Interview mit einem Andrioden


Nervös ging ich auf und ab. Ich konnte mir nicht so recht vorstellen, was ich hier sollte. Ich hatte gerade mit dem Counselor gesprochen und sie meinte sie habe eine Idee. Und nun wartete ich hier, ungewiss, was sie sich ausgeheckt hatte.
Der Raum war gemütlich eingerichtet, die Temperatur betrug 17 Grad, gerade so, wie ich mich am meisten wohlfühlte. Eine bequeme Eckcouch, ein niedriger Glastisch, ein weisser Schafwollteppich, Bilder von Escher an den zartblau gestrichenen Wänden, ein Replikator, den ich allerdings nicht bedienen konnte: ich war nicht befugt. Und als ich mich der Tür näherte, öffnete sie sich nicht. Ich kam hier nicht weg, also versuchte ich das beste daraus zu machen und machte es mir auf der Couch gemütlich.
Dann öffnete sich die Tür. Der Counselor kam herein, und hinter ihr folgte Data. Ich stand auf, als sie uns bekannt machte. Erstaunt sah ich Deanna an.
"Ich werde euch beide eine Weile alleine lassen. Wenn irgendetwas ist, könnt ihr mich sofort erreichen."
"Aber..?"
Ich war verwirrt. Was sollte denn das werden? Belegte Data einen Blitzkurs in Psychologie und wollte mich studieren? Doch Deanna, die meine Fragen sicher erahnte, lächelte nur geheimnisvoll und wandte sich zur Tür.
"Ich wünsche euch viel Spass",
meinte sie, ehe sie uns allene liess. Mit einem Zischen schloss sich die Tür hinter ihr. Wir waren alleine.

"Wünschen sie etwas zu essen oder zu trinken, oder etwas Musik zur Entspannung?"
Data stand vor mir und beobachtete mich. Seine goldenen Augen schienen jede Bewegung von mir aufzuzeichnen. Wahrscheinlich taten sie auch das. Ich seufzte nur und schüttelte den Kopf. Data fragte mich, ob er Platz nehmen durfte. Was konnte ich darauf schon sagen?
Und so sassen wir an der Ecke des Sofas, Data bei der einen, ich bei der anderen Wand. Die ganze Situation war mir sehr unangenehm. Und Data liess mich nicht aus den Augen. Schliesslich brauch ich das unangenehme Schweigen.
"Sie wollten etwas von mir, Lieutenant?"
Ich konnte mir nicht vorstellen, was er wollte. Aber vielleicht konnte er mir eine Antwort geben.
"Ich glaube es wäre angemessener, wenn sie mich mit Data ansprechen, zumindest für die Dauer unserer Sitzung."
Mir war alles recht, solange er nicht anfing, den Psychologen zu spielen. Also nannte ich ihm meinen Vornamen.
"Judy. Nennen sie mich Judy."
"Gut, Judy. Counsellor Troi hat mich gebeten, mit ihnen zu reden. Ich nehme an, sie wissen worum es geht?"
Ich wich seinem Blick aus und konnte es nicht glauben, dass ich hier sass und mit ihm sprach. Ein Android sollte mich analysieren und heilen!
"Was wollen sie? Warum gerade sie?"
"Deanna ging davon aus, dass ich ihr Vorbild bin, und deshalb...."
"Was!?"
Entsetzt sprang ich auf und ging auf und ab. Ich konnte es nicht fassen. Ich schüttelte den Kopf. Data beobachtete und fragte:
"Ist etwas nicht in Ordnung?"
"Wieso weiss sie das? Wieso?"
Ich war fassungslos. Kannte er eine Antwort?
"Deanna ist ein professioneller Counsellor. Es war wohl nicht so schwer für sie, das herauszufinden. Wollen sie mit mir darüber reden?"
"Data, alles was ich hier sage, kommt dann wohl in meine Akte, sie werden es Deanna mitteilen und dann ist meine Karriere beendet."
"Haben sie etwas zu befürchten?"
Immer noch ging ich auf und ab, wurde zunehmend nervöser.
"Nein, natürlich nicht."
Ich wusste nicht, ob das eine Lüge war oder nicht.
"Dann verstehe ich ihre Reaktion nicht. Aber wenn es sie beruhigt, dieses Gespräch bleibt unter uns, wenn sie das wünschen."
"Ich will nicht mit ihnen darüber reden, sie verstehen ja gar nichts!"
Ich wurde zunehmend unruhiger, während der Android kerzengerade auf seinem Platz sass und mich nicht aus den Augen liess.
