Inhalt von Teil II
X Besäufnis mit Marx
XI Rumänienkrank zurück aus dem Exil
XII Rede anläßlich der Aufnahme eines östlichen Landes in Europa
XII Hasse deinen Nächsten wie dich selbst
XIII
X
EIN BESÄUFNIS MIT MAX
Ana Blandiana (Rolf-Frieder Marmont)
Würmer auf Wanderschaft
Würmer auf Wanderschaft, geflügelt und auf Rädern,
Würmer, denen man anwies
einen neueren,
zeitgemäßeren Friedhof;
Wogen von Würmern,
alte Leichen, umgebettet
in die windigere Ewigkeit
einer verweltlichten Hölle;
Wogen von Würmern
unterwegs in neue Gräber,
Würmer auf der Reise
zum jenseitigen Tag,
im künftigen Teich werden die Fische
entschlossener lernen, Würmer zu sein.
Cálin Vlasie Gerhardt Csejka
Straßenbahnen
Straßenbahnen von gestern
auf Straßen von gestern
mit Menschen von gestern
Ein neuer Film
Mircea Dinescu (Werner Söllner)
Ein Besäufnis mit Marx
Marx, mon vieux, hierzulande
würde man dich schleunigst halbieren
und umerziehn. Sogar daß die östlichen Kühe, die früher
neben der Bahnlinie grasten, sich einbilden, eine Art
Lokomotiven zu sein, und keine Milch mehr geben, wird
dir angelastet.
Besser, die Stadt fällt den Krämern zu,
damit der Markt nicht mehr so nach Rhetorik stinkt,
besser, die Bierbrauer kommen, die Pastramihändler und Käser
mit der Dialektik von gegorener Gerste
und von gestockter Milch.
Einstweilen aber würden die Bauern am liebsten
grüne Tintenfische aus dem Haar der Punker mähn,
einstweilen berauschen sich die neuen Philosophen
an der Idee, sie könnten mit dir polemisieren -
wo du doch mausetot bist.
Sie haben nicht den Riecher für die Hefe,
die brodelt, die die Gesellschaft aufbläst,
die die Destille anwirft, in der Cohn-Bendit
mit Anstand zum Dezernenten kondensiert.
Auch ich habe nicht die geringste Idee, was für Waffen
man bräuchte für diese Revolte, auch ich verlasse,
wie die Schnecke ihr Haus, Syntax und Logik
und träume von jener merkwürdigen Krankheit,
die dazu führt, daß man sich an einem Bissen
Brot besäuft.
Nimm und probier.
Wir sind auf dem richtigen Weg:
Auch in Deutschland gehen die Uhren verkehrt.
Mircea Dinescu
O betie cu Marx
Bátrîne Marx tu pe-aceste meleaguri
ai fi degrabä bärbierit si trimis la reeducare.
Pinä si faptul cä vacile estice care-au päscut pe lingä linia feratä
se cred vagoane de locomotivä si nu mai dau lapte
ti se pune tot tie in circä. t
Bine-ar fi săcadăorasul pe mîna negustorilor
sä nu mai putä piata atît a retoricä,
sä vinä berarii, pastramagii, läptarii
cu dialectica orzului fermentat
si-a brinzei inchegate.
Deocamdatä täranul ar cam iesi la cosit sepia verde din pärul punkistilor
deocamadatä, bänuind cä esti mort,
noii filosofi se imbatä cu ideea cä polemizeazăcu tine.
N-au nas sä simtä cum colcäie drojdia
ce umflä societatea
si pune in functiune alambicul
prin care Cohn Bendit s-a condensat într-un primar cumsecade.
In fond chiar si eu care sînt un ins banal
(nici homosexual nici evreu)
ies ca limaxul din sintaxä si logicä
si visez acea boala ciudatä de stomac
din pricina cäreia te poti îmbäta cu o bucatä de pîine.
Ia si gustä.
Sîntem pe drumul cel bun:
in Germania ceasurile au început sä meargä anapoda.
Mircea Dinescu (Werner Söllner)
Logbuch
Leuchtturmkrank im Koben des Balkan,
wo das Meer sogar im Klo der Bodega plätschert -
hier kannst du dir aus einem Zaunbrett
ein Schiff zimmern, eine Mütze voll Kürbiskerne
und du wirst zum Kaufmann.
Ein Hunderter reicht für neue Papiere
(türkisch oder griechisch, du kannst wählen):
Ibrahim, Kazaluki oder Jannis - deinen Namen erfährst du erst
auf dem offenen Meer.
Grüß schön! Europa
ist auf dem anderen Schiff.
Das Grammophon im Hafen leckt den Schaum auf
Der Tag gleitet über die Klinge
und schneidet sich nicht.
Micea Dinescu kap
Die Rückkehr der Babaren
Gegen Abend
wenn die Barbaren aus dem Westen zurückkehren,
rittlings auf Begriffen, als Abgesandte
großer Salamifabriken, frag sie
nicht weiter nach Pferden, sondern
lösch das Feuer
nimm Glut in den Mund
füll dein Gedächtnis mit Asche
und geh mit deiner Trompete ins Himalaya -
bau dort Lawinen an
oder wechsle dein Geschlecht, den Namen, den Lebensraum
misch dich unter die Gänse gackere, hau ab
mach schnell Profit
spiele den Eskimo
wenn der grüne Nerv des antarktischen Eises
sich langsam entspannt, und halte um die Hand
der rundlichen, lüsternen Seehündin an,
leck den Honig von den Fingern des Bundesverwalters
oder steh ganz einfach demütig da
und hör zu, was die Lokomotive brüllt
und ohne Hebamme auf dem Feld
eine Spur kleiner, funkelnder Lebewesen gebiert
Werner Söllner
Mircea Dinescu
Peinliche Moritat vom gescheiterten Selbstmörder
Anno siebenundvierzig Hunger und Kälte
fast wär ich da geboren worden
aber meine Mutter brachte lächelnd
meinen Bruder zur Welt, den Blinden.
Fast hätt ich Maulbeeren gegessen
aber Wind kam auf und sie fielen
in Nachbars Garten
Der Krieg war kälter als das Bier
Fast wär ich in ein Mädchen geschlüpft
aber ein anderer hat es geschafft
mit Vorfahrt von rechts.
Als ich zum Wettkampf antrat
allein, wurde ich Zweiter.
Als ich mich in die Seine warf, begann ich, wie
peinlich, zu schwimmen.
Werner Söllner
Marta Petreu (Ernest Wichner)
Dies Jahrhundert
Oho. Welch stolzer Bau, welch künftig Reich
auf Erden
hier und jetzt, ja, hier in nächster Nähe
so daß man's mit dem Finger berühren kann
und auf die Wunde sich legen.
Eine Zigarette brennt so lange sie brennt
und verlischt im Aschenbecher.
Die Blinden lauschen ihren Schritten.
Die Wölfe, die Wölfe, die Wölfe.
Welch Zartheit, Herr, welch Zartheit voller Wunden
und voll stockenden Bluts.
Welch hohe Berge, welch teure Utopien
verfinstern uns die Sicht.
Was hat dieses Jahrhundert für stinkende Eingeweide.
Ich bin müde, müde bin ich letzte
Kreatur der Schöpfung, letzte Utopie von Gott
schlag mit den Händen, den Füßen
zetere in epileptischem Zucken - den Spasmen der Gattung
letal, gewiß.
Ich bin müde
fürchte mich im Dunkeln vor dem morgigen Tag
erbebe vor meinem Schatten
applaudiere den Katastrophen, dem vergossenen Blut
wie ich dem weißen Leintuch Beifall klatschte
erblühte es denn mit feurigem Mohn
beim Tanze der Braut.
Und jenes menschliche Hirn, das rosafarben
ausruht auf den Trottoirs der Stadt.
Müde bin ich, Herr, bin euphorisch, für immer besiegt
begehe Vertrauensbruch nach rechts und nach links
seh' mit der Lupe dein Auge mir an
dein Auge, ja, mit der schwarzen Iris
ja, einäugig bist du wie Polyphem, der Griechenfresser
und ein Hörrohr, ein einziges Hörrohr hältst du dir
an dein einziges Ohr um unsern Lärm zu vernehmen.
Engel
blinder Engel, taubstummer Engel, schwachsinniger
mach den Mund auf
mach endlich dein Maul auf
und rede
drisch deine Phrasen
urteile
verurteile mich.
Carmen Firan (Dieter Schlesak)
In den Ruinen dieses Hauses , träumend
jetzt wenn meine Augen schwächer werden
kann ich endlich mit dir sprechen
über die Erniedrigten, über die Heruntergekommenen
und das Verfaulen zwischen den Ruinen
was bleibt als Rest des Lebens?
auch Worte sind Nichts
als invalide Laute
Klingen in einer Art fremden Sprache
und der Frost ist ein Haus wo ich Schweigen lerne
und den Eindruck von Weisheit erwecke
Nichts vergeht so mit den Jahren
ich sterbe auch weiter mehrmals am Tage
nur ist es jetzt schwerer
da niemand kommt um mich zu hören
ich habe Sehnsucht nach mir, jene, aus deiner Welt
meine Träume sind schwarz
alles was ich lerne ist um es zu vergessen
ich träume von Unsicherheit und von Lügen
alles was ich anfasse ist nicht mehr lebendig
mein Atem vereist deine Wangen
und wäre es nicht spät
wär es noch fremder
Dumitru Chioaru (Dieter Schlesak)
Eine schöne Lüge
Freie Fahrt über die Lügenbrücke für jene die einmal mächtig waren und jene die überhaupt einmal waren
auch mein Körper mit den zwei Schatten Nichts als eine schöne Lüge die schönste Lüge eingetaucht in den Strahlen Schein des Sonnen Untergangs aufgesogen scheint er von Abendfenstern ein einziger scheint in vielen Gesichtern irrend durch endlose Tunnels
aus den Augen des Nächsten von der Gegenfahrbahn - jedes Wort erfindet die größere Entfernung nur jenes aus einem himmlischen Mittag läßt diese Brücke zwischen uns herab eng geführt daß wir einer durch den andern streifen können Verpackungen der Einsamkeiten treffen (Lüge auf Lüge wie mit Tod auf den Tod zu treten) so übertritt eine Generation in Europa schneller als völkerwandernd die andere: ein Angriff der neuesten Barbaren.
Ion Radu Vácárescu (Dieter Schlesak)
Leere, die brennt
Schwer heilen die tiefen Wunden oder leicht bringen sie dich unter die Erde mit ihnen bleibst du immer in der Nacht während rosigmollige Engel verschwinden in der Kulisse aus Leinwand und Karton der starre Blick der Dinge schmerzt wenn sie dastehn und verstaubt
in einem vertrockneten Halbschatten an der Decke arbeiten die Spinnen ihr Miniaturschweigen aus und auf dem Tisch warten Bücher und weiße Blätter der Kerzenstumpf flackert und verlöscht auch du
bist gefangen in deiner unheilbaren Wunde Werk
der Worte die dich noch halten auf des Messers Schneide:
Leben. Nichts weiter ist ihnen möglich als abzuzeichnen
eine Absenz Leere die brennt.
Alexandru Musina (Dieter Schlesak)
Im Park
Es trifft ein Sonnenstrahl den goldenen Füllfederhalter,
Das Heft, die Zeitschrift, diese Parkbank,
Und dann meine Haut voller Narben!
Explodierte das Hirn, wen würde es heut etwas scheren?
Und würden die Neuronen zerrieben, das Gesicht
Verzerrt von Zuckungen, was, bitte, würde es
Nützen, kümmerte es jemanden? Niemanden soll´s kümmern!
So kommt doch, daß wir uns belügen!
Auch weiter fröhlich, daß die Zeit vergeht.
Die Ohren zu. Die Augen fest geschlossen!
Kommt, sterben wir! Gemeinsam.
Wir, die Verbrauchten, dreckig, depressiv.
Es starben viele Milliarden. Wen kümmert´s heute noch!
Und wär´s ein Ictus: lähmte mich ein Schlag,
Mitten im Park, den Füller in der Hand.
So weint nicht. Lacht nicht. Zuckt nur
Mit der Schulter, geht weiter, ruhig. Nur du,
Frau Sonne, Strahl, vergiß mich nie, erwärme
Die versteinte Haut.
