Überraschung, Überraschung!

Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit. Nach mehreren erfolgreichen Berliner Meisterschaften, welche der Verein Pinkballroom jedes Jahr veranstaltet hatte, mussten logischerweise irgendwann Deutsche Meisterschaften  für gleichgeschlechtliche Tanzsportpaare folgen. In Mai 2005 war es soweit.

In Deutschland gibt es die meisten und die besten Equality-TanzSportpaare zu finden. Wahrscheinlich ist die lange Tradition des Tanzsports gepaart mit der fortgeschrittenen Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben dafür verantwortlich. Selbstverständlich darf man viele AktivistInnen nicht vergessen, deren Engagement und Organisationstalent diese Entwicklung ermöglichten. Also pilgerte man/frau aus mehreren deutschen Städten und europäischen Ländern nach Berlin (die Meisterschaften waren ein International Open), um an dem renommierten Tanzturnier teilzunehmen. Über diese bestens organisierte und sympathische Veranstaltung wurden bereits mehrere Berichte verfasst (s. in Reading Room auf dieser Webseite), so will ich mich heute nur mit neuen bzw. wichtigen Aspekten auseinandersetzen.

Die hohe Zahl der angemeldeten Tanzpaare (insgesamt fast 100) erlaubte die optimale Aufteilung in separate Bewerbe für Männer und Frauen in drei (in den lateinamerikanischen Tänzen) bzw. vier (im Standard) Leistungsklassen A, B, C und D. Der günstige Termin (auf Grund des Feiertags am Donnerstag, den 5. Mai) veranlasste einerseits TänzerInnen zu einem längeren Aufenthalt in Berlin und ermöglichte es den Veranstaltern andererseits, den Tanzmarathon auf zwei Tage (Freitag, Sonnabend) aufzuteilen, wodurch der überladene Zeitplan vom Vorjahr vermieden werden konnte.

Das zahlreiche Publikum (einige Hundert Zuschauer) hatte an beiden Tagen interessante Tanzwettbewerbe in dem bunt geschmückten Saal vom TiB am Columbiadamm zu bestaunen. Am ersten Tag tanzten Männerpaare Standard und Frauenpaare Latein, am nächsten Tag war es umgekehrt. Finali der A Klassen wurden Tanz für Tanz abwechselnd zum Schluss durchgeführt, was den TeilnehmerInnen nötige Verschnaufpausen lieferte. Dieses Modus erwies sich als optimal und hoffentlich wird es ab jetzt immer bei Tanzturnieren dieser Größenordnung angewandt.

Einigen Tanzpaaren wurde die Rolle der Favoriten zugeteilt, aber im Vergleich zu den Eurogames 2004 in München gab es in Berlin einige – aus der Sicht des Betrachters – interessante Überraschungen. Unter der Abwesenheit von den Eurogames Meistern im Standard, Farwick-Padberg, lieferten sich die Berliner Horst Droste und Pascal Herrbach ein packendes Duell mit den Hamburgern Detlev Müller – Vesselin Bairski. Letztendlich konnten die Erstgenannten drei Tänze (English Waltz, Tango, Slowfox) für sich entscheiden, aber der Sieg war knapp. Beide Paare haben sich seit München deutlich verbessert und ihre Begegnungen auf dem Tanzparkett versprechen auch in der Zukunft für weitere Emotionen zu sorgen. Auf Platz 3 kamen die Kölner Weber-Neuenhoff, welche ein ausgeglichenes Leistungsniveau in allen Tänzen präsentierten.

Bei den lateinamerikanischen Tänzen ist ein unbekanntes Frauenpaar an den Start gegangen, Lisa Görg/Valesca Kipping vom Berliner Klub Walzerlinksgestrickt. Während man eher einen Kampf zwischen den beiden Pinkballroom Paaren Karko-Fricke  und Weibel-Kern erwartete, wurden sie zu den lachenden Siegerinnen. Aber auch hier mit dem Ergebnis 3:2 (Gewinn bei Cha-Cha-Cha, Samba und Rumba) gegenüber den Zweitplatzierten Sabine und Beate. Der Tanzstil von Lisa und Valesca ist anders, vielleicht weniger dynamisch, daher sehr ausdruckstark und feminin. Auch ihr optisches Bild ist anders. Beide tanzten in eleganten Röcken und mit Stöckelschuhen, während die meisten Frauenpaare Hosenanzüge und flache Tanzschuhe bevorzugen.