"Ich verstehe nichts, weil sie mir nichts mitteilen. Würden sie es mir erklären, könnte ich versuchen, es zu verstehen!"
Ich kehrte ihm den Rücken zu und versuchte, die Tür zu öffnen. Ich hörte seine Stimme,
"Das ist zwecklos. Die Türe ist von aussen verriegelt. Wir sollten miteinander reden."
Ich seufzte.
"Indem sie mich zwingen, hierzubleiben, bis ich vor ihnen die Geheimnisse meine Psyche ausbreite?"
Er überhörte meinen zynischen Tonfall. Mir fiel zu spät ein, dass Data keinen Sinn für Zynismus hatte.
"Nein, es genügt nur, dass wir ein bisschen reden. Sehen sie, ich bin ja nicht ihr Counsellor. Dafür bin ich nicht qualifiziert. Schliesslich habe ich keine Seele und keine Gefühle. Wir sind beide hier, um uns zu unterhalten. Deanna war der Ansicht, dass das eine gute Idee ist."
Zweifelte er daran? Hörte ich Zweifel in seiner Stimme heraus? Aber nein, das gab es bei ihm ja nicht.
Ich ging weiter auf und ab. Ich verstand die ganze Sache nicht. Was ich hier sollte, was Data von mir wollte. Mir war alles schleierhaft.
"Wollen sie sich nicht setzen, Judy?"
"Nein!",
trotzte ich.
"Wie sie wünschen!"
Seine Höflichkeit machte mich rasend. Ich nahm das nächstbeste, was ich finden konnte, und warf es mit aller Kraft in seine Richtung. Es war aber nur ein Kissen. Zumindest fühlte ich mich danach wohler. Data sah mich verwundert an, wie ein unschuldiges Kind, das alles in sich aufnahm, aber nichts kapierte. Plötzlich bekam ich das Gefühl, dass ich mich entschuldigen musste. Ich setzte mich zu ihm.
"Tut mir leid."
"Das Kissen hätte mich nicht verletzen können, und sie waren sehr erregt. Es trifft sie keine Schuld und es gibt keinen Grund für sie, sich zu entschuldigen."
Und wie er das sagte, da begriff ich endlich, was für ein lieber Kerl er sein musste.
"Data, haben sie wirklich keine Seele?"
"Ich weiss es nicht genau."
Er wirkte hilflos. In diesem Moment erkannte ich, wie verletzlich er war. Er war eine Maschine, er konnte in einen 100 Meter tiefen Abgrund stürzen, ohne wesentliche Blessuren davonzutragen, er war stärker als 5 Klingonen und er hatte die Bibliothek der Enterprise im Kopf. Und doch wirkte er wie ein Kind, unschuldig und rein. In diesem Moment fasste ich Vertrauen zu ihm.
"Das bleibt hier ja alles unter uns? Nicht mal Deanna wird was davon erfahren???"
wollte ich mich versichern.
"Niemand an Bord wird etwas von unserem Gespräch erfahren. Sie haben mein Wort."
Auf dieses Wort konnte ich zählen, das wusste ich. Und dann begannen wir, uns zu unterhalten.
"Data, ich beneide sie."
"So?"
Es schien, als wäre er erstaunt darüber. Also begann ich zu erklären, ohne ihn dabei direkt anzusehen.
"Sie können alles, sie wissen alles. Sehen sie, wenn ich etwas lerne, dann ist das ein langwieriger Prozess, ich muss mich stundenlang der Aufgabe widmen, die ich bewältigen will. Und selbst dann mache ich noch oft Fehler. Und sie? Sie brauchen nicht lernen, sie scannen und haben die Dinge sofort parat. Sie treffen Entscheidungen, ohne dabei die Fehler eines Menschen zu machen."
"Das ist alles nicht viel wert."
"Wie meinen sie das? Das ist jede Menge wert! Ich wäre gerne wie sie?"
"Ich mag vielleicht schneller lernen als sie, ich mag vielleicht weniger Fehler machen. Aber auch ich mache Fehler, treffe falsche Entscheidungen. Und vor allem fehlt mir eines, das sie haben. Etwas, das nicht zu unterschätzen ist."
"Was meinen sie?"
Ich konnte mir nicht vorstellen, was er meinte.
"Ich kann mich nicht freuen, wenn ich etwas geschafft habe. Ich habe es geschafft, das ist alles."