Rodica
(Dieter Schlesak)
In richtung perfektion
Text mit kurbel und schmetterlingen
3. ich habe mich auf den mauern
der geburtsklinik schreibend vermehrt
( versucht eine anamnese ohne die
liebsten sauereien laut auszu-
sprechen/ vorsicht: courage!)
jeder bestand teil meines körpers war
und war auch nicht vorgesehen
mit langen finger nägeln die gingen
und drangen durch
KOMM und
j MICHriefen mir die aus den spiegeln zu
( über diesem haben sie sich zu gleichen
teilen in große gesten der geburt verwandelt)
als ich 30 jahre alt war - abzüglich 30
schrieb ich gedichte/ mein schreibzeug: die tat
(niemand konnte mich nachahmen
sie wischten sich die stirn mit der schneide)
Alexandru Musina (Dieter Schlesak)
Tomographie
Brief an Mircea M.
ein leichtes verwelken der haut und der plural der nötigen höflichkeit
zu enge kleider in denen wir uns
voller eleganz bewegen weder ein unfreiwilliges schulter-
zucken noch eine lässige juvenile geste mit der hand
sind wir eingegraben in flaschenpyramiden oder umwickelt
mit leukoplastbandagen um uns so von zeit zu
zeit zuzulächeln voller mißtrauen und sympathie gewinner
freilich sind wir keine doch auch keine wirklichen
versager zwei verlorene intellektuelle im
papualand im hinterland in einer skatophagie hier
wo schnelle und fettige alte noch bevor sie geboren wurden
zu allem fähig sind um etwas zu erreichen
so laut wie nur möglich zu schreien zu saufen und die
gefälligkeiten teilen zu können zwei abkömmlinge
zwei diskret verwelkte sprößlinge freunde der bücher
weiße alexandrinische statuen im schlamm suchend
söhne und enkel von schafhirten die das beizeiten
untergegangene imperium noch gut erinnern um uns der freiheit
zu übergeben frei und allein gelassen in dieser tristolitania in
der leckdieblechschüsselei in genuflexia und doinamaismehlia
in polentia und poluentia regina der künste und unseres
herzens freilich von wo die sonne für uns alle aufging und von
wo uns mehr und mehr aufgeht eine greisige und vertrocknete
zitterhand alles was noch von dem phantom blieb
gebraucht und verbracht uns von jenen steppenmenschen den
guten und verblödeten den so großherzigen und voller naiver
grausamkeit zeigend und drohend zeigefingerzeigend
und drohend drohend...
Cálin Vlasie (Gerhardt Csejka)
Traumzeit
Ich lebe in einem Traum aus dem ich nicht erwachen kann
Sogar in diesem Augenblick träume ich
Ich träume mit der Wucht von Milliarden Träumen
Gedanken und Gefühle gibt es nicht mehr
in diesem Traum den ich unfreiwillig
erlebe – er lebt mich der Traum
wie man im Wachzustand gelebt wird
von seinen Gedanken und Gefühlen
Der Traum ist eine oneirische d.i. Traumtätigkeit
also gewissermaßen der Wahnsinn eines trägen Körpers;
die Trägheit steigert den Wahnsinn
Ich stehe zu mir selbst in Verbindung
der ich nur ein träger Wahnsinn bin
Dennoch mit dieser Definition des Traums
ist etwas nicht in Ordnung denn:
wie kommt's daß ich euch berichten kann
was ich soeben träume?
Also:
formulieren wir die Definition um
unter dem Gesichtspunkt meines Lebens:
der Traum ist die hektische Untätigkeit
eines Körpers ohne persönliches Denken und Fühlen
Will sagen:
alles Denken und Fühlen ist dem Traum untergeordnet
Der Traum ist ein reales Phänomen
Dieser Traum ist unendlich viel stärker als
mein eigenes Denken und Fühlen
Die Rolle dieses Traums besteht darin
Denken und Fühlen des Körpers
den ich einst meinen nannte
total zu verändern
Deshalb:
ich habe große Angst aufzuwachen
und spreche lieber während ich träume;
ich habe große Angst aufzuwachen
denn absolut sicher werde ich den Traum
den ich nicht vergessen möchte vergessen
Ich bin der Gefangene dieses häßlichen und demütigenden Traums
und muß mich glücklich schätzen daß ich träumend noch sprechen kann
XI
RUMÄNIENKRANK ZURÜCK AUS DEM EXIL
Nicolae Coande (Dieter Schlesak
Gott fehlt
Nach einem stillen Cognac folgt der nächste
auf einer Insel mit Idiotenschreien.
Da fehlt der Herr ist nicht zu Hause
nur seine Fußgänger versuchen
dem Fuß Abdruck noch nachzugehn.
Zutiefst erschrocken wären sie wenn sie ihn finden würden.
Sie fahren dauernd
überall nur ab
und kommen trotzdem nirgends an.
Nur die für immer aus dem Land verjagten
begreifen es.
Dieter Schlesak
NICOLAIE COANDE
Der Dichter verweigert den Ruhm
Er wandte sich um und sagte - ich habe alles kennengelernt
doch kam ich zu spät.
Jetzt in diesem ´Eisernen Zeitalter´ bewegt
keine einzige Nachricht
meine Stimmen
doch sie wissen Bescheid denn es sind
mehrere Stimmen und die sprechen eine Sprache
Sprache aus der ihr alle herkommt
geprägt vorherbestimmt wie die Kinder
Waisen zu sein und
dem ersten Ekel das sie sehn: Mutter zu sagen.
Alles hab ich kennengelernt
und wurde gelobt wie der Nessias
sie sandten succubische Phantome
mir das Rückenmark des Sephiroth
herauszusaugen.
Sie haben mich ver-öffentlicht berühmt gemacht
mir zu trinken gegeben.
Und ich wischte mit ihnen den Boden auf. Ich kam
zu spät.
Andrei Zanca
Pußta auf der Hirnhaut pulsierend
(Fragment)
Erinnerst du dich noch ans Hotel
wo das Wasser chinesisch tropfte: in eine verrostete Urne
draußen lag der Nachmittag zerstampft vom Heulen dieser Motoren
auf den Bildschirmen jedoch: Transsylvania Panorama edler
Beschränktheit Alibi für die Bücher pannonischer Intelligentsia.
Und das Blei der Lettern erwachte in den vergifteten Stimmen des
Selbsthasses
die Pußta jedoch endet in der Wiege transsylvanischer Wälder
erwürgt vom Glucksen der Flüsse, Abstieg
in das leise Tönen blätternder Herden.-
Kein Zoll Nichts außer Wasser Territorien
Hügelfelsen, Dünen Wellen bis in den Sand des Wassers
und Sandgefühle bis ins Späte: Verachtung aus Absurden Kämpfen
aus Mauern Zellen tief in dir die Furien der Geschichte
aus dem gestauten Blut, hunnisch zwischen den Hufen das zerstampfte Gras
die Umkehr: Sarg wie eine Todesgeißel/ Labyrinthe die
verwucherte Erde
... herausgeschossen aus dem Bildschirm dieses Ende
als wär´s mein Knopfdruck ...
wenn das Wasser weiter tropft in die verrostete Urne
als wär´s die Uhr des Parlaments zerstäubter Zeit
über den alten Taubendreck vom Csibor-Platz
erinnert.
Rumänienkrank zurück aus dem Exil
als wär´s ein Ausbruch aus der Heilanstalt
wo Niemand niemanden erkennt
und in der Wüste stotternd wie ein Hund der
die Berührung: Mensch abschüttelt aus dem Fell
... und auf den Straßen die Ostschatten Patienten
vorhallenvoll Klienten antriebssicher und infam geschmiert
sind wie ein Fluch der unsere Orte auslöscht fertigmacht zur Tat
kain-unter überschwemmt und tierisch-sicher ...
Rumänienkrank wenn dieses Land bruchbudenarm
von unsichtbaren Sockeln stinkt die jeder täglich sich errichten will
- ein halbes Jahrhundert ringsumher: das GRAU -
Einen Tag vor der Hochzeit ist auch er in einer Geißel
vernichtet worden und auch sie: Nie mehr verkörpert
doch ewig den andern vorgezeigt, er nach einem halben Jahrhundert
zufällig entdeckt und aus dem Eis gezogen ... jetzt
ausgestreckt vor ihr intakt und so erhalten und jung wie früher
nur sie vergreist und runzlig sah sie ihn jetzt ungerührt und
tränenlos: vor sich der gleiche Anblick/ ein Gesicht
das einen Tag vor ihrer Hochzeit hier verschwunden war
In einem Zuikadunst erschaffen nun was blieb
von jener Würde staete Weisheit aller Guten
in ewiglaufenden Todesschreien: Klageweiber
in den vom Mutterleib verdunkelten Pupillen der Ungeborenen
mit gesenktem Kopf mattscheibenaufgezäumt und leinentaub lautsprechernd
und von roten Festivals nicht abgetropft im Land des Lächelns lallend
das den Verstand uns nahm die Kindheit uns vergiftet hatte
das Lügenreich das Gift der Car
tea rusă als wären wir lebend abgetriebenso sehn wir gelblich jetzt die Wand an der wir als Phantome standen
noch ohnmächtiger nach all den Alptraumjahren: erwachsen und erwacht:
ein Schattenjetzt: so willenlos und ohne Reue
Unermüdlich den Kindern Lektion um Lektion die alten Aufgüsse jetzt
wieder murmelnd matt und fad als wär´s ein Lehrbuch für Blinde
im Inferno des höllischen Sehns
Vom Haben ganz vereinsamt nun in einem Wettbewerb
wo die Arena der Sklaven vom seidigen Rauschen der Senatorengewänder
erfüllt von dem der Direktoren und Präsidenten in unserer Schwammepoche
mit ihren Tribunalen eingerichtet von unserer Blindheit Irrweg Ohnmacht
Rumänienkrank lief ich so langsam
durch die Pußta mich unter die eigenen Sohlen legend und
während ihnen unter der Hirnhaut zuckend das - Leben "pulsierte" -
gab es eine Spur Wiederkehr: unspürbar doch ein Schwanen Gesang
Schwan wie Milch und Wasser die Mischung: nur Milch
geschmeckt der frommen Denkart und Gewohnheit
die wir als den ewigen Schrecken: Zu spät hinter dem organisierten Irrweg
erkannt:
Hasenscharte Hasenlippe der Geschichte der Spalt
in dem die Gänse Schreie zergackern
Bauern den Herbstrauch verbrannter Kartoffeln riechen
ohne jede Ahnung vom Haß aus dem Juli/ wie er herabsteigt
von den Lippen der geachteten Statue noch und noch
tröpfelnd langsam an den Grenzen zum Zoll.
Gyor - Zalaegerszég - Mures, 1944
Dieter Schlesak
Florenta Albu (Dieter Schlesak)
Auf den Wurzeln gehen
Sehn wir uns die Zugvögel an
wie sie im Exodus auf fliegen
wanderbewegt die Grenzen
überschreiten
paßlos und ohne Visum
- begleiten wir sie bis zum Horizont
bis ihr Abschiedsschrei/ nicht mehr hörbar ist ...
Wir aber bleiben! Wir bleiben am Ort
treu blöd und arm an die Wurzeln gebunden
so wird der Erde Rotation uns nicht
ins All verlieren.
Fest verankert an den Dämmen
sind wir /den Sirenen nicht zu folgen
Selbstmörder des Still Standes
der Orte wo nichts geschieht
so sind wir/ Selbstmörder ewiger Trägheit.
Magdalena Constantinescu (Dieter Schlesak)
Sei milde wenn du fortgehst
mein Volk wird ausgelöscht es
kann nicht umgehn
mit seinen Statuen
Doch mit seinen Sternen im Fell
zünde dir ein Feuer an
Alt geworden vor
zuviel Erinnerung
mit nassen Blumen im Blut
denken wir an seine tiefen Keller
So trifft sie uns
die Wut - nicht sein zu können
mit all den Orten
wo einst der Tod war
Mein Zeichen beugt sich
doch alles was ich besaß
ist noch da
Der verhangene Himmel
straft die Liebe auf Erden Lügen
mit müden Augen
mit dem Kern im Mund
und ohne unser bitteres Bett
zu kennen
Sei milde wenn du fortgehst
Ileana Máláncioiu (Dieter Schlesak)
Wer ist hier ausgewiesen
Wer ist hier ausgewiesen und geht fort,
Bis wir es wissen, was dies Zittern ist,
Wie dieses Volk, das fortgeht, sich vergißt,
Im Wahn dies sei die Rettung: Fliehend. Dort
Wo es die Angst zu überwinden hofft.
