Inhalt von Teil II

X Besäufnis mit Marx

XI Rumänienkrank zurück aus dem Exil

XII Rede anläßlich der Aufnahme eines östlichen Landes in Europa

XII Hasse deinen Nächsten wie dich selbst

XIII

 

FORTSETZUNG

 

 

 

X

EIN BESÄUFNIS MIT MAX

 

 

 

 

 

 

Ana Blandiana (Rolf-Frieder Marmont)

 

Würmer auf Wanderschaft

 

Würmer auf Wanderschaft, geflügelt und auf Rädern,

Würmer, denen man anwies

einen neueren,

zeitgemäßeren Friedhof;

Wogen von Würmern,

alte Leichen, umgebettet

in die windigere Ewigkeit

einer verweltlichten Hölle;

Wogen von Würmern

unterwegs in neue Gräber,

Würmer auf der Reise

zum jenseitigen Tag,

im künftigen Teich werden die Fische

entschlossener lernen, Würmer zu sein.

 

 

 

 

 

 

Cálin Vlasie Gerhardt Csejka

 

Straßenbahnen

 

Straßenbahnen von gestern

auf Straßen von gestern

mit Menschen von gestern

Ein neuer Film

 

 

 

 

 

 

Mircea Dinescu (Werner Söllner)

 

Ein Besäufnis mit Marx

 

Marx, mon vieux, hierzulande

würde man dich schleunigst halbieren

und umerziehn. Sogar daß die östlichen Kühe, die früher

neben der Bahnlinie grasten, sich einbilden, eine Art

Lokomotiven zu sein, und keine Milch mehr geben, wird

dir angelastet.

 

Besser, die Stadt fällt den Krämern zu,

damit der Markt nicht mehr so nach Rhetorik stinkt,

besser, die Bierbrauer kommen, die Pastramihändler und Käser

mit der Dialektik von gegorener Gerste

und von gestockter Milch.

 

Einstweilen aber würden die Bauern am liebsten

grüne Tintenfische aus dem Haar der Punker mähn,

einstweilen berauschen sich die neuen Philosophen

an der Idee, sie könnten mit dir polemisieren -

wo du doch mausetot bist.

 

Sie haben nicht den Riecher für die Hefe,

die brodelt, die die Gesellschaft aufbläst,

die die Destille anwirft, in der Cohn-Bendit

mit Anstand zum Dezernenten kondensiert.

 

Auch ich habe nicht die geringste Idee, was für Waffen

man bräuchte für diese Revolte, auch ich verlasse,

wie die Schnecke ihr Haus, Syntax und Logik

und träume von jener merkwürdigen Krankheit,

die dazu führt, daß man sich an einem Bissen

Brot besäuft.

 

Nimm und probier.

Wir sind auf dem richtigen Weg:

Auch in Deutschland gehen die Uhren verkehrt.

 

 

 

Mircea Dinescu

 

O betie cu Marx

 

Bátrîne Marx tu pe-aceste meleaguri

ai fi degrabä bärbierit si trimis la reeducare.

Pinä si faptul cä vacile estice care-au päscut pe lingä linia feratä

se cred vagoane de locomotivä si nu mai dau lapte

ti se pune tot tie in circä. t

 

Bine-ar fi săcadăorasul pe mîna negustorilor

sä nu mai putä piata atît a retoricä,

sä vinä berarii, pastramagii, läptarii

cu dialectica orzului fermentat

si-a brinzei inchegate.

Deocamdatä täranul ar cam iesi la cosit sepia verde din pärul punkistilor

deocamadatä, bänuind cä esti mort,

noii filosofi se imbatä cu ideea cä polemizeazăcu tine.

N-au nas sä simtä cum colcäie drojdia

ce umflä societatea

si pune in functiune alambicul

prin care Cohn Bendit s-a condensat într-un primar cumsecade.

In fond chiar si eu care sînt un ins banal

(nici homosexual nici evreu)

ies ca limaxul din sintaxä si logicä

si visez acea boala ciudatä de stomac

din pricina cäreia te poti îmbäta cu o bucatä de pîine.

Ia si gustä.

Sîntem pe drumul cel bun:

in Germania ceasurile au început sä meargä anapoda.

 

 

 

Mircea Dinescu (Werner Söllner)

 

Logbuch

 

Leuchtturmkrank im Koben des Balkan,

wo das Meer sogar im Klo der Bodega plätschert -

hier kannst du dir aus einem Zaunbrett

ein Schiff zimmern, eine Mütze voll Kürbiskerne

und du wirst zum Kaufmann.

 

Ein Hunderter reicht für neue Papiere

(türkisch oder griechisch, du kannst wählen):

Ibrahim, Kazaluki oder Jannis - deinen Namen erfährst du erst

auf dem offenen Meer.

 

Grüß schön! Europa

ist auf dem anderen Schiff.

 

Das Grammophon im Hafen leckt den Schaum auf

Der Tag gleitet über die Klinge

und schneidet sich nicht.

 

Micea Dinescu kap

 

Die Rückkehr der Babaren

 

Gegen Abend

wenn die Barbaren aus dem Westen zurückkehren,

rittlings auf Begriffen, als Abgesandte

großer Salamifabriken, frag sie

nicht weiter nach Pferden, sondern

lösch das Feuer

nimm Glut in den Mund

füll dein Gedächtnis mit Asche

und geh mit deiner Trompete ins Himalaya -

bau dort Lawinen an

oder wechsle dein Geschlecht, den Namen, den Lebensraum

misch dich unter die Gänse gackere, hau ab

mach schnell Profit

spiele den Eskimo

wenn der grüne Nerv des antarktischen Eises

sich langsam entspannt, und halte um die Hand

der rundlichen, lüsternen Seehündin an,

leck den Honig von den Fingern des Bundesverwalters

oder steh ganz einfach demütig da

und hör zu, was die Lokomotive brüllt

und ohne Hebamme auf dem Feld

eine Spur kleiner, funkelnder Lebewesen gebiert

 

Werner Söllner

 

 

Mircea Dinescu

 

Peinliche Moritat vom gescheiterten Selbstmörder

 

Anno siebenundvierzig Hunger und Kälte

fast wär ich da geboren worden

aber meine Mutter brachte lächelnd

meinen Bruder zur Welt, den Blinden.

 

Fast hätt ich Maulbeeren gegessen

aber Wind kam auf und sie fielen

in Nachbars Garten

 

Der Krieg war kälter als das Bier

 

Fast wär ich in ein Mädchen geschlüpft

aber ein anderer hat es geschafft

mit Vorfahrt von rechts.

 

Als ich zum Wettkampf antrat

allein, wurde ich Zweiter.

 

Als ich mich in die Seine warf, begann ich, wie

peinlich, zu schwimmen.

 

Werner Söllner

 

 

 

Marta Petreu (Ernest Wichner)

 

Dies Jahrhundert

 

Oho. Welch stolzer Bau, welch künftig Reich

auf Erden

hier und jetzt, ja, hier in nächster Nähe

so daß man's mit dem Finger berühren kann

und auf die Wunde sich legen.

 

Eine Zigarette brennt so lange sie brennt

und verlischt im Aschenbecher.

Die Blinden lauschen ihren Schritten.

Die Wölfe, die Wölfe, die Wölfe.

Welch Zartheit, Herr, welch Zartheit voller Wunden

und voll stockenden Bluts.

Welch hohe Berge, welch teure Utopien

verfinstern uns die Sicht.

Was hat dieses Jahrhundert für stinkende Eingeweide.

 

Ich bin müde, müde bin ich letzte

Kreatur der Schöpfung, letzte Utopie von Gott

schlag mit den Händen, den Füßen

zetere in epileptischem Zucken - den Spasmen der Gattung

letal, gewiß.

Ich bin müde

fürchte mich im Dunkeln vor dem morgigen Tag

erbebe vor meinem Schatten

applaudiere den Katastrophen, dem vergossenen Blut

wie ich dem weißen Leintuch Beifall klatschte

erblühte es denn mit feurigem Mohn

beim Tanze der Braut.

 

Und jenes menschliche Hirn, das rosafarben

ausruht auf den Trottoirs der Stadt.

 

Müde bin ich, Herr, bin euphorisch, für immer besiegt

begehe Vertrauensbruch nach rechts und nach links

seh' mit der Lupe dein Auge mir an

dein Auge, ja, mit der schwarzen Iris

ja, einäugig bist du wie Polyphem, der Griechenfresser

und ein Hörrohr, ein einziges Hörrohr hältst du dir

an dein einziges Ohr um unsern Lärm zu vernehmen.

 

Engel

blinder Engel, taubstummer Engel, schwachsinniger

mach den Mund auf

mach endlich dein Maul auf

und rede

drisch deine Phrasen

urteile

verurteile mich.

 

 

 

Carmen Firan (Dieter Schlesak)

 

In den Ruinen dieses Hauses , träumend

jetzt wenn meine Augen schwächer werden

kann ich endlich mit dir sprechen

über die Erniedrigten, über die Heruntergekommenen

und das Verfaulen zwischen den Ruinen

was bleibt als Rest des Lebens?

auch Worte sind Nichts

als invalide Laute

Klingen in einer Art fremden Sprache

und der Frost ist ein Haus wo ich Schweigen lerne

und den Eindruck von Weisheit erwecke

 

Nichts vergeht so mit den Jahren

ich sterbe auch weiter mehrmals am Tage

nur ist es jetzt schwerer

da niemand kommt um mich zu hören

ich habe Sehnsucht nach mir, jene, aus deiner Welt

meine Träume sind schwarz

alles was ich lerne ist um es zu vergessen

ich träume von Unsicherheit und von Lügen

alles was ich anfasse ist nicht mehr lebendig

mein Atem vereist deine Wangen

und wäre es nicht spät

wär es noch fremder

 

 

 

 

 

 

Dumitru Chioaru (Dieter Schlesak)

 

Eine schöne Lüge

 

Freie Fahrt über die Lügenbrücke für jene die einmal mächtig waren und jene die überhaupt einmal waren

auch mein Körper mit den zwei Schatten Nichts als eine schöne Lüge die schönste Lüge eingetaucht in den Strahlen Schein des Sonnen Untergangs aufgesogen scheint er von Abendfenstern ein einziger scheint in vielen Gesichtern irrend durch endlose Tunnels

aus den Augen des Nächsten von der Gegenfahrbahn - jedes Wort erfindet die größere Entfernung nur jenes aus einem himmlischen Mittag läßt diese Brücke zwischen uns herab eng geführt daß wir einer durch den andern streifen können Verpackungen der Einsamkeiten treffen (Lüge auf Lüge wie mit Tod auf den Tod zu treten) so übertritt eine Generation in Europa schneller als völkerwandernd die andere: ein Angriff der neuesten Barbaren.

 

 

 

Ion Radu Vácárescu (Dieter Schlesak)

 

Leere, die brennt

 

Schwer heilen die tiefen Wunden oder leicht bringen sie dich unter die Erde mit ihnen bleibst du immer in der Nacht während rosigmollige Engel verschwinden in der Kulisse aus Leinwand und Karton der starre Blick der Dinge schmerzt wenn sie dastehn und verstaubt

in einem vertrockneten Halbschatten an der Decke arbeiten die Spinnen ihr Miniaturschweigen aus und auf dem Tisch warten Bücher und weiße Blätter der Kerzenstumpf flackert und verlöscht auch du

bist gefangen in deiner unheilbaren Wunde Werk

der Worte die dich noch halten auf des Messers Schneide:

Leben. Nichts weiter ist ihnen möglich als abzuzeichnen

eine Absenz Leere die brennt.

 

 

 

 

Alexandru Musina (Dieter Schlesak)

 

Im Park

 

Es trifft ein Sonnenstrahl den goldenen Füllfederhalter,

Das Heft, die Zeitschrift, diese Parkbank,

Und dann meine Haut voller Narben!

 

Explodierte das Hirn, wen würde es heut etwas scheren?

Und würden die Neuronen zerrieben, das Gesicht

Verzerrt von Zuckungen, was, bitte, würde es

Nützen, kümmerte es jemanden? Niemanden soll´s kümmern!

 

So kommt doch, daß wir uns belügen!

Auch weiter fröhlich, daß die Zeit vergeht.

Die Ohren zu. Die Augen fest geschlossen!

 

Kommt, sterben wir! Gemeinsam.

Wir, die Verbrauchten, dreckig, depressiv.

Es starben viele Milliarden. Wen kümmert´s heute noch!

 

Und wär´s ein Ictus: lähmte mich ein Schlag,

Mitten im Park, den Füller in der Hand.

So weint nicht. Lacht nicht. Zuckt nur

Mit der Schulter, geht weiter, ruhig. Nur du,

Frau Sonne, Strahl, vergiß mich nie, erwärme

Die versteinte Haut.

