II. Kapitel
DAS NEUE VOLK
1945 bis 1968:
Das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges sind Millionenver-
luste an Toten, Vermißten und Verwundeten. In vielen Staaten
der Welt werden schwerste finanzielle und wirtschaftliche
Zerrüttungen sichtbar. Mißtrauen und Angst schaffen zwei
Machtblöcke, die durch einander feindliche ldeologien gespal-
ten sind. Dieser Konflikt hat vorläufig nur geringe Auswirkun-
gen auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Die Vernichtung
der Urwaldindianer erreicht einen neuen Höhepunkt. Der bra-
silianische Indianerschutzdienst entpuppt sich als ein Instru-
ment wirtschaftlicher Interessengruppen, um die Eingebo-
renenbevölkerung auszurotten. lnnerhalb von zwanzig Jahren
fallen 80 Indianerstämme den Machtintrigen und den Zivilisa-
tionskrankheiten der Weißen zum Opfer. Die Überlebenden
ziehen sich in die unwegsamen Gebiete der Quellgebiete der
Flüsse zurück.
DAS LEBEN DER DEUTSCHEN SOLDATEN IN AKAKOR
ich bin nur ein einzelner Mann. Aber ich spreche mit der
Stimme meines Volkes. Mein Herz ist das Herz eines Ugha
Mongulala. Was immer mein Volk auf dem Herzen hat, das
sage ich. Die Auserwählten Stämme wollen keinen Krieg
mehr. Sie wollen Frieden. Aber sie haben auch keine Angst
zu sterben. Sie verbergen sich nicht hinter dem Felsen. Sie
fürchten den Tod nicht, denn er ist ein Teil unseres Lebens.
Die Weißen Barbaren haben Angst vor dem Tod. Erst
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wenn sie ein Sturm packt oder ihre Lebensflamme erlö-
schen will, denken sie daran, daß es Mächte gibt, die ihnen
überlegen sind, und höhere Götter als sie selber. Am Tag
stört sie der Gedanke an den Tod und hält sie nur von ihren
seltsamen Genüssen und Freuden ab. Die Weißen Barba-
ren wissen, daß sie ihrem Gott nicht -geiallen und daß sie
sich vor Scham in den sand werfen müßten. Denn nichts
als Haß und Gier und Feindschalt erfüllt sie. Ihre Herzen
sind ein großer spitzer Haken, statt ein Licht zu sein, das
die Dunkelheit iorttut und alles erleuchtet und erwärmt.
Deshalb müssen wir kämpfen, so wie es in der Chronik
niedergeschrieben steht:
Alle waren sie beisammen, die Stämme der Auser-
wählten Diener und die Verbündeten Völker, alle
kleinen und alle großen stämme. Am gleichen Ort
befanden sie sich. Am gleichen Platz warteten sie ani
den Bcschluß des Hohen Rate-s- Demütig standen sie
da, nachdem sie unter Leiden hierher gelangt waren.
Und der Hohepriester sprach : Was haben wir getan,
daß uns die Weißen Barbaren wie Tiere verfolgen
und in unser Land einbrechen wie der Jaguar auf der
Jagd. Zu einem traurigen Ziel sind wir gelangt. Wenn
doch die sonne scheinen wollte, die uns den Frieden
bringt, so sprach der Hohepriester. In Trübsal und
Not, unter Seufzern und Tränen sprach er. Denn der
Hohe Rat wollte den Krieg beschließen, den letzten
in der Geschichte des Auserwählten Volkes.
Mit dem Abbruch der Verbindung zu Deutschland im
Jahre Ii 416, I94j in der Zeitrechnung der Weißen Barba-
ren, zerbrach der Traum von der Wiederaufrichtung des
alten Imperiums. Die Ugha Mongulala waren wieder auf
sich allein gestellt. Zwar verfügten sie zum ersten Mal über
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starke Waffen. 2000 kriegsgewohnte Deutsche Soldaten
waren bereit, mit ihnen zu kämpfen. Aber der Hohe Rat
hatte auf die Ankunft neuer, stärkerer Truppen an der
Ostküste Brasiliens gehofft, um die Weißen Barbaien von
zwei Seiten gleichzeitig anzugreifen. Diesen Plan mußte
Akakor nach der Niederlage des verbündeten Volkes auf-
geben, sinkaia rief das an der Ostgrenze ,,ersammelte Heer
in die Hauptstadt zurück.