Ich seh wie es nicht standhält und beginnt
Von neuem nur ins Nichts zu gehen. Sind
Es die Toten-Flüche, unsere Wüste wie so oft?
So gib oh, Herr jetzt deine Himmelshand
Und hilf uns, sie auch reifend zu erfassen,
Ich habe Angst vor dieser Leere hier im Land,
Die wächst; wir fühlen uns von Dir verlassen...
Aurel Pantea (Dieter Schlesak)
Das Grausame Auge des Autors kehrt sich
einer nackten Welt zu, die sich eben eine Haut zulegt,
vom Körper fallende Laute bilden ein riesiges
Objekt, groß wie ein Punkt am Ende eines Textes
an der Grenze unserer Vorstellung;
durch eine Hand voller Fenster blicken
die Demiurgen in die Außenwelt.
Jene hauchdünne Substanz zwischen dem Zustand von jetzt
und jenem anderen vor vielen Jahren
ist eine Todesplazenta die eben geboren wurde
und macht mir Zeichen zwischen den sich durchwindenden Mauern durchzukommen meine Gürtel zuzumauern über den dunklen Punkt in mir
eine Art verzweifelter Blick zwischen den Silos und den Ereignissen die langsam erblinden in dieser eloquenten
Arbeit der Wettläufe
XII
REDE ANLÄßLICH DER AUFNAHME EINES ÖSTLICHEN LANDES IN EUROPA
Willkommen, Konsumgesellschaft,
entjungfere auch du uns, nimm auch du uns
von vorn ...
Mircea Dinescu (Werner Söllner)
Rede anläßlich der Aufnahme eines östlichen Landes in Europa
In der Kirche versteckt ein reuiger Dieb
seine Hände in den Taschen des Bischofs, damit Gott
sie nicht sieht. Der Bauer ruft seinem Sohn zu, dem
mit den riesigen Tretern, er soll seine Latschen
verstecken, denn es kommt hoher Besuch und man hat ja
so seinen Nationalstolz, es kommen die japanischen
Touristen mit ihren Spatzenfüßchen und wollen
den Weizen aufpicken, die Sonnenblumen und die Augen
des van Gogh.
Und unvermutet schlägt die Stunde der Zärtlichkeit
im städtischen Krankenhaus. Der Alkoholiker, der dem Entzug
ins Auge blickt, redet dem Spiritusfläschchen
auf dem Nachtschrank gut zu: »Veilchensaft, himmlisches
Zielwasser, Elixier fürs Jenseits...«
Dann öffnet er das Fenster und schreit:
»Willkommen, Konsumgesellschaft,
entjungfere auch du uns, nimm auch du uns
von vorn, drechsle uns aus den Nierensteinen
ein paar Glückswürfel. Ab heute reden wir
den Arsch nicht mehr mit Genosse
sondern mit Herr an, ab morgen kriegt ihr
Shakespeare aus der Encyclopaedia Britannica
leichter heraus als mich
aus der Kneipe...«
Mircea Dinescu
Discurs la intrarea unei täri estice in Europa t
In biserici
hotul rusinat isi ascunde mîinile in buzunarul episcopului s
sä nu i le vadä bunul Dumnezeu.
Täranul îi strigä fiului cu tälpoaiele mari t
sä-si ascundä bocancii s
uitati lîngä surä, s
cä vin musafirii
si, vorba aia, avem si noi mîndria noasträ nationlä, s t
cä vin turistii japonezi s
cu piciorusele lor de vräbiute s t
tap tap
sä ciuguleascä grîul, floarea-soarelui, ochii lui Van Gogh
Si dintr-o datä s
se lasä ora tandretii deasupra spitalului municipal t
si alcoolicul internat pentru dezalcolizare
alintä spirtul medicinal uitat de felceritä pe noptiera t
numindu-l »lichior de viorele«
»adio mamä«, »te-am zärit printre morminte«
apoi deschide fereastra si strigá:
:»Bine-ai venit Societate de consum
fä-ne si tu felul,
ia-ne de proaspeti,
strunjeste-ne din pietricelele de la rinichi zaruri norocoase.
De astäzi curului n-o sä-i mai spunem tovaräse ci dumneavoasträ, s
de mîne o sä mä scoateti afarä din circiumä t
mai greu
ca pe Shakespeare din Enciclopedia britanicä«
Iulian Fruntasu ( Dieter Schlesak) s
Mein Land
Ich sehe dich besser nur noch von weitem
du alte Hure und dumm dein Kopf
wie ein Pflasterstein so auf ganz schwachen Beinen
an einer Kreuzung vergeblich wartend
daß jemand käm dich zu ficken
deinen Heiligen wird noch wässrig der Mund
falls du dich sichtbar an sie erinnerst
an ihrer polentaförmigen Plazenta zärtlich
zerrst und lächelst versonnen wenn die dir
antworten: ich-ho-ho Krautzuika Rübenzuika jaja
Eine Downer-Geschichte dieses hoffende Warten
wenn auf morastigen Straßen nur Regen und
Wind
die trocknen Blätter hochwirbelt und hoch
hebt den Rock sinnlos an einer leeren
Kreuzung
wo Niemand kommt dich zu ficken.
Augustin Pop (Dieter Schlesak)
Die Veränderung zum Guten.
Radikalreform.
Shocktherapie.
Probleme der ausländischen
Investitoren.
Wenn die Dinge nicht gut stehen,/ müssen zuallererst/ die Huren/ ausgetauscht werden/ dann erst die Betten/ aus allen politischen Bordellen,/ denen der Wirtschaft nämlich, der Regierung,/ aus den militärischen, jenen der Verwaltung,/ der Presse, des Radios, des Fernsehen, der Kirchen, sowie die intellektuellen,/ kulturellen, künstlerischen Betten usw. usf.
Es ist nicht notwendig/ sie zu privatisieren./ Sie sind schon/ äußerst privat./ Und übrigens: die Shocktherapie/ wird erst/ ihre Früchte tragen/ wenn/ die Mehrheit/ der Bevölkerung dieses Planeten/ sich endlich entschließt/ aufzuteilen/ aber: auf dezente Art und Weise/ alles, was es auf dieser Erde Gutes gibt./
Bis dahin/ gleicht/ jede radikale Reform/dem Versuch
den Lauf eines Flusses zu ändern/ indem man/ täglich in diesen Fluß wirft:/ einen Teelöffel Coca Cola / zehn Tote/ drei Scheiben Brot/ und eine Videokassette.
Klausenburg, 25. April 1997
DS
AP
Eintritt in die NATO
Nach 50 Jahren/ gewaltsamer Russifizierung,/ müßte Rumänien endlich/ cocacolisiert werden./ Das durch schwerfällige sowjetische Panzer/ aufgezwungene Regime/ muß ersetzt werden/ durch ein demokratisches/ Regime/ unserer freiesten Einwilligung/ überwacht/ durch die schönen/ äußerst wettbewerbsfähigen/ Panzer der NATO/ in ihrer Hochform und unschlagbaren Performanz.
Klausenburg, 20. Februar 1997
DS
Ion Stratan (Dieter Schlesak)
Der Westen, der Westen, der Westen
Hey, Untergang des Abendlandes
Sowie der faustische Geist in den großen
Aquarien der Restaurants/ stelle ich mir vor
Und einen Goldenen Haifisch für das
Abendessen.
Cenaculum.
Das Abendmahl
Ioan? Petru? Andrei? Luca? Judas?
ALLE SIND SIE HIER IN DIESER WELT
Nur die Welt selbst - fehlt
bei ihrem geschätzten Abendmahl.
V.Petre Fati (Dieter Schlesak)
Ein Mann mit Zukunft
In den Armen trage ich eine alte Maschine: die Waschmaschine.
Die Zukunft. Und jetzt beschäftige ich mich mit ganz banalen
Dingen: mit der Kunst.
Die Kunst mit der Zunge berühren: sie war so süß, so bitter,
schmackhaft, sündig und fröhlich
Wie eine Garnele. Schließlich gibt es mehrere Arten
allein zu sein.
Allein fotografiert zu sein,
Dafür zu danken, allein zu sein
Darauf zu warten, allein zu sein.
Und dann ...?
DS
V. PETRE FATI
Gefährliche Liebschaften
Für Georgeta
Küß die Hand, Paris,
Um den Gedanken an dich weit von mir weisen
zu können,
Jede deiner Zug Spuren auslöschen zu können,
Dich hassen
zu können,
Dich würgen zu können...
Die Selbstmörder, Diebe, Nonnen küssen dich, Paris,
Ich werde dein kleiner Tellerwäscher sein.
Der Herrgott hat den Speichel und die Automobile geschaffen,
Mein lieber Gott,
Dieser Mensch hat es gesehen,
Wie der letzte Engel in einer Benzinwolke verbrannte,
Auf einem Holzschemel,
An einem Holztisch,
Und mit Seinem Speichel im Gesicht.
Mircea Cártárescu (Gerhardt Csejka)
Der Westen
Der Westen hat mir den Mund gestopft.
Ich habe New York und Paris gesehen, San Francisco
und Frankfurt
ich war an Orten, von denen ich nicht zu träumen wagte.
Ich kehrte mit einem Stapel Fotos zurück
und mit dem Tod in der Brust.
Ich hatte im Glauben gelebt, daß ich etwas bedeute, daß
mein Leben etwas bedeutet.
Ich hatte Gottes Auge gesehen, wie es mich durchs Mikroskop betrachtete
meine Zuckungen auf der Lamelle.
Jetzt ist aller Glaube dahin.
Ich war gerade gut genug für eine idiotische Stabilität,
für ein tiefes Vergessen,
für einen einsamen Frauenschoß.
Ich flanierte durch Orte, die heute verschwunden sind.
Ach, meine Welt ist versunken!
Meine Welt gibt es nicht mehr,
meine elende Welt, in der ich etwas bedeutet hatte.
Ich, Mircea Cártárescu, bin in der neuen Welt niemand
es gibt hier 1038 Mircea Cártárescus
und Menschenwesen, die 1038 mal besser sind
es gibt Bücher hier, die besser sind als alles, was ich je
gemacht habe
und Frauen, die sich einen Dreck darum scheren.
Ein Sprung im pragmatischen Ei, und schon ist Gott hier
in seiner ureigenen Schöpfung, ein schick gekleideter Gott
in schönen Städten, an wundervollen Herbsttagen
und gleichsam zarte South-Virginia-Nostalgie in Dorins
Straßenkreuzer (Countrymusic aus den Boxen)
Ich sehe jetzt, wie eng meine Grenzen sind,
und wie eng die Grenzen der Literatur.
Die Literatur gibt es nur noch, um zu verkünden,
daß es die Literatur nur noch deshalb gibt: um zu verkünden
daß ... Ich aber habe den Sears Tower gesehen
und aus dem Sears Tower weit unten Chikago im grünen Nebel
und auf der Terrasse eines Wolkenkratzers jagten zwei
Windhunde einander
da sagte ich zu Gabriela (wir tranken gerade Cola)
daß ich mit meinem Leben am Ende bin.
Es ist wie bei Eliots Dreikönigen: Ich habe den Westen gesehen
bin mit dem Flugzeug über Manhattan geflogen
erblickte mit großen Augen meinen verzauberten Tod
denn in der Tat: dieses hier ist mein Tod.
Ich betrachtete die Schaufenster mit Suzuki-Motorrädern
und sah mich darin armselig, anonym.
Ich lief stundenlang durch die Königsstraße
schlängelte mich hindurch zwischen den Skateboardkids.
Ich war auf einem Farbfoto der schwarz-weiße Mann
Kafka unter den Arkadiern.
Gedichte, Gedüchte,
Modernismen und Kneipengespräche, die Frage, wer der größte ist,
Toplisten im Zug aufgestellt (ich kam aus Onesti): welches sind
die zehn besten n
Romane der rumänischen Gegenwartsliteratur
die zehn besten lebenden Dichter
so spucken die Papuas
auch heute noch in den Kübel mit Palmwein, um ihn zum Gären zu bringen...
Die Poesie aber ist ein Zeichen von Unterentwicklung
ebenso, wenn man seinem Gott ins Auge blickt
obwohl er sich nie gezeigt hat.
