Dale Peck: Das Gesetz der Naehe

DALE PECK LIEBE UND TOD

Literarische Anspielungen, verschiedene Perspektiven und Erzähler machen die Lektüre von Dale Pecks zweitem Roman „The Law of Enclosures“ zum spannenden Abenteuer. Das Buch, welches in seinem Erscheinungsjahr 1996 in den USA für Aufsehen sorgte, ist hochklassige Literatur.

Menschen öffnen sich für Beziehungen, verstricken sich in diesen Beziehungen und werden dort schliesslich zu Gefangegen ihrer Liebe und ihres Hasses. Darauf nimmt der Originaltitel von Dale Pecks neuem Roman „The Law of Enclosures“ genauer Bezug als die verharmlosende deutsche Uebersetzung „Das Gesetz der Nähe“. Was die 27jährige Beatrice am 17jährigen Henry liebt, ist die Präsenz des Todes. Henry leidet an einem Gehirntumor, die Bestrahlungstherapie hat ihn aller Haare beraubt, er sieht für Beatrice aus wie ein Aidskranker, am Hintrkopf wächst ihm eine unschöne Beule. Für Beatrice ist dieser junge Mann das ideale Gefässs für ihre Liebe. Und Henry? Er liebt an Beatrice vor allem ihre mütterliche Zuwendung, jene sorgende Liebe, die er von seinen Eltern nicht bekommt. Von einer Beschreibung dieses jungen Paares wechselt Dale Peck ans Sterbebett von Stan. Stan und Myra sind Freunde von Henry und Beatrice. Zwischen dem ersten Kapitel und dem nachfolgenden zweiten liegen Jahrzehnte. Eine Zeit der Entfremdung, Jahre, in deren Verlauf Liebe dem Hass weicht. Doch nicht diese Veränderung in den Beziehungen von Henry und Bea, Myra und Stan und weiterer Figuren sind das Besondere an Pecks neuem Roman, sondern die Art, wie er beides, Liebe und Hass, Schrecken und Freude, Angst und Lust, stets präsent hält. Peck nähert sich seinen Menschen mit geradezu klinischem Interesse. Das erlaubt ihm, unter der glatten Haut der Jungen den zukünftigen Verfall zu orten und im runzligen und fleckigen Gewebe der Alten noch das Streben und Wollen des Aufbruchs zu sehen. „Das Gesetz der Nähe“ verschafft dem Leser eine eigenartige Erfahrung. Erst fühlt man sich abgestossen von den akkuraten Beschreibungen menschlicher Nähe. Dennoch entwickelt der Text eine gewaltige Faszination. Das Morbide, so entedckt man allmählich, vermag sich nicht durchzusetzen. Denn auch Sterben gehört zum Leben. Und die Bösartigekiten und Gemeinheiten, mit denen Menschen sich gegenseitig verletzen, sind nicht einfach teuflisch. Denn Liebe enthält auch ihr Gegenteil. Dieses Miteinander von Jung und Alt, von Liebe und Hass erzeugt in den detailgenauen Schilderungen eine geradezu hypnotische Wirkung.Die abrupten Stil-, Szenen- und Personalwechsel, sowie das bewusste Einstreuen von literarischen Zitaten machen Pecks Roman ohnehin zum Leseabenteuer. Zusammen mit der höchst eingenwilligen Behandlung des Themas „zwischenmenschliche Beziehungen“ ist „The Law of Enclosures“ zu einem aussergewöhnlichen Werk von hohem literarischem Rang geworden. Gerne wüsste man mehr über den jungen, gerade 30jährigen Autor, der das Leben über- und durchschaut, als verfügte er über die Weisheit vieler langer Leben.

Urs Dürmüller

Dale Peck, Das Gesetz der Nähe. Luchterhand 1996. 429 Seiten. Fr. xxyy