Die Samen (Lappen)

Sie sind norwegische Mitbürger und doch ethnische Minorität und ein Volk für sich. Gemeint sind die Samen, eher bekannt unter der Bezeichnung "Lappen", die für sie jedoch negativ besetzt ist. Die Norweger sprechen oft von den finner, wenn sie die von vielen als exotisch empfundene Minderheit meinen, die man meist nur aus den Medien kennt.

SameEine genaue Abgrenzung des Lebensraumes der Samen ist schwierig, da die statistischen Methoden der Staaten Norwegens, Schweden, Finnland und Russland zur Erfassung von Anzahl und Verbreitung der Samen nicht einheitlich sind. Generell reichen die samischen Gebiete in Norwegen bis hinunter nach Hedmark und in Schweden südwärts bis weit nach Dalarna, nach Norden und Osten erstreckt sich der Wohn- und Wirtschaftsraum der Minorität bis Utsjoki in Finnland, Varanger in Norwegen und zur russischen Halbinsel Kola.

Schätzungen zur Anzahl der Samen schwanken in der Literatur zwischen 50'000 und 70'000. In Norwegen geht man von einer Bevölkerungszahl von bis zu 45'000 Samen aus, wobei etwa die Hälfte in der Provinz Finnmark lebt. Auf rund 15'000 Samen schätzt man ihre Zahl in Nordschweden während in Finnland etwa 5000 und in Russland 2000 Menschen der samischen Minderheit angehören.

Nach norwegischer Definition gilt man als Same, wenn man sich der Minorität zurechnet und Samisch als Muttersprache spricht oder Eltern oder Grosseltern das Samische als Muttersprache haben.

Nicht alle Fragen zur Herkunft und rassischen Einordnung der Lappen sind heute beantwortet. Reinrassige Samen gibt es schon seit mehr als 150 Jahren nicht mehr. Eine häufig in der Literatur vertretene Auffassung geht davon aus, dass sie als alteuropide Bevölkerung vor rund 12 000 Jahren in Nordeurasien zwischen Nordskandinavien und Ostsibirien lebten. Die alte Jäger- und Fischerbevölkerung wurde im Laufe der Zeit von mongoliden Gruppen, die aus Süden vordrangen, rassische überlagert, was jedoch nicht für die Samen am Rande des Siedlungsraumes zutraf. Dass sie aufgrund ihrer harten Lebensbedingungen und und einseitiger Ernährung einer vererbbaren Verzwergung ausgesetzt waren, ist in der anthropologischen Lappen-/Samenforschung lange Zeit als Beleg für die Verwandtschaft von Samen und Mongolen angesehen worden. Blutgruppenuntersuchungen haben diese Auffassung jedoch widerlegt.

In rassischer Hinsicht lassen sich dagegen die Ost- von den Westlappen abgrenzen. Als Rentierjäger, so nimmt man an, folgten sie den Renherden in verschiedene Etappen von Osten her nach Finnland, an die Eismeerküste und ins fennoskandische Inland. Archäologische Funde aus der Bronzezeit (1500-500 v.Chr.), die dem Küstenbereich von Finnmark und Kola entstammen, werden den Lappen zugeordnet.

Noch nach der Zeitenwende lebten die Lappen keineswegs nur im hohen Norden, sondern trafen in Süd- und Mittelfinnland mit dort einwandernden finno-ugrischen und nordgermanischen Stämmen zusammen. Vor der Wikingerzeit hielten sich die Samen nicht mehr in Südwestfinnland auf, während sie bis ins 14. Jahrhundert am Ladogasee und im 17. Jahrhundert im südlichen Ostfinnland anzutreffen waren.

Die Sprache der Samen gehört zum finno-ugrischen Zweig und ist mit dem Finnischen, Estnischen und Ungarischen verwandt. Genau genommen gibt es nicht die samische Sprache, sondern mindestens drei verschiedene, nämlich Süd-, Ost- und Zentralsamisch, die an keine Staatsgrenze gebunden sind. Zentralsamisch lässt sich wiederum in ein Nord-, Lule- und Pitesamisch untergliedern.

