Freud (und Lacan) im Alltagsleben Zur Geschichte der rezenten Entwicklung der Psychoanalyse in Argentinien. Roberto P. Neuburger

Ein argentinischer Psychoanalytiker schlägt einem Südamerikareisenden, der seine Reise in Buenos Aires beenden möchte, das folgende Experiment vor: Er soll den Taxifahrern in den verschiedenen Städten -mit der Ausnahme von Montevideo, das ja für einen Argentinier kein Ausland ist-, die Frage stellen, wer Freud oder Lacan ist. „Unbekannt“ wird bestimmt überall die Antwort sein. Dasselbe wird möglicherweise mit dem Hotelportier, Geschäftsführer, usw., geschehen. Noch mehr: Selbst in den Universitäten werden beide Personen weder allzusehr studiert noch erwähnt. Doch in Buenos Aires wird er gewiß ein seltsames Phänomen erleben. Der Chauffeur wird ihm eine detaillierte Gratisvorlesung über den Ödipuskomplex, die Nachträglichkeit im Unbewußten, Kastration und Verdrängung halten oder über die argentinischen „minas“ und ihre Beziehung zum supplementarischen Genuß des Weibes , reflektieren. Ursache ist nicht nur, daß in Folge der ökonomischen Krise und der Verarmung aller Berufe viele Psychoanalytiker gezwungen sind, als Taxifahrer zu arbeiten. Die Zahl derer, die ohne Autorisierung Psychoanalyse praktizieren, ist so unberechenbar wie die Zahl derer, die die Analyse als gesetzmäßigem Beruf ausüben. Darüber hinaus: In keiner psychologischen Fakultät der Welt spielt die Psychoanalyse eine solche herausragende Rolle wie in der Fakultät für Psychologie der Universität Buenos Aires. Man kann schlichtweg behaupten, daß die Mehrzahl der Psychologen, die das Studium absolvieren, sich mit Sicherheit der Psychoanalyse widmen werden. In einen bestimmten Viertel der Stadt, von den connoisseurs "Villa Freud" (Villa, sinngemäß etwa „Dorf“) genannt, kann man sicher sein, daß eines von drei Häusern ein psychoanalytisches Warte- und Behandlungszimmer beherbergt. Wie kam es dazu? Warum hat Freud in der argentinischen Kultur eine so feste Position? Wie ist die leidenschaftliche Liebe der Argentinier zur Freudschen Lehre zustande gekommen? Bevor wir uns mit diesen -vielleicht unerklärbaren- Fragen beschäftigen, wenden wir uns der Geschichte der Einführung der Psychoanalyse in Argentinien und den Folgen dieser Einführung zu.