Ich sah Flipper und Buchhandlungen und konnte den Unterschied nicht erkennen
und ich begriff, daß die Philosophie Entertainment ist
und die Mystik Showbiz
Die Kultur ist Oberfläche und es gibt überhaupt nur Oberfläche
die aber ist komplexer als jede Tiefe.
Was wäre ich dort? Ein Entzückter, ein bis zum Wahnsinn glücklicher
Mensch
der mit seinem Leben am Ende ist
mit seinem definitiv abgefuckten Leben wie der Wurm in der Kirsche
der sich auch etwas Besseres dünkte
ehe er ans Licht kroch und den Dreck neben sich sah
(mein Dreck, meine Gedichte)
Ich habe Menschen gesehen, denen das Abtreibungsgesetz
wichtiger war als der Zerfall der Sowjetunion
ich habe hohe und blaue Himmel gesehen voller Flugzeuge und ihren
Lichtkegeln
und ich habe das Gebrüll der viertausend Universitäten erlebt
ich erstieg den Eiffelturm über den Treppenaufgang
und fuhr ins Centre Pompidou durch die Plexiglasröhre
und in Iowa City war ich im Fox-Head zu Gast ...
Ich plauderte in Ludwigsburg mit Hassan und Bradbury
und Gass und Barth und Federman über die Postmoderne
wie der Verurteilte mit seinem Henker schwatzt
ich hielt das Sausen des Fallbeils,
das meinen Kopf vom Körper trennt, auf Tonband fest
Es war mir zum Heulen im Luxus von Monrepos:
Wie ist das möglich? Wieso sind wir vergeblich geboren?
Weshalb schlagen wir uns mit Vadim und den Nationalisten herum?
Warum können wir nicht endlich mal leben?
Wieso atmen wir jetzt, da wir endlich leben könnten
schon wieder den sauren Geruch der Mülltonnen ein?
Postmoderne und Biedermeier
Dekonstruktion und Tribalismus
Pragmatismus und Nabelschnüre
und das Leben, das anderswo ist ...
Ich habe San Francisco gesehen, die Schiffe auf dem blauen Golf
und weit draußen im Ozean die bewaldeten Inseln
im Pazifik, wenn du dir das vorstellen kannst!
Ich habe meine Hände ins Wasser des Pazifik getaucht »thanking the Lord
for my fingers".
Irrsinniges Fernweh überkam mich.
Und in der berühmten Buchhandlung Ferlinghettis (es gibt sie tatsächlich!)
wie wenn man
bewußt in den eigenen Traum oder in ein Buch einträte...
Die Straßen von San Francisco haben mich aus der Fassung gebracht
und Grant St. mit den Chinesen
und den Riesenpalmen und den ausgeflippten Mädchen
in den Friseursalons.
(Die Kundinnen
betrachteten sich nicht in Spiegeln sondern in farbigen Monitoren.)
Und die amerikanischen Nächte, erinnerst du dich, Mircea T.?
Unweit von deinem und Melissas Häuschen, nach
einem ganzen Nachmittag mit SF-Filmen
wir aßen Tacos
und tranken Old Style Bier
beim Hinausgehen rissen uns die Sterne hin
und die stillen Flugzeuge zwischen den Sternen
und in deinem Auto, dem alten Ford, war die Luft eisig
und du fuhrst mich quer durch die leere Stadt bis zum lieben,
meinem sehr lieben Mayflower Residence Hall.
Und die Thanksgiving-Paraden und Halloween
mit alten Bankiers als Bären und Clowns verkleidet
und der Junge tschechischer Herkunft, dem Faulkner am Herzen lag
und die kleine Koreanerin aus dem gelben Cambus
und die Melancholie der gelben Blätter in Iowa City
und wir beide, Gabi und ich, beim Shopping, stundenlang
bei Target und K Mart und Goodwills
(aber auch das phantastische Mali im Zentrum) ...
ich kaute Gewürznelkenbonbons an meinem ersten Morgen in
Washington
... den Fotoapparat um den Hals auf dem Dupont-Platz in bitterer Kälte ...
... ich legte 7 $ hin, um in den New Orleanser Zoo reinzukommen
und es regnete und die Tiere hatten sich alle in ihre Höhlen verkrochen
... im Taxi zankte ich mich mit dem schwarzen Fahrer
da ich von dem was er sagte kein Wort verstand: "Hey man... "
... herrliches Schlemmen in den chinesischen und thailändischen Lokalen
in den japanischen auch, am herrlichsten aber bei Meandros, dem
Griechen aus Soho
... The Art Institute (Impressionisten die Menge)
... The Freak Museum (amazing: dreimal Vermeer!)
... The National Gallery (die Malewitsch-Retrospektive)
Einer, der hundert Jahre lang tiefgefroren war,
öffnet die Augen und entscheidet sich fürs Sterben.
Was er gesehen hat, war zu schön und zu traurig.
Denn er kannte da keinen und an den Fingern eiterten die Nägel
und seine Zähne waren über die Maßen verrottet
und im Kopf
hatte er allerlei unnützes Zeug
und alles, was er je unternommen hatte,
war von der Substanz her bestenfalls halbe Windstärke gewesen.
Ein Mann auf einer fernen Insel hatte
eine Nähmaschine aus Bambus erfunden
und hielt sich für ein Genie
denn niemand von den Eingeborenen
hatte sich je etwas Ähnliches ausgedacht und als die Holländer
kamen
belohnten sie ihn für seine Erfindung
mit einer elektrischen Nähmaschine.
(,,Danke schön", sagte er und entschied sich fürs Sterben.)
Ich finde meinen Platz nicht, ich bin nicht mehr von hier
und kann von dort keiner sein.
Die Poesie aber? Ich fühle mich als letzter Mohikaner,
lächerlich wie Denver, der Dinosaurier.
Die beste Poesie ist die, die erträglich ist,
die nur erträglich ist und sonst nichts.
Wir haben zehn Jahre lang gute Poesie gemacht,
ohne zu wissen, wie schlecht die Poesie war, die wir machten.
Wir haben große Literatur gemacht und begreifen jetzt,
daß sie gerade deshalb nicht über die Schwelle kommt,
weil sie groß ist,
zu groß, erstickend in ihrem Fett.
Auch dieses Gedicht ist kein Gedicht,
denn nur was kein Gedicht ist,
kann noch als Poesie bestehen,
nur was nicht Dichtung sein kann.
Der Westen öffnete mir die Augen, als ich mit der Stirn an
den Türrahmen prallte
ich hinterlasse anderen, was bis heute mein Leben war.
Mögen andere glauben, woran ich geglaubt.
Mögen andere lieben, was ich geliebt.
Ich kann nicht mehr.
Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr.
XIII
HASSE DEINEN NÄCHSTEN WIE DICH SELBST
Marin Sorescu (Dieter Roth)
Als ich einmal fliegen sollte
Einmal um Mitternacht
hat einer mir einen Flügel gebracht.
Wer's war, weiß ich nicht,
es war so ein Nebelgesicht.
Er sagte: "Du klemmst ihn dir untern Arm
und fliegst mit dem Vogelschwarm."
Drauf ich: "Wie soll ich das verstehen,
soll ich halb fliegen und halb gehen?
Du mußt mir den zweiten Flügel besorgen."
"Ja, ja, den bring ich dir morgen."
Das sagte er,
doch kam er nie mehr.
Freikörperkultur
Ich schleppe im Eimer Heilschlamm
zum FKK-Strand der Frauen.
In meiner Jugend hatte ich von Frauen
eine bessere Meinung.
Aber jemand muß
auch diese Arbeit tun.
Sie genieren sich nicht mehr vor mir,
für sie bin ich der "Schlammbringer",
und sie treiben weiter Nacktkultur.
Im Grunde sind sie für mich auch Luft,
ich nenne sie die "Schlammgeriebenen"
und gehe meinen Geschäften nach.
Manchmal überkommt mich plötzlich
eine schreckliche Lust zu fluchen.
ich schleppe Schlamm und fluche.
Hol der Teufel dies Leben,
die Jugend,
das Alter,
das Glück,
die Liebe,
die Ehe,
das Ideal.
All diese Flüche ergeben, zusammengerührt,
einen erstklassigen Schlamm,
jedenfalls finden ihn die Frauen ganz gut
und salben sich damit ein.
Liviu Ioan Stoiciu (Dieter Schlesak)
Bedrängt
Von Haifischen bedrängt ... Im
Kampf um
die Macht
im Meer dieser Welt: oh,
ihr Sturmbedrängten.
Die Lunge in mir,
verleumdetes weibliches Organ, erstickt
mir den Lärm im Galopp: da ich sie kenne
diese Krankheit! Unsere
Sünden sind wie der Purpur, sie
treten aus jedem Ding hervor.
Verdorben
Verdorben und ohne jede Hoffnung
ziehend jetzt am Seil,
das Himmel und Erde ver-
bindet: bis der Schatten des Toten erscheint... Auf
dieser Szene mit der gleichen
Platte: wieder lese ich es: hier sei der Ort,
wo die Schöpfung des Volkes ...
beginnt und endet ...
Traian T. Cosovei (Peter Motzan) s
Eines schönen Tages, wenn du heimkommst
Eines schönen Tages, wenn du heimkommst,
öffnet sich dir die Türe von selbst; die Vorhänge
scharwenzeln im Wind.
Du legst dich ins Bett, hörst wie die Peitschenschläge
des Wassers
in der Rohrleitung knallen, horchst auf den sanften Mechanismus
des Kopfkissens,
das dir einen Traum zubereitet.
Du zerknüllst
die leere Keksverpackung, bis das rote Schiffchen
auf einem Riff leuchtender Brosamen scheitert.
Vor Zeiten hättest du dir eine Katze,
einen singenden Vogelbauer gewünscht,
eine nutzbringende Illusion mit einer Haut so glänzend und glatt wie die vereisten Wasser der Fjorde.
Die Nachrichtensprecherin des Hörfunks erwähnt die
»Brigate Rosse".
So etwa könnte der Namen eines neuen Waschmittels lauten, doch stellen
die Schüsse, die man mithört, die Dinge klar.
Wenn ich mich im Spiegel betrachte, gleiche ich griechischen
und türkischen Zyprioten.
Jahre gingen ins Land. Kinetische Kunstformen, Pillen,
Zen, New Waves:
Trödelkram, gut genug für irgendeinen Antiquitätenhändler
in Algier.
Auf den Fotos erscheint die ganze Vergangenheit wie so ein böser und großer Onkel.
Ein kalter Wind, aufwendig verpackt, eingeschlagen in
alte Zeitungen
und Messeprospekte des Vorjahrs, stößt ein paar Schlauberger,
die willens sind,
mit Nasenringen umherzulaufen, durch die untere Türritze.
Sid, der Ganove, Zurück-zur-Natur, die Seelenwanderung -
goldene Schuppen sprühen aus Bob Dylans Gitarre.
Du wartest noch immer darauf, daß etwas geschieht.
Und nur die Zaunlatten, der abgewetzte Autoreifen,
das lärmende Firmenschild der Tankstelle von gegenüber
scheinen diese Schmach nicht zu empfinden.
Romulus Bucur (Dieter Schlesak)
Schießt nicht auf den Pianisten
morgenherrgott
grüße und
abendherrgott
guten tag auch ihnen herr
william cody
E S IST nicht NOT WENDIG
auch den Kopf mit dem
hut zu ziehn
sei beruhigt wir reservieren ihnen gern einen platz
in der schachtel von
HIS MASTERS VOICE
so zwischen den kleinen
zeitungsverk(l)äufern
wenn sie infvollmaation schrein
jener geruch von brennenden trockenen blättern in den höfen
Theodor Vasilache (Horst Samson)
Werbung, Seele des Handels
Also, wer Ohren hat, höre;
und wer keine hat, kaufe sich welche,
musikalische Ohren aus dem Supermarkt...,
mit Transistoren... mit sonnengespeisten Batterien...,
spitze Ohren eines ergebenen Butlers,
Ohren mit einstellbarer Lautstärke
und einem Filter für Geschäftsleute...