"Ja aber, wissen sie wie toll das ist, wenn jemand tadelt, weil sie einen Fehler gemacht haben, und sie empfinden nichts dabei? Wenn niemand ihnen etwas anhaben kann, wenn niemand sie verletzen kann? Wenn sie ein Freund sitzenlässt und ihnen das nicht das geringste ausmacht? Wissen sie, was das für ein Gefühl ist, verlassen zu werden?"
Er schüttelte den Kopf, und auf einmal bemerkte ich so etwas ähnliches wie Traurigkeit. Er schien die Tatsache zu bedauern! Das war mir unbegreiflich.
"Nein, ich weiss nicht, wie das ist, verlassen zu werden."
"Data, sie müssten der glücklichste Mann der Welt sein!"
Das meinte ich ehrlich.
"Glück kann ich nicht empfinden. Der Begriff ist nicht relevant für eine Lebensform wie mich!"
"Aber wenn man verlassen wird, dann ist das, als würde eine Welt zusammenbrechen. Man fühlt sich so alleine. Ich habe stundenlang geweint. Ich war komplett am Boden zerstört. Es hat mir so wehgetan, dass ich am liebsten mein Leben aufgegeben hätte."
"Ich verstehe nicht, was sie empfunden haben. Ich kann es nicht nachempfinden, so gerne ich das wollte!"
"Data, seien sie glücklich darüber! Seien sie froh, dass ihnen so etwas nie passieren kann."
"Ich wäre gerne wie sie. Ich würde gerne erleben, was es ist, zu lieben."
Und da wurde mir schlagartig etwas klar.
"Darf ich sie anfassen?"
fragte ich ihn zur Sicherheit. Ich hatte ja keine Ahnung, wie seine Sicherheitssysteme auf eine unerwartete Berührung reagieren würden. Mit Agressivität? Einer Säure? Er gestattete es mir, und ich strich über die Behaarung auf seinem Handrücken. Neugierig sah ich ihm in die Augen. Er stellte nur fest, dass ich kalte Hände hatte und fragte, ob er die Temperatur erhöhen sollte. Ich seufzte nur und zog meine Hand wieder ein. Ich konnte mir das gar nicht vorstellen, wie es denn sein musste, ein Android zu sein. Ich erzählte ihm dann alles. Von meiner gescheiterten Beziehung, von der Liebe, die ich empfunden hatte, und wie sehr es schmerzte, Liebe zu verlieren. Vor allem wenn man erst nach dem Verlust begriff was man gehabt hatte und wie schön es war. Und dann erzählte mir der Android. Es war keinen Pfifferling wert, wenn er schnell lernte, da er keine Möglichkeit hatte, daran Freude zu empfinden. Ein Lob hatte keine Bedeutung, wenn man nicht fähig war, Stolz zu empfinden. Es nutzte das herrlichste Essen nichts, wenn man nicht fähig war, es zu geniessen, sondern nur den Nährstoffgehalt analysieren konnte. Und mir wurde klar, wie arm er sein musste. Nicht fähig zur Freude und zu Tränen. Dann schien es mir plötzlich nicht mehr so erstrebenswert, wie er zu sein. Es mochte gut möglich sein, dass er effektiver arbeitete, dass die Flotte stärker wäre mit mehr Menschen von seiner Sorte, aber war das wirklich der Zweck des Lebens? Immer der bessere, stärkere zu sein als alle anderen? Zählte nicht vielmehr das Zwischenmenschliche? Die Beziehungen der Menschen zueinander, Glück, Liebe, Freude, Tränen und Leid? War das nicht wichtiger als Stärke, Kraft, Intelligenz und Gefühllosigkeit?
Data hatte mir die Augen geöffnet. Und nun war er nicht mehr mein Vorbild. Vielmehr bedauerte ich ihn.

Zwei Wochen später hatte ich wieder einen Freund. Eine Beziehung, die auf einer anderen Ebene besser war, als die, die ich aufgegeben hatte. Und wenn ich heute zurückblicke, dann bedauere ich nicht einmal mehr, was ich getan hatte. Im Gegenteil, ich habe keine Sekunde länger mehr bereut, was passiert war. Es waren kostbare Erinnerungen und Erfahrungen, sowohl die positiven als auch die negativen. Und ich will und kann nichts davon vergessen. In diesem Sinne möchte ich mich bei meiner ersten grossen Liebe bedanken, sollte er das jemals lesen. Wenn ich die Uhr zurückdrehen könnte, hätte ich alles genauso gemacht. Ich werde nie vergessen, wie glücklich wir waren.

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© by Renate Bohac