 

 

Rodica

 

(Dieter Schlesak)

 

In richtung perfektion

Text mit kurbel und schmetterlingen

 

3. ich habe mich auf den mauern

der geburtsklinik schreibend vermehrt

( versucht eine anamnese ohne die

liebsten sauereien laut auszu-

sprechen/ vorsicht: courage!)

jeder bestand teil meines körpers war

und war auch nicht vorgesehen

mit langen finger nägeln die gingen

und drangen durch

KOMM und j MICH

riefen mir die aus den spiegeln zu

( über diesem haben sie sich zu gleichen

teilen in große gesten der geburt verwandelt)

 

als ich 30 jahre alt war - abzüglich 30

schrieb ich gedichte/ mein schreibzeug: die tat

(niemand konnte mich nachahmen

sie wischten sich die stirn mit der schneide)

 

 

 

Alexandru Musina (Dieter Schlesak)

 

Tomographie

Brief an Mircea M.

 

ein leichtes verwelken der haut und der plural der nötigen höflichkeit

zu enge kleider in denen wir uns

voller eleganz bewegen weder ein unfreiwilliges schulter-

zucken noch eine lässige juvenile geste mit der hand

sind wir eingegraben in flaschenpyramiden oder umwickelt

mit leukoplastbandagen um uns so von zeit zu

zeit zuzulächeln voller mißtrauen und sympathie gewinner

freilich sind wir keine doch auch keine wirklichen

versager zwei verlorene intellektuelle im

papualand im hinterland in einer skatophagie hier

wo schnelle und fettige alte noch bevor sie geboren wurden

zu allem fähig sind um etwas zu erreichen

so laut wie nur möglich zu schreien zu saufen und die

gefälligkeiten teilen zu können zwei abkömmlinge

zwei diskret verwelkte sprößlinge freunde der bücher

weiße alexandrinische statuen im schlamm suchend

söhne und enkel von schafhirten die das beizeiten

untergegangene imperium noch gut erinnern um uns der freiheit

zu übergeben frei und allein gelassen in dieser tristolitania in

der leckdieblechschüsselei in genuflexia und doinamaismehlia

in polentia und poluentia regina der künste und unseres

herzens freilich von wo die sonne für uns alle aufging und von

wo uns mehr und mehr aufgeht eine greisige und vertrocknete

zitterhand alles was noch von dem phantom blieb

gebraucht und verbracht uns von jenen steppenmenschen den

guten und verblödeten den so großherzigen und voller naiver

grausamkeit zeigend und drohend zeigefingerzeigend

und drohend drohend...

 

 

 

 

Cálin Vlasie (Gerhardt Csejka)

 

Traumzeit

 

Ich lebe in einem Traum aus dem ich nicht erwachen kann

Sogar in diesem Augenblick träume ich

Ich träume mit der Wucht von Milliarden Träumen

Gedanken und Gefühle gibt es nicht mehr

in diesem Traum den ich unfreiwillig

erlebe – er lebt mich der Traum

wie man im Wachzustand gelebt wird

von seinen Gedanken und Gefühlen

Der Traum ist eine oneirische d.i. Traumtätigkeit

also gewissermaßen der Wahnsinn eines trägen Körpers;

die Trägheit steigert den Wahnsinn

Ich stehe zu mir selbst in Verbindung

der ich nur ein träger Wahnsinn bin

Dennoch mit dieser Definition des Traums

ist etwas nicht in Ordnung denn:

wie kommt's daß ich euch berichten kann

was ich soeben träume?

Also:

formulieren wir die Definition um

unter dem Gesichtspunkt meines Lebens:

der Traum ist die hektische Untätigkeit

eines Körpers ohne persönliches Denken und Fühlen

Will sagen:

alles Denken und Fühlen ist dem Traum untergeordnet

Der Traum ist ein reales Phänomen

Dieser Traum ist unendlich viel stärker als

mein eigenes Denken und Fühlen

Die Rolle dieses Traums besteht darin

Denken und Fühlen des Körpers

den ich einst meinen nannte

total zu verändern

Deshalb:

ich habe große Angst aufzuwachen

und spreche lieber während ich träume;

ich habe große Angst aufzuwachen

denn absolut sicher werde ich den Traum

den ich nicht vergessen möchte vergessen

Ich bin der Gefangene dieses häßlichen und demütigenden Traums

und muß mich glücklich schätzen daß ich träumend noch sprechen kann

 

 

 

 

 

 

 

 

XI

 

RUMÄNIENKRANK ZURÜCK AUS DEM EXIL

 

 

Nicolae Coande (Dieter Schlesak

 

Gott fehlt

 

Nach einem stillen Cognac folgt der nächste

auf einer Insel mit Idiotenschreien.

Da fehlt der Herr ist nicht zu Hause

nur seine Fußgänger versuchen

dem Fuß Abdruck noch nachzugehn.

Zutiefst erschrocken wären sie wenn sie ihn finden würden.

Sie fahren dauernd

überall nur ab

und kommen trotzdem nirgends an.

Nur die für immer aus dem Land verjagten

begreifen es.

Dieter Schlesak

 

NICOLAIE COANDE

Der Dichter verweigert den Ruhm

 

Er wandte sich um und sagte - ich habe alles kennengelernt

doch kam ich zu spät.

Jetzt in diesem ´Eisernen Zeitalter´ bewegt

keine einzige Nachricht

meine Stimmen

doch sie wissen Bescheid denn es sind

mehrere Stimmen und die sprechen eine Sprache

Sprache aus der ihr alle herkommt

geprägt vorherbestimmt wie die Kinder

Waisen zu sein und

dem ersten Ekel das sie sehn: Mutter zu sagen.

Alles hab ich kennengelernt

und wurde gelobt wie der Nessias

sie sandten succubische Phantome

mir das Rückenmark des Sephiroth

herauszusaugen.

Sie haben mich ver-öffentlicht berühmt gemacht

mir zu trinken gegeben.

Und ich wischte mit ihnen den Boden auf. Ich kam

zu spät.

 

 

Andrei Zanca

 

Pußta auf der Hirnhaut pulsierend

(Fragment)

 

Erinnerst du dich noch ans Hotel

wo das Wasser chinesisch tropfte: in eine verrostete Urne

draußen lag der Nachmittag zerstampft vom Heulen dieser Motoren

auf den Bildschirmen jedoch: Transsylvania Panorama edler

Beschränktheit Alibi für die Bücher pannonischer Intelligentsia.

Und das Blei der Lettern erwachte in den vergifteten Stimmen des

Selbsthasses

die Pußta jedoch endet in der Wiege transsylvanischer Wälder

erwürgt vom Glucksen der Flüsse, Abstieg

in das leise Tönen blätternder Herden.-

Kein Zoll Nichts außer Wasser Territorien

Hügelfelsen, Dünen Wellen bis in den Sand des Wassers

und Sandgefühle bis ins Späte: Verachtung aus Absurden Kämpfen

aus Mauern Zellen tief in dir die Furien der Geschichte

aus dem gestauten Blut, hunnisch zwischen den Hufen das zerstampfte Gras

die Umkehr: Sarg wie eine Todesgeißel/ Labyrinthe die

verwucherte Erde

... herausgeschossen aus dem Bildschirm dieses Ende

als wär´s mein Knopfdruck ...

wenn das Wasser weiter tropft in die verrostete Urne

als wär´s die Uhr des Parlaments zerstäubter Zeit

über den alten Taubendreck vom Csibor-Platz

erinnert.

 

Rumänienkrank zurück aus dem Exil

als wär´s ein Ausbruch aus der Heilanstalt

wo Niemand niemanden erkennt

und in der Wüste stotternd wie ein Hund der

die Berührung: Mensch abschüttelt aus dem Fell

... und auf den Straßen die Ostschatten Patienten

vorhallenvoll Klienten antriebssicher und infam geschmiert

sind wie ein Fluch der unsere Orte auslöscht fertigmacht zur Tat

kain-unter überschwemmt und tierisch-sicher ...

Rumänienkrank wenn dieses Land bruchbudenarm

von unsichtbaren Sockeln stinkt die jeder täglich sich errichten will

- ein halbes Jahrhundert ringsumher: das GRAU -

 

Einen Tag vor der Hochzeit ist auch er in einer Geißel

vernichtet worden und auch sie: Nie mehr verkörpert

doch ewig den andern vorgezeigt, er nach einem halben Jahrhundert

zufällig entdeckt und aus dem Eis gezogen ... jetzt

ausgestreckt vor ihr intakt und so erhalten und jung wie früher

nur sie vergreist und runzlig sah sie ihn jetzt ungerührt und

tränenlos: vor sich der gleiche Anblick/ ein Gesicht

das einen Tag vor ihrer Hochzeit hier verschwunden war

 

In einem Zuikadunst erschaffen nun was blieb

von jener Würde staete Weisheit aller Guten

in ewiglaufenden Todesschreien: Klageweiber

in den vom Mutterleib verdunkelten Pupillen der Ungeborenen

mit gesenktem Kopf mattscheibenaufgezäumt und leinentaub lautsprechernd

und von roten Festivals nicht abgetropft im Land des Lächelns lallend

das den Verstand uns nahm die Kindheit uns vergiftet hatte

das Lügenreich das Gift der Cartea rusă als wären wir lebend abgetrieben

so sehn wir gelblich jetzt die Wand an der wir als Phantome standen

noch ohnmächtiger nach all den Alptraumjahren: erwachsen und erwacht:

ein Schattenjetzt: so willenlos und ohne Reue

Unermüdlich den Kindern Lektion um Lektion die alten Aufgüsse jetzt

wieder murmelnd matt und fad als wär´s ein Lehrbuch für Blinde

im Inferno des höllischen Sehns

 

Vom Haben ganz vereinsamt nun in einem Wettbewerb

wo die Arena der Sklaven vom seidigen Rauschen der Senatorengewänder

erfüllt von dem der Direktoren und Präsidenten in unserer Schwammepoche

mit ihren Tribunalen eingerichtet von unserer Blindheit Irrweg Ohnmacht

 

Rumänienkrank lief ich so langsam

durch die Pußta mich unter die eigenen Sohlen legend und

während ihnen unter der Hirnhaut zuckend das - Leben "pulsierte" -

gab es eine Spur Wiederkehr: unspürbar doch ein Schwanen Gesang

Schwan wie Milch und Wasser die Mischung: nur Milch

geschmeckt der frommen Denkart und Gewohnheit

die wir als den ewigen Schrecken: Zu spät hinter dem organisierten Irrweg

erkannt:

Hasenscharte Hasenlippe der Geschichte der Spalt

in dem die Gänse Schreie zergackern

Bauern den Herbstrauch verbrannter Kartoffeln riechen

ohne jede Ahnung vom Haß aus dem Juli/ wie er herabsteigt

von den Lippen der geachteten Statue noch und noch

tröpfelnd langsam an den Grenzen zum Zoll.

 

Gyor - Zalaegerszég - Mures, 1944

 

Dieter Schlesak

 

 

Florenta Albu (Dieter Schlesak)

 

Auf den Wurzeln gehen

 

Sehn wir uns die Zugvögel an

wie sie im Exodus auf fliegen

wanderbewegt die Grenzen

überschreiten

 

paßlos und ohne Visum

- begleiten wir sie bis zum Horizont

bis ihr Abschiedsschrei/ nicht mehr hörbar ist ...

 

Wir aber bleiben! Wir bleiben am Ort

treu blöd und arm an die Wurzeln gebunden

so wird der Erde Rotation uns nicht

ins All verlieren.

 

Fest verankert an den Dämmen

sind wir /den Sirenen nicht zu folgen

 

Selbstmörder des Still Standes

der Orte wo nichts geschieht

so sind wir/ Selbstmörder ewiger Trägheit.

 

 

 

 

Magdalena Constantinescu (Dieter Schlesak)

 

Sei milde wenn du fortgehst

mein Volk wird ausgelöscht es

kann nicht umgehn

mit seinen Statuen

 

Doch mit seinen Sternen im Fell

zünde dir ein Feuer an

 

Alt geworden vor

zuviel Erinnerung

mit nassen Blumen im Blut

denken wir an seine tiefen Keller

 

So trifft sie uns

die Wut - nicht sein zu können

mit all den Orten

wo einst der Tod war

 

Mein Zeichen beugt sich

doch alles was ich besaß

ist noch da

 

Der verhangene Himmel

straft die Liebe auf Erden Lügen

mit müden Augen

mit dem Kern im Mund

und ohne unser bitteres Bett

zu kennen

 

Sei milde wenn du fortgehst

 

 

 

 

 

Ileana Máláncioiu (Dieter Schlesak)

 

Wer ist hier ausgewiesen

Wer ist hier ausgewiesen und geht fort,

Bis wir es wissen, was dies Zittern ist,

Wie dieses Volk, das fortgeht, sich vergißt,

Im Wahn dies sei die Rettung: Fliehend. Dort

 

Wo es die Angst zu überwinden hofft.

