 1849 Ungarn verliess, wurden seine Beziehungen zu Volkmann keineswegs abgebrochen. Ein reger Briefwechsel setzte ein und so oft später Volkmann der Weg ins Heimatland führte, versäumte er nie, bei Freund Rust für längere Zeit Station zu machen.

Im Sommer des Jahres 1845 lud die Gräfin Stainlein-Saalenstein Volkmann ein, sich in Szemeréd zu erholen. Erfreut, wenigstens auf Wochen aller Not und Sorge enthoben zu sein, eilte er nach dem ihm vertrauten freundlichen Landsitze. Als er wieder nach Pest zurückgekehr war, änderte sich, wahrscheinlich nicht ohne Zutun der Gräfin, seine Lage zum Besseren. Er erhielt Schüler, und sobald er nicht mehr zu darben brauchte, stellte sich auch die Schaffenslust wieder ein. An einem Werke weiterzuarbeiten, das so tiefe Sammlung verlangte, wie der "Tobias", war ihm freilich unmöglich; er wandte sich daher einem ganz anderen, leichter zu bebauenden Felde zu: dem der komischen Oper. "Ein Besuch Mohammends" hiess das lustige, wenn auch etwas altmodische Libretto von Otto Prechtler, das er eifrig zu vertonen begann {Volkmann fand den Text zu der Oper im "Almanach für das Wiener Hofoperntheater nächst dem Kärnthnerthore auf das Jahr 1846". Die Dichtung behandelt nach der üblichen Libretto-Schablone den alten Stoff vom betrogenen Türken. Doch erscheint ein hübsches neues Motiv: Die Entführung der gefandenen Schönen findet durch Luftschiffer statt, die bei ihrer Landung im türkischen Lager von den Muselmännern für Mohammed und sein Gefolge gehalten werden}. Die kleine Oper ist nur zur Hälfte fertig geworden, Sie enthält klangschöne, aber ziemlich konventionelle Musik, zum Teil im Stile Webers. Volkmann verlor bald die Lust an der Komposition, zumal ihn andere, seiner Individualität mehr entsprechende Arbeiten in Anspruch nahmen.

Frucht derselben war das 1846 vollendete Streichquartett in G-moll, welches als Quartett Nr. 2 (op. 14) zählt, da es später einen Verleger fand, als das jüngere in A-moll (Nr. 1, op. 9). Das Quartett in G-moll ist voll kühner Entschlossenheit, sein jugendliches Feuer entflammt selbst Gleichgültigere. Welch stolze Kraft steckt in dem ersten, ohne jeden Umschweif einsetzenden Allegro con spirito! Wie es emporstrebt, ringt und trotzt! Das zweite Thema ist ein kaum zu überbietender Ausdruck von Energie:

Im Andante zeigt sich zum ersten Male ein später bei Volkmann oft wiederkehrender Zug: Musikalischer Humor. Denn es ist eine Schelmerei, hinter der rhythmisch komplizierten und mit einer gewissen Würde bekleideten Hauptmelodie den Anfang von Wenzel Müllers Volksliedchen "Kommt a Vogerl geflogen" zu verstecken. die Ablösung dieses in freiester Weise fortgeführten Themas durch eine graziöse Tändelei bedeutet den lieblichsten Wechsel von Behaglichkeit und Anmut. Das Scherzo erinnert noch entfernt an Mendelssohn, doch werden seine flüchtigen Figuren besonders in dem Fugato zu eigenartiger Wirkung gebracht. Es zeugt von feinem ökonomischen Sinn, dass Volkmann überall, wo zwei lebhafte Sätze aufeinander stossen, einen kurzen von ruhiger Bewegung, gleichsam zum Atemholen für Künstler und Hörer, einfügt. So leitet auch hier ein kurzes, gesangreiches Andantino von der Jagd des Scherzos zum Allegro energico des Finales hinüber. Dieses nimmt die kraftvolle, kecke Haltung des ersten Satzes wieder auf. Es besitzt eine Enclave in H-dur (später C-dur) mit einer fesltich einherschreitenden, vom Cello pizzicato begeleiteten Melodie. Alles in allem ist das G-moll-Quartett die Äusserung eines jugendlichen Künstlerblutes, welches kühn in die Welt hinausstürmt und das Glück ertrotzt, wo es ihm nicht von selbst in den Schoss fällt.

