Medienguerilla - So what?

Universität Wien, 26. Jan. 96

A)

STATEMENTS

(Allemande)

Oliver Marchart:

Die Diskussion wird sich um Medienguerilla drehen, wobei am Anfang noch nicht mal klar ist, was das ist. Ein Beispiel wäre das von der Barbie Liberation Organisation. Barbie-Puppen wurden aus den Spielzeug-Läden entwendet, die Voice-Codes der Barbies wurden umcodiert von diesem Barbie-Blabla auf Maschinengewehrgeräusche und dann wurden die Barbies wieder zurückgebracht in die Spielzeuggeschäfte. Dort sind sie dann ganz normal verkauft worden. Was der Effekt war, weiß ich nicht. Es dürfte aber doch ein gewisses Medienecho gegeben haben, nachdem sich ein Sprecher der Barbie Liberation Organisation manifestartig an die Öffentlichkeit gewandt hatte. Das ist also ein Beispiel für Medienguerilla oder auch semiotische Guerilla, wie das bei Umberto Eco heißt, ein Konzeptauf das sich einige politische Gruppen beziehn. Die autonomen a.f.r.i.k.a Gruppe hat ein Buch herausgegeben mit dem Titel "Medien-Randale", und unter dem Kapitel "Anstiftung zu einer subversiven kommunikativen Praxis" führen sie u.a. den Begriff Kommunikationsguerilla ein. Kommunikationsguerilla, Informationsguerilla, das sind Beispiele für Arbeiten mit Medien, die gleichzeitig die Medien benutzen wollen, sie aber auch stören wollen. Das Critical Art Ensemble hat z.B. ein ähnliches Konzept der Störungspraxis entwickelt, der elektronischen Störung. Es gibt andere Konzept wie das der Temporäre Autonomen Zone von Hakim Bey, eines der bekanntsten, wo es darum geht, sich sein kleines Piratenutopia aus den Medien herauszureissen, usw.

Das ist mal der erste Schritt. Im zweiten Schritt ist daran auch eine Kritik aufgetaucht. Denn solche Guerilla-Bewegungen, Avantgarde-Bewegungen, Hijacking-Bewegungen, Piraterie-Bewegungen, etc. bringen es ja eigentich nach so einer normalen Vorstellung des Funktionierens nicht so wahnsinnig weit. Es gibt also von der Kulturindustriekritik her die Beobachtung, daß solche subversiven oder sich subversiv gebenden Praxen immer auch sofort von den Medien und der Kulturindustrie vereinnahmt werden und immer sofort im Mainstream enden. Und es gibt die noch weitergehende Kritik, daß sie immer schon im Vorhinein die selbe Logik verfolgen wie die Mainstream-Medien. Also zB. das Konzept Störung: Es gibt eine common opinion in der neueren Kommunikationstheorie, daß es keine Kommunikation ohne Störung gibt. Bei Michel Serres heißt das: Es gibt kein Haus ohne Ratten. Aber wenn es keine Kommunikation

ohne Störung gibt, was bringt es dann, nochmal zu stören, ein bißchen mehr noch zu stören, wenn es eh schon in der Funktionslogik der Kommunikation liegt, daß sie von vornherein gestört ist.

Es gibt auch eine zweite Bewegung der Kritik an solchen Vorstellungen wie Guerilla und Avantgarde, nämlich daß das Projekte sind, die in die Medien so gar nicht überführt werden können, oder zumindest in unseren europäischen Umgang mit Medien. So wie es offensichtlich schwierig war, das Projekt Stadtguerilla in europäische Städte einfach zu überführen, weil die Idee von Guerilla ja darauf aufbaut, daß es sowas wie eine Unterstützung von Seiten der Bevölkerung für die Guerilla gibt. Darüberhinaus ist das Konzept auch deswegen ein wenig schwach, weil es ein klassisches Avantgarde-Konzept ist von einer Gruppe, die genau weiß wo es hingeht, die genau weiß, wo vorne ist. So wie die klassische Avantgarde-Partei, die leninistische Partei meinetwegen, genau gewußt hat, daß sie in der pole position der Geschichte steht, weiß was die Gesetze der Geschichte sind,und wo diese hingeht. Nur hat sich inzwischen herausgestellt, daß man das eigentlich nicht weiß. Darum ist auch der Begriff der Avantgardepartei oder des verschworenen Guerillakerns, der im feindlichen Gebiet agiert, problematisch geworden.

Und der dritte Kritikpunkt ist, daß Praktiken, die sich selber subversiv nennen, die sich als Guerilla- oder als Störungspraktiken darstellen auch in einer Art subversive chic verfangen sind. Daß es also zu einer Lebenskultur gehört, Teil eines bestimmten lifestyles ist, sich vor der eigenen community politisch dissident, subversiv, guerillamäßig zu präsentieren, daß es aber sehr selten in direktische politische Aktionen mündet, die dann an andere politische Aktionen möglicherweise ankoppelbar sind. Also daß der Guerillastyle eine soziale Funktion sehr wohl besitzt - aber eine politische nur bedingt.

Manche glauben einem das ja gar nicht. Ich hab jetzt in letzter Zeit mit ein paar Leuten geredet, die sagen: "Subversion, Guerilla und sowas, das ist ja alles 80ies, das ist vorbei, daran glaubt eigentlich keiner mehr". Genauso wie niemand mehr an den Underground glaubt. Alle die ich gefragt habe, sagen: "Das war eigentlich klar, Underground war immer nur eine bestimmte Branche des Overground, eine bestimmte Branche der Kulturindustrie und die Kulturindustrie erzeugt halt ihre Subbranchen wie Underground". Interessanterweise leben aber genau diese Leute nach wie vor in genau dieser Selbstvorstellung, sie wären der Underground, auch wenn sie es nicht mehr zugeben. Geert Lovink hat letztes Wochenende eine Konferenz in Amsterdam organisiert mit dem Titel Next 5 Minutes, wo genau diese Art von Underground, von Subversion, von Guerilla inszeniert worden ist, und wo viele Teilnehmer sich auch sehr gut gefallen haben in dieser Inszenierung. Die glauben dann, auch wenn sie es möglicherweise nicht offen aussprechen, zumindest in ihrer lebensweltlichen Praxis sehr wohl dran. Ich denke, ein bißchen Kritik oder ein bißchen Kratzen an dieser Selbstverliebtheit in die eigene Dissidenz oder an dieser Selbstverliebtheit in den eigenen politischen subversiven Schick wär mal an der Zeit.

