Im Frühjahr 1997 war im Robert Koch-Institut im Rahmen eines durch das Bundesministerium für Gesundheit geförderten Forschungsprogrammes eine Studie gestartet worden, in der Daten zum Krankheitsverlauf von Personen, bei denen der Zeitpunkt der Serokonversion bekannt ist - sog. "HIV-Serokonverter" - gesammelt und analysiert werden sollten.
Nachdem die Studie nun mehr als ein Jahr durchgeführt wurde, soll erneut auf das Vorhaben aufmerksam gemacht, zur weiteren aktiven Beteiligung aufgefordert und über erste Ergebnisse berichtet werden.
Anliegen der Studie
Der genaue Infektionszeitpunkt ist für die überwiegende Zahl der HIV-Infizierten nicht bekannt,
die Inkubations- bzw. Überlebenszeit ist deshalb nur grob abschätzbar. Durch die Erfassung
derjenigen HIV-Infizierten, bei denen der Zeitpunkt der Serokonversion bekannt ist oder auf
einen bestimmten Zeitraum eingegrenzt werden kann, ergibt sich die Möglichkeit,
Langzeitbeobachtungen hinsichtlich des Verlaufs der Inkubationszeit für ein deutsches
Studienkollektiv durchzuführen.
Als "Serokonverter" werden im Rahmen dieser Studie die Patienten bezeichnet, bei denen der
letzte negative HIV-Test nicht länger als drei Jahre vor dem ersten positiven Test durchgeführt
wurde oder bei denen auf Grund definierter Laborparameter eine akute HIV-Infektion festgestellt
wurde. Bei den hämophilen Teilnehmern bei denen kein negatives Testergebnis vorlag, wurde als
Infektionsjahr 1984 angenommen, weil seit Oktober 1985 ausschließlich mit hitzeinaktivierten
Präparaten therapiert wurde.
Die HIV-Infektion ist gekennzeichnet durch einen chronischen Infektionsverlauf mit individuell sehr unterschiedlicher Dauer vom Zeitpunkt der Infektion bis zum Auftreten AIDS-definierender Krankheitssymptome und bis zum Tod. Für das Verständnis des natürlichen Krankheitsverlaufes, die Beurteilung der zukünftigen Entwicklung der HIV/AIDS-Epidemie und die Evaluation von neuen Therapien ist es von großer Bedeutung, die entsprechenden Einflußfaktoren und das Ausmaß von Änderungen durch bestimmte Faktoren zu erkennen.
So sind z. B. die Einführung neuer Therapien in den letzten Jahren, eventuell aber auch das Auftreten neuer Virusvarianten Einflußgrößen, die eine Veränderung der Verteilung der Inkubations- bzw. Überlebenszeiten bedingen könnten und deren Untersuchung daher wesentlich ist.
Organisatorisches
Die Dokumentation der Patientendaten erfolgt auf einem kurzen Erhebungsbogen. Neben
demographischen Angaben werden insbesondere Angaben zur HIV-Subtypisierung, zum Infektionsweg,
zum letzten negativen sowie ersten positiven HIV-Test, zur CD4-Zellzahl, zur Viruslast, zu
AIDS-definierenden Erkrankungen (ggf. zum tödlichen Ausgang) sowie Angaben zu Therapie und
Prophylaxe erfaßt.
Die Informationen über den Verlauf der HIV-Krankheit sollen mindestens in
jährlichem Abstand aktualisiert werden, dazu stehen Follow-up-Erhebungsbögen zur Verfügung.
Parallel zur Datenerhebung wird bei allen Studienteilnehmern mindestens in jährlichem Abstand
eine Blutprobe für spätere Untersuchungen in einer zentralen Serumbank asserviert.
Seren von von therapienaiven Studienteilnehmern mit einem Serokonversionszeitpunkt nach dem
1.1.96 werden dem Nationalen Referenzzentrum für Retroviren an der Universität Erlangen-Nürnberg
in Erlangen zur phänotypischen Bestimmung auf Resistenzen gegen Reverse Transkriptase und
Proteasehemmer zur Verfügung gestellt. Die Verbreitung von Resistenzen insbesondere in
Abhängigkeit vom HIV-Subtyp gewinnt im Zusammenhang mit der Therapie immer mehr an Interesse.
Zur Zeit stellen die in den größeren Behandlungszentren bereits dokumentierten
Krankheitsverläufe die Hauptdatenbasis der Studie dar. Daten von HIV-Infizierten aus allen
Behandlungseinrichtungen können fortlaufend in die Studie aufgenommen werden.