Ganz anderen Charakter hat das gleich darauf (1847) entstandene, 1854 erschienene Quartett in A-moll (Nr. 1, op. 9). Es ist von still-beschaulichem Träumereien erfüllt, nur stellenweise unterbrochen von energischen Impulsen. An feiner Durcharbeitung übertrifft es das G-moll-Quartett, wogegen ihm nicht immer dessen bestrickende Klangschönheit eignet. Seine beiden ersten Sätze sind typisch für Volkmanns musikalische Ausdrucksart. Das Allegro non troppo, dessen Hauptthema auf das zwerite Thema im Cellokonzert hinweist, ist wegen seiner Liebenswürdigkeit, Ungesuchtheit und Harmlosigkeit bemerkenswert, Eigenschaften, die in der Musik des neunzehnten Jahrhunderts - das beginnende zwanzigste scheint gerade darauf zurückzuleiten - so selten vorkommen. Das Adagio molto führt geradeswegs auf das B-moll-Trio hin: Wie dort wechseln Partien sinnender Melancholie, in denen die erste Geige in synkopenreichen Gängen über der Klage der anderen Instrumente einherirrt, mit solchen stiller Hoffnung. Auch jene dramatischen Instrumentalrezitative, die Beethoven in seiner neunten Symphonie eingeführt hat und die Volkmann dann im Cellokonzert und der D-moll-Serenade so eigenartig fortbildet, werden in dem Adagio bereits in geschickter Weise verwendet. Die beiden letzten Sätze des Quartetts halten sich nicht auf der Höhe der ersten. Den Mittelteil des Prestos ausgenommen, der eine reizende, echt Volkmannsche Melodie enthält, bewegen sie sich in Mendelssohns Gedankenkreise und besagen wenig Neues.

Während der Arbeit an dem Quartett schrieb der Tondichter einen Psalm für Baritonsolo, Chor und Orchester, der im April 1848 in der Josephsstädter Kirche in Pest als Offertorium aufgeführt wurde. Er ist verschollen und alle Nachforschungen nach ihm blieben vergeblich.

Das rege Schaffen erfüllte Volkmann mit innerer Befriedigung, es vermochte aber nicht seine äussere Lager, die sich von neuem misslich gestaltete, zu bessern. die sich zusammenballenden politischen Unwetter warfen ihre Schatten in alle Klassen der Gesellschaft und man dachte wenig ans Musizieren. Volkmanns Schüler schmolzen auf ein Minimum zusammen. Wenn er im März 1848 noch ziemlich guten Mutes an Freund Rust schrieb: "Ich hyabe gerade so viel Geld, dass ich mich nciht durch Unmässigkeit zu Grunde richten kann", so war bereits im Sommer seine Lage derart drückend geworden, dass er sich schweren Herzens entschloss, eine feste Stellung anzunehmen. Er wurde Oragnsit und Chordirektor am israelitischen Reformtempel zu Pest. Ausser einem gesicherten Einkommen bot ihm dieses Amt reichlich Gelegenheit, sich als Komponist zu betätigen. Für den rituellen Bedarf schrieb er eine Reihe von Chören und Sologesängen mit orgelbegleitung. Darunter ist ein Hochzeitsgesang für Bariton nennenswert, sowie ein Chor "Gottes Güte" (Bibl. Text), welch letzterer allein von jenen Kompositionen umgearbeitet und gedruckt wurde. Er erschien als op. 38 mit zwei anderen, etwas später entstandenen "Geistlichen Gesängen für gemischten Chor mit Begleitung des Pianoforte" (bezw. der Orgel). Davon beweist der Chor: "O wunderbares, tiefes Schweigen", dass Eichendorffs Text auch ganz anders aufgefasst werden kann, als es Mendelssohn in seinem a cappella - Chore getan hat. Dieser gibt ein Lied im Volkston, Volkmann hebt mehr den dramatischen Zug hervor, der in dem Gedichte liegt. Es ist eine ununterbrochene Steigerung in dem Stücke, bis zu dem gewaltigen, mit Händelscher Kraft ausklingenden Schlusse. Mörickes "Vertrauen auf Gott" hat Volkmann zu einem grossen polyphonen Kirchenstück ernstester Haltung ausgestaltet. Da die Aufführung desselben durch zahlreiche Synkopen, Querstände und harmonische Überraschungen erschwert wird, fügte der Komponist später eine Begleitung von Streichinstrumenten, Flöten und Hörnern hinzu, welche die Einsätze der Singstimmen wesentlich erleichtert.