Ich seh wie es nicht standhält und beginnt

Von neuem nur ins Nichts zu gehen. Sind

Es die Toten-Flüche, unsere Wüste wie so oft?

 

So gib oh, Herr jetzt deine Himmelshand

Und hilf uns, sie auch reifend zu erfassen,

Ich habe Angst vor dieser Leere hier im Land,

Die wächst; wir fühlen uns von Dir verlassen...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aurel Pantea (Dieter Schlesak)

 

Das Grausame Auge des Autors kehrt sich

einer nackten Welt zu, die sich eben eine Haut zulegt,

 

vom Körper fallende Laute bilden ein riesiges

Objekt, groß wie ein Punkt am Ende eines Textes

an der Grenze unserer Vorstellung;

 

durch eine Hand voller Fenster blicken

die Demiurgen in die Außenwelt.

 

 

Jene hauchdünne Substanz zwischen dem Zustand von jetzt

und jenem anderen vor vielen Jahren

ist eine Todesplazenta die eben geboren wurde

und macht mir Zeichen zwischen den sich durchwindenden Mauern durchzukommen meine Gürtel zuzumauern über den dunklen Punkt in mir

eine Art verzweifelter Blick zwischen den Silos und den Ereignissen die langsam erblinden in dieser eloquenten

Arbeit der Wettläufe

 

 

 

 

 

 

 

 

XII

REDE ANLÄßLICH DER AUFNAHME EINES ÖSTLICHEN LANDES IN EUROPA

 

 

 

 

 

 

 

Willkommen, Konsumgesellschaft,

entjungfere auch du uns, nimm auch du uns

von vorn ...

 

Mircea Dinescu (Werner Söllner)

 

Rede anläßlich der Aufnahme eines östlichen Landes in Europa

 

In der Kirche versteckt ein reuiger Dieb

seine Hände in den Taschen des Bischofs, damit Gott

sie nicht sieht. Der Bauer ruft seinem Sohn zu, dem

mit den riesigen Tretern, er soll seine Latschen

verstecken, denn es kommt hoher Besuch und man hat ja

so seinen Nationalstolz, es kommen die japanischen

Touristen mit ihren Spatzenfüßchen und wollen

den Weizen aufpicken, die Sonnenblumen und die Augen

des van Gogh.

 

Und unvermutet schlägt die Stunde der Zärtlichkeit

im städtischen Krankenhaus. Der Alkoholiker, der dem Entzug

ins Auge blickt, redet dem Spiritusfläschchen

auf dem Nachtschrank gut zu: »Veilchensaft, himmlisches

Zielwasser, Elixier fürs Jenseits...«

 

Dann öffnet er das Fenster und schreit:

»Willkommen, Konsumgesellschaft,

entjungfere auch du uns, nimm auch du uns

von vorn, drechsle uns aus den Nierensteinen

ein paar Glückswürfel. Ab heute reden wir

den Arsch nicht mehr mit Genosse

sondern mit Herr an, ab morgen kriegt ihr

Shakespeare aus der Encyclopaedia Britannica

leichter heraus als mich

aus der Kneipe...«

 

 

Mircea Dinescu

 

Discurs la intrarea unei täri estice in Europa t

 

In biserici

hotul rusinat isi ascunde mîinile in buzunarul episcopului s

sä nu i le vadä bunul Dumnezeu.

Täranul îi strigä fiului cu tälpoaiele mari t

sä-si ascundä bocancii s

uitati lîngä surä, s

cä vin musafirii

si, vorba aia, avem si noi mîndria noasträ nationlä, s t

cä vin turistii japonezi s

cu piciorusele lor de vräbiute s t

tap tap

sä ciuguleascä grîul, floarea-soarelui, ochii lui Van Gogh

Si dintr-o datä s

se lasä ora tandretii deasupra spitalului municipal t

si alcoolicul internat pentru dezalcolizare

alintä spirtul medicinal uitat de felceritä pe noptiera t

numindu-l »lichior de viorele«

»adio mamä«, »te-am zärit printre morminte«

apoi deschide fereastra si strigá:

:»Bine-ai venit Societate de consum

fä-ne si tu felul,

ia-ne de proaspeti,

strunjeste-ne din pietricelele de la rinichi zaruri norocoase.

De astäzi curului n-o sä-i mai spunem tovaräse ci dumneavoasträ, s

de mîne o sä mä scoateti afarä din circiumä t

mai greu

ca pe Shakespeare din Enciclopedia britanicä«

 

 

 

Iulian Fruntasu ( Dieter Schlesak) s

 

Mein Land

 

Ich sehe dich besser nur noch von weitem

du alte Hure und dumm dein Kopf

wie ein Pflasterstein so auf ganz schwachen Beinen

an einer Kreuzung vergeblich wartend

daß jemand käm dich zu ficken

 

deinen Heiligen wird noch wässrig der Mund

falls du dich sichtbar an sie erinnerst

an ihrer polentaförmigen Plazenta zärtlich

zerrst und lächelst versonnen wenn die dir

antworten: ich-ho-ho Krautzuika Rübenzuika jaja

 

Eine Downer-Geschichte dieses hoffende Warten

wenn auf morastigen Straßen nur Regen und

Wind

die trocknen Blätter hochwirbelt und hoch

hebt den Rock sinnlos an einer leeren

Kreuzung

wo Niemand kommt dich zu ficken.

 

 

 

 

Augustin Pop (Dieter Schlesak)

 

Die Veränderung zum Guten.

Radikalreform.

Shocktherapie.

Probleme der ausländischen

Investitoren.

 

Wenn die Dinge nicht gut stehen,/ müssen zuallererst/ die Huren/ ausgetauscht werden/ dann erst die Betten/ aus allen politischen Bordellen,/ denen der Wirtschaft nämlich, der Regierung,/ aus den militärischen, jenen der Verwaltung,/ der Presse, des Radios, des Fernsehen, der Kirchen, sowie die intellektuellen,/ kulturellen, künstlerischen Betten usw. usf.

Es ist nicht notwendig/ sie zu privatisieren./ Sie sind schon/ äußerst privat./ Und übrigens: die Shocktherapie/ wird erst/ ihre Früchte tragen/ wenn/ die Mehrheit/ der Bevölkerung dieses Planeten/ sich endlich entschließt/ aufzuteilen/ aber: auf dezente Art und Weise/ alles, was es auf dieser Erde Gutes gibt./

Bis dahin/ gleicht/ jede radikale Reform/dem Versuch

den Lauf eines Flusses zu ändern/ indem man/ täglich in diesen Fluß wirft:/ einen Teelöffel Coca Cola / zehn Tote/ drei Scheiben Brot/ und eine Videokassette.

Klausenburg, 25. April 1997

 

DS

AP

Eintritt in die NATO

 

Nach 50 Jahren/ gewaltsamer Russifizierung,/ müßte Rumänien endlich/ cocacolisiert werden./ Das durch schwerfällige sowjetische Panzer/ aufgezwungene Regime/ muß ersetzt werden/ durch ein demokratisches/ Regime/ unserer freiesten Einwilligung/ überwacht/ durch die schönen/ äußerst wettbewerbsfähigen/ Panzer der NATO/ in ihrer Hochform und unschlagbaren Performanz.

Klausenburg, 20. Februar 1997

 

DS

 

 

 

Ion Stratan (Dieter Schlesak)

 

Der Westen, der Westen, der Westen

Hey, Untergang des Abendlandes

Sowie der faustische Geist in den großen

Aquarien der Restaurants/ stelle ich mir vor

Und einen Goldenen Haifisch für das

 

Abendessen.

Cenaculum.

Das Abendmahl

Ioan? Petru? Andrei? Luca? Judas?

ALLE SIND SIE HIER IN DIESER WELT

Nur die Welt selbst - fehlt

bei ihrem geschätzten Abendmahl.

 

 

 

 

V.Petre Fati (Dieter Schlesak)

 

Ein Mann mit Zukunft

 

In den Armen trage ich eine alte Maschine: die Waschmaschine.

Die Zukunft. Und jetzt beschäftige ich mich mit ganz banalen

Dingen: mit der Kunst.

 

Die Kunst mit der Zunge berühren: sie war so süß, so bitter,

schmackhaft, sündig und fröhlich

Wie eine Garnele. Schließlich gibt es mehrere Arten

allein zu sein.

Allein fotografiert zu sein,

Dafür zu danken, allein zu sein

Darauf zu warten, allein zu sein.

Und dann ...?

 

DS

 

 

V. PETRE FATI

 

Gefährliche Liebschaften

Für Georgeta

 

Küß die Hand, Paris,

Um den Gedanken an dich weit von mir weisen

zu können,

Jede deiner Zug Spuren auslöschen zu können,

Dich hassen

zu können,

Dich würgen zu können...

Die Selbstmörder, Diebe, Nonnen küssen dich, Paris,

Ich werde dein kleiner Tellerwäscher sein.

Der Herrgott hat den Speichel und die Automobile geschaffen,

Mein lieber Gott,

Dieser Mensch hat es gesehen,


Wie der letzte Engel in einer Benzinwolke verbrannte,

Auf einem Holzschemel,

An einem Holztisch,

Und mit Seinem Speichel im Gesicht.

 

 

 

Mircea Cártárescu (Gerhardt Csejka)

Der Westen

Der Westen hat mir den Mund gestopft.

Ich habe New York und Paris gesehen, San Francisco

und Frankfurt

ich war an Orten, von denen ich nicht zu träumen wagte.

Ich kehrte mit einem Stapel Fotos zurück

und mit dem Tod in der Brust.

Ich hatte im Glauben gelebt, daß ich etwas bedeute, daß

mein Leben etwas bedeutet.

Ich hatte Gottes Auge gesehen, wie es mich durchs Mikroskop betrachtete

meine Zuckungen auf der Lamelle.

Jetzt ist aller Glaube dahin.

Ich war gerade gut genug für eine idiotische Stabilität,

für ein tiefes Vergessen,

für einen einsamen Frauenschoß.

Ich flanierte durch Orte, die heute verschwunden sind.

Ach, meine Welt ist versunken!

Meine Welt gibt es nicht mehr,

meine elende Welt, in der ich etwas bedeutet hatte.

Ich, Mircea Cártárescu, bin in der neuen Welt niemand

es gibt hier 1038 Mircea Cártárescus

und Menschenwesen, die 1038 mal besser sind

es gibt Bücher hier, die besser sind als alles, was ich je

gemacht habe

und Frauen, die sich einen Dreck darum scheren.

Ein Sprung im pragmatischen Ei, und schon ist Gott hier

in seiner ureigenen Schöpfung, ein schick gekleideter Gott

in schönen Städten, an wundervollen Herbsttagen

und gleichsam zarte South-Virginia-Nostalgie in Dorins

Straßenkreuzer (Countrymusic aus den Boxen)

Ich sehe jetzt, wie eng meine Grenzen sind,

und wie eng die Grenzen der Literatur.

Die Literatur gibt es nur noch, um zu verkünden,

daß es die Literatur nur noch deshalb gibt: um zu verkünden

daß ... Ich aber habe den Sears Tower gesehen

und aus dem Sears Tower weit unten Chikago im grünen Nebel

und auf der Terrasse eines Wolkenkratzers jagten zwei

Windhunde einander

da sagte ich zu Gabriela (wir tranken gerade Cola)

daß ich mit meinem Leben am Ende bin.

Es ist wie bei Eliots Dreikönigen: Ich habe den Westen gesehen

bin mit dem Flugzeug über Manhattan geflogen

erblickte mit großen Augen meinen verzauberten Tod

denn in der Tat: dieses hier ist mein Tod.

Ich betrachtete die Schaufenster mit Suzuki-Motorrädern

und sah mich darin armselig, anonym.

Ich lief stundenlang durch die Königsstraße

schlängelte mich hindurch zwischen den Skateboardkids.

Ich war auf einem Farbfoto der schwarz-weiße Mann

Kafka unter den Arkadiern.

Gedichte, Gedüchte,

Modernismen und Kneipengespräche, die Frage, wer der größte ist,

Toplisten im Zug aufgestellt (ich kam aus Onesti): welches sind

die zehn besten n

Romane der rumänischen Gegenwartsliteratur

die zehn besten lebenden Dichter

so spucken die Papuas

auch heute noch in den Kübel mit Palmwein, um ihn zum Gären zu bringen...

Die Poesie aber ist ein Zeichen von Unterentwicklung

ebenso, wenn man seinem Gott ins Auge blickt

obwohl er sich nie gezeigt hat.