Zu dieser Zeit begann auch die Eingliederung der iooo
Deutschen soldaten in das Auserwählte Volk. Das war eine
schwere Aufgabe. Die Verbündeten kannten weder das
Vermächtnis der Götter noch unsere Sprache und unsere
Schrift. Um den Zusammenschluß zu erleichtern, verein-
fachten die Priester die schriitsymbole der Altväter. Für
jeden Buchstaben in der schrift der Deutschen soldaten
setzten sie ein einzelnes Zeichen. In diesen für beide Völker
verständlichen Zeichen schrieben sie von jetzt an die Chro-
nik von Akakor. In ihre Sprache übernahmen die Ugha
Mongulala die Wörter der Deutschen Soliraten für die uns
unbekannten Geräte. Außerdem lernten sie auch Wörter,
die eine Tätigkeit ausdrücken, wie machen, laufen oder
bauen. Bald verständigten sich die Deutschen soldaten und
iiie Ugha Mongulala in einer aus Deutsch und Chechua zu-
sammengesetzten Mischsprache. Ein großes Hindernis für
die Aufnahme der Deutschen Soldaten in mein Volk wär
überwunden, jetzt konnten sie die Priesterschalen besu-
chen und das Vermächtnis der Götter erlernen. Da iiie
Deutschen Soldaten kampferprobte Krieger waren, iiber-
trug ihnen der Hohe Rat wichtige Aufgaben in Iler verwal-
tuiig des Reiches. Zwei ihrer höchsten Antiihrer iibernili-
men öäs Amt ries Feldherrn. Fünf weitere wurden in öie
versamnilung der Ältesten des volkes berufen. sie waren
stimmberechtigt und konnten die Entscheidungen mit be-
einflussen. Nur das Amt des Fürsten und des Hohepiie-
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sters blieben ausdrücklich den Ugha Mongulala vorbehai-
ten.
So sprach der Hohepriester zu den Verbuntfeten:
Seid nicht betrübt, daß ihr eure Brü(ler nicht rtiehr
seht. Jene habt ihr für immer verloren. Auf ewig ha-
ben euch die Götter,on ihnen getrennt. Aber seid
nicht mutlos. Seid stark. Lallt uns (las Schicksal ge-
meinsam versuchen. Hier sind wir, eure neuen Brü-
der. Gemeinsam wollen wir den Altvätern dienen. -
Und die Deutschen Soldaten gingen an die Arbeit.
Um vordem Angesicht der Götter zu bestehen, nah-
men sie ihr Werkzeug auf. Die gleiche Arbeit ver-
richteten sie wie das Auserwählte Volk.
Die Gegenwart der Deutschen Soldaten in Akakor ver-
änderte das Leben der Ugha Mongulala. Mit ihren geheim -
nisvollen Geräten errichteten sie feste Häuser aus Holz- Sie
fertigten Tische, Stühle und Betten an und verbesserten den
Webstuhl der Goten. Die Frauen lehrten sie die Herstel-
lung neuer Gewänder, die den ganzen Körper umschlie-
ßen. Den Männern zeigten sie den Gebrauch ihrer Waffen
und die Aushebung von Schutzräumen unter der Erde. Um
auch in Notzeiten genügend Nahrungsmittel zu haben, ro-
deten sie das Dickicht in den Tälern und pflanzten Mais
und Kartoffeln. Im Hochgebirge hielten sie große Herden
von Berglämmern gefangen. So war die Versorgung von
Fleisch und 1Volle gesichert. Die größte Neuerung der
VerbünLleten war jedoch die Herstellung eines geheimnis-
,,ollen Aul,ers aus Stein und grünem Sand. Schon eine
kleine Menge Lla,,on genügte zur Zerstörung eitles ganzen
Hauses. Die Deutschen Soldaten vervendeten das
Schwarzpulver, wie sie das Gemisch nannten, für ihre
ivaffen. Die unsichtbaren Pfeile gewannen sie aus glühen-
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dem Eisen. Sie gossen es über ein Sieb in einen Trog tritt
kaltem N7asser. Beim Eintauchen bildeten sich runde Ku-
geln, die unsichtbaren Pfeile ihrer Gewehre.