Hatte sich Volkmann allmählich mit seiner Stellung als Chorleiter der Synagoge befreundet, so gelang es ihm nicht, sich in sein Organistenamt zu gewöhnen. Seine grösste Schwäche, die Unpünktlichkeit, machte sich bei den frühen Andachtstunden der Juden oft unangenehm fühlbar. Es kam vor, dass die Orgelbank leer blieb und man sich im letzten Augenblick entschliessen musste, den Organisten mittels Wagens holen zu lassen. Als die Juden den Grund seiner Saumseligkeit darin gefunden zu haben glaubten, dass er keine Uhr besass, schenkten sie ihm bereitwilligst eine - aber auch diese zarte Aufmerksamkeit konnte seine Unpünktlichkeit nicht ganz beseitigen. Er atmete auf, als er im Herbst 1849 seine Stellung aufgeben konnte und sich wieder als sein "eigener Herr" fühlte.

Und doch war jenes Amt ein Glück für ihn gewesen. Wie hätte er sich sonst in dem verhängnisvollen Jahre 1849 über Wasser halten sollen? Für Kunst hatte niemand Interesse. Die grossen politischen Bewegungen, die auf eine Vertreibung der österreichischen Regierung aus Ungarn abzielten, rissen alle Schichten der Bevölkerung fort. Auch Volkmann wurde gewzungen, in der Pester Nationalgarde an den Ereignissen tätig Anteil zu nehmen. Mit Humor schickte er sich in das Unvermeidliche. Seine Abenteuer als Nationalgardist hat er in einem Briefe an Freund Rust launig beschrieben. Dieser Brief, der manche interessante Einzelheit üeber den ungarischen Aufstand enthält, findet sich im Anhang dieses Buches abgedruckt. Mit der Einnahme Ofens durch die Ungarn (21. Mai 1849) waren wohl die kriegerischen Operationen in Pest zu Ende, aber die Aufregung der Bevölkerung hielt noch bis zur Rückkehr des von nun an doppelt strengen österreichischen Regiments (im Juli) vor.

Dass die düsteren Bilder von Kriegs- und Bluttaten sich für immer schneidend in die Seele Volkmanns eingruben, beweisen verschiedene seiner späteren Werke, in denen er Schlachtgemälde von packender Gewalt entrollt hat, z.B. das Klavierstück "Soliman", die Ouvertüre zu "Richard III." und der Chor: "Schlachtbild". Gewiss ergriff ihn der blutige Ausgang der Volkserhebung um so tiefer, als er, eine allem Kriegerischen abgewandte Natur, noch während der Entwicklung der Tragödie auf eine friedliche Lösung der Konflikte gehofft und seinen heitern Mut nicht verloren hatte. Besass er doch noch, als die Beschiessung Ofens begann, Gelassenheit genug, auf einer Wiese im Pester Stadtwäldchen sein Chant du Troubadour (später von ihm nur als Andante von moto bezeichnet, op. 10) niederzuschreiben. Diesem Violinstück, das in schmeichelnden Tönen um die Gunst der Holden fleht, hört man wahrlich nicht an, dass es unter Kanonendonner entstanden. Es wird, wie das temperamentvolle Allegretto capriccioso (op. 15), das 1853 zugleich mit ihm erschien, gern von Geigern mittlerer Fähigkeit gespielt.

Bald nachdem Volkmann im Herbst 1849 seine Stellung an der Synagoge aufgegeben hatte, klopften Not und Sorge wieder bei ihm an. Aber trotz bitterer Entbehrungen trieb es ihn zum Schaffen. Dass diese Schöpfungen nicht heiterer Natur sein konnten, wird man begreifen, wenn man sich seinen damaligen Seelenzustand vergegenwärtigt. Nicht allein die kümmerliche äussere Lage bedrückte ihn, es war auch das Bewusstsein, bisher vergeblich gelebt zu haben. Er zählte fünfunddreissig Jahre, hatte also, menschlicher Berechnung nach, die Hälfte des Lebens überschritten. Aber keiner seiner Jugendträume von Künstlerruhm und -glück hatte sich erfüllt. Seinen beiden ersten Werken war kein weiteres im Druck gefolgt. Tot lagen die zahlreichen mit dem Herzblut geschriebenen Dichtungen im Pulte. Was wollte er noch hier in Pest? Unter dem durch die politischen Wirren gegen die Kunst abgestumpften Volke ging er als unnützer Fremder dahin. Und in die Heimat zurückkehren? Seinen Schwur brechen und als verlorener Sohn hilfeflehend den Angehörigen gegenübertreten? Sein ganzer Stolz bäumte sich auf bei dem Gedanken. Es ist kein Wunder, wenn sein sonst fröhliches Gemüt von der Flut dieser Qualen umdüstert wurde. Ja, ein schwacher Charakter wäre ihr wohl erlegen. Er aber hatte die Kraft, der Verzweiflung Herr zu werden, indem er sie in Töne bannte. So entstand das Werk, welches, wie kein zweites in gleichem Rahmen, die innersten Tiefen einer leidenden grossen Seele enthüllt: Das Trio in B-moll.