 

Ich sah Flipper und Buchhandlungen und konnte den Unterschied nicht erkennen

und ich begriff, daß die Philosophie Entertainment ist

und die Mystik Showbiz

Die Kultur ist Oberfläche und es gibt überhaupt nur Oberfläche

die aber ist komplexer als jede Tiefe.

Was wäre ich dort? Ein Entzückter, ein bis zum Wahnsinn glücklicher

Mensch

der mit seinem Leben am Ende ist

mit seinem definitiv abgefuckten Leben wie der Wurm in der Kirsche

der sich auch etwas Besseres dünkte

ehe er ans Licht kroch und den Dreck neben sich sah

(mein Dreck, meine Gedichte)

Ich habe Menschen gesehen, denen das Abtreibungsgesetz

wichtiger war als der Zerfall der Sowjetunion

ich habe hohe und blaue Himmel gesehen voller Flugzeuge und ihren

Lichtkegeln

und ich habe das Gebrüll der viertausend Universitäten erlebt

ich erstieg den Eiffelturm über den Treppenaufgang

und fuhr ins Centre Pompidou durch die Plexiglasröhre

und in Iowa City war ich im Fox-Head zu Gast ...

Ich plauderte in Ludwigsburg mit Hassan und Bradbury

und Gass und Barth und Federman über die Postmoderne

wie der Verurteilte mit seinem Henker schwatzt

ich hielt das Sausen des Fallbeils,

das meinen Kopf vom Körper trennt, auf Tonband fest

Es war mir zum Heulen im Luxus von Monrepos:

Wie ist das möglich? Wieso sind wir vergeblich geboren?

Weshalb schlagen wir uns mit Vadim und den Nationalisten herum?

Warum können wir nicht endlich mal leben?

Wieso atmen wir jetzt, da wir endlich leben könnten

schon wieder den sauren Geruch der Mülltonnen ein?

Postmoderne und Biedermeier

Dekonstruktion und Tribalismus

Pragmatismus und Nabelschnüre

und das Leben, das anderswo ist ...

Ich habe San Francisco gesehen, die Schiffe auf dem blauen Golf

und weit draußen im Ozean die bewaldeten Inseln

im Pazifik, wenn du dir das vorstellen kannst!

Ich habe meine Hände ins Wasser des Pazifik getaucht »thanking the Lord

for my fingers".

Irrsinniges Fernweh überkam mich.

Und in der berühmten Buchhandlung Ferlinghettis (es gibt sie tatsächlich!)

wie wenn man

bewußt in den eigenen Traum oder in ein Buch einträte...

Die Straßen von San Francisco haben mich aus der Fassung gebracht

und Grant St. mit den Chinesen

und den Riesenpalmen und den ausgeflippten Mädchen

in den Friseursalons.

(Die Kundinnen

betrachteten sich nicht in Spiegeln sondern in farbigen Monitoren.)

Und die amerikanischen Nächte, erinnerst du dich, Mircea T.?

Unweit von deinem und Melissas Häuschen, nach

einem ganzen Nachmittag mit SF-Filmen

wir aßen Tacos

und tranken Old Style Bier

beim Hinausgehen rissen uns die Sterne hin

und die stillen Flugzeuge zwischen den Sternen

und in deinem Auto, dem alten Ford, war die Luft eisig

und du fuhrst mich quer durch die leere Stadt bis zum lieben,

meinem sehr lieben Mayflower Residence Hall.

Und die Thanksgiving-Paraden und Halloween

mit alten Bankiers als Bären und Clowns verkleidet

und der Junge tschechischer Herkunft, dem Faulkner am Herzen lag

und die kleine Koreanerin aus dem gelben Cambus

und die Melancholie der gelben Blätter in Iowa City

und wir beide, Gabi und ich, beim Shopping, stundenlang

bei Target und K Mart und Goodwills

(aber auch das phantastische Mali im Zentrum) ...

ich kaute Gewürznelkenbonbons an meinem ersten Morgen in

Washington

... den Fotoapparat um den Hals auf dem Dupont-Platz in bitterer Kälte ...

... ich legte 7 $ hin, um in den New Orleanser Zoo reinzukommen

und es regnete und die Tiere hatten sich alle in ihre Höhlen verkrochen

... im Taxi zankte ich mich mit dem schwarzen Fahrer

da ich von dem was er sagte kein Wort verstand: "Hey man... "

... herrliches Schlemmen in den chinesischen und thailändischen Lokalen

in den japanischen auch, am herrlichsten aber bei Meandros, dem

Griechen aus Soho

... The Art Institute (Impressionisten die Menge)

... The Freak Museum (amazing: dreimal Vermeer!)

... The National Gallery (die Malewitsch-Retrospektive)

 

Einer, der hundert Jahre lang tiefgefroren war,

öffnet die Augen und entscheidet sich fürs Sterben.

Was er gesehen hat, war zu schön und zu traurig.

Denn er kannte da keinen und an den Fingern eiterten die Nägel

und seine Zähne waren über die Maßen verrottet

und im Kopf

hatte er allerlei unnützes Zeug

und alles, was er je unternommen hatte,

war von der Substanz her bestenfalls halbe Windstärke gewesen.

Ein Mann auf einer fernen Insel hatte

eine Nähmaschine aus Bambus erfunden

und hielt sich für ein Genie

denn niemand von den Eingeborenen

hatte sich je etwas Ähnliches ausgedacht und als die Holländer

kamen

belohnten sie ihn für seine Erfindung

mit einer elektrischen Nähmaschine.

(,,Danke schön", sagte er und entschied sich fürs Sterben.)

Ich finde meinen Platz nicht, ich bin nicht mehr von hier

und kann von dort keiner sein.

Die Poesie aber? Ich fühle mich als letzter Mohikaner,

lächerlich wie Denver, der Dinosaurier.

Die beste Poesie ist die, die erträglich ist,

die nur erträglich ist und sonst nichts.

Wir haben zehn Jahre lang gute Poesie gemacht,

ohne zu wissen, wie schlecht die Poesie war, die wir machten.

Wir haben große Literatur gemacht und begreifen jetzt,

daß sie gerade deshalb nicht über die Schwelle kommt,

weil sie groß ist,

zu groß, erstickend in ihrem Fett.

Auch dieses Gedicht ist kein Gedicht,

denn nur was kein Gedicht ist,

kann noch als Poesie bestehen,

nur was nicht Dichtung sein kann.

 

Der Westen öffnete mir die Augen, als ich mit der Stirn an

den Türrahmen prallte

ich hinterlasse anderen, was bis heute mein Leben war.

Mögen andere glauben, woran ich geglaubt.

Mögen andere lieben, was ich geliebt.

Ich kann nicht mehr.

Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr.

 

 

 

 

 

XIII

 

HASSE DEINEN NÄCHSTEN WIE DICH SELBST

 

 

 

Marin Sorescu (Dieter Roth)

 

Als ich einmal fliegen sollte

 

Einmal um Mitternacht

hat einer mir einen Flügel gebracht.

Wer's war, weiß ich nicht,

es war so ein Nebelgesicht.

Er sagte: "Du klemmst ihn dir untern Arm

und fliegst mit dem Vogelschwarm."

Drauf ich: "Wie soll ich das verstehen,

soll ich halb fliegen und halb gehen?

Du mußt mir den zweiten Flügel besorgen."

"Ja, ja, den bring ich dir morgen."

 

Das sagte er,

doch kam er nie mehr.

 

 

 

Freikörperkultur

 

Ich schleppe im Eimer Heilschlamm

zum FKK-Strand der Frauen.

In meiner Jugend hatte ich von Frauen

eine bessere Meinung.

Aber jemand muß

auch diese Arbeit tun.

 

Sie genieren sich nicht mehr vor mir,

für sie bin ich der "Schlammbringer",

und sie treiben weiter Nacktkultur.

 

Im Grunde sind sie für mich auch Luft,

ich nenne sie die "Schlammgeriebenen"

und gehe meinen Geschäften nach.

 

Manchmal überkommt mich plötzlich

eine schreckliche Lust zu fluchen.

ich schleppe Schlamm und fluche.

Hol der Teufel dies Leben,

die Jugend,

das Alter,

das Glück,

die Liebe,

die Ehe,

das Ideal.

 

All diese Flüche ergeben, zusammengerührt,

einen erstklassigen Schlamm,

jedenfalls finden ihn die Frauen ganz gut

und salben sich damit ein.

 

 

 

Liviu Ioan Stoiciu (Dieter Schlesak)

 

Bedrängt

 

Von Haifischen bedrängt ... Im

Kampf um

die Macht

im Meer dieser Welt: oh,

ihr Sturmbedrängten.

 

Die Lunge in mir,

verleumdetes weibliches Organ, erstickt

mir den Lärm im Galopp: da ich sie kenne

diese Krankheit! Unsere

Sünden sind wie der Purpur, sie

treten aus jedem Ding hervor.

 

 

 

Verdorben

 

Verdorben und ohne jede Hoffnung

ziehend jetzt am Seil,

das Himmel und Erde ver-

bindet: bis der Schatten des Toten erscheint... Auf

dieser Szene mit der gleichen

Platte: wieder lese ich es: hier sei der Ort,

wo die Schöpfung des Volkes ...

beginnt und endet ...

 

 

 

 

 

 

 

 

Traian T. Cosovei (Peter Motzan) s

 

Eines schönen Tages, wenn du heimkommst

Eines schönen Tages, wenn du heimkommst,

öffnet sich dir die Türe von selbst; die Vorhänge

scharwenzeln im Wind.

Du legst dich ins Bett, hörst wie die Peitschenschläge

des Wassers

in der Rohrleitung knallen, horchst auf den sanften Mechanismus

des Kopfkissens,

das dir einen Traum zubereitet.

Du zerknüllst

die leere Keksverpackung, bis das rote Schiffchen

auf einem Riff leuchtender Brosamen scheitert.

Vor Zeiten hättest du dir eine Katze,

einen singenden Vogelbauer gewünscht,

eine nutzbringende Illusion mit einer Haut so glänzend und glatt wie die vereisten Wasser der Fjorde.

 

Die Nachrichtensprecherin des Hörfunks erwähnt die

»Brigate Rosse".

So etwa könnte der Namen eines neuen Waschmittels lauten, doch stellen

die Schüsse, die man mithört, die Dinge klar.

Wenn ich mich im Spiegel betrachte, gleiche ich griechischen

und türkischen Zyprioten.

Jahre gingen ins Land. Kinetische Kunstformen, Pillen,

Zen, New Waves:

Trödelkram, gut genug für irgendeinen Antiquitätenhändler

in Algier.

Auf den Fotos erscheint die ganze Vergangenheit wie so ein böser und großer Onkel.

Ein kalter Wind, aufwendig verpackt, eingeschlagen in

alte Zeitungen

und Messeprospekte des Vorjahrs, stößt ein paar Schlauberger,

die willens sind,

mit Nasenringen umherzulaufen, durch die untere Türritze.

 

Sid, der Ganove, Zurück-zur-Natur, die Seelenwanderung -

goldene Schuppen sprühen aus Bob Dylans Gitarre.

Du wartest noch immer darauf, daß etwas geschieht.

 

Und nur die Zaunlatten, der abgewetzte Autoreifen,

das lärmende Firmenschild der Tankstelle von gegenüber

scheinen diese Schmach nicht zu empfinden.

 

Romulus Bucur (Dieter Schlesak)

 

Schießt nicht auf den Pianisten

 

morgenherrgott

 

grüße und

abendherrgott

guten tag auch ihnen herr

william cody

 

E S IST nicht NOT WENDIG

auch den Kopf mit dem

hut zu ziehn

sei beruhigt wir reservieren ihnen gern einen platz

in der schachtel von

HIS MASTERS VOICE

so zwischen den kleinen

zeitungsverk(l)äufern

wenn sie infvollmaation schrein

 

jener geruch von brennenden trockenen blättern in den höfen

 

 

 

 

Theodor Vasilache (Horst Samson)

 

Werbung, Seele des Handels

Also, wer Ohren hat, höre;

und wer keine hat, kaufe sich welche,

musikalische Ohren aus dem Supermarkt...,

mit Transistoren... mit sonnengespeisten Batterien...,

spitze Ohren eines ergebenen Butlers,

Ohren mit einstellbarer Lautstärke

und einem Filter für Geschäftsleute...

Ja, alles wird verkauft,

nur die Geldscheine

- mit der treuen Seele eines Hundes,

oder mit jenem eiskalten Orientierungssinn

der Brieftauben -

kehren beharrlich zurück

in die gleichen Taschen...

an denen ihr hängen werdet, glücklich

und stolz über euren Platz auf der Welt

wie Gehenkte an einem prunkvollen Leuchter...