Ja, alles wird verkauft,
nur die Geldscheine
- mit der treuen Seele eines Hundes,
oder mit jenem eiskalten Orientierungssinn
der Brieftauben -
kehren beharrlich zurück
in die gleichen Taschen...
an denen ihr hängen werdet, glücklich
und stolz über euren Platz auf der Welt
wie Gehenkte an einem prunkvollen Leuchter...
mircea cártárescu (gerhardt csejka)
frieden und realismus
ich höre die beatles. esse chinesische schoko-
lade. lese in einer kanadischen lyrikanthologie.
schließlich
tippe ich auf der maschine. ich spüre mein herz nicht.
ich kenne mein hirn nicht.
hinter den möbeln lugen keine kräftigen spin-
nenarme hervor. die brille
wasserklare linsen im goldenen rahmen liegt
wartend auf dem kristalltisch.
das stanniol der schokolade will die komplizier-
te außenwelt gern realistisch spiegeln, die
spiegelfläche aber ist zerknautscht
wie das gesicht eines praxeologen, den die
geliebte betrügt.
frieden über den dingen, frieden und realismus,
ich aber möchte trotzdem nicht heiraten.
mein oblomowismus ist gar zu rabiat. die an-
thologie
kanadischer gedichte flüstert mir immerzu
hirngespinste ein.
sie ist wie eine languste so listig, mein
oblomowismus aber
sagt mir: sahar,
hörst du, sahar, schenk ihnen keine beachtung,
eifere ihnen nicht nach. sie verleiten dich
zu brandstiftung, erdbeben oder gar kinder-
zeugung,
zum kinderzeugen sogar, mein lieber sahar, stell
dir das vor, die wollen eine kopie von dir
machen. arman auf goldenem grund
das verdauungsfördernde kerlchen per
anabolischem heber sachte emporgestemmt
bis zum jüngling mit schnurrbart und verstand,
zum männchen mit glatzeansatz und
bis zur baumartigen mumie
ja, kinderzeugen, wo doch europa ganz klar...
uns fest im auge hat, die anthologie
kann den nebel draußen nicht lichten.
es ist november
und ich bin ein spiegel, der einen oberschenkel
hinaufgeführt wird.
soll ich heiraten? soll ich mir ein auto kaufen?
eine wohnung? vielleicht gar eine
gemahlin? soll ich kinder zeugen?
ja, zeuge sie, zeuge! rät mir die musik
der beatles, wenn ich sie richtig deute.
da hast du im alter eine freude. nicht john,
wohl aber der arme paul möchte, auch er,
ich sehe ihn leibhaftig von enkelkindern geritten,
die wirklichkeit widerspiegeln, mit seinen
halbgeschlossenen lidern: hey jude, mach es
besser, hey linda.
machs besser, hey majestät
die liebe wird niemals sterben. jedoch
john lennon, he dead. mein oblomowismus
ist gar zu rabiat. ich sitze in meinem zimmer.
esse chinesische schokolade.
ich lese eine kanadische lyrikanthologie.
ich tippe auf meiner maschine.
draußen ist nebel und der nebel tritt ein
in die bukarester bars, legt seinen pelz auf
einen freien stuhl und bestellt,
in jeder bar etwas anderes,
uzo oder wodka oder peppermint.
glutamin, benzen. bukarest bis zur gitarre
in nebel getaucht
wie auf den konzertbühnen die bee gees.
der nebel
mit schnaps in der tasche macht sich
an den schließfächern des nordbahnhofs
zu schaffen
rennt o-beinig über die gleise der
24er straßenbahn
der nebel breitet die decke über
balta albăals wär's der chomolungma
nepalseitig sherpas schwärmen aus
in die supermärkte, ins warenhaus big,
in die konditoreien -
der nebel trägt eine sauerstoffmaske,
zieht eine lkw-kolonne mit sauerstoffflaschen
hinter sich her
mit acetylenflaschen auch, der nebel
verschweißt
die augen aller einwohner der stadt bukarest
miteinander, alle nasen, alle lippen, alle bäuche
bis eine kilometerdicke kugel aus menschen-
leibern durch bukarest rollt und alles niederwalzt
der nebel zieht nebelbackenzähne und zertrümmert
sie an nebelbalkonen und macht sie im gelben
licht der scheinwerfer zuschanden
nur das rosa zahnfleisch des nebels
kehrt nocheinmal an mein fenster zurück
. soll ich heiraten?
soll ich kinder zeugen? soll ich dann eines
fernen tages nochmal daran zurückdenken
wie ich beinahe schriftsteller geworden wäre?
mein oblomowismus
läßt mich schokolade essen. den himmel und
die theorie der eingeschränkten relativität hergeben
für ein bißchen fleischeslust: alejandra und
der blinde auf der bettdecke einander beißend
laura und francesco einander beißend.
ein paar meter darm
verkaufen für ein paar meter traum. nein,
auch das nasse kissen
will die wirklichkeit widerspiegeln.
auch das fleckige bettuch
will spiegel sein. vor zeiten schrieb ich
die liebesgedichte, doch das war, als irgendeine frau
mich bedrängte:
sie hatte anstelle des hirns eine spinne
mit eingezogenen beinen, die mehr als ein kilo wog.
und statt fleisch hatte sie auf den knochen säure.
ich erinnere mich ihrer nicht mehr.
ich wechsle die kassette. breche noch ein
kaffeebraunes stück aus dem silberpapier. ich bin
glücklich. ich tippe auf der maschine.
ich habe den ganzen vormittag in einer anthologie
kanadischer lyrik gelesen. ich werde
eine zweizimmerwohnung mieten müssen,
die zeit der reife klopft an die tür.
und rate mal, wer öffnet? eine nebelschwade.
die küchenschürze um den leib.
die nebelschwade hat große augen, und unter
dem schürzenstoff schimmern die brüste durch.
mit wohnung lebt sich's ganz anders. jetzt bist du
reif.
die nebelschwade hält dir
den spiegel vor: du bist unrasiert, lump,
wieder kommst du zu spät, unglückseliger,
und sie drängt dich dann
in eine stube, nicht größer als eine besenkammer,
so müßt ihr euch ineinanderkauern,
müßt euch umarmen, zur gleichen zeit denselben platz
einnehmen wie koonings frauen. das amt und das auto
die kinderchen und die moral, ruhm und hut
und hausdrachen, fernsehen und presse, und von
mal zu mal
weniger worte weniger linien auf dem bildschirm
das fotopapier
von gröberer körnigkeit. bei siebzig den großen preis
der akademie
bei achtzig die große vivisektion bei hundert
das jubiläum des großen mannes. bei dreihundert
genetische mutationen. bei viertausend die
unsterblichkeit
bei zehntausend die zeitliche umkehr und
die auferstehung von den toten. bei hunderttausend
die verschmelzung mit dem schöpfer. und dann
erst wirds wirklich lustig,
dann erst bricht der große zirkus los.
mein oblomowismus aber
läßt mich nicht weiter sehen als die nase reicht.
es ist ende november
und in der wohnung ist es so gemütlich...
ich esse chinesische schokolade
höre die beatles, ich lese
eine kanadische lyrikanthologie.
alle zukunft ist nebel.
und mein lieber john nimmt eine markerschütternde
oktave, she said, she said
und der revolver rotiert wie nichts anderes,
was könnte ihn stoppen?
eine kernreaktion brächte ihn zum fließen
und in dem schwarzen heißen tropfen
würde sich unsere bucklige welt widerspiegeln.
ich spüre mein herz nicht.
ich kenne mein hirn nicht. ich kenne mich nicht.
auf dem sofa eingerollt
wünsche ich mir, keiner klopfe an meine tür.
ich möchte nicht von den hormonen mit
feldwebelklappen verhaftet werden. soll ich kinder
zeugen?
frieden ist, und realismus. soll ich heiraten?
wie sähe ich denn aus im maßanzug, neben einer
schüchternen maid?
märchenprinz bräutigam? und meine rotnackige
bauernsippe
in phosphoreszierenden strickjacken als
galakostüm. dada und der brautkranz.
ensors intrige. und der klatsch über
die ehemänner in den beamtenstuben.
und zum zahnarzt wegen der abdrücke.
und morgens um milch und brot.
und nachmittags ins kino und
abends fernsehen und nachts ins bett.
und danach der storch, barza,
ein dakisches wort übrigens,
und kesarion breb und beinahe
nana mouskouri. was wird er
zuerst aussprechen? mama, tata
oder papa? ach scheiben mama, scheiben!
- was soll mama schreiben? - fead und chuh!
ja, kinder zeugen.
kinderzeugen ohne vorbehalt,
wo doch europa ganz klar...
...aber die liebe ?
die liebe?! alle welt scheint anzunehmen,
ich sei faul,
doch das berührt mich nicht, ich glaube,
sie sind verrückt (john). die liebe...
ein spiegel an einem schenkel hinaufgeführt.
john robert colombo, der die könige, kaiser,
die päpste zählt
263, 4520, eintausendichweißnichtwieviel,
um zu dem schluß zu gelangen,
daß es die liebe nicht gibt. doch ob es liebe
überhaupt geben kann
im nebel aller nebel? in dem nebel,
der durch die drehtür in die hauptpost eindringt,
päckchen und geldanweisungen losschickt,
gebündelt und verschnürt mit
hunderttausend schnüren, so daß
die postflugzeuge in den ozean stürzen
wegen der schwere der säcke und die haie
verwundert unmögliche wendungen
lesen wie »ich küsse euch« »in liebe« »
alles gute«
im nebel, der die wäsche von den balkonen
holt und stück für stück zusammennäht
um den himmel mit gewölk aus unterhemden
und höschen zu überziehen?
im nebel, der ganz bukarest wie einen quarkstrudel
auffrißt?
im weißen nebel, der weißen welt, in der aldea
der könig der kabelschnüre ist?
im nebel der schreibmaschinenlettern, der
ineinandergeschlungenen schreibtische?
eigentlich habe ich nicht die geringste ahnung.
mein oblomowismus
drängt mich dazu, maschine zu schreiben
statt auto zu fahren, schokolade zu essen
statt kinder zu zeugen. ich fürchte mich vor
dem leben, die zeit der reife
setzt mir zu. wohin verdammt nochmal
soll ich flüchten? wen soll ich heiraten?
es ist so gemütlich in meinem zimmer,
an einem dienstfreien tag wie diesem
da mir das leben nicht auf den fersen ist.
ich höre die beatles. esse chinesische
schokolade. ich lese eine kanadische
lyrikanthologie.
ich tippe auf der maschine. ich spüre mein
herz nicht. ich kenne mein hirn nicht.
es ist frieden. frieden und realismus.
ich bin ein spiegel, der an einem spiegel
entlanggeführt wird.
Mircea Dinescu (Werner Söllner)
Die Zweifel des Verlobten
Ich habe ein Loch im Fußboden
das ist weder kapitalistisch noch kommunistisch
es ist ein parteiloses Loch
so durchsichtig, daß man es in die Akademie aufnehmen könnte
so tugendhaft, daß ich es auch heiraten würde
wenn der Gedanke mich nicht verletzen würde
daß das Loch mich zuletzt
mit einer Maus betrügen wird
Taschenlied
Der Tod war jünger als ich,
aber paar Freunde spielten mit ihm
und brachten ihm bei, wie man schneller erwachsen wird.
Ich weiß, es gibt Gemeinplätze, an denen die Menschheit
sich einen Bauch anfuttert; ich kenne die Schleifereien,
wo die Prinzipien an Schärfe gewinnen -
aber wenn Madame Dior von Pelzkragen träumt,
quillt die Taiga unweigerlich über
von Fallen und Blut.
Sie, meine Damen und Herren, gewohnt,
karge Einsiedlerkost im Supermarkt an der Ecke
zu kaufen, Sie kommen, mir scheint, mit Apfelsinen
ans Bett eines Toten, denn in dieser Straße
liebt Gott nur bis zur Hausnummer vierundzwanzig,
wo die Muselmanen beginnen, und andere
mit undefinierbarer Nationalität,
Rumänen Bulgaren Albaner
und sogar die polnische Kavallerie
mit ihren blanken Säbeln auf dem Schlachtfeld
vor Aldi...
Welcher Professor könnte uns beibringen
das Klimpern des Kleingelds,
daß wir es auswendig aufsagen könnten, tief
in die Tasche geduckt, mit der Hoffnung,
daß die Geschichte ihr Kleingeld nie zählt?
Florin Iaru (Anemone Latzina)
High Fidelity
Wir lieben uns, ich liebe sie
im tristen high fidelity
du gehst dann weg, ich bleib allhie
und brüll in high fidelity
schwer das Gewehr, das Kleid uni
Und dann in high fidelity
vieltausend Verben Phantasie
Geschichten high fidelity
und schlachten wird uns so wie Vieh
das Kindchen high fidelity
und tra la la und tra la li
Cleopatra Lorintiu (Hellmut Seiler) t
Die kurzen Jahre
Die kurzen Jahre, sieh, haben sich bereits eingestellt.