Bei dem ungewöhnlichen Inhalt des Werkes sagte Volkmann die herkömmliche Form des viersätzigen Trios nicht zu. Er schuf sich daher eine eigene, die ihm ermöglichte, den Gedankenstoff in freiester Weise zu bearbeiten und ihm alle Zugeständnisse an die Mode - etwa die Einfügung eines hier ganz unpassenden Scherzos - ersparte. Das Trio besteht aus drei Sätzen, von denen die beiden letzten unmittelbar zusammenhängen, so dass es zweisätzig erscheint. Durch Wiederaufnahme von Einleitung und Schluss des ersten Satzes am Ende des dritten wird die inhaltliche und formale Geschlossenheit des Werkes erhöht. es ist ein durchaus organisches Gebilde, bei dem in natürlicher Weise alle Glieder aus einer gemeinsamen Wurzel hervorwachsen. Diese ist der Gedanke ausgeprägter Melancholie, mit dem das Trio anhebt. Fast alle Themen entspringen dieser Quelle, so unähnlich sie untereinander sein mögen: Zeugnis für Volkmanns geniale Schöpferkraft.

Den ersten Satz (Largo) eröffnet das Klavier mit dem von tiefliegenden, vollen Akkorden begleiteten Hauptthema:

Nacheinander singen Geige und Cello die d&ustere Weise, bis sich bei "un pochetto piu mosso" die Stimmung etwas aufhellt. In langer Kantilene (B-dur) leiht die Violine heisser Sehnsucht Ausdruck:

Nachdem ihr das Cello beigestimmt hat, tr&agt es ein Seitenthema (g-moll) vor, as wie eine trotzige Forderung anmutet:

W&ahrend sich das Klavier zun&achst mit Begleitung begn$ugt, kontrapunktiert das zweite Streichinstrument in interessanten Rhythem dieses energische Thema. ein m$achtiges Chrscendo f$uhrt zum H$ohepunkt des ersten Satzes, dessen Fortissimo wie der Verzweiflungsschrei eines gegen G$ottermacht ank$ampfenden Titanen erschallt. Dann legt sich der Sturm und die Klagen des Anfangs kehren pp wieder, zum Schlusse hin$uberleitend, der von unheimlich packender Macht ist: Wie die Streicher in die dumpf-resignierten Oktaveng$ange des Klaviers ihre leisen Seufzer einstreuen, das $ubt einen Eindruck, dem sich so leicht keiner entziehen kann.
Den zweiten Satz er$offnet ein Ritornell (Andante), das fast ganz durch ein unbegleitetes Cellosolo bestritten wird. Darauf erscheint im Allegretto in wirksamem Kontrast gegen das Grau des ersten Satzes ein Zwiegesang der Streichinstrumente (Des-dur) von grosser Zartheit, $ausserst dezent vom Klavier begleitet:

Es ist, als sagten sich Geige und Cello sanfte Trostesworte, w$ahrend doch beiden das Herz von Kummer schwer ist. Ein neues Thema in Cis-moll, zum mutigen Ausharren anfeuernd, erscheint im Cello:

Die Geige nickt bejahend zu, um darauf selbst den Passus zu wiederholen. Dann bricht ein Sonnenblick der Hoffnung durch:

Die beiden letztgenannten Themen erhalten reiche Ausgestaltung, bis sie der wiederkehrenden Allegrettomelodie (Des-dur) Platz machen. Diese tritt nun viel reicher und vollstimmigewr begleitet auf und erhebt sich nach und nach zu hoher Leidenschaft. Der Sturm l$auft in zwei wilde Passagen des Klaviers aus, auf die jedesmal erwartungsvolles schweigen folgt. Arpeggierte akkorde leiten den letzten Satz (allegro con brio) ein, dessen heroisches Hauptthema unaufhaltsam dahinbraust:

Es wird mit einigen nciht minder energischen sEitenthemen in Beziehung gesetzt. In immer aufgeregteren Rhythmen und mit stetig wachsender Kraft zieht das wilde Treiben dahin, Furcht und Grausen wekcend. Wie dem vom Unheil verfolgten das ferne, unerreichbare Gl$uck in blendender Sch$onheit erstrahlt, so steigt auch hier, in der unheimlichen Jagd finsterer M$achte, ein Traumbild von Frieden und Seligkeit empor:

Die berauschend sch$one Melodie - eine $ahnliche schrieb Volkmann in der Coda der Ouvert$ure zu "Richard III." - spinnt sich, geschickt an die Instrumente verteilt, weiter, bis sie im wiederkehrenden Allegro verhallt. Wohl taucht sie sp$ater noch einmal im Cello auf, doch nicht mehr mit der freudigen Klarheit wie zuerst. Von kontrapunktierenden Figuren der Geige und des Cellos umspielt, gewinnt sie etwas Wehm$utig-Verschwommenes. Als sie schliesslich in den B$assen des Klaviers erstirbt, brechen die Streicher in verzweifelte Abschiedsrufe aus: F$ur immer verweht sie die erneut hereinbrechende wilde Jagd. Letztere erreicht schliesslich in dem fff angeschlagenen, lange ausklingenden verminderten Septimenakkord des Klaviers ihr Ziel. Die Streicher stimmen die ohnm$achtige Klage vom Anfang des ersten Satzes an und Nebeln gleich senken sich leise Akkorde im Pianoforte hernieder, aus denen dann die Violine mit einem ergreifenden rezitativischen Trauergesang auf das vom Schicksal vernichtete Hoffen und Streben hervortritt. Dieser f$uhrt zum Schlusse des Ganzen, zu den gleichen leisen Seufzern, mit denen der erste Satz ausging.

Das Trio in B-moll ist in seiner Erfindung so eigenartig, so edel-sch$on, in seinem melodischen Gehalt, so gewaltig in seiner nur mit Beethovens B-dur-Trio (op.97) vergleichbaren Gedankentiefe, dass es zum Bedeutendsten auf dem felde der Kammermusik gerechnet werden muss. Freilich besticht es nicht auf den ersten Augenblick. nur bei inniger Vertrautheit mit dem Werke kann der H$orer seine ganze Gr$osse und Sch$onheit begreifen. Wer es aber einmal seelich erfasst hat, der versteht mit jeder Auff$uhrung die Sprache des Genies deutlicher, die daraus redet.

Robert Volkmann 1850

Volkmann vollendete das Trio, das as op. 5 z$ahlt, im Herbst 1850 in Pest. Hier fanden sich bald Musiker, welche den hohen Wert der Tondichtung erkannten. Besonders der Violinvirtuos Edmund Singer, der heutige Hofkonzertmeister und Professor in Stuttgart, sowie der Klaviervirtuos J. N. Dunkl, Volkmanns treue Freunde, verwendeten sich daf$ur. Eine von ihnen veranstaltete Subskription erm$oglichte 1852 den Druck des Werkes. Freilich fand es bei seiner ersten $offentlichen Auff$uhrung in Wien, $uber das, wie Volkmann hoffte, sein Weg in die Welt gehen sollte, nicht das geringste Verst$andnis. Es wurde unter Zischen abgelehnt, so dass Volkmann, der zur Auff$uhrung nach Wien gekommen war, vernichtet aus der Versammlung wegschlich. Alexander Winterberger brachte es sp$ater, nachdem es Ber$uhmtheit erlangt, auch in Wien mit Erfolg zur Auff$uhrung. Gleichwohl wiesen es dort noch 1860 so bedeutende M$anner, wie Hanslick, ab. {Ed. Hanslick, "Aus dem Concert-Saal", II. Aufl. S. 234 - Wie ganz anders bespricht bereits 1852, also im Erscheinungsjahr des Trios, Theodor Uhlich, der mutige K$mpfer f$ur moderne Musik, das Werk in der "N. Ztschr. f. Musik", Bd. 37 Nr. 4! - Eine von Dr. P. Ertel herstammende vorz$ugliche Analyse des B-moll-Trios steht im Programmbuch des holl$andischen Trios (Berlin, 25. oktober 1901), und neuerdings ist auch die bei Herrmann Seemann Nachfolger erscheinende Sammlung der "Musikf$uhrer" um ein dem B-moll-Trio gewidmetes, von Hermann Teibler vortrefflich verfasstes B$andchen (Nr. 225) bereichert worden.}

Das Trio wurde Franz Liszt gewidmet, der sich freundlich dar$uber aussprach. Unterst$utzung mit Rat und Tat, die Liszt so vielen anderen aufstrebenden K$unstlern angedeihen liess, schenkte er Volkmann nicht. Dagegen trat Hans von B$ulow mit aller Begeisterung daf$ur ein. Auf all seinen Konzertreisen bracht er es zum Vortrag; weder die Widerspr$uche der Kritik, noch die Gleichg$ultigkeit des Publikums konnten ihn entmutigen, es immer von neuem aufs Programm zu setzen. Und wirklich gelang es seiner energischen Pers$onlichkeit, dem Trio in allen Konzertst$adten Heimatrecht zu erwerben. Dass dies langsamer ging, als er gehofft, lag in der schwierigen Ausf$uhrbarkeit des Werkes begr$undet, an das sich nur K$unstler allerersten Ranges wagen k$onnen.