Je länger Jie Deutschen Soldaten in Akakor lebten, um
so mehr gliederten sie sich in die Gemeinschaft meines
volkes ein. Sie grünJeten eigene Familien und gaben ihren
Söhnen Ll ie Namen wilder Tiere, starker Baunie, reillender
Flüsse und hoher Berge, nach dem Beispiel der Auserwähl-
teii Stärirre, sie leisteten Kriegsdienst, verrichteten die
Feldarbeit und lebten nach Ller Ordnung Lhasas. Es sLhien,
als würden sie ihre Heimat bald vergessen. Aber wie der
Jaguar, der immer wieder in seine jagdgebiete zurück-
kehrt, kamen sie von der Erinnerung an Deutschland nicht
los. Am Ende jedes Mondes trafen sie sich am Akai zu ei-
nem Fest, sangen sie Lieder ihres Volkes und tranken ge-
gorenen Maissaft. Ihre Anführer spielten Schach. So nann-
ten die Deutschen Soldaten ein Spiel auf einem bemalten
Brett mit Figuren aus Holz. Dann kehrten sie nach Akakor
zurück und lebten wieder mit ihren Familien.
KRIEGE IN PERU
Im jähre 12 444, 1963 in der Zeitrechnung der Weißeii
Barbaren, setzte im Westen ein neuer Vorstoß Weiller
Siedler ein. Sie hatten die Zugänge zu den versteckten
Goldminen der Inkas entdeckt und begannen, sie aiiszu-
rauben. Die Nachricht von den Goldfunden lockte immer
größere Horden Weißer Barbaren in das Gebiet des Akai.
Die Spalier mußten fliehen. Der Hohe Rat sah sich vor eine
schwere Eiltscheidung gestellt. Er konnte die letzten Ge-
biete an den Osthängen (ler Anilen aufgeben oder Llen
Kriegern iler Ugha Moiigulala den Kampf befehlen. Auf
Drängen Ller Deutschen soldateii eiitscliloß er sicli zum
Kampf.
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Über die jetzt einsetzende Auseinandersetzung mit den
Weißen Barbaren weiß ich ausführlich zu berichten. Als
dem Sohn des Fürsten Sinkaia übertrug mir der Hohe Rat
den Oberbefehl über die Truppen der Ugha Mongulala.
Ein Deutscher Feldherr begleitete mich auf dem Feldzug.
In schnellen Märschen drangen meine Krieger über den
Roten Fluß tief in die Grenzprovinz von Peru ein. Sie trie-
ben die Weißen Barbaren zurück und zerstörten die Gold-
minen der Inkas. In panischem Schrecken flohen unsere
Feinde aus den eroberten Gebieten. Aber der anfängliche
Erfolg meiner Krieger war jäh zu Ende, als ein Heer Wei-
ßer Soldaten zum Gegenangriff überging. Nur ein rascher
Rückzug rettete uns vor der vollständigen Vernichtung.
Die nachstoßenßen Weißen Barbaren überfielen die Sied-
lungen des VerÜündeten Stammes der Großen Stimme. Sie
töteten Frauen und Kinder und versklavten die gefangenen
Männer. Die Entdeckung Akakors schien unvermeidlich.
In höchster Not beschloß der Hohe Rat den Einsatz der
Waffen der Deutschen Soldaten.