In den drei nördlichsten Provinzen Norwegens sprechen die meisten Samen Nordsamisch, in dem ein grosser Teil der veröffentlichten Literatur abgefasst ist und das eine Rechtschreibung aufweist, die von norwegischen und schwedischen Samen akzeptiert worden ist. Die Sprachen der Samen sind reich an Wörtern aus dem Umfeld von Jagd, Fischerei und Rentierwirtschaft, über Kulturkontakte mit norwegischen Bauern gelangten aber auch viele Lehnwörter aus dem landwirtschaftlichen Bereich in urnordischer Zeit ins Samische. Die Übernahme des Finnischen soll bis etwa 600 n.Chr. erfolgt sein. H. Bronny, der sich intensiv mit den Samen beschäftigt hat, meint:

"Die Übernahme des Finnischen - als Sprache des benachbarten, kulturell überlegenen Volkes - ist daraus zu erklären, dass die von allen Lappengruppen und den Finnen überall in Finnland und in Nordskandinavien ausgeübte Pelztierjagd und der sich daraus entwickelte Handel eine gemeinsame Sprache notwendig machten."

Zu ihrer nordischen Nachbarn, die besser bewaffnet und organisiert waren, gerieten die Samen früh in ein Verhältnis der Abhängigkeit. Aus dem Tauschhandel mit Pelzen entwickelte sich eine erpresserische Besteuerung der Samen, indem Steuereintreiber die einzelnen Gebiete unter sich aufteilten. Aus der Wikingerzeit (Ende des 9. Jahrhunderts) ist der Bericht eines Grossbauern namens Ottar an König Alfred von England bekannt. Dieser in Nordnorwegen ansässige Ottar kontrollierte die Samen seiner Umgebung und erhob Naturalsteuern. Wohlhabendere Samen mussten nach seinen Angaben 15 Marderfelle, 5 Rentiere, 10 Eimer Federn, einen Mantel aus Bären- oder Otterfell sowie zwei sechzig Ellen lange Schiffsseile abliefern.

Vor dem 11. Jahrhundert schickten bereits die norwegischen Könige ihre Steuereintreiber bis in den Kola-Raum. Im Mittelalter kam es zu heftigen Auseinandersetzungen um das Recht der Besteuerung der Samen zwischen Dänemark/Norwegen, Schweden/Finnland und Russland/Karelien. Da die Staatsgrenzen im Norden nicht festgelegt waren /zwischen Norwegen und Schweden 1751, zwischen Norwegen und Russland erst 1826), hatten die Samen bisweilen an drei verschiedene Länder Steuern zu entrichten. Mit der Besteuerung durch die Staaten, die häufig einer Versklavung der Samen gleickam, wuchsen auch die territorialen Ansprüche gegenüber den Samengruppen.

Nachdem im 16. / 17. Jahrhundert christliche Missionare vehement die Naturreligion der Samen, in der Schamanismus und Bärenkult eine bedeutende Rolle spielten, bekämpften, kam der Rentierzucht als Hauptträger samischer Kulturtradition eine besondere Bedeutung zu. Auch heute sind die 7% der samischen Bevölkerung Norwegens, die noch Rentierzucht betreiben, diejenigen, die sich auf die alten Traditionen besinne und gegen den eigenen Identitätsverlust engagiert angehen.

Die meisten Samen arbeiten also ausserhalb der Rentierzucht in vielen verschiedenen Berufen, relativ schwach sind sie jedoch im Dienstleistungssektor vertreten. Ihre Verbundenheit mit der eigenen Kultur ist unterschiedlich ausgeprägt und reicht von völliger Identifikation mit der ethnischen Minderheit bis zur völligen Anpassung an die norwegische Bevölkerungsmehrheit.

SameIn den letzten Jahren hat der Modernisierungsdruck die Rentierhaltung grundlegend verändert, so dass möglicherweise ihre führende Rolle bedroht ist, wenn es gilt, samische Kultur und Identität zu wahren. Heute ist die extensiv betriebene Rentierzucht ein kapitalintensiver Wirtschaftszweig, in dem es ausschliesslich um Fleischproduktion geht. Moderne Technologie macht es möglich, dass die Tiere in grossen Herden ohne ständige Aufsicht gehalten werden können. Oft schliessen sich Rentierhalter zusammen, um sich technischer Hilfsmittel wie Hubschrauber, Geländewagen, Schneemobile oder Funk und Datenverarbeitung zu bedienen. Statt in Stangenbogenzelten wohnen die Berglappen den überwiegenden Teil des Jahres in modernen Wohnsiedlungen.