Das B-moll-Trio, dieser Ausfluss tiefsten Seelenleidens seines Sch$opfers, wurde zugleich das Mittel, das seine Heilung anbahnte. Nicht nur, dass es ihm den ertr$aumten Weltruf brachte, ebnete es auch seinen anderen Werken, die ungedruckt dalagen, den Weg in die $Offentlichkeit. Bald nach ihm erschienen in rascher Folge op. 3, 4 und 6-16. Ein anderer sch$oner Erfolg des Trios war, dass es Volkmanns seit 1845 abgebrochene Beziehungen zu seiner Familie wieder ankn$upfen half. Eine Zeitungskritik $uber das Werk f$uhrte den Pfarrer Volkmann 1852 auf die Spur des l$angst tot geglaubten Bruders. Er erfuhr den Grund von dessen jahrelangem Verschollensein: Dass Robert dem Schwur, nur schuldenfrei wieder mit den Seinen in Verkehr zu treten, bisher treu gelieben war. Der inzwischen erfolgte Tod des Onkels, dem er die Summe schuldete, das aufopfernde Eingreifen Moritz', sowie die lange gewaltsam unterdr$uckte, jetzt spontan hervorbrechende Liebe zu seiner Familie liessen Robert nun doch seinen Eid brechen: Er trat mit den Angeh$origen in lebhaften Briefwechsel und bald waren die letzten Schatten des einstigen Grolls verschwunden. Moritz' Hoffnung, den Bruder f$ur immer in die Heimat zur$uckkehren zu sehen, ging freilich nicht in Erf$ullung. Dieser dachte zur Zeit noch nicht daran, Pest zu verlassen. Denn er f$uhlte sich im Kreise seiner ungarischen Freunde, die ihm schon vor der Grosstat des B-moll-Trios ihr Vertrauen geschenkt, jetzt, nach dessen Erfolgen, doppelt wohl. Unter diesen M$annern hatten ihn drei durch edle Hilfsbereitschaft eng an sich gefesselt: Der Kunstm$acen Dr. Hunyadi, der Rechtsanwalt Balthasar Elischer, einer der feinsten Goethekenner seiner Zeit, und der Verleger und Buchh$andler Gustav Heckenast. Letzterer hat sich durch die Selbstlosigkeit, mit der er jungen Talenten den Weg bahnen half, so einem Adalbert Stifter und Peter Rosegger, ein Denkmal gesetzt. Er nahm sich auch volkmanns an. Schon 1852 gew$ahrte er ihm w$ahrend der Sommermonate auf seinem Landgute Pilis-Maróth, das an der Donau zwischen Gran und Waitzen entz$uckend gelegen ist, gastfreundliche Aufnahme. Volkmann verlebte hier, in Heckenasts liebensw$urdigem Familienkreise, gl$uckliche Zeiten. Sie haben einen Nachhall gefunden in dem Klavier-Impromptu: "Souvenir de Maróth" (op. 6), in dem die heitere Zufriedenheit des Geniessens in ein wehm$utiges Gedenken an die Fl$uchtigkeit alles Gl$uckes ausklingt. Noch einige andere kleine Klavierkompositionen $ahnlicher Art gab Volkmann bald nach dem Trio heraus. So die bereits 1851 geschriebene Dithyrambe, ein dankbares Vorspielst$uck, und die Toccate, in der sich k$ornige Kraft und vornehme Grazie paaren (op. 4). Am Nocturne (op. 8) interessiert mehr als die h$ubsche, einfache Melodie die Begleitung, die sie umspielt; freilich kommen auch einzelne veraltete Wendungen darin vor. Niedriger als diese St$ucke sind die Variationen $uber J. Andrés Rheinweinlied zu bewerten, die Volkmann ohne Opusnummer, unter dem Pseudonym Otto D$oring ver$offentlichte. Zu dieser Verkappung mochte ihn die Leichtigkeit der auf Bestellung gefertigten Arbeit veranlasst haben, die in der Tat seinem Rufe nicht n$utzen konnte. Wie kolossal nimmt sich dagegen sein zweites Variationenwerk (op. 26) aus, auf das wir unen zur$uckkommen! Ferner sei der 1853 vollendeten Klaviersonate (C-moll, op. 12) gedacht, deren erster Satz schon 1840 in Szemeréd entstand. Sie ist eine Mischung von Konventionellem, Bizarrem (das rhythmisch grausame Prestissimo!) und Edel-Sch$onem, die keinen g$unstigen Gesamteindruck aufkommen l$asst. Dagegen h$alt sich Volkmann auf der H$ohe der Meisterschaft in der Romanze f$ur Violoncello und Klavier (E-dur, op. 7). Wie bei allen anderen Kompositionen f$ur sein Lieblingsinstrument, so sind ihm auch hier besonders gl$uckliche Gedanken eingefallen. Das sanfte Tr$aumen im Anfang des St$uckes, das heroische Aufraffen in der Mitte und das zarte, poetische Verklingen der Melodie $uber einem langen Orgelpunkt am Ende nehmen den H$orer unmittelbar gefangen. Nirgens findet sich darin etwas Gezwungenes, Gemachtes, aber auch nirgends ein Gemeinplatz.