Und zum ersten Mal trafen die Weißen Barbaren auf ei-
nen ebenbürtigen Gegner. In einem raschen Gegenstoß
vernichteten meine Krieger die Vorhut der Weißen Solda-
ten Lind schlossen ihre Hauptmacht in der Grenzfestung
ein, die man Malöonado nennt. Dann begann die Belage-
rung. Drei Tage lang verwirrten unsere großen Kriegs-
trommeln den Feind. Drei Tage lang versetzten sie ihn in
Angst und Schrecken. Am frühen Morgen des vierten Ta-
ges gab ich den Befehl zum Angriff, wir brachen aus unse-
ren verstecken her,>or, überkletterten die Mauern und
([rangen unter läutem Kriegsgeschrei in die Festung ein.
Ein erbitterter Kampf begann, (ier mit der völligen Nie-
derlage unserer Feifiöe endete. Als iiie Hilfstruppen der
Weißen Barbaren eintrafen, befanLlen sich 1lleine Krieger
schon längst ani deil1Riickzug. Mit diesem gläiizenden sieg
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begann an der Westgrenze ries Reiches ein blutiger Klein-
krieg, der bis heute andauert. Obwohl die Weißen Barba-
ren ein gewaltiges Heer aufgestellt haben, ist ihnen ein
Vorstoi nach Akakor nicht gelungen. Ihre Soldaten wur-
den von unseren Kriegern immer wieder zurückgetrieben
oder getötet. Aber auch mein Volk hat in diesen Kämpfen
schwere Verluste erlitten. Zahllose Männer verloren ihr
Leben. Mehr als die Hälfte des fruchtbaren Gebiets an Lien
Osthängen der Anden ist zerstört. Unsere letzten Verbün-
deten Stämme haben das Vertrauen in die Stärke des Aus-
erwählten Volkes verloren und wenden sich von uns ab.
Was wird sein? Hungrig waren die Auserwählten
Stämme. Das Gras der Felder aßen sie. Die Rinde der
Bäume diente ihnen als Nahrung. Arm waren sie.
Nichts mehr besaßen sie. Nur Felle der Tiere waren
ihre Bekleidung. Aber die Weißen Barbaren ließen
ihnen keine Ruhe. Ohne Erbarmen drangen sie vor.
Blutig schlugen sie die Krieger. Von der Erde vertil-
gen wollten sie das Auserwählte Volk.
DIE ZWÖLF FELDHERREN DER WEISSEN BARBAREN
Während der Kämpfe gegen Llie Goldsucher und die
Weißen Siedler blieb es ander Grenze im Osten ruhig. Seit
dem Rückzug der Gummisucher beschränkten sich die
Weißen Barbaren auf gelegentliche Vorstöße entlang ries
Roten Flusses. Weiter vorzudringen wagten sie nicht, Ia
sie Inder Lianenwildnis (ier Anden böse Geister vermute-
ten. So blieben die Ugha Mongulala unbehelligt, geschiit2t
durch den Abergläuben der Weißen Barbaren.
Erst im Jahre 12 449, 1968 in der Zeitrechnung Lier wei-
len Barbaren, wurde (ier Friede gestört. Ein Fliigzeiig - in
der Sprache der Deutschen Soldaten - war ani ObeilJiii Äes
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Roten Flusses abgestürzt. Der in diesem Gebiet lebende
Verbündete Stamm der Schwarzen Herzen nahm die
Überlebenden gefangen und benachrichtigte Akaknr. sin-
kaia, der Fürst der Ugha Mongulala, befahl mir, die Wei-
ßen Barbaren zu töten. Aber ich führte seinen Befehl nicht
aus. Um den Frieden an der Ostgrenze nicht zu gefährden,
gab ich ihnen die Freiheit und geleitete sie bis zu ihrer Stadt
am Großen Fluß, die man Manaus nennt. Damit verstieß
ich gegen die ausdrückliche Anordnung meines Vaters und
hätte den Tod verdient. Doch wer sollte mich bestrafen?