Aufgereiht, für sie nur, die alten Bedeutungen.
Wieviel vergeudete Kraft.
Der Sinn den ich einbüßte,
der falsche, verlorengegangene Sinn
die entkräftete Seele,
die Wirklichkeit, wie abartig,
die kompakte Kälte,
und das Gedächtnis in Fetzen,
aus einem zerschlissenen Kissen fliegen Federn,
kaum tust du einen Schritt prallst du
gegen die Mauer die du nicht sahst,
streckst du die Hand aus ziehst du sie blutend zurück.
Stefan Doru Dáncus (Dieter Schlesak) s
Schlaf in Frieden, Herr, I
(BRIEF:
Die Welt ist nicht mehr die die du kennst, Herr,
zwischen dir und mir rotierten andere Instrumente
von Menschen erfunden
auch mein Engel ist nicht mehr der, den du kennst
auf seinen Flügeln wächst ihm die Armbinde
mit schwarz strahlendem Glanz
mein Engel starb an AIDS, Herr
schick mir einen andern, Herr.)
Schlaf in Frieden, Herr,
niemand ist unversehrt geblieben -
wir sehn aus wie Wörterbücher in denen die Silben
chaotisch fremd aufeinanderprallen. wörter gibts keine mehr, geschlechtsorgane
krenwürstel, glückstupfer, ausgerissene fingernägel, gleichgültigkeiten.
irgendwelche mühlsteine zermahlen uns
bitte, lieber Herr, komm zu tisch zu tisch,
dieses brot wurde gebacken aus unserem knochenmehl,
das blut war ein ferment für diesen wunderbaren wein
und geräuchert wurden unsere besten gewebeteile
für dieses heilige abendmahl.
wir kommen und klopfen an Deine tür
die ganze menschengattung ist ein schwarzes loch
es wartet - jeder im zwischenraum der eigenen chromosomen -
füll ihn aus - Herr
wir bitten Dich, Herr.
Mariana Codrut (Herbert-Werner Mühlroth) t
ritual
jeden morgen
zerreiße ich das band des traums
und trete in die wirklichkeit
mit dem herzen schwer von furcht
von scham
von schalen gedanken.
ich kreise um euch
- stumpfsinniges tier
das bisweilen innehält
mißtrauisch um sich äugt
und grundlos aufschreit.
jeden morgen
geh ich auf die suche
nach dem leben
mit dem herzen schwer von furcht
von abscheu
von schalen gedanken.
Ileana Máláncioiu (Dieter Schlesak)
Bitte
Den König Oedipus führte Antigone, die Tochter, an der Hand.
Bei König Lear war es Cordelia, die Verjagte
Aus seinem Land, sie habe ihn doch nicht genug geliebt.
Doch dich, mein Vater, könnte ich jetzt führen.
Für mich wird sich wohl keiner finden,
Mich zu begleiten, wenn er da ist, dieser schreckliche Moment,
Wenn meinem Auge alles sich entzieht,
Und weiß, daß doch nicht jeder dann begleitet werden kann.
Oh, Herr, laß nicht dies ganze Volk auf einmal so erblinden,
Nimm uns dann zu zwei und zweit, verschieb das Ganze,
Am Ende der Tragödie stell für jeden einen ab,
Der ihn ganz vorsichtig begleiten kann.
IV
LACRIMAE RERUM
Und keine Erlösung der Dinge durch uns
Ana Blandiana (Joachim Wittstock)
Bindungen
Alles ist zugleich ich selbst.
Gebt mir ein Blatt, das mir nicht gleicht,
Helft mir ein Tief finden,
Das nicht mit meiner Stimme klagt.
Mein Schritt zerteilt die Erde, ich sehe
Tote mit meinem Antlitz sich umarmen
Und andre Tote zeugen.
Warum so viele Bindungen an diese Welt,
Eltern so viele und die erzwungenen Erben
Und all dies unsinnige Ähnlichsein?
Mich hetzt das All mit tausend eigenen Gesichtern
Und mich zu schützen, muß ich immerzu mich schlagen.
Mircea Ivánescu (Gehardt Csejka)
baustein in einer pyramide
aber es sind ja die pyramiden, die der dschungel verschlang
die die gräser überwucherten, daß allenfalls die affen noch
um den stein wissen unter lianen und riesigen blättern
und einander nachjagen in den steinernen gräben,
wo die sonne längst nicht mehr hingelangt -
und die in stein gehauenen gesichter, die mein lächeln
für die affen bewahrt haben die im dunkeln nichts sehen - sie tasten sich voran
mit den händen streicheln sie über das eine oder andere blinde antlitz
aus stein auf dem ihre finger so sie kurz verharrten
die affen können mit den fingern greifen erkennen würden
das schweigen, die lichtdurchflackerte starre des gottes
dem ihre ahnen als opfer dargebracht wurden
doch das ist lange vorbei jetzt sind da gräser, lianen
und das geschrei der heutigen affen die einander in den gemächlichen
steingängen hetzjagden liefern oder die unkrautbedeckten quader erklimmen
jeweils den schwanz des vordermanns fest im griff
Ion Neagos (Dieter Schlesak) s
Mann am Fenster
Ein Mann am Fenster:
die Mauer des Gartens mit Spitzahorn geschlossen
durch diese Distanz
und durch dieses Ereignis das hochschnellt und
sich beherrscht
durch diese Distanz: die Tonhöhe des unbewegten Laubes,
gleichgewichtig der Himmel, das Unkraut salzig und kalt -
und ein Mann steht am Fenster
solange dieses Gedicht dauert.
Gymnastik am Abend
Allein auf dem langgestreckten Dach,
die Wölbung wiederholend,
flattert deine Bluse im Luftzug dort oben.
Darin dicht an dicht die Kiefernnadeln stecken.
Unten im Stadion dunkelt der Rasen ein.
Klar geht eine Lampe an.
Das dünne und kalte Fleisch trennt in gleich großem
Abstand
das quadratische Haus auf dem Acker
von meinem Herzen.
Ara Alexandru Sismanian (Dieter Schlesak) s s
Blick(e)
Jedes Ding ist eine Frühgeburt eine Guillotine
ein Fehlen - und ohne Kontur - ohne Licht
eine Leere die nirgends beginnt
die den eigenen Abgrund beklagt
eine Art Schlaf
voller Löcher abgründige Pakete
eine Art Traum
einsam
ein Sinn ohne alle Signale
Emil Hurezeanu (Elisabeth Axmann)
Nachtrag zum Nicht-Gewesenen
In meiner Vaterstadt, die Kindheit, eh
sie sich zu einer Jugend mauserte, banal, zur Hälfte wild
zur Hälfte literarisch... die Vorstellung gefiel mir gut
als ich, in "Monsieur Teste" vertieft, per Straßenbahn
zum Kirschenkaufen fuhr.
Klar wurde mir die Episode später erst, beim Lesen
der Briefe, die Radu Stanca einst geschrieben hatte
als er, zu seiner Zeit, in eben jener Stadt, mit eben jener Straßenbahn
zum Kirschenkaufen fuhr.
Und abermals viel später als ich
in Wien die Bahn mit Kirschenohrgehängen wiederfand,
war es zu spät.
Da habe ich eine befremdliche
Verbindung hergestellt - jener Synthesen eine,
die, sinnerfüllend, unser Leben stören -
ich fügt' zusammen das vergessene Geschehen
und einen eignen Vers: "Wie große Kirschen, an Nervensträngen hängend,
mir den Weg erhellen..."
das hab ich meinem Freund, dem Kritiker Ion Negoitescu, unterbreitet
und er befands "ganz aufschlußreich", doch seine Skepsis
ward immer trauriger, sooft wir uns - in meiner Vaterstadt
oder auf anderen Meridianen - wiedersahn.
Ich weiß bis heute nicht, was schwerer wiegt:
Daß man erlebt', was gar nicht war, oder
daß man erfährt, wie es gewesen ist.
Gabriela Negreanu (Werner Söllner)
Das Kind
lacht und weint und rollt einen stein
ins wasser es glaubt nicht an märchen es glaubt nicht
daß dort
im stein
sich einer verbirgt
es lacht und es weint
und es stürzt sich ins wasser
versucht nicht es zu retten
lacht und weint
für die steine
in denen ihr
seid
Ion Mircea (Reimar Alfred Ungar)
Die Ikonen im Herbst
Die Ikonen im Herbst auf Holz
Die Ikonen im Herbst auf Holz die Ikonen im Herbst
Welch Bröckeln
Welch Entblättern
Wenn auf dem Toten Baum
De Baum selbst gemalt ist
Wenn auf dem toten Baum
Der Baum selbst gemalt ist
Ioana Pârvulescu (Bettina Schuller)
Trödelnd auf einem Aug der Poesie
wie die Kaulquappe in ihrem Teich
wie das flache Blatt in seinem Himmelsteich
verstand ich
daß es Tage gibt
wenn
die Dinge
ihre Haut ausziehen
(wie die Schlangen)
und bleiben
lebendes Fleisch
bebend vor Erregung
Wenn ich nicht zu Hause bin
tummel ich mich in seinem Aug
(in dem vertrauten Innenraum deines Auges).
Es verfinstert sich manchmal
(nur, bitte, schließ die Lider nicht ganz
damit ich nicht gefangen bleibe) er verfinstert sich
und ich fall
kopfüber
in ein Knäul von Licht verwickelt
auf den gestirnten Teppich
im Flur meines Großhirns
dort hab ich meinen Platz
weiß, warm, meine Grube (was schert sie dich!)
Nichita Stánescu (Rolf-Frieder Marmont)
Vorwärtsbewegung
Artur Lundkvist gewidmet
Ich bin eine Dampflokomotive,
hinter der die Schienen verdunsten.
Ich bin ein Vogel im Flug,
hinter dem die Luft versteinert.
Ich bin ein Wort, das, einmal ausgesprochen,
einen Leib hinterläßt.
Ich bin die Zeit, die aus
einer Uhr springt, die kristallisiert.
Ich bin das Gras,
das bucklig ist vor lauter Grün.
Ich bin der Hunger,
der vorauseilt einem Bauch.
Ich bin der von einer Mutter
Geborene, die ebenso wahrhaftig ist,
wie ich unwahrhaftig bin.
Nicolae Prelipceanu (Peter Motzan)
Wintermode
2
Gott, der herr, wird uns nicht stören, tun wir,
als sähen wir ihn nicht, vielleicht gibt´s ihn gar nicht.
3
Als ich zur Welt kam erbten die anderen
meinen massigen schädel zu groß und recht klotzig
in meinem namen trugen die schatten von drüben
die erde von ort zu ort
schneefälle brachten den schmerz und die großen freuden
durch die meine sohlen marschierten
erloschen im lid des ozeans
an dessen rändern schrillvögel wimmeln
und kanäle quellen über
verseuchen die luft mit cholera und das meer mit pest
am ufer entlang treiben tote ratten
die wir im traum alle verschlingen
damit die nachkömmlinge
einen sauberen ozean erben so unschuldig und herrlich rein
in der nacht verschlingen wir aufgeblähte ratten
die das meer heranschwemmt und freuen uns
daß unsere nachkömmlinge
in der zukunft leben werden.
4
Der herr wird uns nicht stören
tun wir als sähen wir ihn nicht
vielleicht gibt's ihn gar nicht
Ana Blandiana (Franz Hodjak)
Fall
Die Propheten erloschen in der Wüste,
und die Engel mit hängenden Flügeln
werden in Kolonnen
auf den Marktplatz getrieben.
Bald werden sie gerichtet.
Man wird sie fragen: Welch Sünde
hat ihre Geschöpfe aus dem Himmel vertrieben?
Welche Schuld? Welcher Verrat? Welch Fehltritt?
Sie, mit der Kraft einer letzten Liebe,
werden uns, benebelt von Schlaf anblicken
und nicht die teuflische Kühnheit aufbringen
zu gestehn, daß Engel nicht aus Sündhaftigkeit,
nicht aus Sündhaftigkeit zu Fall kommen,
sondern vor Müdigkeit.