 

 

Katja Diefenbach:

Ausgangspunkt, den jetzt Oliver schon erwähnt hat, ist dieser Schick von Dissidenz oder sagen wir mal Undergroundpraktiken. Mir ist einmal aufgefallen, wie ich Wired durchgeblättert habe, daß Cyber- und Cypherpunk eigentlich jedes dritte Wort war. Da hat man den Eindruck, es entsteht ein gewissen Hochglanzschick dissidenter Praktiken, die eigentlich gar nicht mehr gedeckt sind durch soziale Praxis. Übrig bleibt nur das Zeichen von Revolte und von einer gewissen Piraterie, aber der Angriff auf das System ist darunter ziemlich verschwunden. Aus diesem Blickwinkel finde ich eine Diskussion über Medienguerilla wichtig, wobei ich nachher nochmal zu dem Begriff kommen möchte, mit dem ich nicht viel anfangen kann. Ich wollte anfangen mit Radio Alice, einem Radio aus Norditalien. Das war so ungefähr Ende der siebziger Jahre, bevor die autonome Bewegung in der BRD etwa aufgetaucht ist. Damals ist in Italien in Abgrenzung zu orthodoxen K-Gruppen sowas wie eine autonome neue soziale Bewegung entstanden, die sich vor allem dadurch auszeichnete, daß nicht hauptsächlich Mittelstandskids beteiligt waren - wie man das von der Bundesrepublik durchaus sagen kann. Das Spannende war, daß es z.B. wilde Fabrik- und Schulbesetzungen gegeben hat, wo Arbeiter, Arbeiterinnen, Schüler, Schülerinnen,

Arbeitslose, usw. zusammengearbeitet haben. Es ist bei Merve mal so ein Büchlein erschienen, das "Radio Alice ist der Teufel" hieß. Und die haben dort zur Informationsguerilla folgendes geschrieben: "Die Ausstrahlung der produktiven und politischen Information unterbrechen. Die Zentren der Sammlung und Speicherung der Daten sprengen und zerstören. Die Gehirne, in denen die Information gespeichert sind, sabotieren, das ist die aktuelle Ebene der Guerilla, der Situation angemessen, in der der Staat als Instrument der politischen Koordination der kapitalistischen Bewegung sich im elektronischen Gehirn darstellt."

Das war für mich, nachdem ich später diesen Text gelesen hatte, das erste mal, daß ich von Informationsguerilla gehört habe. Was ich auf alle Fälle wichtig finde, ist, daß der Angriff gegen Kommunikation nicht hauptsächlich als Angriff gegen den Inhalt läuft. Ideologie wird nicht hauptsächlich als Lüge entlarvt - also man müsse lauter sein als die Lügen der bürgerlichen Medien -, sondern auch als Struktur, als abstrakte Form, sagen wir mal: Einseitigkeit der Kommunikation, große Masterminds, wo einem die Information aus dem Bildschirm ins Gesicht regnet und wo es wichtig ist, daß es keine Verbindung der Information zu deinem eigenen In-der-Welt-sein, zu deiner sozialen Praxis oder zu dem, wie du die Welt verstehst, gibt. Sondern das sind Partikel, die du wie auch immer mit etwas anderem verkoppeln kannst: mit deinem bildungsbürgerlichen Interesse oder meinetwegen mit Amusement oder Entertainment, usw. aber nicht unbedingt in deine soziale Praxis einfließen läßt. Das halte ich für einen wichtigen Schritt, und da wird die Diskussion eigentlich spannend, da es ja diesen blöden joke von McLuhan gibt, der immer wieder zirkuliert, dieses "the medium is the message". Daran anknüpfend wurde gesagt, die technologische Struktur an sich führe zu Herrschaft. Und das ist einer der Punkte, wo Technologiedeterminismus losgeht; also eine technologische Struktur an sich für etwas verantwortlich zu machen. Das gibt’s in der positiven wie in der negativen Form. Es gibt Leute die wahnsinnig Angst davor haben, daß Gewalt durch Fernsehen entsteht, genauso wie Leute, die sagen, daß über das Internet oder über Surfprozesse eine Subjektdezentrierung stattfindet, ein anarchisches Feld sich öffnet, usw.

Was ich bei Radio Alice spannend finde, ist, daß sie trotzdem sehen, daß es nicht hauptsächlich der Angriff auf den Inhalt wichtig ist, sondern der Angriff auf die Struktur, also daß eine Selbstbemächtigung von Technologien wichitg ist, daß man den Zugang zu Technologien hat. Was ich bei ihnen schwierig finde, ist a) der Begriff Kommunikationsguerilla und b) daß sie sagen, der Kapitalismus stelle sich heute als elektronisches Gehirn da. Das ist ein Versuch, zu stark zu abstrahieren. Ich denke es ist vielleicht eher der Traum des Kapitals von sich selber, daß es ein elektronisches Gehirn ist. So wie man z.B. in der künstlichen Intelligenzforschung einen ganz alten patriarchalen Traum sehen kann, wirklicher Kreator und Schöpfer zu sein, mit diesen ganzen Vorstellungen über den digitalen Code, daß man in O und 1 die beiden Dualismen hat, mit denen man die Welt erklären kann.

Ich denke, Technologie ist ein historisches und gesellschafliches Projekt. D.h., Technologie bringt an sich alleine keine Herrschaft hervor, sondern es ist eine Entscheidung, daß Technik in einem ganz bestimmten Interesse, im Moment hauptsächlich im Kapitalinteresse, hervorgebracht wird, wobei man natürlich sagen kann, daß Technologie nicht neutral ist. Sie wirkt natürlich zurück auf das Umfeld. Es geht nicht darum, daß meinetwegen der Atomreaktor in den Händen der Sowjets eine bessere Technologie wäre.

Ich hatte mir vier Thesen aufgeschrieben. Die erste wäre, daß es keine Informationsguerilla oder Medienguerilla gibt. Guerilla würde ich vorschlagen als ein politisches Projekt zu sehen, das eine ganz bestimmte Ideologie hat. Und das ist die von der bewaffneten Avantgarde, die eine soziale Massenbasis hat, wies ja zum Teil Guerillabewegungen vor allem in Lateinamerika gegeben hat und gibt. Bei der RAF in der Bundesrepublik kann man ja feststellen, daß sie diese soziale Massenbasis nicht gefunden hat. Guerilla hat die Überwindung der Produktionsverhältnisse und der vorherrschenden Ein- und Ausschlußmechanismen, also Sexismus, Rassismus, alles was als Ein- und Ausschlußmechanismus funktioniert, zum Ziel. Ich kann dafür Medien benutzen, das ist klar, also ich vertrete keinen antitechnologischen Standpunkt. Aber an sich gehts bei Guerilla um einen Angriff gegen das System und da können Medien ein Moment drin sein, auch mehr als ein Mittel, aber jedenfalls kann sich eine Guerilla nicht allein dadurch konstruieren, daß sie Medien benutzt.

