Erste Theorien zur Ursache von AIDS
Die Tatsache, daß die ersten Fälle von AIDS in den USA hauptsächlich bei homosexuellen
Männern auftraten, führten zu der Schlußfolgerung, daß der homosexuelle Lebensstil etwas
mit der Erkrankung zu tun habe (Goedert et al., 1982; Hurtenbach and Shearer, 1982;
Sonnabend et al., 1983; Durack, 1981; Mavligit et al., 1984).
Diese frühen Überlegungen,
AIDS habe etwas mit einem speziellen Verhalten der Homosexuellen zu tun, mußte aufgegeben
werden, als AIDS in deutlich unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in den USA auftrat:
bei männlichen und weiblichen injizierenden Drogenabhängigen, bei Patienten mit Hämophilie
und nach Blutransfusionen, bei weiblichen Sexualpartnern bisexueller Männer und bei Kindern
von Müttern mit AIDS (CDC, 1982a,b,c,d, 1983a; Poon et al., 1983; Elliot et al., 1983;
Masur et al., 1982; Davis et al., 1983; Harris et al., 1983; Rubinstein et al., 1983;
Oleske et al., 1983; Ammann et al., 1983).
Beispielsweise fand eine Studie heraus, daß Patienten mit Hämophilie ohne einen einzigen
der vermuteten Gründe für AIDS bei Homosexuellen in der Vorgeschichte an AIDS erkrankt waren,
und daß einige dieser Patienten die Infektion offensichtlich an ihre Ehefrauen weitergegeben
hatten (deShazo et al., 1983).
Viele Experten für "Public Health" [Volksgesundheit] folgerten, daß die räumliche Häufung
und das Auftreten der Fälle in diversen Risikogruppen nur dadurch erklärt werden konnte,
daß AIDS durch einen infektiöses Agens ausgelöst wird - auf ähnlichem Übertragungsweg wie
das Hepatitis B-Virus (HBV): Sexualkontakt, durch Kontakt mit Blut oder Blutprodukten und
von Mutter auf ihr Baby (Francis et al., 1983; Curran et al., 1984; AMA, 1984; CDC, 1982d,
1983a,b).
Als erste Ursachen für AIDS wurden das Cytomegalie-Virus (CMV), wegen seiner Assoziation
mit Immunsuppression, und das Epstein-Barr-Virus (EBV), das eine Affinität zu Lymphozyten
hat, verdächtigt (Gottlieb et al., 1981; Hymes et al., 1981; CDC, 1982d). Allerdings war
AIDS eine neue Erkrankung, diese beiden Viren sind aber international weitverbreitet.
Vergleichende Studien serlogischer Untersuchungen zeigten keine Gründe, diesen Viren oder
anderen bekannten Erreger eine auslösende Rolle zuzuordnen (Rogers et al., 1983).
Außerdem unterschieden sich diese isolierten Viren von AIDS-Patienten nicht signifikant
von den Viren-Stämmen in gesunden Menschen oder von Viren-Stämmen, die man vor Ausbruch
von AIDS gefunden hatte (AMA, 1984).
Die Retrovirus-Theorie bestätigt sich
Bis 1983 hatten sich einige Forschungsgruppen auf Retroviren als Auslöser von AIDS
konzentriert (Gallo and Montagnier, 1987). Zwei kurz zuvor entdeckte Retroviren, HTLV-I
und HTLV-II, waren die einzig bekannten Viren, die bevorzugt T-Helfer-Zellen befallen -
jene Zellen, die bei den AIDS-Patienten zerstört werden (Gallo and Reitz, 1982;
Popovic et al., 1984).
Der Übertragungsweg von HTLV war ähnlich zu dem bei AIDS-Patienten beobachteten:
HTLV wurde durch Sexualkontakt, Kontakt mit infiziertem Blut oder von Mutter auf das
Kind übertragen (Essex, 1982; Gallo and Reitz, 1982). Zudem war HTLV-I dafür bekannt,
eine leichte Immunsuppression zu verursachen, und ein verwandtes Virus, das
Lymphotrope feline Leukämie-Virus (FeLV), verursachte eine tödliche Immunsuppression
bei Katzen (Essex et al., 1975).