I. Die Anfänge In den zwanziger Jahren, nach der Reform der Universität, war das Hochschulstudium eine gute Chance für einen jungen Menschen aus dem Mittelstand oder Nachkommen von Einwanderern, ihre soziale Position zu verbessern. Der Eitritt in die Aristokratie der Landbesitzer wurde diesen Schichten von Anfang an verweigert. Die Zahl der Immatrikulierten stieg fortwährend. Mit der Medizin verbanden sich die Karrierevorstellungen, die die Mehrzahl der Studenten hegte. Bald wurden Berufsverbände nötig, um bei der massiven Zunahme den Zugang zur Ausübung in den jeweiligen Fachgebieten zu regulieren. Die Psychiatrie war in dieser Entwicklung eine der letzten Disziplinen die selbständig auftraten. Das Studium der Psychotherapie wurde aber, als Ergebnis des vorwiegend französischen Einflusses mit großer Verspätung einbezogen: nicht vor 1928. In den dreißiger Jahren begann eine kleine Gruppe von Psychiatern, die Theorien Freuds zur Diskussion zu stellen. Der spanische Essayist Ortega y Gasset, der öfters Argentinien besuchte, hatte 1922 in Spanien die damals erschienenen Gesammelte Schriften Freuds ins Spanische übersetzen lassen. Regelmäßiger Treffpunkt dieser Gruppe waren die Cafés in der Florida-Strasse, wo viele argentinische Intellektuelle verkehrten. Hier konnte man auch Girondo, Borges oder Bioy Casares sehen oder treffen. Unter den Psychiatern befanden sich Gregorio Bergmann, Professor in Córdoba und Jorge Thénon, der später tatsächlichen in brieflichen Kontakt mit Freud trat. Während des zweiten Weltkrieges kamen die Einwanderer dazu: Béla Székely, ein ungarischer Psychologe, der auch die Psychoanalyse diskutierte und der Spanier Ángel Garma, der die reguläre psychoanalytische Weiterbildung in Berlin durchlaufen hatte. Bei dem letzten begann der junge Kinderarzt Arnaldo Raskovsky eine Lehranalyse. Schließlich wurde Guillermo Ferrari Hardoy bei Celes Ernesto Cárcamo analysiert, ein Arzt aus einer Familie von Landbesitzern. Dieser hatte auch eine analytische Weiterbildung beendet, diesmal - bildungsbürgerlicher Tradition gemäß - in Paris. Bald darauf sollte die Ärztin Marie Langer, die ihre analytische Weiterbildung in der Wiener Gesellschaft absolviert hatte, nach Buenos Aires kommen und an den Treffen der Gruppe teilnehmen. Eine erste Trennung fand bald statt: Auf der einen Seite etablierte sich eine Gruppe, die die Berufsausbildung nur von den etablierten ärztlichen Gesellschaften anerkannte und eine Lehranalyse nicht annehmen wollte - die Psychoanalyse war für sie nur eine Technik unter anderen. Und auf der anderen Seite die zukünftigen Begründer der Argentinischen Psychoanalytischen Gesellschaft (Garma, Cárcamo, Raskovsky, Ferrari Hardoy und Langer), die die Psychoanalyse als selbständigen Beruf sehen wollten. Cárcamo und Garma begannen 1942 einen Briefwechsel mit Ernest Jones, der im folgenden Jahr zur offiziellen Anerkennung der Asociación Psicoanalítica Argentina (APA) als Mitglied der Internationalen Gesellschaft führte. Unterdessen verloren die ärztlichen Standesvertreter jedes Interesse an der Psychoanalyse oder wurden ihre Gegner (unter anderem als Folge des Ukas der KP, die inzwischen die Werke Freuds als „bürgerlich-reaktionär“ abgelehnt hatte).