 

mircea cártárescu (gerhardt csejka)

frieden und realismus

ich höre die beatles. esse chinesische schoko-

lade. lese in einer kanadischen lyrikanthologie.

schließlich

tippe ich auf der maschine. ich spüre mein herz nicht.

ich kenne mein hirn nicht.

hinter den möbeln lugen keine kräftigen spin-

nenarme hervor. die brille

wasserklare linsen im goldenen rahmen liegt

wartend auf dem kristalltisch.

das stanniol der schokolade will die komplizier-

te außenwelt gern realistisch spiegeln, die

spiegelfläche aber ist zerknautscht

wie das gesicht eines praxeologen, den die

geliebte betrügt.

frieden über den dingen, frieden und realismus,

ich aber möchte trotzdem nicht heiraten.

mein oblomowismus ist gar zu rabiat. die an-

thologie

kanadischer gedichte flüstert mir immerzu

hirngespinste ein.

sie ist wie eine languste so listig, mein

oblomowismus aber

sagt mir: sahar,

hörst du, sahar, schenk ihnen keine beachtung,

eifere ihnen nicht nach. sie verleiten dich
zu brandstiftung, erdbeben oder gar kinder-

zeugung,

zum kinderzeugen sogar, mein lieber sahar, stell

dir das vor, die wollen eine kopie von dir
machen. arman auf goldenem grund

das verdauungsfördernde kerlchen per

anabolischem heber sachte emporgestemmt

bis zum jüngling mit schnurrbart und verstand,

zum männchen mit glatzeansatz und
bis zur baumartigen mumie

ja, kinderzeugen, wo doch europa ganz klar...

uns fest im auge hat, die anthologie
kann den nebel draußen nicht lichten.

es ist november

und ich bin ein spiegel, der einen oberschenkel

hinaufgeführt wird.

soll ich heiraten? soll ich mir ein auto kaufen?

eine wohnung? vielleicht gar eine
gemahlin? soll ich kinder zeugen?

ja, zeuge sie, zeuge! rät mir die musik

der beatles, wenn ich sie richtig deute.

da hast du im alter eine freude. nicht john,

wohl aber der arme paul möchte, auch er,

ich sehe ihn leibhaftig von enkelkindern geritten,

die wirklichkeit widerspiegeln, mit seinen

halbgeschlossenen lidern: hey jude, mach es
besser, hey linda.

machs besser, hey majestät

die liebe wird niemals sterben. jedoch

john lennon, he dead. mein oblomowismus

ist gar zu rabiat. ich sitze in meinem zimmer.

esse chinesische schokolade.

ich lese eine kanadische lyrikanthologie.

ich tippe auf meiner maschine.

draußen ist nebel und der nebel tritt ein

in die bukarester bars, legt seinen pelz auf
einen freien stuhl und bestellt,

in jeder bar etwas anderes,

uzo oder wodka oder peppermint.

glutamin, benzen. bukarest bis zur gitarre

in nebel getaucht
wie auf den konzertbühnen die bee gees.

der nebel

mit schnaps in der tasche macht sich

an den schließfächern des nordbahnhofs

zu schaffen

rennt o-beinig über die gleise der

24er straßenbahn

der nebel breitet die decke über

balta albăals wär's der chomolungma

nepalseitig sherpas schwärmen aus

in die supermärkte, ins warenhaus big,

in die konditoreien -

der nebel trägt eine sauerstoffmaske,

zieht eine lkw-kolonne mit sauerstoffflaschen
hinter sich her

mit acetylenflaschen auch, der nebel

verschweißt

die augen aller einwohner der stadt bukarest

miteinander, alle nasen, alle lippen, alle bäuche

bis eine kilometerdicke kugel aus menschen-

leibern durch bukarest rollt und alles niederwalzt

der nebel zieht nebelbackenzähne und zertrümmert

sie an nebelbalkonen und macht sie im gelben
licht der scheinwerfer zuschanden

nur das rosa zahnfleisch des nebels

kehrt nocheinmal an mein fenster zurück

. soll ich heiraten?

soll ich kinder zeugen? soll ich dann eines

fernen tages nochmal daran zurückdenken

wie ich beinahe schriftsteller geworden wäre?

mein oblomowismus

läßt mich schokolade essen. den himmel und

die theorie der eingeschränkten relativität hergeben

für ein bißchen fleischeslust: alejandra und

der blinde auf der bettdecke einander beißend

laura und francesco einander beißend.

ein paar meter darm

verkaufen für ein paar meter traum. nein,

auch das nasse kissen

will die wirklichkeit widerspiegeln.

auch das fleckige bettuch

will spiegel sein. vor zeiten schrieb ich

die liebesgedichte, doch das war, als irgendeine frau
mich bedrängte:

sie hatte anstelle des hirns eine spinne

mit eingezogenen beinen, die mehr als ein kilo wog.

und statt fleisch hatte sie auf den knochen säure.

ich erinnere mich ihrer nicht mehr.

 

ich wechsle die kassette. breche noch ein

kaffeebraunes stück aus dem silberpapier. ich bin
glücklich. ich tippe auf der maschine.

ich habe den ganzen vormittag in einer anthologie

kanadischer lyrik gelesen. ich werde

eine zweizimmerwohnung mieten müssen,

die zeit der reife klopft an die tür.

und rate mal, wer öffnet? eine nebelschwade.

die küchenschürze um den leib.

die nebelschwade hat große augen, und unter

dem schürzenstoff schimmern die brüste durch.

mit wohnung lebt sich's ganz anders. jetzt bist du

reif.

die nebelschwade hält dir

den spiegel vor: du bist unrasiert, lump,

wieder kommst du zu spät, unglückseliger,

und sie drängt dich dann

in eine stube, nicht größer als eine besenkammer,

so müßt ihr euch ineinanderkauern,

müßt euch umarmen, zur gleichen zeit denselben platz
einnehmen wie koonings frauen. das amt und das auto

die kinderchen und die moral, ruhm und hut

und hausdrachen, fernsehen und presse, und von
mal zu mal

weniger worte weniger linien auf dem bildschirm

das fotopapier

von gröberer körnigkeit. bei siebzig den großen preis

der akademie

bei achtzig die große vivisektion bei hundert

das jubiläum des großen mannes. bei dreihundert

genetische mutationen. bei viertausend die
unsterblichkeit

bei zehntausend die zeitliche umkehr und

die auferstehung von den toten. bei hunderttausend

die verschmelzung mit dem schöpfer. und dann

erst wirds wirklich lustig,

dann erst bricht der große zirkus los.

mein oblomowismus aber

läßt mich nicht weiter sehen als die nase reicht.

es ist ende november

und in der wohnung ist es so gemütlich...

ich esse chinesische schokolade

höre die beatles, ich lese

eine kanadische lyrikanthologie.

alle zukunft ist nebel.

und mein lieber john nimmt eine markerschütternde

oktave, she said, she said

und der revolver rotiert wie nichts anderes,

was könnte ihn stoppen?

eine kernreaktion brächte ihn zum fließen

und in dem schwarzen heißen tropfen

würde sich unsere bucklige welt widerspiegeln.

ich spüre mein herz nicht.

ich kenne mein hirn nicht. ich kenne mich nicht.

auf dem sofa eingerollt

wünsche ich mir, keiner klopfe an meine tür.

ich möchte nicht von den hormonen mit

feldwebelklappen verhaftet werden. soll ich kinder
zeugen?

frieden ist, und realismus. soll ich heiraten?

wie sähe ich denn aus im maßanzug, neben einer
schüchternen maid?

märchenprinz bräutigam? und meine rotnackige

bauernsippe

in phosphoreszierenden strickjacken als

galakostüm. dada und der brautkranz.

ensors intrige. und der klatsch über

die ehemänner in den beamtenstuben.

und zum zahnarzt wegen der abdrücke.

und morgens um milch und brot.

und nachmittags ins kino und

abends fernsehen und nachts ins bett.

und danach der storch, barza,

ein dakisches wort übrigens,

und kesarion breb und beinahe

nana mouskouri. was wird er

zuerst aussprechen? mama, tata
oder papa? ach scheiben mama, scheiben!
- was soll mama schreiben? - fead und chuh!

ja, kinder zeugen.

kinderzeugen ohne vorbehalt,

wo doch europa ganz klar...

 

...aber die liebe ?

die liebe?! alle welt scheint anzunehmen,

ich sei faul,

doch das berührt mich nicht, ich glaube,

sie sind verrückt (john). die liebe...

ein spiegel an einem schenkel hinaufgeführt.

john robert colombo, der die könige, kaiser,

die päpste zählt

263, 4520, eintausendichweißnichtwieviel,

um zu dem schluß zu gelangen,

daß es die liebe nicht gibt. doch ob es liebe

überhaupt geben kann

im nebel aller nebel? in dem nebel,

der durch die drehtür in die hauptpost eindringt,
päckchen und geldanweisungen losschickt,

gebündelt und verschnürt mit
hunderttausend schnüren, so daß

die postflugzeuge in den ozean stürzen
wegen der schwere der säcke und die haie

verwundert unmögliche wendungen
lesen wie »ich küsse euch« »in liebe« »

alles gute«

im nebel, der die wäsche von den balkonen

holt und stück für stück zusammennäht
um den himmel mit gewölk aus unterhemden

und höschen zu überziehen?

im nebel, der ganz bukarest wie einen quarkstrudel

auffrißt?

im weißen nebel, der weißen welt, in der aldea

der könig der kabelschnüre ist?
im nebel der schreibmaschinenlettern, der

ineinandergeschlungenen schreibtische?

eigentlich habe ich nicht die geringste ahnung.

mein oblomowismus

drängt mich dazu, maschine zu schreiben

statt auto zu fahren, schokolade zu essen

statt kinder zu zeugen. ich fürchte mich vor

dem leben, die zeit der reife

setzt mir zu. wohin verdammt nochmal

soll ich flüchten? wen soll ich heiraten?

es ist so gemütlich in meinem zimmer,

an einem dienstfreien tag wie diesem

da mir das leben nicht auf den fersen ist.

ich höre die beatles. esse chinesische

schokolade. ich lese eine kanadische

lyrikanthologie.

ich tippe auf der maschine. ich spüre mein

herz nicht. ich kenne mein hirn nicht.

es ist frieden. frieden und realismus.

ich bin ein spiegel, der an einem spiegel

entlanggeführt wird.

 

 

 

 

 

Mircea Dinescu (Werner Söllner)

 

Die Zweifel des Verlobten

 

Ich habe ein Loch im Fußboden

das ist weder kapitalistisch noch kommunistisch

es ist ein parteiloses Loch

so durchsichtig, daß man es in die Akademie aufnehmen könnte

so tugendhaft, daß ich es auch heiraten würde

wenn der Gedanke mich nicht verletzen würde

daß das Loch mich zuletzt

mit einer Maus betrügen wird

 

 

 

 

 

Taschenlied

 

Der Tod war jünger als ich,

aber paar Freunde spielten mit ihm

und brachten ihm bei, wie man schneller erwachsen wird.

 

Ich weiß, es gibt Gemeinplätze, an denen die Menschheit

sich einen Bauch anfuttert; ich kenne die Schleifereien,

wo die Prinzipien an Schärfe gewinnen -

aber wenn Madame Dior von Pelzkragen träumt,

quillt die Taiga unweigerlich über

von Fallen und Blut.

 

Sie, meine Damen und Herren, gewohnt,

karge Einsiedlerkost im Supermarkt an der Ecke

zu kaufen, Sie kommen, mir scheint, mit Apfelsinen

ans Bett eines Toten, denn in dieser Straße

liebt Gott nur bis zur Hausnummer vierundzwanzig,

wo die Muselmanen beginnen, und andere

mit undefinierbarer Nationalität,

Rumänen Bulgaren Albaner

und sogar die polnische Kavallerie

mit ihren blanken Säbeln auf dem Schlachtfeld

vor Aldi...

 

Welcher Professor könnte uns beibringen

das Klimpern des Kleingelds,

daß wir es auswendig aufsagen könnten, tief

in die Tasche geduckt, mit der Hoffnung,

daß die Geschichte ihr Kleingeld nie zählt?

 

 

 

 

Florin Iaru (Anemone Latzina)

 

 

High Fidelity

 

Wir lieben uns, ich liebe sie

im tristen high fidelity

du gehst dann weg, ich bleib allhie

und brüll in high fidelity

schwer das Gewehr, das Kleid uni

 

Und dann in high fidelity

vieltausend Verben Phantasie

Geschichten high fidelity

und schlachten wird uns so wie Vieh

das Kindchen high fidelity

und tra la la und tra la li

 

 

 

 

 

 

 

 

Cleopatra Lorintiu (Hellmut Seiler) t

 

Die kurzen Jahre

 

Die kurzen Jahre, sieh, haben sich bereits eingestellt.

Aufgereiht, für sie nur, die alten Bedeutungen.

Wieviel vergeudete Kraft.