Wem es am ersten Turniertag zu wenig Emotionen gab, konnte sich am zweiten noch mehr überraschen lassen. Die ewig Zweiten beim Frauen Standard, Caroline Privou und Petra Zimmermann von Rot-Gold, Köln, konnten einen sensationellen aber verdienten Sieg über Claudia Reger und Dunja Jansen, Swinging Sisters aus Köln, feiern. Dunja und Claudia haben nämlich seit Gay Games Amsterdam 1998 kein einziges Turnier verloren und galten als Favoritinnen par excellence! Möglicherweise waren sie nach dem Latein-Bewerb am Vortag etwas müde. Als Trost blieb ihnen der Siegertitel in der Kombination der Frauen und ein schöner Wanderpokal. Auf die 3. Stelle kam die routinierte Petra Voosholz mit der neuen Tanzpartnerin Martina Lamping und man kann hoffen, dass die beiden jetzt öfters bei den nächsten Veranstaltungen auftreten werden. Das Niveau in der A Klasse der Standard-Frauen war sehr ausgeglichen, deutlich mehr als bei den Männern, die an diesem Tag Latein A tanzten.

Hier waren eigentlich nur Horst-Pascal und die neue Paarung aus Budapest, Gergely Darabos – Robert Szelei  ernste Siegerkandidaten. Ähnlich wie bei den anderen A Klasse Finalen war der 1. Platz äußerst umkämpft und der Sieg der Berliner vor den Ungarn sehr, sehr knapp.

Übrigens, aus Ungarn gab es  drei Tanzpaare, während Österreich nur durch zwei Paare verteten war. Beide waren mit ihrer Leistung und Platzierungen sehr zufrieden: das Frauenpaar Hufnagl-Biegl ertanzte sich den 4. Platz in Latein B sowie den 7.Platz bei Standard C (ihre Premiere). Das Männerpaar Clark-Selerowicz wurde 5. beim Standard B.

Jeder Bewerb wurde von einer Jury von sieben WertungsrichterInnen beurteilt. Glücklicherweise gab es zwei WR-Teams (Standard-Latein), was ihren stundenlangen Einsatz etwas mildern konnte. Pinkballroom hat für die Mitarbeit auch mehrere Fachkräfte aus der Riege des Berliner Tanzsportverbandes und des „eigenen“ Klubs Grün-Gold der TiB 1848 gewonnen. Als Moderatoren fungierten souverän Fritzi Trautwein und Sebastian Rüter. Die Arbeit der Turnierleitung war ebenso professionell und reibungslos. Es gab eigentlich nur eine einzige kleine Panne: zwei Mal wurden Musikstücke gespielt (Passo und Tango bei Frauen A Klasse), die den IDSF Normen nicht entsprechen. Der Turnierleiter hat aber schnell eingegriffen und sofort ein Wechsel verordnet.

Zu den zahlreichen Gästen aus der Berliner Tanzsportszene kam noch ein besonderer VIP-Gast dazu: der Berliner Bürgermeister Wowereit, welche auch gerne die Preisverleihung übernahm. Als Begleitprogramm fanden ein Ball mit Showeinlagen sowie ein Farewell-Brunch am Sonntag statt, die sowohl von TurnierteilnehmerInnen wie auch den Zuschauern begeistert aufgenommen wurden.

Die nächsten Deutschen Meisterschaften für gleichgeschlechtliche Tanzpaare finden nächstes Jahr in Köln statt. Als Organisationskomitee agieren vier Kölner Klubs bzw. Vereine, die ihre bisherige Rivalität vergessen lassen. Noch ein positiver Aspekt der Tanzsportveranstaltung in Berlin.

Andrzej Selerowicz