Die Ugha Mongiilala waren des ewigen Krieges müde. Sie
sehnten sich nach Frieden.
Die Zeit in Manaus werde ich niemals vergessen. Zum
ersten Mal sah ich, was die Städte der Weißen Barbaren von
den Siedlungen meines Volkes unterscheidet, Aul den
Straßenherrscht ein Eilen, Hasten und Rennen von unzäh-
ligen Menschen. Mit seltsamen Gefährten, die sie Autos
nennen, jagen sie durch die Stadt, als hätte sie der Böse
Geist gepackt. Die Autos machen einen schrecklichen Lärm
und verbreiten üble Gerüche. Die Wohnstätten der Wei-
ßen Barbaren sind zehnmal, zwanzigmal höher als die
Häuser, die mein Volk baut. Trotzdem besitzt jede Familie
nur einen kleinen Teil, wo sie ihre Habe und ihren Reich-
tum anhäuft. Alle diese Sachen und Dinge bekommt man
an bestimmten, dafür vorgesehenen Plätzen. Aber man
kann sich nicht einfach nehmen, wonach man ein Bedürfnis
hat. Nein, für alles das muß man ein kleines Blatt Papier
hingeben, dem die Weißen Barbaren einen großen Wert
beimessen. Sie nennen es Geld. Je mehr Geld einer hat, de-
sto angesehener ist er. Das Geld macht ihn mächtig und er-
hebt ihn wie einen Gott über den anderen. Das führt dazu,
daß einer den anderen betrügen Lind ausnützen möchte. So
ist das Herz der Weißen Barbaren von ständiger Nieder-
tracht erfüllt, selbst gegenüber dem eigenen Bruder.
i SS
Die Stadt der Weißen Barbaren ist für den Ugha Mon-
gulala etwas Unbegreifliches. Sie ist wie der Hügel der
Ameisen, geschäftig den ganzen Tag und die ganze Nacht.
Sobald (lie Sonne ihren Weg beendet hat und hinter den
Hügeln im Westen verschwunden ist, erleuchten die Wei-
ßen Barbaren die Straßen und Häuser mit Lampen, so daß
sie so hell sind wie am Tage. Angezogen von den glitzern-
den Lichtern, gehen sie in große Säle, wo sie die seltsamsten
Getränke zu sich nehmen. Nur auf diese Weise können sie
[roh, heiter und ausgelassen sein. Andere sitzen in dunklen
Räumen vor einer weißen Wand und starren mit weit auf-
gerissenen Augen auf lebende Bilder. Wieder andere stehen
vor Kästen, die in die Häuser eingelassen sind und bewun-
dern die Dinge und Sachen, die vor ihnen liegen.
Ich verstehe die Weißen Barbaren nicht. Sie leben in ei-
ner Welt des Scheins und des Trugs. Um die Zeit des Tages
zu verlängern, töten sie mit ihren Lampen die Nacht, so
daß kein Baum, keine Pflanze, kein Tier und kein Stein zu
seiner verdienten Ruhe kommt. Sie arbeiten unermüdlich
wie die Ameise an ihrer Festung, und doch seufzen und
stöhnen sie, als erdrücke sie eine Bürde. Sie denken wohl
fröhlich, aber lachen nicht dabei. Sie denken wohl traurig,
aber weinen auch nicht. Es sind Menschen, deren Sinne in
Feindschaft leben mit dem Geist und die in zwei Teile zer-
fallen.
In Manaus erfuhr ich auch, daß meine ehemaligen Ge-
iangenen hohe Feldherren waren. Sie zeigten sich dankbar
irr ihre Rettung und gaben mir als besondere Auszeich-
nung meinen zweiten Namen: Nara. Tatunca, mein erster
Name, bedeutet Große Wassersolilange. Diesen Nänien
trage ich seit meinem Sieg über das gefährlichste Tier ani
Großen Fluß. Nara heißt in der Sprache meines Volkes : ich
weiß nicht. Das war meine Antwort auf die Frage der Wei-
ßen Feldherren nach dem Namen meiner Familie. So eiit-
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stand Tatunca Nora - Grote Wasserschlange Ich Weiß
NlCl1t.