Das Zweite war, daß der Status von Ideologie sich ändert. Ich habe im Vorfeld ein bißchen mit den Leuten drüber diskutiert und bin mir da meiner eigenen These nicht mehr ganz sicher. Es geht um diesen Glanz zB. von Hackern oder Computerfreaks. Es ist erstaunlich, was diese Underground- Mainstream-Gegenübersetzung betrifft, daß man sagen kann, in fortgeschrittenen Kapitalverhältnissen ist Abweichung nicht unbedingt ein Angriff gegen das System. Sie kann wieder in eine Integration einmünden. Die gesamten Stadtmagazine, würde ich sagen, leben davon, abweichende Lebensstile schick zu machen. Ansonsten geht es um nichts. Es geht nicht um einen sozialen Angriff aufs System. Das ist eine interesante Änderung in einem ideologischen Verhältnis, wo man vielleicht früher angenmommen hat, daß man Ideologie eher in den Begriffen Repression, Verbot, Zensur usw. gefaßt hat. Das hat natürlich dann auch was damit zu tun, wie man mit Medien selber umgeht, wie man Medien sieht.

Das Dritte war, daß daß man fröhlichen Mythen knacken sollte. Also daß das Internet ein freies kommunikatives Feld sei. Es gibt für mich keine freie Kommunikation, weil der Akt der Kommunikation immer selber Herrschaft impliziert. Das fängt bei der Sprache selbst an und geht auch durch die Subjekte. Um es mal an einem Beispiel zu sagen: es gab immer diese many-to-many-communication als das Ding am Internet. Es stimmt auch, daß ganz viele Leute sehr schnell, wenn sie den Zugang haben, weltweit kommunizieren können. Auf der anderen Seite fußt das in Klammern natürlich auf der Vorstellung von einem autonomen Individuum, also daß da freie Individuen frei miteinander kommunizieren, und das halt ich für eine ideologische Annahme, weil es weder ein freies Individuum, noch eine freie Kommunikation gibt.

Und das letzte geht in Richtung von Olivers Statement. Ich finde, man sollte vorsichtig sein, nicht die Praxis gleich mitauszuschütten. Also in gewisser Weise gehts mir schon um die Rettung von Praktiken. Ich finde es wichtig, politisch zu arbeiten, ich finde es auch wichtig, politisch mit Medien zu arbeiten. Ich glaube allerdings, wenn man diese Integrationsbewegung ansieht, also daß eine bestimmte Dissidenzgeste sehr einfach zu integrieren ist, daß man eben kucken muß, wie man mit diesen Integrationsschleifen umgeht.

 

 

Geert Lovink:

Ich kann schon empfehlen, was die Leute in der autonomen a.f.r.i.k.a-Gruppe machen. Die sammeln sehr viel Material und Daten und sind meines Erachtens die einzigen, die richtig zu diesem Thema arbeiten. Diese Texte sind sehr zu empfehlen, weil sie sich wirklich direkt auf unser Thema beziehen. Die Arbeiten von mir und der Agentur BILWET beziehen sich nicht so direkt auf den Begriff Medienguerilla. Ich glaube, daß das einfach damit zu tun hat, daß ich nicht glaube, daß man in unseren Verhältnissen in Westeuropa so leicht diesen Term benutzen sollte. Wir haben jetzt bei dieser Konferenz Next 5 Minutes gesprochen von tactical media as tools for survival, also wo Alternativmedien oder unabhängigen Medien, die aufgebaut oder erkämpft werden, gezielt in sehr schwierigen Situationen wie in Bürgerkriegen und großen Auseinandersetzungen eingesetzt werden. Das hieß früher Dritte Welt, ist glaub ich aber schon ein weltweites Phänomen. In solchen Situationen haben diese Medien eine lebenswichtige Funktion. Es ist also nicht nur Spiel.

Bei Guerilla denke ich in unserem westeuropäischen Sinn immer eher an Spaßguerilla. Medienguerilla ist für mich auch manchmal Teil dieser Tradition, die es seit den frühen 60ern gibt und bei der es darum geht, mit dem ganzen herrschenden Zeichensystem Spaß zu treiben. Spaßguerilla bezieht sich eben nicht nur auf Medien; das kann auf der Straße sein, in Parks, das kann auch sehr unsichtbar sein, es hat auch dieses Element von Störung. Ich denke, wir können davon ausgehen, daß es eben keinen Sieg im Medienkrieg gibt und auch nie geben wird. Das ist einfach nicht die Lage. Dieser Begriff Medienguerilla setzt ja einen Kriegszustand voraus, der meines Erachtens überhaupt nicht vorhanden ist. Eher im Gegenteil. Was vorhanden ist, ist Langeweile. Und eben das müssen wir studieren und nicht sosehr den tagtäglichen Kriegszustand. Der Kriegszustand herrscht für Flüchtling und für Unerwünschte, für Ausgegrenzte, für die gilt das schon, aber für die große Mehrheit nicht.

Es ist auch das Ziel der Agentur BILWET, daß wir uns möglichst bald von dieser Medienfrage lösen. Die Frage ist nur wie. Wie kommt man in eine Position, die man als Jenseits-Position, als etwas Außermediales bezeichnen kann. Das ist ungeheuer schwierig. Sogar beim bewaffneten Kampf gibt es so viele Punkte, wo man anzeigen kann, daß der tatsächliche Kampf und der symbolische Kampf kaum zu trennen sind. Und auch bei meinen eigenen Erahrungen, z.B. bei Hausbesetzerbeweungen und auch vor allem bei Anti-Atomkraftbwegungen hats immer wieder und immer noch die Diskussion gegeben, ob man überhaupt den Unterschied machen kann zwischen einer realen, direkten Aktion und einer symbolischen Aktion. Diese Diskussionen, die in sehr vielen sozialen Bewegungen geführt wurde und immer noch auf der Tagesordnung steht, sind sehr wichtig. Die kann man nicht einfach abschließen und sagen, das ist radical chic. Ich mag das Wort nicht, ich hab da Wort erst vor ein paar Tagen gehört, es sagt mir nichts. Also ich glaube, wir reden da schon über reale Fragen, und das sind keine Fragen, die wir nur beschränken können auf dieses Gebiet der Medien.

