Lea Aini: Gila

Israelische Autorin verramscht Weltliteratur

„Eine muss da sein“ heisst der ungewöhnliche Roman von Lea Aini. Die junge israelische Schriftstellerin beschreibt auf eigenwillige Art den Alltag einer büchergeilen Göre.

Die 17jährige Gila streckt ihre dicken Wurstfinger nach den Büchern im Laden von Herrn Dubek aus. Sie hilft dem alten Lüstling, der seine Augen immer wieder auf Gilas enorme Brüste richtet, beim Ordnen der neuen Sendungen. Selber leiht sie sich Bücher aus und lässt auch gerne eins unregistriert mitlaufen. In Gilas Kopf und Herz vermischt sich die eigene Lebenserfahrung mit den Bildern und Gedanken, die sie aus den Büchern schöpft. Lea Aini, die junge, 1962 geborene israelische Schriftstellerin, die diese Figur erfunden hat, schreibt eine Sprache, in der sich die schmuddelige Unbedarftheit Gilas mit den Charakterisierungen und Kommentaren grosser Schriftsteller vermischt. Denn Gila ist von vielen Autoren angetan, von den Schnulzen der Ann Mater ebenso wie von Dostojewski, Tschechow und Kafka. Gila als Ich-Erzählerin dichtet sich ihren eigenen Alltag. Sonja, die Freundin, wird umbenannt in Odelia (was ihr nicht behagt) oder Florence (was ihr eher passt), und Erna, die alte Holocaust-Ueberlebende aus Prag, heisst für Gila Chandelier, weil in ihrem mit Krimskrams überstellten Zimmer ein auffälliger Leuchter hängt.

Alle Menschen in ihrem Umfeld versucht Gila literarisch zu beschreiben, sie sieht sie, als wären sie Figuren, ja sogar Teile der von ihr verehrten Autoren. Von Odelia z.B. heisst es: „Ihr Honiggesicht ist so blass wie Zitrone. Gelb wie Milch. Weiss wie der Mond. Wörter. Wörter. Wörter. So viele Wörter auf den dünnen Kleiderbügelschultern. Wieso habe ich gedacht, dass sie das aushält? Dass sie wie eine Vogelscheuche die beissenden Träume verscheuchen würde? Die Alpträume. Die Raubvögel, deren Namen man gar nicht aussprechen kann, so lang ist er. Wissenschaftlich. Nein, Dostojewski lässt sich nicht verführen. Nicht von so einer Kleinigkeit. Und Kafkas Kopf tut wieder weh. Bläht sich auf. Ein Fesselballon. Ann Mater winkt auf Wiedersehen.“

Der alte Dubek will mit Gila ein Kind zeugen und erhält dazu auch das Einverständnis seiner Frau. Jefim, der Harmonika-Spieler, möchte einfach mit ihr schlafen, Dubi, der beschränkte Junge aus der Nachbarschaft treibt es mit den Kindern auf der Abfallhalde und sucht für sein Tun Gilas Einverständnis, die irre Chandelier kauft allen Ramsch, der in der Zeitung inseriert ist, und in ihren Betten warten die gebrechlichen Alten auf die baldige Erlösung. Alle diese Szenen vermischt Lea Aini mit den von Gila mehr schlecht als recht verdauten Literaturfetzen und vernaschaulicht damit eine Wirkung von Literatur, die sonst kaum kommentiert wird: die absurde Vernetzung von Realität und Fiktion.

„Eine zerdrückte, zerknitterte Ansammlung von Papier, das einer von ihnen vergessen hat wegzuschmeissen - wir sind hiergeblieben. Skizzen im Netz. Doch jetzt muss man fortfliegen aus diesem Zimmer, und noch heute. Aber wohin? Erna hat den ganzen Wohnblock angezündet. Was ist mit der Alten? herrscht Kafka mich plötzlich an, und verzweifelt bremst das Auto hart am Saum seiner gebügelten Hose.“

Diese Texte sind Ausdruck einer neuen, modernen Stimme. Bilder machen sich selbstständig und verlassen ihre Rahmen. Der Leser ist erst verwirrt, bald jedoch fasziniert von der mehrschichtigen Erzählweise, denn die hat durchaus Methode.

Urs Dürmüller

Lea Aini, Eine muss da sein Suhrkamp1997 198 Seiten Fr. ?