II. Die theoretische Richtung der APA: Buenos Aires, „The Kleinian City“.

Enrique Pichon Rivière, eines der ersten Mitglieder der Gesellschaft und war als Chefarzt einer psychiatrischen Abteilung des Hospicio de las Mercedes - eine der großen öffentlichen psychiatrischen Anstalten - in einer exponierten Position. Sein Anliegen war, die Anerkennung der psychiatrischen Standesorganisationen wieder zu gewinnen . Doch es war seine Frau, Arminda Aberastury, die einen bedeutenden Wechsel in der theoretischen Ausrichtung der APA bringen sollte, wenn auch in anderem Zusammenhang. Sie begann 1945 einen intensiven Briefwechsel mit Melanie Klein, der bis 1958 anhielt. Zu Anfang ihres Briefwechsels hatte sie noch keine Kenntnis von der "Melanie Klein-Anna Freud- Controversies", die beinahe die Britische Gesellschaft spaltete . Sie übersetzte die Werke Kleins ins Spanische und wurde zu ihrer überzeugten Vertreterin und Streiterin. Später traf sie Melanie Klein in London persönlich, und mehrere argentinische Psychoanalytiker traten in Folge die Pilgerreise nach London an. Allerdings wird die Lehre Melanie Kleins im Laufe der Zeit zum verhärteten Dogma. Ein Zeuge dieser Zeit spricht von "Einfuhr und Abfuhr" : Wir Argentinier führen englische und französische Theorien ein, um dann die anderen südamerikanische Länder zu kolonisieren. Ein argentinischer Analytiker soll in London Melanie Klein sehr stolz berichtet haben, daß in Argentinien 345 Analytiker tätig waren, die fest, mit geschlossenen Augen, an ihre Theorie glaubten. Wenn ein Kandidat bekannte, daß er Zweifel hegte, wurde er nicht in der Gesellschaft aufgenommen. Das Studium der Werke Freuds verlor an Wichtigkeit, bis es nur ein obligates, leeres Wappenbild wurde. Die Betonung des Imaginären, der dualen Beziehung, die die Klein´sche Theorie auszeichnet, fand dann keine Grenzen mehr. Die symbolische Ordnung wurde zur eindeutigen Symbolik degradiert: Der Kastrationskomplex war vergessen, da das phallische Primat nicht als Ausgangspunkt einer Logik des Symbolischen erfaßt, sondern, wie üblicherweise in der Nach-Freudschen Sicht, als kulturelles Zeichen der männlichen Herrschaft um die Jahrhundertwende in Mitteleuropa verstanden wurde. Ein besonderer Beitrag zur Theorieentwicklung sollte jedes Mitglied kennzeichnen. Ángel Garma führte Urphantasien als Grund sogenannter psychosomatischer Krankheiten ein, insbesondere des Magengeschwürs. Arminda Aberastury postulierte eine neue Entwicklungsphase, die „vorgehende Genitalstufe“, die zusammenfallen soll mit dem Erscheinen der ersten Zähne: Diese theoretischen Modelle standen selbstverständlich im Zusammenhang mit dem Versuch Kleins, den Ödipuskomplex in der psychosexuellen Entwicklung immer früher anzusiedeln. Ein gutes Beispiel des Übermaßes in der Rezeption dieser Bemühungen zeigte Arnaldo Rascovsky, der selbst über den Psychismus des Fötus schwärmte (und darüber ein Buch schrieb). Später hat er den Sohnmord als Universalerklärung aller individuellen und sozialen Erscheinungen angenommen und sogar eine Gesellschaft für dessen Prävention gegründet. Marie Langer studierte die psychische Welt der Frau: Ihr meist gelesenes Buch hieß „Mutterschaft und Geschlecht“. Hier findet man eine gekürzte (selbstzensierte) Fassung des früheren Artikels „Der Mythus des gebratenen Kindes und andere Mythen über Eva Perón“. Dieser stellt einen zumindest interessanten Versuch einer auf politische Geschehnisse angewandten Psychoanalyse dar. Ein weiterer Vertreter der APA orientierte sich an Melanie Kleins Absicht zu beweisen, daß hinter jeder Neurose eine infantile Psychose liegt: Auf diesen Spuren hat José Bleger den „psychotischer Kern der Persönlichkeit“ studiert (und später eine seltsame Mischung aus Marxismus, amerikanischem Behaviourismus und Politzers Kritik an der Psychoanalyse entwickelt). Schließlich bleibt noch, Heinrich Racker zu erwähnen. Mit dem Streit zwischen Klein und deren Schülerin Paula Heimann wahrscheinlich nicht vertraut, förderte er die Konzeption der Gegenübertragung als technisches Mittel anstatt als Hindernis, das durch Lehr- und dann Selbstanalyse beseitigt werden soll. War die Lehranalyse zu Ende geführt, sollte der Analytiker während der Sitzung vom Unbewußten vollkommen „frei“ sein: Dann waren sämtliche Gefühle, die er empfand (und die eigentlich, nach Kleins Auffassung, leicht in zwei Spezies sich ordnen ließen, die „paranoide“ und die „depressive“), vom Patienten her durch die „projektive Identifikation“ automatisch zu ihm gelangt. Diese bildeten dann die Grundlage für die Deutung. Zusammen mit einer vereinfachender Lektüre der Arbeit Stracheys über die „mutative Deutung“ - die nur dann eigentlich psychoanalytisch sein sollte, wenn sie die Übertragung auf das Hier und Jetzt erklärte - wurde diese Gedankenrichtung derartig übertrieben, daß das Sprechen des Patienten schließlich so überflüssig wurde wie die Texte Freuds. Nicht ohne Folgen blieb auch der Besuch des Klein-Schülers Donald Meltzer bei der APA 1964, der über Setting pontifizierte. Er befürwortete eine strenge Einhaltung des Settings, bei welchem von Sitzung zu Sitzung keine einzige Veränderung, sei es auch nur eine winziges Detail, für den Patienten wahrnehmbar sein sollte. Diese Position wandelte zuletzt alle Analytiker zu Setting-Zwangsneurotikern um.