Sowieso bin ich der Meinung, daß das Medium nicht das Ganze ist und - das möcht ich immer wieder mal sagen - die Medienbranche relativ klein ist im Vergleich mit der Tourismusbranche. Wir leben meiner Meinung nach sowieso in einer Erlebnisgesellschaft und nicht in einer Mediengesellschaft. Die Medien werden weil dieser hype jetzt läuft überbewertet. Außerdem geraten wir in eine Gesellschaft, wo sehr viele Leute auf einmal ein großes Interesse an internen Störungsfaktoren haben. Jetzt nach dem kalten Krieg, wo wir keinen sogenannten äußeren Feind haben, gibt’s nur noch innere Feinde ,und die inneren Feinde sind sehr fuzzy, die sind nicht sehr klar. Man kann sagen, das sind die Ausländer, aber das ist zu einfach. Manchmal gerät man in einen Stau, oder es gehen die Computer down oder es regnet mal wieder furchtbar oder es schneit oder es gibt Streiks oder irgendeine Maschine funktioniert nicht mehr richtig. Und das erzeugt eben sehr viel Wut, Enttäuschung, Frust und vielleicht auch erhabene Gelassenheit, wer weiß. Und eben da setzt auch diese sogenannte Medienguerilla an. Darum ist es auch so schwierig, die Störungen, die wir verursachen wollen, mit diesen ganzen nicht 100prozentig-funktionierenden gesellschaftlichen Abläufen gleichzusetzen. Man muß einen Unterschied machen zwischen der Guerilla, die ganz zielgerichtet angreift, und diesen internen Mechanismen der Gesellschaft, wo das Ganze einfach downgeht. Ich benutze dafür diesen Übergang von der Spektakelgesellschaft von Debord zur Debakelgesellschaft, wo es vielmehr darum geht, nicht so sehr das Glittern und das Glänzen anzugreifen, sondern eher zu verstehen, wo eigentlich die innere Logik dieses herrschenden Kapitalismus aufhört zu funktionieren.

Ganz konkret geht es dann um die inneren Strukturen der Gesellschaft. Und da gibt’s natürlich schon Leutem, die wissen, wie diese innere Logik des Kapitalismus anzugreifen ist. Das sind keine Fragen, die nur mit Moden und lifestyle zu tun haben. Es gibt einfach Computerhacker, die ganz genau wissen, wie man die Wallstreet angreifen kann. Es ist die Frage, warum sie das noch nicht gemacht haben. Warum sind diese Viren, die es längst gibt, noch nicht eingesetzt. Und wenn wir hier vielleicht beschließen, daß sie eingesetzt werden, wer weiß... Wenn die Zeit da ist, kann das System crashen und das ist kein Gag, das ist vorhanden. Und das gleiche gilt für Techno-Parasiten oder für sehr aggressive Agenten oder für andere Medien, man muß nicht nur übers Internet reden. Leute arbeiten jetzt an Bullshit-generators, die einfach total viel Müll produzieren. Andere dagegen arbeiten wieder an Müll-Attraktoren, die ganz viel Müll anziehen. Das sind neue Konzepte, andere arbeiten wieder mit Konzepten, wo die Information quasi nomadisch um die Welt geht. Das ist schon sehr wichtig für die Medienguerilla, nämlich daß sie keinen Standort mehr hat, daß sie nicht so leicht anzugreifen ist, daß die Polizei nicht einfach mehr zu einem bestimmten Haus gehen kann, wie im Dezember in Milan, und alle Computer einfach zerstört. Das sind schon lebenswichtige Konzepte für Leute die Widerstand leisten.

 

 

Isabelle Graw:

Zum Thema Medienguerilla hab ich eigentlich nicht so viel zu sagen, weil ich eine Zeitschrift zusammen mit anderen herausgebe, für die es von Anfang an sehr wichtig war, daß man sich mit real existierenden, von Klasse, Rasse oder Geschlecht gezeichneten Körpern trifft, um einen Tisch herum sitzt und diskutiert. Die Vorstellung, daß z.B. die Zeitschrift Texte zur Kunst im Internet existieren könnte, ist völlig abwegig, weil das wäre eine andere Zeitschrift. Wir haben immer auf diesen Moment der realen sozialen Bedingungen, die in das hineinspielen, was wir tun und mit denen wir uns auch auseinandersetzen, großen Wert gelegt. Und das kann man glaub ich auch an der geradezu altertümlich anmutenden Graphik sehen, die ja im Gegensatz steht zu dem, was man so in letzter Zeit an Graphikkonzepten von Kunstzeitschriften sieht - wo sich eine Tendenz ausbreitet, die Idee des Internet 1:1 buchstäblich auf das graphische Konzept zu übertragen. Ich würde sagen, ganz ähnlich wie Geert Lovink vorhin, daß Medien ein Faktor von vielen sind im Kapitalismus. Also daß es keine nur durch Medien bestimmte Welt gibt, was jetzt nicht heißt, daß TzK eine medienfeindliche Position einnehmen aber ganz bestimmt auch keine medieneuphorische, sondern eher eine ambivalente.

Woran ich eher anknüpfen könnte, ist an diesen Begriff der Subversion, weil er mich daran erinnert, wie die Idee der Subversion in den 80ern und eigentlich auch noch heute die Kunstkritik dominiert. Was wiederum daran lag, daß in der Kunstkritik in den 80er Jahren gerade in der amerikanischen Kunstkritik der französische Poststrukturalismus sehr stark rezipiert wurde und man immer einen interpretatorischen Reflex hatte, der so aussah: Wenn zB. die Künstlerin Louies?? Lawler ein Photo zeigt von einer Sammlerwohnung, dann ist das schon eine Kritik an der Sammlerwohnung oder eine Überschreitung der Repräsentation. Also in allem, was vorgeführt wurde, sah man immer schon eine Hinterfragung dessen, was da vorgeführt wurde. Dieser Subversionsbegriff koppelte sich natürlich auch an die Idee, daß künstlerische Praxis etwas Individuelles sei. Also das isolierte individuelle Künstlersubjekt, das eine Überschreitung auf der Ebene der Repräsentation vornimmt. Darüber daß das auch eine Entpolitisierung bedeutet, konnte man sich dann auch erst später oder im nachhinein klarwerden. Ich denke, daß die Versuche, die in letzter Zeit in verschiedenen Städten gemacht werden, die ich so charakterisieren würde, daß die individuelle Kunstproduktion erstmal hinausgezögert oder substituiert wird von einer gemeinschaftlichen Diskussionspraxis, daß das in gewisser Weise eine Reaktion ist auf diese Illusion des individuellen, subversiv agierenden Künstlersubjekts.

Jetzt könnte man fragen, inwiefern eigentlich Diskussionen dieses Typus, von denen es sehr viele gegeben hat in den verschiedensten Institutionen, zB. im Posters Studio in London, in der Shedhalle in Zürich, im Kunstverein München oder auch auf der Messe 2 in Köln, inwiefern also Diskussionen dieses Typus aus den Illusionen von Subversionen oder der Idee der Strategie gelernt haben und welche Funktionen sie in einer kapitalistischen Gesellschaft augenblicklich haben könnten.