Mircea Cártárescu (Gerhardt Csejka)
Das Spülbeckengedicht
Das Spülbecken entbrannte eines Tages in heftiger Liebe
zu einem kleinen gelben Stern, der im Winkel des Küchenfensters blinkte
es vertraute sich dem Wachstuch an und dem Senfglas
und klagte dem nassen Geschirr sein Leid;
ein paar Tage später offenbarte es dann seine Liebe:
– Kleiner Stern, laß das Funkeln über Brotfabrik und Dîmbovitzamühle,
steig herab, die dort brauchen dich nicht
sie haben im Keller ein Kraftwerk und sind voller Glühbirnen
vergeude deinen Goldglanz nicht auf Dächer
und Blitzableiter.
Kleiner Stern, meine Chromhaut begehrt dich, mein Siphon röhrt
Gesänge für dich in den Abend, blubbernd und gurgelnd, wie's seine Art ist
die Teller mit den Resten vom Büchsenfisch
haben dich schon ins Herz geschlossen.
Komm, und du kannst die Nacht durch als König der Küchenschaben
funkeln über dem Linoleumreich
Doch ach, der gelbe Stern folgte nicht diesem Ruf
denn er liebte ein Suppensieb
aus dem Hause eines pommerländischen Federfuchsers
und verschlang es schmachtend Nacht für Nacht mit den Blicken.
So kam das Spülbecken mit der Zeit ins Grübeln
über den Sinn des Lebens, seinen objektiven Charakter
und versuchte schließlich beim Wachstuch sein Glück.
... einst ließ auch ich mich aufs Liebesspiel ein
ich, das Loch im Vorhang, das euch diese Geschichte erzählt
ich liebte einen prächtigen cremefarbenen Dacia, den ich einmal und dann nie wieder sah ...,
Aber was soll's, jetzt habe ich Kinder im Vorschulalter
und alles was war, ist wie ein Traum.
Ion Stratan (Helmut Britz)
Das Symbol
In den Lüften ist die Spur
eines Pferds
Auf der Erde stoßen wir an, stoßen wir uns
in den Lüften, dann gnade Gott
"Ohne mich", sagt der Mensch
"Ohne mich", sagt der Stein
"Ohne mich", sagt der Vogel
Die Spur eines Pferds, wie ein Regenbogen
bäumt sie sich über die Seele
Unbekannt wie wir sind
wurden wir längst vergessen
Trauriges Billett
und die Freiheit wie ein Mond in Verwesung
als wäre, was erschaffen wird, Verfall und vom vergessenen
Herrn der Dorn und der Kelch aus dem Nichts gewählt worden
Die Weide streift den Fluß,
den ich erstickte, da er
widerspiegelte
Ein Damm aus Phantomen, die Einsamkeit
eine Nation des Herzens wie
das Wort "mit"
Constanta Buzea (Markus Lakebrink)
Gelegenheit
Die Stadt betrachten, die verweste Sonne
Klarer Bahnen, auf denen Generationen kommen,
Die falsch sind und lilienzarte Zeiten bewohnen.
Versuchen, ihr runzliges Gestein zu verdauen,
Innere Masken, das Wasser ohne Gnade,
Ihr kaltes Chaos aus Pilzen auf Mauern,
Das ist törichtes Verlöschen im Bitteren.
Mich lähmt die Wacht auf der Höhe,
Täglich gibt sie mir den Gedanken an Selbstmord ein,
damit ich die Gelegenheit der Leere aus mir nicht verliere,
Damit ich sie eröffne, im Maß der Leere zwischen meinen Schritten.
Sieh da, die Terrasse mit dem Raubtiergitter,
Strand im Frühling, im Winter Eisbahn,
Wenn schwebend die Luft verschwindet
In einem schwarzen Zwang aus Schmutz.
Ich kann oder kann nicht. Bis ich mich entscheide, bleibt
Die Sehnsucht, viel fürchterlicher als ein Tod,
In schuldlosem und traurigem Geheimnis aufzubrechen
Nach dem Land, das mich geboren hat.
Glücklich der, der meinen Platz innehat;
Das Pferd, das seine heilige Luft pflügt.
An Ausflüge denken, das Glück vorspielen,
bis sich mir der Mund mit Erde füllt.
Ion Bogdan Lefter (Gerhardt Csejka)
Mit eigener Hand
Da hab ich das Wort "Hirn" und da
das Wort "Hirnhaut" und
dazu nehme ich andere Wörter
an die andere glaubten ohne sie je
berühren zu können.
In meiner Hand, dieser jungen Muschel,
sind diese Dinge nicht mehr das, was sie waren:
das Wort "Hirn" ist ein Hirn und
das Wort "Hirnhaut" ein transparentes Häutchen
das gleichmäßig, im Rhythmus des Meeres,
durchpulst wird vom Blut.
Vielfarbiges Rot
Mein Fleisch tropfte in runden Tropfen
mein Blut tropfte in runden Tropfen
(mein hagerer Körper - ein Stalaktit)
als Stalagmit entstand ich unten neu
ich sah von oben zu wie ich unten heranwuchs
in der Luft färbten sich die Tropfen rot
von oben bis unten lebte ich
in der Gestalt eines roten Regenbogens
mein Fleisch tropfte in runden Tropfen
mein Blut tropfte in runden Tropfen
XV
"... denn nur was kein Gedicht ist,
kann noch als Poesie bestehen ... "
Ana Blandiana (Dieter Roth)
Beweise
Gesteinigte Engel,
Die noch so standhaft sind,
Daß sie nicht in den Himmel
entschwinden,
Bitten mich, zerschunden
Und erschöpft, um Obdach.
Und während sie noch leise flattern,
Entschlummern sie sanft und zerbrech-
lich
In den Schreibheften und ziehen im
Schlaf,
Wenn ihnen kalt ist,
Ein weißes Blatt über die Flügel.
Am Morgen weiß ich, es war kein
Traum,
Wie die Federabdrücke auf den Heft-
seiten verraten,
Und ich beeile mich, sie mir einzu-
prägen,
Ehe man sie beschlagnahmt,
Um damit das Erscheinen
Neuer Raubvogelarten zu belegen.
Florin Mugur (Helmut Britz)
Splitterglück
die Poesie, dieser Lügendetektor, der in Tränen ausbricht
*
als ich entdeckte, daß ich Feinde habe, als sie über mich
herfielen, als sie weggingen und ich allein in meinem
Zimmer zurückblieb, fragte ich mich: wohin seid ihr
weg Brüder? ich lebe noch?
*
die Liebe ist leicht wie ein Lindenblatt, heißt es im
Lied, ach ja, und wie die Raupenkette eines Panzers,
die liebe Liebe
*
Schönheit, diese Minute, die wir durchlebt haben, als
wäre sie Wirklichkeit
Dan Damaschin (Hellmut Seiler)
Botschaft
Es schreibt meine Hand erschauernd vor dem Schrecken des Frostes
der das Erstarren bringt;
Die einzige Botschaft die aus einer entfernten Zukunft
zu mir dringt
Sind diese eisigen Windstöße die sogar meinen eignen Dämon hindern
zur Besinnung zu kommen;
Besessen von der Vision einer Bibliothek die öde ist wie eine Höhle
vergessen seit Äonen,
Im Eis eingeschlossene Bände, die sich nicht mehr
öffnen lassen;
In denen die Worte der Dichter von den Gesetzen des Frostes gedemütigt
dastehen,
Im großen Winter der Welt, wenn nur der Tod, nachdem er seine Arbeit verrichtet
noch Zeit hat zu lesen.
Bogdan Ghiu (Klaus F. Schneider)
Gedicht
Die vorherigen Gedichte
sind nur der Weg
bis zu diesem Gedicht.
Gedicht
Zuviel Platz
da für
ein einziges
Gedicht.
Und es könnte sein,
daß weiter nichts mehr geschieht.
Das Gedicht ist kurz...
Viorel Muresan (Dieter Schlesak)
Der Fotograf: Eine junge Frau hob ihr Kind über ihren Kopf hoch:
und fotografierte mit ihm die Umgebung
Romulus Bucur (Herbert-Werner Mühlroth)
lob des augenblicks
dampf der aus der teetasse emporsteigt
die umrisse ihres körpers
gitarrenklänge aus dem rekorder die sich in spiralen erheben
striche auf dem papier die langsam einen sinn ergeben
//aus der teetasse steigt dampf
die umrisse ihres körpers
aus dem rekorder erheben sich gittarenklänge in spiralen
die striche auf dem papier ergeben langsam einen sinn//
Traian Stef (Dieter Schlesak) s
Falls du nicht schreiben kannst
Welch syntaktische Fügung
Welch ein Text
Welche Dynamik
Kannst springen wie eine Silbe
Von ihrem Platz
Auf ihren Platz
Kannst spielen
Auf dem Saxophon
Eine Ekstase
Auf der Zunge des Mächtigen
Sind die Worte wie Handschuhe
Demodé
Ein Bein im Gips
Ein Zyankalikonsens
Wenn du nicht mehr reden willst
Wenn du nicht schreiben kannst:
Da die anderen lachen und reden
Unaufhörlich lachen und reden
Gehst du vielleicht nach Rom
Und bewunderst die Melancholie
Des untergegangenen
Römischen Reiches
Ion Muresan (Gerhardt Csejka) s
Untertänigst Euer Scardanelli
(Ein Lied des Alexandru Vlad)
Schlacke über den Büchern sing auch du
»Schlacke über den Büchern«
und das Stirnbein das wie ein steinernes Messer zwischen den Blättern steckt.
Juchhe, juchhe! Die Naturgesetze schlugen ihre Hauer in meine Phantasie sing auch du
»Juchhe, juchhe! Die Naturgesetze schlugen ihre Hauer in meine Phantasie«.
Den Satan wiederum hat man nie besser abkonterfeit gesehen:
er war wie die Smaragdeidechse so grün.
Ich sah orangegelbe Körner die Horizontlinie lang gestreut sing auch du
»Ich sah orangegelbe Körner die Horizontlinie lang gestreut«
und der Weg hieß es sei voller Staub, voller Hörner und Hufe.
Schön ist es im Garten bändergeschmückt
zwischen Bäumen zu spielen
mit bunten Tüchern sing auch du
»Schön ist es im Garten bändergeschmückt
zwischen Bäumen zu spielen mit bunten Tüchern«
mein Mund aber naht sich der Poesie wie einer Brennesselgarbe,
und das sind Dinge, die erinnern mich an Dinge
die ich niemals gesehen
und eh es zu spät ist, zeichne ich hier: Untertänigst,
Euer Scardanelli
Das schwimmende Gedicht
Ich stehe in der Tür der blauen Baracke.
Ich, der Sinnreiche, Wendige, Schlaue,
ich vollendete das Gedicht wie folgt:
»Wie der Meerrasen endlos hingebreitet die Narrenkappe,
darunter schnurrt und rattert gedämpft die Schicksalsmaschinerie.«
Und ich bedaure es nicht, jetzt
da deine Augen fast völlig geheilt von der Blindheit
zwei zahmen Fröschen gleich von einem Wort zum anderen hüpfen,
von einer Strophe zur andern,
diesem schwimmenden Gedicht.
Eugen Suciu (Rolf Bossert)
Aleph
für Dan Arsenie
Jedes Wort
beginnt mit einer Art Verdacht
mit einer Aktlinie die im Sperma nistet
mit Vater
der die Ärmel des Mantels
wie eine Rose wetzt
die das Gespräch mit der Katze aufschiebt
wenn sie ihr eine neue Seele verkünden muß
da ich nicht weiß
in welchem Vers mir der Tod auflauert
nenne ich Armut
die mechanische Tätigkeit der jesuitischen Hasen
die sich flatter flatter auf meinen Schädel setzen
das Gehirn
das ihr mir in die Hand schmuggelt
als wär´s eine öffentliche Verwarnung
und außerdem nenne ich flatter flatter
eine Art Huf
eine Art grüner Kindheit
durch die mir die Nacht ein Seil spannt:
da! spring in den Sattel und schreib
und ich schreibe:
in meinen Augen
hält Wort der Irrsinn
"hm
flüstert der Tod
Kinder werde ich kriegen"
Mariana Marin (Dieter Schlesak)
Ohne sie
Ohne sie - meine jungen rumäniendeutschen Freunde
würde das Subjekt immer noch an den Fingern
der Realität lutschen.
Tumb und vor dem eignen Schatten erschrocken,
würde es nie begreifen, warum denn die Poesie
Metzgergeruch und den Geruch der Sektionssäle ausströhmte
Ohne sie wäre es schwerer gewesen.