III. Die Psychoanalyse in der Öffentlichkeit Im Jahre1956 wird die erste Universität für Psychologie in Rosario (Provinz Santa Fe) eröffnet; ab dem folgenden Jahr besteht diese Möglichkeit auch in Buenos Aires. Mehrere didaktische Analytiker der APA werden zu Professoren berufen, und die Psychoanalyse gewinnt unter den Studenten (anders als an der medizinischen Fakultät hauptsächlich Frauen) deutlich an Prestige. Vorher jedoch (1952) wurde durch eine Entscheidung des Gesundheitsminister der Regierung Peróns, Ramón Carrillo, die Praxis der Psychoanalyse auf die Ärzte beschränkt. Tatsächlich aber war es unmöglich, über die Praxis der Privat-Konsultationen Kontrolle auszuüben. Die APA war trotzdem gezwungen, nur Ärzte als Kandidaten anzunehmen. Lehranalytiker, die in der Fakultät für Psychologie unterrichteten, führten dadurch ein äußerst seltsames Doppelleben: Die Psychoanalyse wäre die beste und wissenschaftlichste Erklärung zur Funktionsweise und Behandlung der menschlichen Seele, aber die Psychologen sollten sich nicht an deren Praxis beteiligen, da sie sonst die „Identität als Psychologen“ verlieren würden. Diese so strenge Mahnung, die die Psychoanalyse zur verbotenen Frucht machte, war natürlich vollkommen umsonst. Auch wenn sie nicht in die „offizielle“ Gesellschaft aufgenommen wurden, machten fast alle Psychologe, die das Studium an der Universität absolvierten, eine Analyse mit einem Lehranalytiker, nahmen Patienten in Analyse, und kontrollierten sie mit anderen Lehranalytiker. Die unkontrollierte Gründung „inoffizieller“ Gesellschaften hatte begonnen. Eine Veränderung ergab sich 1956, als Folge bedeutender Fortschritte in der Organisation der Salud Mental (sinngemäß: „seelische Gesundheits-Bewegung“). Der hervorragende Psychiater Mauricio Goldenberg, selbst kein Analytiker, aber doch ein ausgesprochener Freund der Psychoanalyse und Förderer mehrerer jungen Psychoanalytiker, gründete zum ersten Mal in Argentinien ein Departament für Psychopathologie in einem öffentlichen allgemeinen Hospital . Das Unternehmen war ein vollkommener Erfolg. In kürzester Zeit fand die Idee Nachahmer und bald fehlte diese Abteilung in keinem Hospital mehr. Bisher wurden alle sogenannten geistigen Krankheiten zu den großen psychiatrischen Anstalten der jeweiligen Stadt überwiesen. Jetzt war es endlich möglich geworden, die Psychiatrie als eine ärztliche Fachrichtung wie jede andere im Hospital zu behandeln. In Folge dieser Entwicklung konnten zum ersten Mal Psychologen so legitim wie die Ärzte mit der Psychoanalyse arbeiten. Weiterhin fanden die Psychoanalytiker so eine bis dahin ungeahnte Möglichkeit, die Analyse in ein provozierend neues, unbekanntes Feld einzuführen. Trotzdem wurden Psychologen auch weiterhin nicht in die APA aufgenommen .

IV. Die Spaltung : Politik und Psychoanalyse 1973 war eine Zeit großer politischer Umwälzungen und Unruhen. Die Militärregierung fand ihr Ende in den freien Wahlen, die der Peronist Cámpora gewinnen sollte. Inmitten des Peronismus war eine extreme politische Linke erwachsen, die „Montoneros“, die von Präsidentschaftskandidat Héctor Cámpora unterstützt wurde. Daneben gab es eine nicht-peronistische extreme Linke, die bald in eine bewaffneten Organisation überging, die ERP. Eine Gruppe marxistisch-orientierter Analytiker der APA - die bedeutendste Vertreterin war wieder Marie Langer - fing an, die psychoanalytische Gesellschaft als reaktionäre Machtorganisation zu kritisieren. Schließlich fand der Austritt statt: es bildeten sich zwei Versammlungen, „Plataforma“ und „Documento“. In Zukunft traten sie auch im Ausland getrennt auf, so etwa bei internationalen Kongressen . Schon mit der Rückkehr Peróns war die extreme Rechte an die Macht gelangt (Cámpora hatte auf seine Kandidatur verzichtet, damit Perón gewählt werden konnte). Mit dem Jahr 1976 aber kam das endgültige Ende eines Traums vom Zusammentreffen der Psychoanalyse mit einer marxistischen Gesellschaftsalternative, denn Argentinien erlebte in diesen Jahr den blutigsten, gewaltigsten Militärputsch seiner ganzen Geschichte. Die folgende Militärregierung dauerte sechs Jahre (einschließend den Malvinen-Inseln-Krieg mit England), und kostete 30.000 Menschen das Leben, unter ihnen auch Analytiker. Viele Analytiker, die politisch verdächtig waren -so auch Marie Langer - mußten ins Exil auswandern, um der illegalen Verhaftung, Folter und Ermordung zu entgehen .