Ich blieb nur kurze Zeit in der stallt der Weißen Barba-
ren. Kaum einen Mond nach meiner Ankunft überbrachte
mir ein Späher der Schwarzen Herzen eine Nachricht aus
Akakor. Im Kampf mit Soldaten der Weißen Barbaren war
mein Vater, Fürst sinkaia, schwer verwundet worden. Er
befahl m eine sofortige Rückkehr, ich trennte mich von den
Weißen Feldherren und erreichte zu Beginn der Regenzeit
des Jahres 11449 das Stammesgebiet meines Volkes. We-
nige Tage später erlag mein Vater seinen Verletzungen. Die
Ugha Mongulala waren ohne Anführer, so wie es in der
Chronik niedergeschrieben steht:
Gestorben war Sinkdia, der rechtmäßige Nachfolger
des Erhabenen Göttersohns Lhasa. Und bitterlich
beweinten ihn die Auserwählten Krieger. Die Licht-
klage stimmten sie an, denn verlassen hatte sie sin-
kaia, der Fürst aller Fürsten. Kein Verbrechen hatte
er begangen und nicht Unrecht gesetzt an die Stelle
von Recht. Einwürdiger Nachfolgerwar er gewesen,
wie er hatte geherrscht, wenn der Wind vom Süden
kam, wenn der Wind vom Norden kam, wenn der
Wind kam vom Westen und vom Osten. Und so ging
sinkaia in das Zweite Leben ein. Begleitet von den
Klageliedern seines Volkes, stieg er am östlichen
Himmel auf.
DER NEUE FURST
Drei Tage nach seinem Toll w<urLle Sinkdia, der recht-
mäßige Fürst der Auserwählten Diener, iiii Grollen Tem-
pel der Sonne in Unterakakor beigesetzt. Die Pries [er tru-
gen seinen mit Gold und juwelen geschmückten Leichnaim
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Zuller Grabnische, die er mit eigenen Händen in den Felsen
geschlagen hatte, und mauerten ihn ein. Dann sprach der
Hohepriester in Anwesenheit der engsten Vertrauten des
Fürsten die vorgeschriebenen Worte:
Götter des Himmels und der Erde, die ihr des Men-
schen Schicksal bestimmt und regiert. Götter der
Dauer und der Ewigkeit. Der Ewigkeit Fürsten.
Hört denn mein Flehen: Nehmt ihn auf in euer
Reich, seine Taten vergesset nicht, die Taten tl es gro-
ßen Fürsten sinkaia. Denn sein Leben kehrt zu euch
Göttern zurück. Euren Befehlen gehorcht es jetzt.
Niemals wird es euch verlassen. Mit euch wird es
weiterbestehen, in den Reichen der Ewigkeit, in den
Reichen des Lichts.
Während der Beisetzung sinkaias standen unheilvolle
Zeichen am Himmel. Die Krieger der Ugha Mongulala er-
litten schwere Niederlagen. Der Verbündete stamm der
Schlangenesser sagte sich von. Akakor los und lief zu den
Weißen Barbaren über. Die Regenzeit brach mit einer Ge-
walt herein, die selbst den Ältesten des Volkes unbekannt
war. Bei den Auserwählten Stämmen verbreiteten sich
Verzweiflung und Furcht. Unter diesen Vorzeichen trat
der Hohe Rat zusammen, um den neuen Fürsten und
rechtmäßigen Herrscher über die Ugha Mongulala zu be-
stimmen. Gemäß dem Vermächtnis der Götter rief er mich
in den Thronsaal der unterirdischen Wohnstätten und be-
iragte mich drei Tage und drei Nächte lang über die Ge-
schichte der Auserwählten Stämme. Dann geleitete mich
der Hohepriester in die geheimen Bezirke von Unteraka-
kor. jetzt lag mein Schicksal in den Händen der Götter.