1852 entstand das "Musikalische Bilderbuch" f$ur Pianoforte zu vier H$anden (op. 11). Wie schon der Titel verr$at, ist es in erster Linie f$ur Kinder bestimmt. Vor den vierh$andigen Kinderst$ucken von Schumann, die einem sofort vergleichsweise einfallen, hat es leichte Verst$andlichkeit des musikalischen Inhalts voraus. Naive Anschaulichkeit verbindet sich darin mit elder, k$unstlerischer Gestaltung. Im ersten Heft lauschen "In der M$uhle" dem einf$ormigen Gang der R$ader, zu dem der M$ullerbursch eine behagliche Weise anstimmt, wir h$oren den "Postillon" lustig ins Horn stossen, dessen T$one im kindlichen Herzen die Sehnsucht wecken, mit dem Schwager hinauszufahren in die weite, herrliche Welt (Mittelsatz). Das St$uck: "Die Russen kommen" hat viel humorvoll behandelte robuste Kraft. Ob Volkmann w$ahrend dessen Komposition die beim Durchmarsch der Russen durch Pest gewonnenen Eindr$ucke (vergl. die Briefstelle S. 163) vorgeschwebt haben? Im zweiten Heft wiegen wir uns im kleinen Boote "Auf dem See", h$oren, wie "Der Kuckuck und der Wandersmann" in fr$ohlichem Wettstreit musizieren, wie "Der Sch$afer" gelassen auf seiner Schalmei bl$ast und die Melodien im nahen Walde wiederhallen. Nicht alleinder reiche poetische Gehalt, sondern auch der fein f$ur die vierh$andige Klaviertechnik berechnete leichte Satz haben diese St$ucke bei Kindern wie bei Erwachsenen beliebt gemacht.

Seit er seine Stellung als Chordirektor an der Synagoge aufgegeben, hatte Volkmann lediglich Instrumentalwerke produziert. Da lenkte im Jahre 1852 eine vom Wiener M$annergesangverein ausgeschriebene Preiskonkurrenz um die beste Messe f$ur M$annerstimmen sein Interesse wieder auf die Vokalmusik hin. Er schrieb seine zweite Messe f$ur M$annerchor (As-dur, ohne Soli), die einige Jahre sp$ater als op. 29 erschien. Mochte er auch mit dieser Arbeit den erhofften Preis nicht gewinnen, - von 74 eingereichten Messen wurde keine gekr$ont - so konnte er doch selbst mit Befriedigung den Fortschritt konstatieren, den diese zweite Messe gegen die erste bedeutet. Sie besitzt die Vorz$uge, die jener fehlen: Tiefe Gedanken, religi$oses Gef$uhl, grosser Stil. Wie ergreifend das f$unfstimmige Kyrie das Flehen um g$ottliches Erbarmen zum Ausdruck bringt! Das Gloria bewahrt selbst im fr$ohlichen Aufjauchzen zu Gottes Ruhm die krichliche W$urde. Reicher Wechsel der Empfindungen herrscht im Credo. Es beginnt zweistimmig mit einer einfachen, patriarchalisch strengen Melodie, die in dem vierstimmigen "Et incarnatus est" milderen T$onen weicht. Beim "Crucificus" werden diese durch den Eintritt bohrenden Schmerzes verscheucht, der besonders durch die eigenartigen Schritte der B$asse packend geschildert wird. Die Schmerzenslaute machen beim "Sepultus est" tiefer, stiller Trauer Platz und das Credo klingt, die Seligkeit der Gl$aubigen preisend, sanft und zart aus. Diesem breit angelegten, wichtigsten Satze der Messe folgen die schlichten und anspruchslosen Sanctus und Benedictus, und das Agnus dei schliesst das Ganze feierlich ab.