V. Rückkehr zu Freud Ein weiteres Ereignis veränderte die Geschichte der Psychoanalyse in Argentinien nachhaltig. 1964 gab Pichón Rivière seinem hervorragenden Schüler Oscar Masotta ein Exemplar mehrerer Schriften Lacans, mit den knappen Worten „Vielleicht können Sie damit etwas anfangen“. Das tat er auch. Er las Freud in Deutsch, verglich die spanische sowie Stracheys Übersetzung nach den Angaben und Methoden des französischen Meisters. Eine stets wachsende Schar von Schülern versammelte sich allmählich um ihn herum, so daß er 1974 mit ihnen die Escuela Freudiana de Buenos Aires gründen konnte. Das Werk Lacans gewann in Buenos Aires und in Argentinien wie in keinem anderen Land (außer Frankreich) an Interesse. Die an der Psychoanalyse interessierten Psychologen, denen den Eintritt in die APA verweigert war, und die Psychiater, die mit dem Kleinismus nicht einverstanden waren, hatten jetzt schwerwiegende Waffen, um die alte Institution als theoretisch ungültig zu erklären, und nicht nur als politisch reaktionär anzusehen . Zwei Essays, die in dieser Zeit erschienen, sind bemerkenswert. Luis Erneta wies in seiner Schrift „Zur sogenannten Theorie der Technik“ nach, wie in der APA die technischen Schriften Freuds sich rasch zu Rezepten verstümmelt wurden, die die Lehranalytiker als machtversichernde Geheimnisse mißbrauchten. Und Juanqui Indart analysierte mit Methoden der Linguistik, den Mechanismus der Deutung innerhalb des Klein-Systems (anhand von den Beispielen der „Einführung in das Werk Kleins“ von Hanna Segal ) und entlarvte dieses als „Simultanübersetzung“: Man nehme an, unterhalb eines Textes (z.B. der erzählte Traum eines Patienten) befinde sich ein anderer, „unbewußter“, Text; man wechselt dann einen Terminus des ersten Textes und vollzieht dann den Rest der Wandlungen der Termini bei Erhaltung der Kohärenz mit der Bedeutung des ersten modifizierten Terminus. Es erwies sich als richtig: Sämtliche Beispiele der Traumdeutungen durch Hanna Segal folgen tatsächlich, von ihr vollkommen unbemerkt, diesem Rezept. Und alles, weil man Freud vergessen hatte: Verdichtung und Verschiebung, die metapsychologische Struktur, die in der „Traumdeutung“ in vollendeter Form dargestellt war, kurz die ganze Grammatik des Unbewußten oder mit dem Ausdruck Lacans, das Primat des Signifikants (la primauté du Signifiant) ging im Laufe der Zeit verloren. Natürlich wurden nicht nur zentrale Begriffe der Kleinianischen Psychoanalyse, wie Übertragung und Gegenübertragung, Todestrieb und Entwicklungsstadien, die Natur der Deutung, Affekte und Phantasien, usw., neu diskutiert und bearbeitet, sondern die gesamte psychoanalytische Theorie überhaupt. Sämtliche Seminare Lacans, auch die noch nicht editierten, sind in Spanisch erhältlich. Leider beschränkte sich Masotta später in seinen Schriften ausschließlich auf die Exegese Lacans: Der schöpferische Funken, der in den ersten Bücher klimmt, erlosch scheinbar in einer erschöpfenden Tätigkeit als Apologet. Und schließlich war er gegen die Effekte einer Identifizierung mit der Bürokratie einer Institution, die er so heftig kritisierte, lange nicht geschützt. Als Masotta die Proposition von Oktober 1967 las, verstand er sie leider im Sinne eines Diktators. Er selbst gab den Rang von A.E. und A.M.E. seinen Lieblingsschülern, vollkommen die Prozedur der passe, mitsamt der Jury, die Lacan vorschreibt, entbehrend . Später engagierte sich öfters Jacques-Alain Miller, der Schwiegersohn und Erbe Lacans, in Buenos Aires, und gründete ein Institut der Lacan-Internationalen, die Escuela de Orientación Lacaniana (E.O.L.). Vor kurzem brachte die psychiatrische Zeitschrift, Vertex, die Transkription des Treffens Millers mit Ricardo Horacio Etchegoyen, des ersten südamerikanischen IPA-Präsident . Dieses Treffen symbolisiert die erste „offizielle“ Anerkennung Lacans seit dessen Ausschluß. Und es fand in Buenos Aires statt.