Einerseits könnte man sagen, daß eine Diskusson ja nur zustande kommen kann, wenn es soziale Kontakte gibt, wenn die Leute tatsächlich miteinander in Kontakt kommen und miteinander reden. Das steht im Gegensatz zu dem, wie von Medientheoretikern aber auch anderen Soziologen heute die Gesellschaft beschrieben wird, nämlich als eine, wo elektronische Einsamkeit dominiere, wo es einen Trend zur Individualisierung gäbe. Ich verweise z.B. auf ein Buch von Joachim Hirsch, "Der nationale Wettbewerbsstaat", wo er mehr oder weniger voraussagt, daß direkte Kontakte in Zukunft abnehmen werden und kaum noch möglich werden aufgrund einer sozialen Polarisierung der Subjekte, die in ihren Verhältnissen das Gefühl haben oder bekommen, sie seien allein für ihr Schicksal verantwortlich.

Andererseits könnte man über diese Diskussonskultur oder die Diskussion als Form künstlerischer Praxis natürlich auch sagen, daß sie so eine Art Dienstleistungsgesellschaft nur reproduziert, da sie nämlich so etwas liefert wie eine Dienstleistung und genau deshalb auch wiederum im Sinne des Kapitalismus sein könnte, weil Diskussionen ja auch bedeuten, daß so etwas hergestellt wird wie fügsame Betriebsgemeinschaften, und das würde ja eine Betriebsleitung anstreben. Wobei ich denke, daß man nicht davon ausgehen kann, daß jede Diskussion, auch nicht diese, eine Homogenität herstellt, wo alle einer Meinung snd und sich solidarisch zueinander verhalten, das ist auch eine Verkennung.

Und als letztes möchte noch gerne von den Effekten reden. Die Idee der Subversion scheint ja auch immer davon auszugehen, daß wenn das individuelle Subjekt z.B. einen Text oder eine Bedeutung oder irgendetwas subvertiert, man da mit bestimmten Effekten zu rechnen habe. Das hast du ja in deinem Text als deterministisches Verhältnis kritisiert, das ist finde ich eine richtige Kritik, aber ich glaube schon, daß man trotzdem nicht darauf verzichten soll, über reale und eben auch symbolische Effekte, wie Geert Lovink gesagt hat, nachzudenken und sich klarzumachen, daß z.B. so eine Kunstform wie die Diskussion, wenn es denn eine Kunstform sein soll, unter Umständen reale und symbolische Veränderungen bewirkt, die nicht deterministisch vorhersehbar sind, die sich aber ohne weiteres im nachhinein benennen lassen. Wie zB. daß man sich zusammentut und miteinander diskutiert. Und auch wenn man jetzt nicht buchhalterisch zu Ergebnissen kommt, wird man vielleicht beschließen, daß es demnächst neue politische Initiativen gibt, oder wird sich auf eine Analyse der Verhältnisse einigen können, wird bestimmte Handlungsmöglichkeiten eruieren können. Ich denke, daß das, auch wenn es jetzt nach wenig kling, sehr viel ist.

 

 

Stephan Geene:

Da möcht ich gleich anschließen, weil aus diesen Diskussionen heraus arbeite ich auch, und die Frage nach Subversion in Netzen, oder die Frage, ist überhaupt über Medien und in Medien Subversion möglich, hat sich für uns auch grade gestellt während wir an verschiedenen Projekten waren. In den letzten Jahren sind bestimmte Leute auf einen zugekommen, und die Stimmung war: du mußt jetzt aufs Internet gehen. Es wird ein unheimlich starker Druck erzeugt. Ich denke, das kennen wahrscheinlich auch alle politischen Gruppen, genauso wie in anderen Bereichen arbeitende Gruppen, das ist einfach das Ding. Und jenseits dessen ist ein Realanschluß gar nicht mehr möglich. Was für uns dann auch Abwerten auf allen Kanälen beseutet hat: die meisten Sachen sind nicht möglich, die meisten Sachen nur beschränkt zugänglich, die Sachen stürzen ab. In dem Bereich, der uns sehr interessiert hat, Bio-Technologien, ist es ja ähnlich. Da wird das Phantasma erzeugt, es würde bald alles möglich. Das ist ja ein analoger Bereich, an dem man an sehr vielen Details und an konkreten Forschungen, konkreten medizinischen Versprechungen zeigen kann, daß das alles nicht wahr ist, und auch nicht absehbar ist, daß es mal funktionieren könnte.

Aus so einer Situation heraus waren für mich dann auch Konzepte wie Datendandy, womit Geert ja auch gearbeitet hat, immer etwas problematisch, weil es immer vorausgesetzt hat, daß die eigentliche Bewegung und das eigentlich Motiv in den Daten selber liegt. Leute kommen ständig und sagen, ich hab unglaublich viele Informationen aus dem Netz gezogen und es ist wahnsinnig spannend, aber die können sowas überhaupt nicht mehr verwerten, die stehen in überhaupt keinem Verhältnis mehr zum Gebrauch. Abgesehen davon, daß es natürlich im Zusammenhang mit Internet und Computern ganz viele, auch problematische crossover gibt. Daß Informationen ein hoher Wert gegeben wird, ist ja ein Phänomen, das sich nicht nur im Journalismus zeigt, sondern genauso in so einer selbstverständlichen Annahme, daß die Biomasse auch wie Information funktioniert. Kennen ja wahrscheinlich alle: DNA ist der eigentliche Code, mit dem das Leben programmiert wird und umprogrammiert wird. Das läuft ja jetzt mittlerweile auf jedem Apothekenblättchen.

Ein ganz wichtiges Thema ist die Art, wie Aids zur Krise gemacht worden ist über den Killervirus, der natürlich nicht zufällig gleichzeitig auch ein Angstphänomen war für die ComputerbenutzerInnen. Eine Frage, die mich dabei auch interessiert, ist, woher kam denn eigentlich die Faszination des Rechners, die ja auch sicher nicht auf die Bevölkerung gleich runtergeregnet ist, sondern die hat immer wieder bestimmte Leute getroffen. Und ich kenn die ja selber auch. Dieser Reiz, der von der Maschine ausgeht, der muß auch irgendwie bestimmt werden, und ich denke, daß der ausgesprochen geschlechtsspezifisch ist. Auch bei mir selber kann ich das durchaus auf viele Sachen zurückführen. Ich als kleiner Junge ballere überall rum und hab diese totale Kontrollgefühl, das ist ein unglaublicher Reiz, den ich rekonstruieren kann, und der natürlich auch im Fernsehn reproduziert wird. Das heißt nicht, daß das nur kleine Jungs haben, aber es fällt heutzutage nicht gleichermaßen aus. Das geht auch weiter. Was ist das für ein Gefühl am Rechner zu sitzen. Für mich ist da schon ein allgemeinerer Vergesellschaftungstyp drin. Dieses: Ich bin hier, ich kann in einem Zustand sein oder so Scheiße aussehen wie ich will, das ist ganz egal. Ich kann alles, oder es ist mir alles in weiten Bereichen möglich. Das ist schon beim Fernsehen so, das ist über die ganze Warenästhetik schon verbreitet und wird hier nochmal ganz stark reproduziert.