An Vokalwerken entstammen jener Zeit (1853) nur noch zwei Hefte einstimmiger Lieder mit Klavierbegleitung. Das erste, op. 13 f$ur Tenor, beweist, dass sich der Tonsetzer nicht ohne M$uhe in diese seit 1841 verlassene Kunstform einarbeitete. Es bietet wenig Anziehendes - etwa das h$ubsche "Ich will's dir nimmer sagen" (R. Prutz) ausgenommen - und bekundet den ersten Einfluss Robert Schumanns auf Volkmann. Viel origineller, ja geistig hochbedeutend sind drei Lieder f$ur Mezzosopran (op. 16). Volkmanns grossz$ugigen Melodienfluss des ersten Liedes "Reue" hat kein anderer der zahllosen Komponisten des Platenschen Textes, auch Brahms nicht, erreicht. Auf diesen Erguss wilden Seelenwehs bietet der Naturfriede des zweiten Liedes: "Auf dem See" (Feodor L$owe) wohltuenden Gegensatz. Mit dem dritten, dem "Traum", wendet sich der Meister dem Volksliede zu, das er sp$ater noch mit mancher edlen Gabe bereicherte.

Hier ist der Ort, auch der T$atigkeit Volkmanns als Bearbeiter klassischer Tonwerke zu gedenken, die man als bahnbrechend bezeichnen muss. W$ahrend wir heute alle hervorrangen Instrumentalkonzerte der grossen Meister in den verschiedensten vorz$uglichen und billigen Ausgaben zur Hand haben, existierte noch 1850 selbst von dem ber$uhmten Beethovenschen Violinkonzert weder eine Partitur noch ein Klavierauszug im Stich. Volkmann war der erste, der von diesem Werke im genannten Jahre einen Klavierauszug herstelle und es so dem breiten Publikum zug$anglich machte. Den gleichen Dienst erwies er den Violinspielern durch den Satz der Klavierbegleitung zu Tartinis Teufelstriller-Sonate (1854), welchen sp$ater auch Vieuxtemps, Joachim, Hermann u.a. in ihrer Weise ausgef$uhrt haben.

Volkmann war zwar in Pest gesellschaftlich gl$ucklich und wohlgeborgen, aber er empand dr$uckend das Stagnieren des Kunstlebens, das noch immer unter den Folgen der schweren Niederlage vom Jahre 1849 litt. Wien mit seiner eifrigen Musikpflege schien ihm f$ur seine Komponistent$atigkeit ein weit geeigneteres Terrain zu sein als Pest. Da vollends das Hellmesberger Quartett seine beiden Streichquartette in Wien zur Auff$uhrung brachte und ihm zu st$urmischen Erfolgen verhalf, wurde sein stiller Wunsch, dorthin $uberzusiedeln, zum Entschluss. Ende des Jahres 1853 hob er seinen Wohnsitz in Pest auf. Ehe er sich jedoch in Wien niederliess, trieb es ihn, sein Vaterland, dem er nun f$unfzehn Jahre lang fern geblieben, wiederzusehen. Er reiste nach Hof bei Riese zu seinem Bruder, auf dessen Pfarre er am Sylvesterabend eintraf. Was er bei der Abreise von Pest und bei der R$uckkehr zu den Seinen empfunden, spricht er am 5. Januar 1854 in einem an seinen Pester Freund B. Elischer gerichteten Briefe aus, dem folgende Stelle entnommen sei:

"Die Lokomotive setzt den Zug in Bewegung und schneidet nun jede Umkehr ab. Ich konnte mich des Gef$uhls der Bedeutung dieses Augenblickes nicht erwehren, derein St$uck meiner Lebensgeschichte zum Abschluss brachte und mich in neue Bahnen lenkte. Wie oft hatte ich diesen Moment schon ersehnt, wenn mir das Gl$uck den R$ucken kehrte oder wenn die Erinnerung der Lieben in der Heimat in gesteigertem Masse rege wurde und mich fast bis zur Krankheit f$uhrte; ich w$urfe viel darum gegeben haben und noch geben, wenn ich meine gute Mutter im Leben noch ein Mal h$atte sehen k$onnen; leider ist mir dieses Gl$uck zu meinem bittern Schmerz versagt. Um so herber ist dieses Gef$uhl, als zwischen dem Tode der Mutter und meinem Besuchte in der Heimat nur ein Jahr dazwischen liegt. Das ist der Fluch der Armut, dass sie einem sogar die edelsten und heiligsten Freuden entzieht; jetzt bin ich der geliebten Mutter endlich nahe, denn ich wohne nur einige Schritte von ihrem Grabe."

Die innige Liebe seines Bruders Moritz gab ihm aber immerhin Ersatz f$ur die Verlorene, so dass er sich in dessen Familienkreise heimisch und behaglich f$uhlte. Bald jedoch zog's ihn wieder nach dem S$uden. Im Vorfr$uhling 1854 siedelte er, grosser Hoffnungen und Pl$ane voll, nach Wien $uber.