Der Sinn den ich einbüßte,

der falsche, verlorengegangene Sinn

die entkräftete Seele,

die Wirklichkeit, wie abartig,

die kompakte Kälte,

und das Gedächtnis in Fetzen,

aus einem zerschlissenen Kissen fliegen Federn,

 

kaum tust du einen Schritt prallst du

gegen die Mauer die du nicht sahst,

streckst du die Hand aus ziehst du sie blutend zurück.

 

 

 

 

 

Stefan Doru Dáncus (Dieter Schlesak) s

 

Schlaf in Frieden, Herr, I

 

(BRIEF:

Die Welt ist nicht mehr die die du kennst, Herr,

zwischen dir und mir rotierten andere Instrumente

von Menschen erfunden

auch mein Engel ist nicht mehr der, den du kennst

auf seinen Flügeln wächst ihm die Armbinde

mit schwarz strahlendem Glanz

mein Engel starb an AIDS, Herr

schick mir einen andern, Herr.)

 

 

 

Schlaf in Frieden, Herr,

 

niemand ist unversehrt geblieben -

wir sehn aus wie Wörterbücher in denen die Silben

chaotisch fremd aufeinanderprallen. wörter gibts keine mehr, geschlechtsorgane

krenwürstel, glückstupfer, ausgerissene fingernägel, gleichgültigkeiten.

irgendwelche mühlsteine zermahlen uns

bitte, lieber Herr, komm zu tisch zu tisch,

dieses brot wurde gebacken aus unserem knochenmehl,

das blut war ein ferment für diesen wunderbaren wein

und geräuchert wurden unsere besten gewebeteile

für dieses heilige abendmahl.

wir kommen und klopfen an Deine tür

die ganze menschengattung ist ein schwarzes loch

es wartet - jeder im zwischenraum der eigenen chromosomen -

füll ihn aus - Herr

wir bitten Dich, Herr.

 

 

 

 

Mariana Codrut (Herbert-Werner Mühlroth) t

 

ritual

 

jeden morgen

zerreiße ich das band des traums

und trete in die wirklichkeit

mit dem herzen schwer von furcht

von scham

von schalen gedanken.

 

ich kreise um euch

- stumpfsinniges tier

das bisweilen innehält

mißtrauisch um sich äugt

und grundlos aufschreit.

 

jeden morgen

geh ich auf die suche

nach dem leben

mit dem herzen schwer von furcht

von abscheu

von schalen gedanken.

 

 

 

Ileana Máláncioiu (Dieter Schlesak)

 

Bitte

 

Den König Oedipus führte Antigone, die Tochter, an der Hand.

Bei König Lear war es Cordelia, die Verjagte

Aus seinem Land, sie habe ihn doch nicht genug geliebt.

Doch dich, mein Vater, könnte ich jetzt führen.

 

Für mich wird sich wohl keiner finden,

Mich zu begleiten, wenn er da ist, dieser schreckliche Moment,

Wenn meinem Auge alles sich entzieht,

Und weiß, daß doch nicht jeder dann begleitet werden kann.

 

Oh, Herr, laß nicht dies ganze Volk auf einmal so erblinden,

Nimm uns dann zu zwei und zweit, verschieb das Ganze,

Am Ende der Tragödie stell für jeden einen ab,

Der ihn ganz vorsichtig begleiten kann.

 

 

 

 

 

IV

 

LACRIMAE RERUM

Und keine Erlösung der Dinge durch uns

 

Ana Blandiana (Joachim Wittstock)

 

Bindungen

 

Alles ist zugleich ich selbst.

Gebt mir ein Blatt, das mir nicht gleicht,

Helft mir ein Tief finden,

Das nicht mit meiner Stimme klagt.

Mein Schritt zerteilt die Erde, ich sehe

Tote mit meinem Antlitz sich umarmen

Und andre Tote zeugen.

Warum so viele Bindungen an diese Welt,

Eltern so viele und die erzwungenen Erben

Und all dies unsinnige Ähnlichsein?

Mich hetzt das All mit tausend eigenen Gesichtern

Und mich zu schützen, muß ich immerzu mich schlagen.

 

 

 

 

Mircea Ivánescu (Gehardt Csejka)

 

baustein in einer pyramide

 

aber es sind ja die pyramiden, die der dschungel verschlang

die die gräser überwucherten, daß allenfalls die affen noch

um den stein wissen unter lianen und riesigen blättern

und einander nachjagen in den steinernen gräben,

wo die sonne längst nicht mehr hingelangt -

und die in stein gehauenen gesichter, die mein lächeln

für die affen bewahrt haben die im dunkeln nichts sehen - sie tasten sich voran

mit den händen streicheln sie über das eine oder andere blinde antlitz

aus stein auf dem ihre finger so sie kurz verharrten

die affen können mit den fingern greifen erkennen würden

das schweigen, die lichtdurchflackerte starre des gottes

dem ihre ahnen als opfer dargebracht wurden

doch das ist lange vorbei jetzt sind da gräser, lianen

und das geschrei der heutigen affen die einander in den gemächlichen

steingängen hetzjagden liefern oder die unkrautbedeckten quader erklimmen

jeweils den schwanz des vordermanns fest im griff

 

 

 

 

 

 

 

 

Ion Neagos (Dieter Schlesak) s

 

Mann am Fenster

 

Ein Mann am Fenster:

die Mauer des Gartens mit Spitzahorn geschlossen

durch diese Distanz

und durch dieses Ereignis das hochschnellt und

sich beherrscht

durch diese Distanz: die Tonhöhe des unbewegten Laubes,

gleichgewichtig der Himmel, das Unkraut salzig und kalt -

und ein Mann steht am Fenster

solange dieses Gedicht dauert.

 

Gymnastik am Abend

 

Allein auf dem langgestreckten Dach,

die Wölbung wiederholend,

flattert deine Bluse im Luftzug dort oben.

Darin dicht an dicht die Kiefernnadeln stecken.

Unten im Stadion dunkelt der Rasen ein.

Klar geht eine Lampe an.

 

Das dünne und kalte Fleisch trennt in gleich großem

Abstand

das quadratische Haus auf dem Acker

von meinem Herzen.

 

 

 

Ara Alexandru Sismanian (Dieter Schlesak) s s

 

Blick(e)

 

Jedes Ding ist eine Frühgeburt eine Guillotine

ein Fehlen - und ohne Kontur - ohne Licht

eine Leere die nirgends beginnt

die den eigenen Abgrund beklagt

eine Art Schlaf

voller Löcher abgründige Pakete

eine Art Traum

einsam

ein Sinn ohne alle Signale

 

Emil Hurezeanu (Elisabeth Axmann)

 

Nachtrag zum Nicht-Gewesenen

 

In meiner Vaterstadt, die Kindheit, eh

sie sich zu einer Jugend mauserte, banal, zur Hälfte wild

zur Hälfte literarisch... die Vorstellung gefiel mir gut

als ich, in "Monsieur Teste" vertieft, per Straßenbahn

zum Kirschenkaufen fuhr.

Klar wurde mir die Episode später erst, beim Lesen

der Briefe, die Radu Stanca einst geschrieben hatte

als er, zu seiner Zeit, in eben jener Stadt, mit eben jener Straßenbahn

zum Kirschenkaufen fuhr.

 

Und abermals viel später als ich

in Wien die Bahn mit Kirschenohrgehängen wiederfand,

war es zu spät.

 

Da habe ich eine befremdliche

Verbindung hergestellt - jener Synthesen eine,

die, sinnerfüllend, unser Leben stören -

ich fügt' zusammen das vergessene Geschehen

und einen eignen Vers: "Wie große Kirschen, an Nervensträngen hängend,

mir den Weg erhellen..."

das hab ich meinem Freund, dem Kritiker Ion Negoitescu, unterbreitet

und er befands "ganz aufschlußreich", doch seine Skepsis

ward immer trauriger, sooft wir uns - in meiner Vaterstadt

oder auf anderen Meridianen - wiedersahn.

 

Ich weiß bis heute nicht, was schwerer wiegt:

Daß man erlebt', was gar nicht war, oder

daß man erfährt, wie es gewesen ist.

 

 

 

Gabriela Negreanu (Werner Söllner)

 

Das Kind

lacht und weint und rollt einen stein

ins wasser es glaubt nicht an märchen es glaubt nicht

daß dort

im stein

sich einer verbirgt

 

es lacht und es weint

und es stürzt sich ins wasser

 

versucht nicht es zu retten

lacht und weint

für die steine

in denen ihr

seid

 

 

 

Ion Mircea (Reimar Alfred Ungar)

 

Die Ikonen im Herbst

Die Ikonen im Herbst auf Holz

Die Ikonen im Herbst auf Holz die Ikonen im Herbst

Welch Bröckeln

Welch Entblättern

Wenn auf dem Toten Baum

De Baum selbst gemalt ist

Wenn auf dem toten Baum

Der Baum selbst gemalt ist

 

 

 

Ioana Pârvulescu (Bettina Schuller)

 

Trödelnd auf einem Aug der Poesie

wie die Kaulquappe in ihrem Teich

wie das flache Blatt in seinem Himmelsteich

verstand ich

daß es Tage gibt

wenn

die Dinge

ihre Haut ausziehen

(wie die Schlangen)

und bleiben

lebendes Fleisch

bebend vor Erregung

 

Wenn ich nicht zu Hause bin

tummel ich mich in seinem Aug

(in dem vertrauten Innenraum deines Auges).

Es verfinstert sich manchmal

(nur, bitte, schließ die Lider nicht ganz

damit ich nicht gefangen bleibe) er verfinstert sich

und ich fall

kopfüber

in ein Knäul von Licht verwickelt

auf den gestirnten Teppich

im Flur meines Großhirns

dort hab ich meinen Platz

weiß, warm, meine Grube (was schert sie dich!)

 

 

 

 

Nichita Stánescu (Rolf-Frieder Marmont)

 

Vorwärtsbewegung

Artur Lundkvist gewidmet

 

Ich bin eine Dampflokomotive,

hinter der die Schienen verdunsten.

 

Ich bin ein Vogel im Flug,

hinter dem die Luft versteinert.

 

Ich bin ein Wort, das, einmal ausgesprochen,

einen Leib hinterläßt.

 

Ich bin die Zeit, die aus

einer Uhr springt, die kristallisiert.

 

Ich bin das Gras,

das bucklig ist vor lauter Grün.

 

Ich bin der Hunger,

der vorauseilt einem Bauch.

 

Ich bin der von einer Mutter

Geborene, die ebenso wahrhaftig ist,

 

wie ich unwahrhaftig bin.

 

 

 

 

Nicolae Prelipceanu (Peter Motzan)

 

Wintermode

 

2

Gott, der herr, wird uns nicht stören, tun wir,

als sähen wir ihn nicht, vielleicht gibt´s ihn gar nicht.

 

3

Als ich zur Welt kam erbten die anderen

meinen massigen schädel zu groß und recht klotzig

in meinem namen trugen die schatten von drüben

die erde von ort zu ort

schneefälle brachten den schmerz und die großen freuden

durch die meine sohlen marschierten

erloschen im lid des ozeans

an dessen rändern schrillvögel wimmeln

und kanäle quellen über

verseuchen die luft mit cholera und das meer mit pest

am ufer entlang treiben tote ratten

die wir im traum alle verschlingen

damit die nachkömmlinge

einen sauberen ozean erben so unschuldig und herrlich rein

in der nacht verschlingen wir aufgeblähte ratten

die das meer heranschwemmt und freuen uns

daß unsere nachkömmlinge

in der zukunft leben werden.

 

4

Der herr wird uns nicht stören

tun wir als sähen wir ihn nicht

vielleicht gibt's ihn gar nicht

 

 

 

 

Ana Blandiana (Franz Hodjak)

 

Fall

 

Die Propheten erloschen in der Wüste,

und die Engel mit hängenden Flügeln

werden in Kolonnen

auf den Marktplatz getrieben.

Bald werden sie gerichtet.

Man wird sie fragen: Welch Sünde

hat ihre Geschöpfe aus dem Himmel vertrieben?

Welche Schuld? Welcher Verrat? Welch Fehltritt?

Sie, mit der Kraft einer letzten Liebe,

werden uns, benebelt von Schlaf anblicken

und nicht die teuflische Kühnheit aufbringen

zu gestehn, daß Engel nicht aus Sündhaftigkeit,

nicht aus Sündhaftigkeit zu Fall kommen,

sondern vor Müdigkeit.