Zu dem was Geert sagt, wir könnten die Rechner in der Wallstreet zusammenstürzen lassen. Ich meine, klar, find ich auch gut. Aber im Endeffekt wofür? Was würde mit dieser Krise gemacht werden? Die Gemeinschaft, die dahintersteht, auch die imaginäre Gemeinschaft von Internet-Hackern, ist eine von total vereinzelten weitestgehend männlichen Subjekten, die daraus Nutzen ziehen könnten. Das ist auch ganz deutlich gewesen bei der Veranstaltung in Amsterdam, über die auch schon geredet worden ist, N5M. Hat mir schon gefallen, aber ich würde nicht sagen können, wir sind zusammen eine Bewegung. Und wenn jetzt die Welt zusammenbricht, ich würd mich nicht besser fühlen danach. Mit den Leuten zusammen auf eine revolutionäre Insel geschleust zu sein, das würde nicht funktionieren.

Nochmal zu der Kritik an Subversionsstrategien. Die hat ja auch in dem Text, der zu der Veranstaltung hier gehört, Oliver nochmal genau aufgeschrieben und vorhin auch nochmal wiederholt. Viele Sachen würde ich genauso sagen: daß das alles nicht geht und Quatsch ist. Wobei wenns jemand anders sagt, kann man das auch nochmal klarer sehen. Ich finde aber dann irgendwie auch wiederum ganz viel nicht richtig daran, weil es so reduktionistisch ist. Z.B. dieses Argument, Störung in der Kommunikation ist eh überflüssig, weil die stört sich schon selber. Stimmt natürlich irgendwie. Aber andererseits ist es natürlcih auch so, daß Leute die stören und damit ihre Zeit verbringen, sich damit auch in ganz ein bestimmtes Verhältnis zu technischen Gadgets setzen, zu Computern usw. Es hat also auch eine Auswirkung auf sie selber und auf ihr Umfeld und ist etwas anderes, als wenn ich in der gleichen Zeit meiner Telearbeit nachgehe. Es hat auch andere Wirkungen, ohne daß man direkt sagen könnte, welche andere Wirkungen es hat.

Auf der anderen Seite redet man auch leicht von hit-and-run-Strategien - also ich laufe hin, mach was kaputt und dann geh ich wieder - und überhaupt von politischen Bewegungen, die schnell verschwinden, wo Hakim Beys TAZ-Buch eine große Rolle spielt. Ich finde auch viel sehr verquast dran, aber so einfach ist es auch nicht, daß man sagen kann, das sei politisch völlig ineffektiv. Weil es ist natürlich umgekehrt auch so, daß eine politische Bewegung, die sich deutlich zeigt, natürlcih auch unglaubliche repressive Wirkungen wieder nach innen hat. Die muß sich igrendwie repräsentieren, die muß ihren Hegemonieanspruch ständig reproduzieren. Das ist auch problematisch, und ich finde solche hit-and-run-Strategien, also zu sagen, man muß auch ganz schnell was aufgeben können, sind ja auch eine Idee davon, daß es vielleicht ganz viel gibt innerhalb dieser Warengesellschaft, wo Leute sich dann doch entziehen. Wos immer wieder Momente gibt, wo man sich entzieht, und da ist plötzlich der Widerstand gar nicht mehr so klein und am Verschwinden, weil er immer wieder auch da ist und bei jedem einzelnen und bei jeder einzelnen immer wieder auch vorkommen kann. Was aber überhaupt nicht heißt, daß nicht gleichzeitig der totale Terror besteht.

Als letztes noch dazu: Es ist eben auch nicht egal, wie man kritisiert. Wenn man aus einem reinen kognitiven Ding sagt, das ist alles falsch und die irren sich alle, dann muß man sich auch fragen, warum sagt man das eigentlich? In welcher Situation sagt man das und was will man denn eigentlich damit. Daß es eben um mehr geht, daß man sich über eine Kritik auch verbindet, das ist eigentlich für mich das Entscheidende. Dieses Moment, überhaupt was herzustellen, ist mindestens ebenso wichtig wie die inhaltliche Formulierung. Ich kann natürlich auch nicht sagen, daß das immer so unglaublich tolle Erfolge hat und sich unheimlich tolle Gemeinschaften bilden. Aber auch wenn das nicht funktioniert, ist es mir immer noch lieber. Und ich finde es auch schade, daß Sabeth, die auch kommen wollte, jetzt nicht gekommen ist, oder andere, wie Renate, die ja auch viel damit zu tun haben, jetzt nicht dabei sind, weil wir ein bißchen schon in Amsterdam den Fehler gemacht haben, daß man aus einer einzelnen Position heraus redet und damit der Grund, warum man überhaupt redet, auch unsichtbar wird.

 

 

Florian Zeyfang:

Ich moechte, etwas abweichend vom Thema hier, eher von einer Taktik der Ignoranz bestehender Strukturen, als von Anschlaegen reden. Ich gehe davon aus, dass Medienguerilla auch den Wunsch nach selbstbestimmter Information einschlie§t. Neue Technik, neue Medien haben nicht viel geaendert an den Forderungen nach selbstbestimmter Information, public access, community access TV usw.

Deswegen ein paar Worte zur Pragmatik und zu >alten Taktiken<, Berlinspezifisch zwar, aber zur Disposition seien zwei Konzepte gestellt, die sich in einer Art Autonomie der Strukturen versuchen. Da waere erstens AKA KRAK, 6-10 Leute, die seit 1990 an inzwischen 13 Videomagazinen gearbeitet haben, die unabhaengig vom TV distribuiert werden und sich primaer an die Szene richten, aus der die MacherInnen kommen, naemlich der Hausbesetzerszene.

Inwischen haben sich die Themen auf«s Gesamt - Berlin - Relevante ausgedehnt, wobei die Kraks gerne darauf verweisen, dass in Berlin - Mitte die Verknuepfung von sogenannter >grosser Politik< und ortsbezogenen Problemen spuerbar ist. (Regierungsumzug, Hauptstadtbau usw. Aka Krak umgehen Bedingungen und verzichtenauf Vorteile des Fernsehens, ersteres Produktionsdruck und - kontrolle, zweiteres Massenpublikum im positiven Sinne, d.h. Aka Kraks Infos gucken aber auch nur die, die«s wirklich interessiert.