Zu bisherigen Ergebnissen
Von Juli 1997 bis Oktober 1998 konnten 771 HIV-Infizierte aus 32 Klinikabteilungen bzw. von
niedergelassenen Ärzten in die Studie aufgenommen werden. Das Studienkollektiv setzt sich aus
368 (48%) homosexuellen, 57 (7%) i.v. drogenabhängigen, 67 (9%) heterosexuellen Teilnehmern,
17 (2%) Teilnehmern aus Endemiegebieten und einer Kohorte von 262 (34%) Hämophilen zusammen.
Insgesamt bestand das Studienkollektiv aus 714 Männern (93%) und 57 Frauen (7%). Die
Verteilung der Angaben zu den wahrscheinlichen Infektionswegen und den Infektionszeitpunkten
(ohne Hämophile) zeigt die folgende Abbildung:
Von einem Teil der gemeldeten Fälle konnten bereits retrospektiv Daten zu Diagnosen, Laborwerten und Medikation aufgenommen werden. Es ergab sich ein Gesamtbeobachtungszeitraum von 1.779 Personenjahren (Summe aller Einzelbeobachtungszeiten). Die mittlere Beobachtungszeit (Median) betrug 3,5 Jahre, die maximale Beobachtungszeit lag bei 12,9 Jahren. Insgesamt wurden die Teilnehmer zu 5.365 Untersuchungszeitpunkten (Laboruntersuchungen) vorstellig. Im Mittel wurde jeder Teilnehmer 5,1mal gesehen (Minimum einmal, Maximum 24mal).
Bis Oktober 1998 sind 228 Studienteilnehmer mit einer AIDS-definierenden Erkrankung und 179 Teilnehmer als verstorben gemeldet worden. Bei den ersten vorläufigen Analysen betrug die Zeit bis zur AIDS-Manifestation im Mittel 124 Monate; 95% Konfidenzintervall: 106-142 Monate und die Überlebenszeit 146 Monate:
Schlußfolgerungen und Ausblick
Die geschätzten Überlebenszeiten bzw. die Dauer bis zur AIDS-Manifestation mit 124 bzw. 146
Monaten stehen im Einklang mit Ergebnissen vergleichbarer anderer Studien. Eine wichtige
Vorausetzung für weitere Analysen ist somit erfüllt: es besteht kein Hinweis auf ein bezüglich
der Erkrankungsdauer selektiertes Studienkollektiv.
Die Daten bestätigen Analysen einer vergleichbaren englischen Studie, die keine signifikanten
Unterschiede bezüglich der Krankheitsdauer im Zeitraum 1983 bis 1994 fanden (UK Register of
HIV Seroconverters Steering Committee: The AIDS incubation period in the UK estimated from a
national register of HIV seroconverters. AIDS 1998, 12: 659-667).
Die Frage, inwieweit
veränderte Therapieschemata zu längeren Lebenszeiten bei HIV-Infizierten und AIDS-Kranken
führen, läßt sich wegen des zu kurzen Beobachtungszeitraums der Teilnehmer mit Mehrfachtherapie
(durchgeführt seit ca. 1995) anhand dieser Daten jedoch noch nicht endgültig beantworten.
Es wird einer der Schwerpunkte der Studie in der kommenden Zeit sein, Beiträge zur Beantwortung
dieser Frage zu liefern.
Andere potentielle Einflußfaktoren auf den Krankheitsverlauf, wie die Bedeutung des
Übertragungswegs, des Alters oder der CD4-Zahl bei Serokonversion werden zur Zeit analysiert.
Ergebnisse hierzu stehen noch aus.
Bis heute liegen Seren von 206 Teilnehmern zur HIV-Subtypisierung in der Serumbank vor, von denen zunächst die Seren von 69 Teilnehmern untersucht wurden. Bei drei Teilnehmern wurde Subtyp A und bei einem Subtyp E sequenziert, bei dem Rest Subtyp B. Die vorläufigen Ergebnisse bestätigen die retrospektive multizentrische Studie "Biologische Eigenschaften und Verbreitung von HIV-1-Subtypen in der Bundesrepublik Deutschland" (Veröffentlichung in Vorbereitung). Hier wurden 1.624 Seren von HIV-positiven Probanden aus den Jahren 1985, 1990, 1995 subtypisiert und ein eindeutiges Überwiegen des Subtyps B festgestellt.
Blutproben von Teilnehmern, die vor Therapiebeginn gewonnen wurden, werden zusätzlich geno- und phänotypisch auf Resistenzen untersucht. Die Ergebnisse hierzu stehen noch aus.
Studien mit HIV-Serokonvertern sind bereits in mehreren europäischen Ländern etabliert. Die Daten der einzelnen nationalen Studien fließen in eine europäische Studie (Concerted action on seroconversion to AIDS and death in Europe, CASCADE) ein. Durch eine höhere Zahl von Studienteilnehmern kann die Qualität der Daten und die Aussagekraft entscheidend verbessert werden.
Robert Koch-Institut Berlin
Fachgebiet Infektionsepidemiologie