 

 

 

Mircea Cártárescu (Gerhardt Csejka)

 

Das Spülbeckengedicht

 

Das Spülbecken entbrannte eines Tages in heftiger Liebe

zu einem kleinen gelben Stern, der im Winkel des Küchenfensters blinkte

es vertraute sich dem Wachstuch an und dem Senfglas

und klagte dem nassen Geschirr sein Leid;

ein paar Tage später offenbarte es dann seine Liebe:

– Kleiner Stern, laß das Funkeln über Brotfabrik und Dîmbovitzamühle,

steig herab, die dort brauchen dich nicht

sie haben im Keller ein Kraftwerk und sind voller Glühbirnen

vergeude deinen Goldglanz nicht auf Dächer

und Blitzableiter.

Kleiner Stern, meine Chromhaut begehrt dich, mein Siphon röhrt

Gesänge für dich in den Abend, blubbernd und gurgelnd, wie's seine Art ist

die Teller mit den Resten vom Büchsenfisch

haben dich schon ins Herz geschlossen.

Komm, und du kannst die Nacht durch als König der Küchenschaben

funkeln über dem Linoleumreich

 

Doch ach, der gelbe Stern folgte nicht diesem Ruf

denn er liebte ein Suppensieb

aus dem Hause eines pommerländischen Federfuchsers

und verschlang es schmachtend Nacht für Nacht mit den Blicken.

So kam das Spülbecken mit der Zeit ins Grübeln

über den Sinn des Lebens, seinen objektiven Charakter

und versuchte schließlich beim Wachstuch sein Glück.

 

... einst ließ auch ich mich aufs Liebesspiel ein

ich, das Loch im Vorhang, das euch diese Geschichte erzählt

ich liebte einen prächtigen cremefarbenen Dacia, den ich einmal und dann nie wieder sah ...,

Aber was soll's, jetzt habe ich Kinder im Vorschulalter

und alles was war, ist wie ein Traum.

 

 

 

 

Ion Stratan (Helmut Britz)

 

Das Symbol

 

In den Lüften ist die Spur

eines Pferds

Auf der Erde stoßen wir an, stoßen wir uns

 

in den Lüften, dann gnade Gott

"Ohne mich", sagt der Mensch

"Ohne mich", sagt der Stein

"Ohne mich", sagt der Vogel

 

Die Spur eines Pferds, wie ein Regenbogen

bäumt sie sich über die Seele

 

Unbekannt wie wir sind

wurden wir längst vergessen

 

 

Trauriges Billett

 

und die Freiheit wie ein Mond in Verwesung

 

als wäre, was erschaffen wird, Verfall und vom vergessenen

Herrn der Dorn und der Kelch aus dem Nichts gewählt worden

 

Die Weide streift den Fluß,

den ich erstickte, da er

widerspiegelte

 

Ein Damm aus Phantomen, die Einsamkeit

eine Nation des Herzens wie

das Wort "mit"

 

 

 

 

 

Constanta Buzea (Markus Lakebrink)

 

Gelegenheit

 

Die Stadt betrachten, die verweste Sonne

Klarer Bahnen, auf denen Generationen kommen,

Die falsch sind und lilienzarte Zeiten bewohnen.

Versuchen, ihr runzliges Gestein zu verdauen,

Innere Masken, das Wasser ohne Gnade,

Ihr kaltes Chaos aus Pilzen auf Mauern,

Das ist törichtes Verlöschen im Bitteren.

Mich lähmt die Wacht auf der Höhe,

Täglich gibt sie mir den Gedanken an Selbstmord ein,

damit ich die Gelegenheit der Leere aus mir nicht verliere,

Damit ich sie eröffne, im Maß der Leere zwischen meinen Schritten.

Sieh da, die Terrasse mit dem Raubtiergitter,

Strand im Frühling, im Winter Eisbahn,

Wenn schwebend die Luft verschwindet

In einem schwarzen Zwang aus Schmutz.

Ich kann oder kann nicht. Bis ich mich entscheide, bleibt

Die Sehnsucht, viel fürchterlicher als ein Tod,

In schuldlosem und traurigem Geheimnis aufzubrechen

Nach dem Land, das mich geboren hat.

Glücklich der, der meinen Platz innehat;

Das Pferd, das seine heilige Luft pflügt.

An Ausflüge denken, das Glück vorspielen,

bis sich mir der Mund mit Erde füllt.

 

 

Ion Bogdan Lefter (Gerhardt Csejka)

 

Mit eigener Hand

 

Da hab ich das Wort "Hirn" und da

das Wort "Hirnhaut" und

dazu nehme ich andere Wörter

an die andere glaubten ohne sie je

berühren zu können.

In meiner Hand, dieser jungen Muschel,

sind diese Dinge nicht mehr das, was sie waren:

das Wort "Hirn" ist ein Hirn und

das Wort "Hirnhaut" ein transparentes Häutchen

das gleichmäßig, im Rhythmus des Meeres,

durchpulst wird vom Blut.

 

Vielfarbiges Rot

 

Mein Fleisch tropfte in runden Tropfen

mein Blut tropfte in runden Tropfen

(mein hagerer Körper - ein Stalaktit)

als Stalagmit entstand ich unten neu

ich sah von oben zu wie ich unten heranwuchs

in der Luft färbten sich die Tropfen rot

von oben bis unten lebte ich

in der Gestalt eines roten Regenbogens

mein Fleisch tropfte in runden Tropfen

mein Blut tropfte in runden Tropfen

 

 

 

 

 

 

 

XV

 

"... denn nur was kein Gedicht ist,

kann noch als Poesie bestehen ... "

 

 

 

 

Ana Blandiana (Dieter Roth)

 

Beweise

 

Gesteinigte Engel,

Die noch so standhaft sind,

Daß sie nicht in den Himmel

entschwinden,

Bitten mich, zerschunden

Und erschöpft, um Obdach.

Und während sie noch leise flattern,

Entschlummern sie sanft und zerbrech-

lich

In den Schreibheften und ziehen im

Schlaf,

Wenn ihnen kalt ist,

Ein weißes Blatt über die Flügel.

Am Morgen weiß ich, es war kein

Traum,

Wie die Federabdrücke auf den Heft-

seiten verraten,

Und ich beeile mich, sie mir einzu-

prägen,

Ehe man sie beschlagnahmt,

Um damit das Erscheinen

Neuer Raubvogelarten zu belegen.

 

 

 

Florin Mugur (Helmut Britz)

 

Splitterglück

die Poesie, dieser Lügendetektor, der in Tränen ausbricht

*

als ich entdeckte, daß ich Feinde habe, als sie über mich

herfielen, als sie weggingen und ich allein in meinem

Zimmer zurückblieb, fragte ich mich: wohin seid ihr

weg Brüder? ich lebe noch?

*

die Liebe ist leicht wie ein Lindenblatt, heißt es im

Lied, ach ja, und wie die Raupenkette eines Panzers,

die liebe Liebe

*

Schönheit, diese Minute, die wir durchlebt haben, als

wäre sie Wirklichkeit

Dan Damaschin (Hellmut Seiler)

 

Botschaft

Es schreibt meine Hand erschauernd vor dem Schrecken des Frostes

der das Erstarren bringt;

Die einzige Botschaft die aus einer entfernten Zukunft

zu mir dringt

Sind diese eisigen Windstöße die sogar meinen eignen Dämon hindern

zur Besinnung zu kommen;

Besessen von der Vision einer Bibliothek die öde ist wie eine Höhle

vergessen seit Äonen,

Im Eis eingeschlossene Bände, die sich nicht mehr

öffnen lassen;

In denen die Worte der Dichter von den Gesetzen des Frostes gedemütigt

dastehen,

Im großen Winter der Welt, wenn nur der Tod, nachdem er seine Arbeit verrichtet

noch Zeit hat zu lesen.

 

 

Bogdan Ghiu (Klaus F. Schneider)

 

Gedicht

Die vorherigen Gedichte

sind nur der Weg

bis zu diesem Gedicht.

 

Gedicht

Zuviel Platz

da für

ein einziges

Gedicht.

 

Und es könnte sein,

daß weiter nichts mehr geschieht.

Das Gedicht ist kurz...

 

 

Viorel Muresan (Dieter Schlesak)

 

Der Fotograf: Eine junge Frau hob ihr Kind über ihren Kopf hoch:

und fotografierte mit ihm die Umgebung

 

 

 

Romulus Bucur (Herbert-Werner Mühlroth)

 

lob des augenblicks

 

dampf der aus der teetasse emporsteigt

die umrisse ihres körpers

gitarrenklänge aus dem rekorder die sich in spiralen erheben

striche auf dem papier die langsam einen sinn ergeben

 

//aus der teetasse steigt dampf

die umrisse ihres körpers

aus dem rekorder erheben sich gittarenklänge in spiralen

die striche auf dem papier ergeben langsam einen sinn//

 

 

Traian Stef (Dieter Schlesak) s

 

Falls du nicht schreiben kannst

 

Welch syntaktische Fügung

Welch ein Text

Welche Dynamik

Kannst springen wie eine Silbe

Von ihrem Platz

Auf ihren Platz

Kannst spielen

Auf dem Saxophon

Eine Ekstase

 

Auf der Zunge des Mächtigen

Sind die Worte wie Handschuhe

Demodé

Ein Bein im Gips

Ein Zyankalikonsens

 

Wenn du nicht mehr reden willst

Wenn du nicht schreiben kannst:

Da die anderen lachen und reden

 

Unaufhörlich lachen und reden

Gehst du vielleicht nach Rom

Und bewunderst die Melancholie

Des untergegangenen

Römischen Reiches

 

Ion Muresan (Gerhardt Csejka) s

Untertänigst Euer Scardanelli

(Ein Lied des Alexandru Vlad)

 

Schlacke über den Büchern sing auch du

»Schlacke über den Büchern«

und das Stirnbein das wie ein steinernes Messer zwischen den Blättern steckt.

 

Juchhe, juchhe! Die Naturgesetze schlugen ihre Hauer in meine Phantasie sing auch du

»Juchhe, juchhe! Die Naturgesetze schlugen ihre Hauer in meine Phantasie«.

Den Satan wiederum hat man nie besser abkonterfeit gesehen:

er war wie die Smaragdeidechse so grün.

 

Ich sah orangegelbe Körner die Horizontlinie lang gestreut sing auch du

»Ich sah orangegelbe Körner die Horizontlinie lang gestreut«

und der Weg hieß es sei voller Staub, voller Hörner und Hufe.

Schön ist es im Garten bändergeschmückt

zwischen Bäumen zu spielen

mit bunten Tüchern sing auch du

»Schön ist es im Garten bändergeschmückt

zwischen Bäumen zu spielen mit bunten Tüchern«

mein Mund aber naht sich der Poesie wie einer Brennesselgarbe,

und das sind Dinge, die erinnern mich an Dinge

die ich niemals gesehen

und eh es zu spät ist, zeichne ich hier: Untertänigst,

Euer Scardanelli

 

 

Das schwimmende Gedicht

Ich stehe in der Tür der blauen Baracke.

Ich, der Sinnreiche, Wendige, Schlaue,

ich vollendete das Gedicht wie folgt:

»Wie der Meerrasen endlos hingebreitet die Narrenkappe,

darunter schnurrt und rattert gedämpft die Schicksalsmaschinerie.«

Und ich bedaure es nicht, jetzt

da deine Augen fast völlig geheilt von der Blindheit

zwei zahmen Fröschen gleich von einem Wort zum anderen hüpfen,

von einer Strophe zur andern,

diesem schwimmenden Gedicht.

 

 

 

Eugen Suciu (Rolf Bossert)

 

Aleph

für Dan Arsenie

 

Jedes Wort

beginnt mit einer Art Verdacht

mit einer Aktlinie die im Sperma nistet

mit Vater

der die Ärmel des Mantels

wie eine Rose wetzt

die das Gespräch mit der Katze aufschiebt

wenn sie ihr eine neue Seele verkünden muß

 

da ich nicht weiß

in welchem Vers mir der Tod auflauert

nenne ich Armut

die mechanische Tätigkeit der jesuitischen Hasen

die sich flatter flatter auf meinen Schädel setzen

 

das Gehirn

das ihr mir in die Hand schmuggelt

als wär´s eine öffentliche Verwarnung

und außerdem nenne ich flatter flatter

eine Art Huf

eine Art grüner Kindheit

durch die mir die Nacht ein Seil spannt:

da! spring in den Sattel und schreib

 

und ich schreibe:

in meinen Augen

hält Wort der Irrsinn

 

"hm

flüstert der Tod

Kinder werde ich kriegen"

 

Mariana Marin (Dieter Schlesak)

 

Ohne sie

 

Ohne sie - meine jungen rumäniendeutschen Freunde

würde das Subjekt immer noch an den Fingern

der Realität lutschen.

Tumb und vor dem eignen Schatten erschrocken,

würde es nie begreifen, warum denn die Poesie

Metzgergeruch und den Geruch der Sektionssäle ausströhmte

Ohne sie wäre es schwerer gewesen.