Wie steht es nun heute mit der Psychoanalyse in Argentinien? Nach der Verbreitung, die Lacan fand und die zu einer wiederholten Banalisierung Freudscher Grundgedanken zu werden droht, wird es schwer, die bloßen Epigonen von den Originaldenker zu unterscheiden. Auch ist es wichtig, uns nach der Kritik die eigene Geschichte, die Beiträge und Entwicklungen unseren „Vorfahren“ in der APA wieder anzueignen. Sonst laufen wir Gefahr, selbst nur vergängliche Theorien in Dogmen zu verwandeln . Vielleicht ist die Antwort in der analytischen Klinik zu finden (die nach Lacan selbst nichts anderes ist als „was man in einer Analyse sagt“), in den Arbeiten, die die eigentliche Konsequenzen der Theorie zeigen. Es ist unzweifelhaft, daß eine neue, eigene klinische Praxis anfing, die wenig mit den rigiden Vorschriften der alten Institution Gemein hatte. Und wahrscheinlich hat diese Praxis ihre beste Möglichkeit zur Entfaltung im öffentlichen Hospital. Im alltäglichem Kontakt mit vielen leidenden Menschen, mit andere Professionellen der Gesundheitswissenschaften, mit andere Analytiker, die die Begriffe sowohl innerhalb wie außerhalb der analytischen Institutionen in Frage stellen können, wird dann die Wette der Psychoanalyse ausgetragen werden müssen .

Bibliographie

- Balán, Jorge : Cuéntame tu vida : una biografía colectiva del psicoanálisis argentino. Planeta,Buenos Aires,1991. Conjetural, revista de psicoanálisis,Ediciones Sitio, Buenos Aires. - Cuadernos Sigmund Freud No.1 : Temas de Jacques Lacan.Nueva Visión, Buenos Aires, Junio 1871 - Erneta, Luis : A propósito de la así llamada teoría-de-la-técnica en psicoanálisis, Imago No.1, Letra viva, Buenos Aires, 1974 - Fendrik, Silvia Inés : Desventuras del psicoanálisis : Donald Winnicott, Arminda Aberastury, Telma Reca.Editorial Ariel, Buenos Aires,1993 - García, Germán : La entrada del psicoanálisis en la Argentina : obstáculos y perspectivas. Ediciones Altazor, Buenos Aires,1978 Imago No.1,Letra Viva, Buenos Aires, Mayo 1974 - Langer, Marie (Herausgeber) : Cuestionamos. Documentos de crítica a la ubicación actual del psicoanálisis.Granica editor, Buenos Aires,1971 - Langer, Marie, del Palacio, Jaime, Guinsberg, Enrique : Memoria,historia y diálogo psicoanalítico. Folios ediciones, Mexico,1981 - Masotta, Oscar : Introducción a la lectura de Jacques Lacan. Editorial Proteo, Buenos Aires,1970 - Masotta,Oscar : Sur la fondation de l´École Freudienne de Buenos Aires. Ornicar? No.20/21,Navarin éditeur, Paris,1980 - Raskovsky de Salvarezza,Raquel (Herausgeber) : Asociación Psicoanalítica Argentina,1942-1992 - Revista Argentina de Psicoanálisis.Tomo XXXI,No 1-2,Enero-Junio 1974 : Homenaje al 30º aniversario de la APA y de la Revista de Psicoanálisis.


Links

Zurück zur Titelseite:
Psychoanalytischer Konsiliardienst im öffentlichen Krankenhaus:



Die Versuchungen der Seele (nach Ignatius de Loyola)

Monasterio de Santa Catalina,

Arequipa, Perú