Auf dem Kopf wäre mir der kleine bourgeoise Pilz gewachsen
so lesend unter dem Schirmchen (mit realem geistigem Interesse)
die Romane des verquälten Jahrzehnts
oder über die Problematik südamerikanischer Prosa ...
Ohne sie wäre ich endgültig saniert gewesen
im Land zwischen Herz und Karpaten,
und die Aktionen der eisernen Einsamkeit
jener Ort von dem aus ich schreibe
über diese Ausdrucksmittel
hätte zu lang vor der Tür warten müssen
wie ein verlassenes Kind.
Ohne sie wäre ich noch ärmer gewesen.
"Das, was ich bin" hätte zu spät die Augen geöffnet
in Richtung des "Was wir sind".
Die aufblühende Sprache des Toten,
den ich erst gestern in den Armen hielt,
wäre wahrscheinlich niemals
wirklich mein eigenes Leben geworden/ wie jetzt.
Liviu Ioan Stoiciu (Dieter Schlesak)
Wie unirdisch doch
... welch unirdische Nacht: der älteste Typ
weiblicher
Nacktheit wie ein Geruch
überall in meinem Zimmer, so habe ich
das drückende Gefühl nie gekannter Schwere ... schwerer
Atem: von Sattheit, Erfüllung,
von Schläfrigkeit ... Wie ich schon sagte, fühle ich
mich ganz einfach atrophiert. Über meinen Augen
Schleier. Nein
es ist mir nicht gut! Der hölzerne Schreib Tisch verwandelt
sich in einen Eisernen Tisch, sogar er
erschreckt mich: ich bin
gesehen worden - himmelnd. Und so nachäffend
das neue Zeitalter?s Du warst...?
Nora Iuga (Gerhardt Csejka)
Die Leere auf dem weißen Papier
was für eine stunde dies / wie ein korkenzieher
in meine angst gestoßen und zwölfmal umgedreht
die erde und all ihre innereien
nichts als leidenschaft und gewalt
eine schreibmaschine ohne schreibfinger
auf dem weißen papier
gerät die leere ins fließen
und dante ist für mich glaubwürdiger
als der klaffende bauch des pferdes
hinter geschlossenen lidern
lesen meine augen nicht
sie sehn bloß die zeichen des dunstes
der dem moor entsteigt
Bogdan Ghiu (Dieter Schlesak)
Poem
Hier ist der leere Raum des Poems.
(Der Raum poementleert.)
Ich schreibe: um zu ent-fernen, zu
ersetzen, schreibend das Poem
beiseite zu schieben.
(Es zur Seite legend!)
Dumitru Crudu (Dieter Schlesak)
liubovs sonett, tristia 12
....., ...... ... ... -
.... ...... ..........
....... ................ .... -
.. . ... ....... !
..., ........ . . .... -
.... ... ..., ...... , ..
......... ... ... ..? -
.... . .... ... ... .
.... ... ... .. ... -
.., ......., ..........
. .. ...... .. . .. -
... . . ... ... ..
... .. ... ... .. -
. . ?
Nicolae Popa (Horst Samson)
Grenzfurche mit Augenringen
Es gibt nur Bücher, die jammern können
während Das Wort ein verrosteter Nagel wird
an den die Unendlichkeit ihr Hufeisen hängt
Petru Romosan (Herbert Gruenwald) s
Sommermärchen
Unter den Schnittern, im Gras, erschien ein Possenreißer
"Ha! Ha! Haha! Was tut ihr denn hier?
Ha! Ha! Ha! Für wen arbeitet ihr?"
Der älteste Bauer wetzte die Sense und mähte - ein Blitz -
dem Spuk beide Beine ab.
(Die andern Bauern lachten Beifall.)
Blaue Nässe
(so wird erzählt)
habe damals das makellos grüne Gras befleckt.
"Als wäre es Tinte!" Entsetzen der Schnitter.
Unter den Schnittern, im Gras, versickerte ein Possenreißer.
Der Idiot und die Blüte
"Mir wird es gelingen, ihr das Geheimnis zu entreißen!"
Er lächelte irr.
-"Das Geheimnis jener weißrosa Heiterkeit."
Scheu vermied er sie zu nennen.
Allzu laut die Ekstase der Schwätzer: "Todesahnung, Sterblichkeit!"
"Werd ich eine Blüte je vollkommen kennen...?"
Man fand ihn in einem Hotelzimmer
tot, grün, leise raschelnd.
Auf dem Tisch eine taufrische Blüte.
Schafft Dante herbei
Dante ritt auf einem Esel nach Siena,
Nach Siena oder einer anderen schattigen Siedlung der Menschen.
Seit einem Jahr erwartete ihn die Stadt.
"Dante wird uns erretten!" freuten sich die Ratsherrn.
"Pest, zersetzende Gerüche, Mißmut, Verdruß...
Dante wird uns erretten!"
Zornerfüllt tönten
die Stimmen von Sienas stolzen und prächtig gewandeten Bürgern:
"Der da ist nicht Dante, der da kann Dante nicht sein,
Schafft Dante herbei!"
Vom Esel herab, rief auch er,
so laut es seine Kräfte erlaubten:
"Der Mensch ist kein Vieh, sondern erwählt, die Welt zu erleuchten
und das Dunkel zu bannen!"
Sienas stolze und prächtig gewandete Bürger
brachen in schallendes Gelächter aus.
Rodica Draghincescu (Dieter Schlesak)
Prinzip des Poems
Barfuß dringe ich ein in diesen Tod
wie in den Spiegel mit geschlossenen Augen
kein Schmerz durchzuckt mich
und Wochen vergehen
wie gesichtslose Mönche
mein Rock wird zerknittert
doch unmöglich ist es ihn
abzulegen/ der Körper hat
in ihm Wurzeln geschlagen
er ist ergrünt
Sie auf was warten Sie?
fuhr er mich an
ein Alter winzig und dürr
Nehmen Sie ihren Körper, Schaufel und Gras,
lebendig zu begraben dieses Gedicht
Daniela Crâsnaru (Peter Motzan)
Atem
Meine schreibende Hand
dringt ins Weiß des Papiers, in sein kaltes,
neutrales Fleisch - bis zur Schulter, bis zum
letzten Lidschlag. Ein eleganter,
nahezu perfekter Selbstmord.
Der Feuerschlucker
Ereignisse und Bilder
in der gleichen verschossenen Montur.
Deine willfährige Netzhaut, dein Geist
und sogar die schlafträgen Zellen des Körpers
werden von ihrem Getümmel überrollt, erdulden
ihren Vormarsch, ihre Invasion, ihre Offensive.
Ereignisse und Bilder. Der Wirklichkeit, selbstverständlich.
Wie gerne würdest du sie beim Namen nennen,
ihnen ihre Identität wiederschenken, endlich mal diese
anonyme, aber zähe, erdrückende, flutende Masse auseinandersprengen.
Wie gerne würdest du sie beim Namen nennen
aber die Worte flackern nur augenblicklang,
furchtumloht,
Worte, die du dann eilends
zurücknimmst, sie verschluckst
mit der perfekten Selbstbeherrschung des Feuerschluckers,
dessen Träne (ach, Illusion der Illusion!) auf dem Antlitz
das tiefverzweifelte Territorium der Demütigung zeichnet.
Alter
Geschmack von Asche, Leben: driftende Willkür,
irgendwo, tiefwärts geht auf eine Tür.
Duft von Wachs, Duft einer brennenden Nacht,
Duft von Tränen, die kein Gedanke bewacht.
Überragt wird dies Schweigen vom großen Gelächter,
in Honig taucht Tod seinen Finger, der Schlächter.
Das Seil dieser Worte, geflochten voll Müh,
sein Ende schlingt sich um Gottes Knie.
In der Zielgeraden
Worte über Taten,
Worte wie riesige Bernhardiner erwärmen
die Opfer mit ihren Leibern,
retten dann und wann, was noch zu retten ist.
Mein Gedächtnis durchpflügt immer mühsamer
die düsteren Kanäle, die Schlachthäuser des Schreckens,
die Arena, über der die Leichen
verhallter Hurrarufe schweben.
Wie auf einer Weihnachtskarte: die verschneite Glocke.
Und Dutzende ineinandergreifender Hände, um ihr ein Klingen
zu entlocken, doch starrköpfig verharrt sie in hochmütiger
Stummheit, ein rein ästhetisches Objekt, beheimatet in der
Wirklichkeit einer Ansichtskarte aus Kinderzeiten.
Die letzte Kurve und dann die Zielgerade.
Mein Verstand müßte nun hell, hellwach sein,
die Ordnung seiner Gänge: vollkommen.
Der letzte Kräfteaufwand wird genau berechnet.
Die letzte Liebe, die letzten beglichenen Schulden,
das letzte Wort, ein Bernhardiner, der mich zudeckt
mit seiner Brust, der heißen, heißen, heißen.
Petru M. Has (Horst Anger) s
Heut ist der Siebzehnte
man hört die Krähen
in einigen Tagen haben wir die längste Nacht
rückt bitte die Kirche zwei Schritt nach rechts
damit wir sehen, wieviel Uhr es ist.
Das Wasser spritzt aus den Hähnen
Gefühl von Frische und Fest
Komfort des Tages
Überall wird Wochenstaub emsig geschüttelt
der in Poren fleißiger Kleider nistet
in den Rillen alltäglicher Haut.
Alles kriegt Glanz unter Fingern und Schaum
und das Gedicht entsteht aus so vielen Worten
die am Gedächtnisflügel haften
im eiligen Flug
durch die erblühte Vegetation der Sprache.
Pierre dem Unedlen und Ignoranten zum Gedächtnis
unter der treppe weitab von lärmenden songs
raucht der poet die asche alter hymnen
in dauernder verwirrung
der erste himmel fiel
der zweite
der nächste
gespenster ruhen im dachbodenstaub
und auch die musik eine im schmerz gespannte saite.
Nichita Stánescu (Rolf-Frieder Marmont)
Die Lektion vom Würfel
Man nehme einen Steinblock,
behaue ihn mit einem Meißel aus Blut,
schleife ihn mit Homers Auge,
poliere ihn blank mit Strahlen,
bis der Würfel vollendet ist.
Danach küsse man unzählige Male den Würfel
mit deinen Lippen, mit anderer Leute Lippen
und vor allem mit den Lippen der Infantin.
Danach greife man zum Hammer
und schlage jäh dem Würfel ein Eck ab.
Alle, restlos alle werden sagen:
Welch vollendeter Würfel dies wäre,
hätte er nicht ein abgeschlagenes Eck!
Stefan Aug. Doinas (Wolf Aichelburg) s
Zwischen mir und meinem Vetter
- Dann stieg ich hoch im Hals
des Vogels, schrecklich anzusehn. Er flog.
Es war ein Vogel blau, unendlich blau.
Er nennt sich Rock: Aus seinem Schnabel fielen
der Morgensterne Silben. Seine Blicke
erschufen wie drei Trichter ineinander
Abgründe wolkengrau. Wir flogen
hoch über Wolken, höher, und ich sah
auf einmal, als ich in die Tiefe blickte:
ihm war ein Ei entfallen. Es war die Welt.
- Gewiß, sagt da mein Vetter. Doch bedenk,
den Vogel gibt es nicht, von dem du sprichst!
- Nein, sagte ich, es gibt ihn nicht, und hielt mich
angeklammert fest an seinem Hals.
Ich hielt mich fest. Ich weiß, es gibt ihn nicht.
Marin Sorescu (Dieter Roth)
Schicksal
Das Huhn, das ich gestern abend
tiefgekühlt
kaufte,
taute zu neuem Leben auf,
legte das größte Ei der Welt
und erhielt den Nobelpreis.
Das Wunderei
ging von Hand zu Hand,
umkreiste in einigen Wochen die Erde
und in 365 Tagen
die Sonne.
Das Huhn kassierte
ich weiß nicht wieviel
harte Devisen,
umgerechnet in Scheffel Körner,
doch es hatte keine Zeit,
sie aufzupicken.
Denn von allen Seiten kamen Einladungen,
es hielt Vorträge, gewährte Interviews
und ließ sich fotografieren.
Oft wollten die Reporter
unbedingt auch mich
an der Seite des Huhns
ins Bild haben.
So wurde ich, nach einem Leben,
das ich ganz der Kunst geweiht hatte,
über Nacht berühmt
als Geflügelzüchter.