Auf dem Kopf wäre mir der kleine bourgeoise Pilz gewachsen

so lesend unter dem Schirmchen (mit realem geistigem Interesse)

die Romane des verquälten Jahrzehnts

oder über die Problematik südamerikanischer Prosa ...

Ohne sie wäre ich endgültig saniert gewesen

im Land zwischen Herz und Karpaten,

und die Aktionen der eisernen Einsamkeit

jener Ort von dem aus ich schreibe

über diese Ausdrucksmittel

hätte zu lang vor der Tür warten müssen

wie ein verlassenes Kind.

Ohne sie wäre ich noch ärmer gewesen.

"Das, was ich bin" hätte zu spät die Augen geöffnet

in Richtung des "Was wir sind".

Die aufblühende Sprache des Toten,

den ich erst gestern in den Armen hielt,

wäre wahrscheinlich niemals

wirklich mein eigenes Leben geworden/ wie jetzt.

 

 

Liviu Ioan Stoiciu (Dieter Schlesak)

 

Wie unirdisch doch

... welch unirdische Nacht: der älteste Typ

weiblicher

Nacktheit wie ein Geruch

überall in meinem Zimmer, so habe ich

das drückende Gefühl nie gekannter Schwere ... schwerer

Atem: von Sattheit, Erfüllung,

von Schläfrigkeit ... Wie ich schon sagte, fühle ich

mich ganz einfach atrophiert. Über meinen Augen

Schleier. Nein

 

es ist mir nicht gut! Der hölzerne Schreib Tisch verwandelt

sich in einen Eisernen Tisch, sogar er

erschreckt mich: ich bin

gesehen worden - himmelnd. Und so nachäffend

das neue Zeitalter?s Du warst...?

 

 

 

Nora Iuga (Gerhardt Csejka)

 

Die Leere auf dem weißen Papier

 

was für eine stunde dies / wie ein korkenzieher
in meine angst gestoßen und zwölfmal umgedreht

 

die erde und all ihre innereien
nichts als leidenschaft und gewalt

 

eine schreibmaschine ohne schreibfinger
auf dem weißen papier
gerät die leere ins fließen
und dante ist für mich glaubwürdiger
als der klaffende bauch des pferdes

 

hinter geschlossenen lidern
lesen meine augen nicht
sie sehn bloß die zeichen des dunstes
der dem moor entsteigt

 

Bogdan Ghiu (Dieter Schlesak)

 

Poem

 

Hier ist der leere Raum des Poems.

(Der Raum poementleert.)

Ich schreibe: um zu ent-fernen, zu

ersetzen, schreibend das Poem

beiseite zu schieben.

(Es zur Seite legend!)

 

 

 

Dumitru Crudu (Dieter Schlesak)

 

liubovs sonett, tristia 12

....., ...... ... ... -

.... ...... ..........

....... ................ .... -

.. . ... ....... !

 

..., ........ . . .... -

.... ... ..., ...... , ..

......... ... ... ..? -

.... . .... ... ... .

 

.... ... ... .. ... -

.., ......., ..........

. .. ...... .. . .. -

... . . ... ... ..

... .. ... ... .. -

. . ?

 

 

 

Nicolae Popa (Horst Samson)

 

Grenzfurche mit Augenringen

 

Es gibt nur Bücher, die jammern können

während Das Wort ein verrosteter Nagel wird

an den die Unendlichkeit ihr Hufeisen hängt

 

 

 

Petru Romosan (Herbert Gruenwald) s

 

Sommermärchen

 

Unter den Schnittern, im Gras, erschien ein Possenreißer

"Ha! Ha! Haha! Was tut ihr denn hier?

Ha! Ha! Ha! Für wen arbeitet ihr?"

Der älteste Bauer wetzte die Sense und mähte - ein Blitz -

dem Spuk beide Beine ab.

(Die andern Bauern lachten Beifall.)

Blaue Nässe

(so wird erzählt)

habe damals das makellos grüne Gras befleckt.

"Als wäre es Tinte!" Entsetzen der Schnitter.

 

Unter den Schnittern, im Gras, versickerte ein Possenreißer.

 

 

Der Idiot und die Blüte

 

"Mir wird es gelingen, ihr das Geheimnis zu entreißen!"

Er lächelte irr.

-"Das Geheimnis jener weißrosa Heiterkeit."

Scheu vermied er sie zu nennen.

Allzu laut die Ekstase der Schwätzer: "Todesahnung, Sterblichkeit!"

"Werd ich eine Blüte je vollkommen kennen...?"

 

Man fand ihn in einem Hotelzimmer

tot, grün, leise raschelnd.

Auf dem Tisch eine taufrische Blüte.

 

 

Schafft Dante herbei

 

Dante ritt auf einem Esel nach Siena,

Nach Siena oder einer anderen schattigen Siedlung der Menschen.

 

Seit einem Jahr erwartete ihn die Stadt.

"Dante wird uns erretten!" freuten sich die Ratsherrn.

"Pest, zersetzende Gerüche, Mißmut, Verdruß...

Dante wird uns erretten!"

Zornerfüllt tönten

die Stimmen von Sienas stolzen und prächtig gewandeten Bürgern:

"Der da ist nicht Dante, der da kann Dante nicht sein,

Schafft Dante herbei!"

Vom Esel herab, rief auch er,

so laut es seine Kräfte erlaubten:

"Der Mensch ist kein Vieh, sondern erwählt, die Welt zu erleuchten

und das Dunkel zu bannen!"

Sienas stolze und prächtig gewandete Bürger

brachen in schallendes Gelächter aus.

 

 

 

Rodica Draghincescu (Dieter Schlesak)

 

Prinzip des Poems

 

Barfuß dringe ich ein in diesen Tod

wie in den Spiegel mit geschlossenen Augen

kein Schmerz durchzuckt mich

und Wochen vergehen

wie gesichtslose Mönche

mein Rock wird zerknittert

doch unmöglich ist es ihn

abzulegen/ der Körper hat

in ihm Wurzeln geschlagen

er ist ergrünt

Sie auf was warten Sie?

fuhr er mich an

ein Alter winzig und dürr

Nehmen Sie ihren Körper, Schaufel und Gras,

lebendig zu begraben dieses Gedicht

 

 

 

Daniela Crâsnaru (Peter Motzan)

 

Atem

 

Meine schreibende Hand

dringt ins Weiß des Papiers, in sein kaltes,

neutrales Fleisch - bis zur Schulter, bis zum

letzten Lidschlag. Ein eleganter,

nahezu perfekter Selbstmord.

 

Der Feuerschlucker

 

Ereignisse und Bilder

in der gleichen verschossenen Montur.

Deine willfährige Netzhaut, dein Geist

und sogar die schlafträgen Zellen des Körpers

werden von ihrem Getümmel überrollt, erdulden

ihren Vormarsch, ihre Invasion, ihre Offensive.

Ereignisse und Bilder. Der Wirklichkeit, selbstverständlich.

Wie gerne würdest du sie beim Namen nennen,

ihnen ihre Identität wiederschenken, endlich mal diese

anonyme, aber zähe, erdrückende, flutende Masse auseinandersprengen.

Wie gerne würdest du sie beim Namen nennen

aber die Worte flackern nur augenblicklang,

furchtumloht,

Worte, die du dann eilends

zurücknimmst, sie verschluckst

mit der perfekten Selbstbeherrschung des Feuerschluckers,

dessen Träne (ach, Illusion der Illusion!) auf dem Antlitz

das tiefverzweifelte Territorium der Demütigung zeichnet.

 

 

Alter

 

Geschmack von Asche, Leben: driftende Willkür,

irgendwo, tiefwärts geht auf eine Tür.

 

Duft von Wachs, Duft einer brennenden Nacht,

Duft von Tränen, die kein Gedanke bewacht.

 

Überragt wird dies Schweigen vom großen Gelächter,

in Honig taucht Tod seinen Finger, der Schlächter.

 

Das Seil dieser Worte, geflochten voll Müh,

sein Ende schlingt sich um Gottes Knie.

 

In der Zielgeraden

 

Worte über Taten,

Worte wie riesige Bernhardiner erwärmen

die Opfer mit ihren Leibern,

retten dann und wann, was noch zu retten ist.

Mein Gedächtnis durchpflügt immer mühsamer

die düsteren Kanäle, die Schlachthäuser des Schreckens,

die Arena, über der die Leichen

verhallter Hurrarufe schweben.

Wie auf einer Weihnachtskarte: die verschneite Glocke.

Und Dutzende ineinandergreifender Hände, um ihr ein Klingen

zu entlocken, doch starrköpfig verharrt sie in hochmütiger

Stummheit, ein rein ästhetisches Objekt, beheimatet in der

Wirklichkeit einer Ansichtskarte aus Kinderzeiten.

Die letzte Kurve und dann die Zielgerade.

Mein Verstand müßte nun hell, hellwach sein,

die Ordnung seiner Gänge: vollkommen.

Der letzte Kräfteaufwand wird genau berechnet.

Die letzte Liebe, die letzten beglichenen Schulden,

das letzte Wort, ein Bernhardiner, der mich zudeckt

mit seiner Brust, der heißen, heißen, heißen.

 

 

 

Petru M. Has (Horst Anger) s

 

Heut ist der Siebzehnte

 

man hört die Krähen

in einigen Tagen haben wir die längste Nacht

rückt bitte die Kirche zwei Schritt nach rechts

damit wir sehen, wieviel Uhr es ist.

 

 

Das Wasser spritzt aus den Hähnen

 

Gefühl von Frische und Fest

Komfort des Tages

Überall wird Wochenstaub emsig geschüttelt

der in Poren fleißiger Kleider nistet

in den Rillen alltäglicher Haut.

Alles kriegt Glanz unter Fingern und Schaum

und das Gedicht entsteht aus so vielen Worten

die am Gedächtnisflügel haften

im eiligen Flug

durch die erblühte Vegetation der Sprache.

 

 

Pierre dem Unedlen und Ignoranten zum Gedächtnis

 

unter der treppe weitab von lärmenden songs

raucht der poet die asche alter hymnen

in dauernder verwirrung

der erste himmel fiel

der zweite

der nächste

gespenster ruhen im dachbodenstaub

und auch die musik eine im schmerz gespannte saite.

 

Nichita Stánescu (Rolf-Frieder Marmont)

 

Die Lektion vom Würfel

 

Man nehme einen Steinblock,

behaue ihn mit einem Meißel aus Blut,

schleife ihn mit Homers Auge,

poliere ihn blank mit Strahlen,

bis der Würfel vollendet ist.

Danach küsse man unzählige Male den Würfel

mit deinen Lippen, mit anderer Leute Lippen

und vor allem mit den Lippen der Infantin.

Danach greife man zum Hammer

und schlage jäh dem Würfel ein Eck ab.

Alle, restlos alle werden sagen:

Welch vollendeter Würfel dies wäre,

hätte er nicht ein abgeschlagenes Eck!

 

 

 

 

Stefan Aug. Doinas (Wolf Aichelburg) s

 

Zwischen mir und meinem Vetter

 

- Dann stieg ich hoch im Hals

des Vogels, schrecklich anzusehn. Er flog.

Es war ein Vogel blau, unendlich blau.

Er nennt sich Rock: Aus seinem Schnabel fielen

der Morgensterne Silben. Seine Blicke

erschufen wie drei Trichter ineinander

Abgründe wolkengrau. Wir flogen

hoch über Wolken, höher, und ich sah

auf einmal, als ich in die Tiefe blickte:

ihm war ein Ei entfallen. Es war die Welt.

- Gewiß, sagt da mein Vetter. Doch bedenk,

den Vogel gibt es nicht, von dem du sprichst!

- Nein, sagte ich, es gibt ihn nicht, und hielt mich

angeklammert fest an seinem Hals.

Ich hielt mich fest. Ich weiß, es gibt ihn nicht.

 

 

 

Marin Sorescu (Dieter Roth)

 

Schicksal

 

Das Huhn, das ich gestern abend

tiefgekühlt

kaufte,

taute zu neuem Leben auf,

legte das größte Ei der Welt

und erhielt den Nobelpreis.

 

Das Wunderei

ging von Hand zu Hand,

umkreiste in einigen Wochen die Erde

und in 365 Tagen

die Sonne.

 

Das Huhn kassierte

ich weiß nicht wieviel

harte Devisen,

umgerechnet in Scheffel Körner,

doch es hatte keine Zeit,

sie aufzupicken.

 

Denn von allen Seiten kamen Einladungen,

es hielt Vorträge, gewährte Interviews

und ließ sich fotografieren.

Oft wollten die Reporter

unbedingt auch mich

an der Seite des Huhns

ins Bild haben.

So wurde ich, nach einem Leben,

das ich ganz der Kunst geweiht hatte,

über Nacht berühmt

als Geflügelzüchter.