Noch pragmatischer kommt das PRENZLNET daher: Im Berliner Bezirk Prenzlauer

Berg sollen ganze Haeuserblocks vernetzt werden, mit Leitungen, Baby - Phone -

Technik bis hin zur Laseruebertragung die Telekomstruktur und die Telekomtarife

umgangen werden. Der Grund dafuer sind erstmal die asozialen Auswirkungen der

neuen Gebuehren, die natuerlich monetaer Schwache, die aber auch gerne

telefonieren und interneteln, zuerst trifft. Das ist tatsaechlich Grund genug, finde ich und

hat die Wirkung, sich eben nicht alle Bedingungen diktieren zu lassen.

Das Ganze mutet jetzt vielleicht etwas archaisch an, kann auch als >permakulturell< kritisiert werden. Aber beide Strategien stehen in unterschiedlicherweise in Bezug zu Stadt/Umwelt und entziehen sich nicht. Eine angenommene Halbwertszeit der Umwertung, oder der Gefahr, von der Telekom als >Identifikationsangebot< gesponsort zu werden, ist ausserdem vielleicht etwas laenger als normal.

Auf gewisse Weise wird im kleinen Bereich bei beiden Projekten auch sowas wie der Versuch gemacht, Hegemonie herzustellen. Fuer Aka Krak gibts dann zum Beispiel die Moeglichkeit, sich mit Organisationen wie VIDƒAZIMUT zusammenzuschliessen, weltweit. Ein Zusammenschluss auf inhaltlicher Ebene: in dem VidŽazimut – Magazin >Clip< heisst es z,B, >community access TV constitutes a medium of resistancve to global homogenisation<. Hierzu gibts Info-Material... .

Fuer das Prenzlnet ist das Internet der gemeinsame Nenner, ich nehme an, auch demokratisches Ideal. Was da aber im kleinen funktioniert wird im Grossen schon wieder verwertbar und zum Symbol, u.a. wenn der Apparat das Ideal verkoerpert. Im Falle des Internet eben die Freiheit, sich selbst zu praesentieren, eine >Werbefreiheit<. Das mutiert manche User zu Traegern der Low - Cost - Servicegesellschaft: Das soll ja so werden, und bis auf ein paar sind Dienstleister in den Laendern ihrer Erfinder schlecht bezahlt.

Mit anderen Worten, es bleibt anscheinend da interessant, wo sich kleine Organisationen, die als solche vielleicht sogar eine gewisse Unansehnlichkeit haben und damit in gewisser Weise verwertungsresistent sind, unter inhaltlichen Praemissen zusammentun. Vielleicht solte ich auch von einer >Schadhaftigkeit< sprechen, die in beide Richtungen weist, also: Sie schaden bspw. der Telekom und sind gleichzeitig zu schadhaft, um als Funktion uebernommen zu werden.

[ Beim Internet ist das vielleicht de Punkt, wo ueber ein Beenden der Zweckkoalitionen wg. differierender Inhalte geredet werden muss].

 

 

Pit Schultz:

Ich hab mir im Zug Gedanken gemacht über das Stichwort Virtualität und was es zu tun hat mit dem Stichwort Kritik. Mir ist aufgefallen, daß Virtualität nicht nur im sogenannten virtuellen Raum, also dem elektronischen Raum existiert, sondern daß man damit öfters zu tun hat, und vor allem auch in Bezug auf Kritik. Das heißt, ich hab mich gefragt, kann nicht Kritik selber auch eine Form von Virtualität erzeugen, unabhängig davon, ob sie in den Medien stattfindet oder mit den Medien zu tun hat. Gibt es nicht eine Symptomatik des Virtuellen, die aus dem Projekt der Kritik entstehen kann, sozusagen als fatal error, als worst case. Eine sich selber den Boden entziehende Kritik.

Wir sind selber an einem Projekt namens Netzkritik, haben jetzt ein kleines Buch rausgebracht, eine Sammlung von Texten, und stehen jetzt vor dem Problem, eine nächste Version rauszubringen. Das ganze geht relativ schnell, ist als Prozeß gedacht, d.h. es kommen vierteljährlich updates raus zu diesem Projekt Netzkritik, und die nächste Phase wäre eben die Phase der Selbstreferenz, die Metakritik. Da ist von der Systemtheorie ganz klar das erste Stichwort Anschluß ans Außen, also Masse suchen, den Schaltkreis erden. Es gibt eine Symptomatik von Kunstkritik der 80er, man kann das in NY sehr gut sehen, die sich von bestimmten sozialen Felder abgelöst hat, deterritorialisiert hat, einen take off vollzogen hat durch einen absolut aufgeheizten Prozeß der Selbstreferenz, wo ein völlig elaboriertes Vokabular entstanden ist, das dann plötzlich als der Markt weggebrochen ist, auch wirklich keinerlei Sinn mehr gemacht hat. Das heißt, es gibt jetzt in NY einen Berufsstand der arbeitslosen Kunsttheoretiker, die wirklich arm dran sind. Und wir haben nicht vor, einen Berufsstand der arbeitslosen Netztheoretiker und -kritiker heranzuzüchten.

Daher muß man immer wieder sagen: Das Feld der Praxis hat auch wieder diese Virtualität, solang sie ncht wirklich auf Erfahrungen beruht, auf Austausch, aus Kenntnissen, die auch außerhalb der Handbücher, der Texte liegen. Das bedeutet für uns auch außertextuelle Kritik. D.h. Kritik, die im lay out liegen kann, die in der Programmierung liegen kann, die aber auch keinesfalls nur systemimmanent im Netz sich vollzieht, sondern die Verschaltungen des Netzes mit anderen Netzen erzeugt, mit den sozialen Netzen, wo auch immer man sein Begehren eben am liebsten hinprojeziert.

 

 

B)

GEGENSTATEMENTS

(Valse)

Oliver Marchart:

Ich nehm mir jetzt mal das Privileg heraus, auf das was Stephan gesagt hat, zu antworten, weil das ein Kritik war zur Frage hit and run, zur Frage TAZ und diesem Hakim Bey Konzept eines eher nomadischen Widerstandes, also eines Widerstandes, der sofort das Terrain wechselt, nachdem er irgednwas gemacht hat. Ich denke, daß genau das der Grund ist, warum die Sache nicht funktioniert, nämlich genau weil er das Terrain wechselt. D.h. das ist ein großer Unterschied zur Sicht der Hegemonietheorie, wo es eher darum ginge, das Terrain im eigenen Sinne zu befestigen und nicht nur zu schießen und sofort wieder davonzulaufen. Beim Hakim Bey ist ja auch unlängst ein Komplementärkonzept aufgetaucht der Permanenten Autonomen Zone, d.h. es muß eine Zone geben, wo sich einzelne Kämpfe dann wieder verdichten und vernetzen und wo auf Dauer eine homebase bezogen wird. Und dieses Konzept ist glaub ich auch u.a. deswegen aufgetaucht, weil sich das andere einfach als unpraktisch herausgestellt hat. Als nicht viel mehr als eine nette Deklamation in einem netten Buch, das sich sehr schön liest, wo aber die politisch-praktische Wirkung gleich Null ist.