Im Mai 1983 wurde der erste Bericht veröffentlicht, der den Zusammenhang zwischen einem
Retrovirus und AIDS bewies (Barre-Sinoussi et al., 1983). Dieses Virus wurde später als
Lymphadenopathie-assoziiertes Virus (LAV) bekannt. Die französische Forschergruppe
berichtete, daß LAV tropisch für T-Helferzellen war, in denen es wuchs und den Zelltod
verursachte (Klatzmann et al., 1984; Montagnier et al., 1984).
Im Jahr 1984 kamen eine erheblich Menge neuer Daten hinzu, die den Beweis der retroviralen
Ätiologie von AIDS erhärteten. Forscher des National Institute of Health berichteten die
Isolation eines zytopathischen T-lymphotropen Virus aus 48 Patienten, von denen 18 kurz
vor Ausbruch von AIDS standen, drei klinisch unauffällige Mütter von AIDS-kranken Kinden,
26 Erwachsene und Kinder mit AIDS und ein gesunder Homosexueller, bei dem später AIDS
ausbrach (Gallo et al., 1984). Das Virus wurde HTLV-III genannt und konnte bei keinem
von 115 gesunden heterosexuellen Probanden nicht nachgewiesen.
Antikörper auf HTLV-III-Antigene wurden in Serum-Proben von 88% dieser 48 Patienten
mit AIDS, in 79% von 14 Homosexuellen im Vorstadium von AIDS und in weniger als 1% von
Hunderten gesunder heterosexueller Probanden (Sarngadharan et al., 1984).
Kurz danach wurden 100% (nämlich 34 von 34) AIDS-Patienten als positiv für HTLV-III-Antikörper
getestet, während in der gleichen Studie keiner der 14 Probanden aus der Kontrollgruppe
solche Antikörper hatten (Safai et al., 1984).
In einer Studie in England wurden sowohl 30 von 31 AIDS-Patienten, als auch 110 von
124 Patienten mit generalisierter Lymphadenopathie als seropositiv für HTLV-III-Antikörper
getestet (Cheingsong-Popov et al., 1984). Hingegen wurden keine HTLV-III-Antikörper in mehr
als 1000 zufällig ausgesuchten Blutspenden entdeckt.
Zur gleichen Zeit wurde HTLV-III aus dem Sperma von Patienten mit AIDS isoliert
(Zagury et al., 1984, Ho et al., 1984), wodurch die epidemiologischen Daten bestätigt wuden,
die den Übertragungsweg mittels Sexualkontakt begründeten.
Forscher in San Franzisko berichteten später die Isolation eines Retrovirus, das sie
AIDS-assoziiertes Retrovirus (ARV) nannten (Levy et al., 1984). Die Forscher isolierten
ARV aus 27 von 55 Patienten mit AIDS oder Lymphadenopathie-Syndrom. Sie wiesen Antikörper
gegen ARV in 90% von 113 Patienten mit den selben Bedingungen nach. Genau wie HTLV-III und
LAV, wuchs ARV substantiell in peripheren mononukleären Blutzellen und tötete CD4-positive
T-Zellen. Die selber Forschergruppe isolierte später ARV aus dem Genitalsekret von Frauen
mit Antikörpern gegen das Virus, was die Beobachtung bestätigte, daß sich Männer durch
Kontakt mit einer infizierten Frau AIDS zuziehen können (Wofsy et al., 1986).
Während der gleichen Zeit wurden HTLV-III und ARV isoliert aus dem Gehirn von Kindern und
Erwachsenen mit AIDS-assoziierter Enzephalopathie, weshalb diesen Viren eine wichtige Rolle
bei den Schädigungen des zentralen Nervensystems, die bei vielen AIDS-Patienten beobachtet
wurden, zugeschrieben wurde (Levy et al., 1985; Ho et al., 1985).
1985 zeigten Analysen der Nekleotid-Sequenz von HTLV-III, LAV und ARV, daß diese drei Viren
zur selben Familie von Retroviren gehörten und auffällig ähnlich waren
(Wain-Hobson et al., 1985; Ratner et al., 1985; Sanchez-Pescador et al., 1985).
1986 benannte das Internationale Komitee für Virale Taxonomie dieses Virus in
"Humanes Immunodeficiency Virus"(HIV) um (Coffin et al., 1986).
Quellenangaben
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Hauptseite Informationen zu HIV
http://listen.to/hiv