Ich betrat die geheimen Tempelbezirke am frühen Mor-
gen kurz nach Sonnenaufgang. In das goldglänzende Ge-
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wand Lhasas gehüllt, stieg ich eine breite Steintreppe
hifiab. Sie führte mich in einen Raum, von dem ich nicht
sagen kann, ob er groß oder klein u,ar. Die Decken und
Wände waren von einer bläulichen, unendlichen Farbe. Sie
hatten weder Anfang noch Ende. Auf einem behauenen
Steinquader lagen Brot und eine Schale mit Wasser, die
Zeichen von Leben und ToLl. Nach den Weisungen öes
Hohepriesters kniete ich nieder, aß von dein Brot und
trank von dem Wasser. Eine tiefe Ruhe lag über dem
Raum. Plötzlich befahl mir eine Stimme, die von überall
herzukommen schien, mich zu erheben und in den näch-
sten Raum zu gehen. Er glich dem Tempel der Sonne. Seine
wände waren mit vielerlei seltsamen Geräten bedeckt. Sie
blitzten und leuchteten in allen Farben. Drei große, in den
Boden eingelassene Platten glühten wie Eisen.'Lange Zeit
betrachtete ich mit großem Erstaunen die fremden Geräte.
Dann vernahm ich erneut die geheimnisvolle Stimme. Sie
führte mich noch weiter und noch tiefer in einen dritten
Raum. Sein gleillendes Licht blendete meine Augen so
sehr, daß ich erst nach langer Zeit erkannte, was ich niemals
vergessen werde. In der Mitte des Raumes, aus dessen
Wänden das geheimnisvolle Licht kam, standen vier Blöcke
aus einem durchsichtigen Stein. Als ich mich ihnen in aller
Ehrfurcht näherte, erkannte ich in ihnen vier geheimnis-
volle Wesen. Vier lebende Tote. Vier schlafende Menschen.
Es waren drei Männer und eine Frau. Sie lagen in einer
Flüssigkeit, die sie bis zur Brust bedeckte. In allem glichen
sieden Menschen. Nur hatten sie sechs Finger und sechs
Fußzehen.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie lange ich bei den
schlafenden Göttern geblieben bin. Ich weiß nur, daß mich
die gleiche Stimme in den ersten Raum zurückrief. Sie gab
mir weise Ratschläge und enthüllte mir die Zukunft der
Auserwählten Stämme. Aber die Stimme verbot mir, je-
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mals darüber zu sprechen, Bei meiner Rückkehr aus duff
geheimen Tempelbezirken nach dreizehn Tagen begrtillte
mich der Hohepriester als neuen rechtmäßigen Fürst öer
Ugha Mongulala. Das Volk brach in Jubel aus. Ich hatte die
Prüfung der Götter bestanden. Dennoch vermochte mich
öie Begeisterung der Auserwählten Diener kaum zu be-
rühren. Zu tief &i>Jr ich von clefi geheimnisvollen Lebewe-
sen beeindruckt. Lebten sie, oder waren sie tot?'Varen es
die Götter? Wer hatte sie hier niedergelegt? Auch der Ho-
hepriester wullte keine Antwort. Die geheimen Tempelbe-
zirke von Unterakakor enthalten das Wissen und Llie
Weisheit der Altväter. Sie haben uns nur einen Teil ihres
Vermächtnisses übergeben. Die let?te Wahrheit, das ei-
gentliche Geheimnis ihres Lebens, haben sie bewahrt.
Das waren die Götter. Vernunft besaßen sie, Wissen
und Weitblick zugleich. Wenn sie schauten, sahen sie
alles, jedes Staubkorn auf der Erde und am Himmel,
selbst die lernverborgenen Dinge sahen sie. Die Zu-
kunft war ihnen bekannt. Und nach diesem Wissen
planten sie. Vorausblickend in Nacht und Dunkel-
heit, behüteten sie das Schicksal der Menschen.
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