 

 

Margarete Jahrmann:

Ich möchte nur ganz allgeimen zu allen Statements einen Kommentar abgeben. Nur zu dem Stil, wie an das Thema herangegangen worden ist. Es wundert mich eigentlich, daß die schizophrene Grundhaltung, daß man sich die Option als tool for survival, wie es Geert offengelegt hat, offenläßt. Daß man sowohl im realen Leben überleben kann und gleichzeitig die Netze entbehren kann, diese Grundhaltung kann ich zwar verstehen, aber nicht in der Diskussion, warum man die Terminologie und Bezüge 1:1 anolog historisch wieder übernimmt. Genauso wie man im Netz selber die analog historischen Metaphern verwendet, wird das jetzt auch in der Diskussion 1:1 umgelegt. Damit hab ich ein bißchen Probleme, und es ist bei den meisten Vortragenden mehr oder weniger angeklungen. Auch bei dir Katja war die Bewaffnugn der Avantgarde auf sozialer Massenbasis, die nur das Medium benutzt. Wie aber das Geert erwähnt hat, wenn wir wollen können wir die mail so lang loopen, daß man zumindest einen Server stört, der dann schnell einmal lahmliegt. Das ist die bewaffnete Avantgarde, die da tätig ist. Mit diesen Mitteln wird im System selber Guerillakampf, ein Wort das jetzt auch natürlich nicht mehr paßt, geübt. Aber das ist die Realität, mit der ich jeden Tag konfrontiert bin, mit der wahrscheinlich ein Großteil der hier Anwesenden, der Tehoretiker, Studenten, wie auch immer, konfrontiert sind. Das ist die Sozialität selbst, und darum denk ich, nicht daß man damit auf das soziale System wirkt, sondern das ist selbst das soziale System.

Der Angriff gegen das System ist auch nicht nur ein Guerilla-Spaß. Bei N5M hat die DeeDee Hallek von Paper Tiger TV ein Video von Mumia Abu-Jamal, das aus dem Fernsehbereich kommt, als politischen Aktivismus vorgeführt in ihrem Vortrag. Genau das passiert auch bei Prenzelnet und gerade Prenzelnet bietet solche Alternativen, selber Netzwerke zu bilden mit Telephon, Satelit oder anderen Möglichkeiten, und das halte ich für eine interessante Option.

Und dann hab ich noch einen kurzen Kommentar zu Isabelle. Da ist diese schizophrene Angst sehr stark für mich gewesen, daß man bestimmte Aspekte ausblendet. Electronic Loneliness, das hat Geert auch in einem Text geschrieben, sind Phänomene, und daß dann nur mehr die permanente Webstuhlsituation am Arbeitsplatz zuhause ist, die aber immer als home- oder escape-key-Programmierungen umgangen werden können, also da wieder innerhalb des Systems. Es hat mich irritiert, daß man sich die Option offenhält, das Netz strukturbildend zu benutzen aber es nicht unbedingt braucht, also als konstruktive Option. Dem kann ich zustimmen. Aber damit hab ich Probleme, daß die bewaffnete Avantgarde auf sozialer Massenbasis angeblich nicht stattfindet, ich finde aber, das findet sehr wohl im System selber statt. Wie der Geert kurz angeführt hat, das System kan crashen wenn wir es möchten.

 

 

Fritz Rakuschan:

Weil Radio Alice angesprochen wurde, sollten wir uns vielleicht einmal vergegenwärtigen, daß natürlich hier ideologische Orientierungen bestanden, die momentan gar nicht so eindeutig sind. Eigentlich war das eine Illusion von der großen globalen Familie, die eindeutig gewisse konkrete Vorstellungen hatte, was links sein sollte. Ungeachtet der zahllosen Splittergruppen. Das gibts schonmal nicht mehr. Und dann kommen wieder Auseinandersetzungen hoch, wie z.B. das Wechselverhältnis von Repräsentationen der Macht und den Formen des Widerstands, daß natürlich ein untrennbares Wechselverhältnis besteht. Wir wissen ganz genau, daß durch die Aktivitäten der Hacker die Sicherheitssysteme permanent verbessert werden. Das sind jetzt gewisse Punkte, die wir auf keinen Fall ausklammern dürfen, denn wir falln jetzt tatsächlich wieder zurück in Diskussionen, die... zugegeben jede Generation muß ihe Fragen nochmals neu formulieren usw., aber derartige Fragestellungen gibts ja en masse in dem historischen Material überall nachzugraben und nachzulesen. Und natürlich, jeder historische Situation erfordert wieder die neuerliche Auseinandersetzung damit, aber man findet diese Fragen natürlich zuhauf in der jüngsten Vergangenheit.

 

 

Peter Mahr:

Ich würde gern anknüpfen an etwas, das die Isabelle Graw gesagt hat, wenn ich das richtig zusammenfasse, und zwar im Unterschied zu den 80er Jahren besteht die Situation in den 90er Jahren darin, daß die Kunst in weitestem Sinne durch eine Art Diskussionskunst, es ist ausdrücklich auch Diskssion als Kunst gefallen, ersetzt wird. Wenn es wirklich so etwas gibt wie ein Spezifikum für die 90er Jahre, wenn es eine Diskussionskultur gibt, die sich genau darin ausdrückt, daß live mit in biologischen Körpern Anwesenden diskutiert wird, dann muß man doch daraus schließen, daß es zumindest zwei Formen von öffentlichem Raum gibt, nämlich den der von der Medientheorie beansprucht wird als der alleinig existierende, der in und durch das Netz repräsentiert ist und auf der anderen Seite, gerade wenn man von der Kunstbeobachtung her kommt, paradoxerweise in einem enormen Aufkommen von einer live-Diskussionskultur, die nahezu den Rückbezug auf eine klassische Form öffentlichen Raumes nahelegt. Wie läßt sich ein öffentlicher Raum verstehen, der offensichtlich beides einbegreifen muß, nämlich denjenigen des Netzes, also des technologischen Raumes und seiner Repräsentation, und aber den des traditonell öffentlichen Raumes, so wie wir ihn hier ja tatsächlich praktizieren?