Der Druck auf den Lebens- und Wirtschaftsraum der Samen hat deutlich zugenommen, denn neben der Überweidung lassen andere Nutzungen wie Tourismus, Strassenbau, Land- und Forstwirtschaft, militärische Interessen schrumpfen. Die Interessen der nordeuropäischen Wohlstandsstaaten reichen bis weit in den hohen Norden, auf den man als Ergänzungsraum nicht verzichten will. Flächennutzungskonflikte, die vor Gericht ausgetragen wurden, gingen in der Vergangenheit meistens zuungunsten der Samen aus.

In einem auf schwedischer Seite über fast zwei Jahrzehnte geführten Musterprozess, in dem die Samen ein Eigentumsrecht für ihre alten Siedlungsgebiete auf einer Fläche von 16 000 km² beanspruchten, bestätigte man den Renhirten zwar Nutzungsrechte, aber kein privates Eigentum an Land und Wasser. Zu einem Symbol für den entschlossenen Kampf norwegischer Samen gegen erzwungene Veränderungen ihres Lebens- und Wirtschaftsraumes wurde der Ausbau der Wasserkraft in Westfinnmark nördlich von Masi. Nach heftigen Protesten erzielten die Samen insofern einen Teilerfolg, als das Grossprojekt mit einem niedrigerem Damm verwirklicht wurde. Dennoch hatte sich die Zentralregierung in Oslo wieder einmal zu Lasten der rentierzüchtenden Minderheit durchgesetzt.

Im Frühjahr 1986 stellte die Kernkraftkatastrophe von Tschernobyl mit einem Schlag die Zukunft der Rentierwirtschaft in Frage, denn die Weidepflanzen und Flechten waren in manchen Regionen hoch radioaktiv belastet. Dennoch waren die Folgen für die Rentierwirtschaft in Norwegen nicht so schwerwiegend wie im Nachbarland Schweden, wenngleich in der Schlachtsaison von September bis März 1986/87 fast 20 000 Tiere wegen hoher Cäsiumwerte vom Markt genommen werden mussten. 1989 lagen noch immer 95% der radioaktiven Niederschläge in Norwegen in den obersten Erdschichten. Saure Niederschläge und andere Verwitterungsvorgänge in der Natur könnten in den kommenden Jahren den Umsatz der Tschernobyl-Niederschläge in der Nahrungskette noch vermehren.

Nach Jahrhunderten der Unterdrückung, die aus den scheinbar unzivilisierten Samen "gute" Skandinavier machen sollte, fördern die nordischen Staaten seit drei Jahrzehnten eine Politik, die die samische Kultur als Bestandteil eines gemeinsamen Kulturerbes versteht. Ohne ihr neues Selbstbewusstsein, ohne ihr politisches Engagement - auch auf internationaler Ebene - hätte die samische Bevölkerung Norwegens nicht erreicht, dass 1989 das Sameting, das Parlament der Samen in Karasjok, eingerichtet worden ist. In diesem gewählten, ratgebenden Organ der norwegischen Samen sitzen 39 Vertreter aus 13 Wahlkreisen.

Als Institution, die der öffentlichen Verwaltung unterstellt ist und nur Empfehlungen aussprechen kann, ist das Sameting jedoch kein echtes Parlament. Folglich verlangen die Samen, die sich als Urbevölkerung des Nordens sehen, mehr Rechte. Sie fordern angesichts der Notlage der Seesamen eine eigenen Fischereizone vor der Küste Nordnorwegens und das Nutzungsrecht auf über- und unterirdische Ressourcen in samischen Gebieten.

Der Präsident des Samenparlaments beruft sich auf das internationale Völkerrecht und stellte im Herbst 1992 fest, dass die Urbevölkerungen in anderen Ländern, so etwa die Indianer Brasiliens und Venezuelas, weiter bekommen seien als die norwegischen Samen, was die Rechte an den natürlichen Ressourcen anbetrifft. Lange wird man den norwegischen Samen einen wirklichen Einfluss auf den höchsten Ebenen des politischen Systems wohl nicht vorenthalten können.