An Edmund Singer.


Lieber Freund!

"Es ist schon lange her, das wurmt mich um so mehr"; es ist daher verzeihlich, dass Sie von mir wieder einmal etliche Zeilen bekommen. Mit Gottes Hilfe habe ich jetzt so ein Gesicht bekommen, wie Sie aus der Beilage ersehen; was für ein Gesicht haben Eure Konzertmeisterherrlichkeit dermalen? Warum ich Ihnen so lange Zeit nicht schrieb, hat seinen Grund mit darin, dass es mich genierte, Ihnen nicht anzeigen zu können, dass das Ihnen versprochene Violinkonzert fertig sei. Ich habe diese Komposition nicht aus den Augen verloren und mein Versprechen nicht vergessen, hoffe auch, jetzt als geübterer Notenschreiber etwas Erspriesslicheres verfertigen zu können als Anno dazumal. Hören Sie nun meine diesbezügliche An- und Absicht. Ich gebe seit etlichen Jahren in jedem Winter ein eigenes Konzert in Pest, in welchem ich meine neuesten Kompositionen aufführe. In bevorstehender Saison bin ich ebenfalls gewillt, ein solches zu gebe. Mein Tag, den mir andere Konzertgeber und Konzertvereine freilassen, ist der 6. Januar. Früher kann ich schon deshalb nicht in die Schranken treten, weil ich für neuen Stoff zu sorgen habe. Wie wäre es nun, wenn Sie mir für nächsten 6. Jänner die Ehre Ihrer Mitwirkung angedeihen liessen? Bis dahin würden Sie von mir ein Geigenkonzert haben, das Sie in diesem Konzert spielen könnten. Bei der Gelegenheit könnten Sie ja dann, um sich zu decken, ein paar eigene Koznerte veranstalten, die hoffentlich gut besucht sein würden aus verschiedenen Gründen. Überlegen Sie sich die Sache, und lassen Sie mich bald Ihre Meinung darüber hören, damit ich mich danach richten kann. Könnten Sie nicht kommen, so würde ich, notgedrungen, die Komposition verschieben, oder, liessen Sie mich sitzen, so wäre ich genötigt, das Geigenstück von einem andern spielen zu lassen, wenn ich diesen andern finde. Näheres über die beabsichtigte Konmposition, wenn ich weiss, ob Sie kommen; nur so viel, dass ich sie mit Orchesterbegleitung zur Darstellung bringen will, da ich überhaupt Orchesterstücke zu geben gedenke. Bald hätte ich indes die Hauptsache vergessen, nämlich die Frage, ob Sie gegenwärtig aus meiner Feder [überhaupt] noch eine Konzertkomposition wünschen??

Haben Sie das Karlsruher Musikfest mitgemacht? Dann könnten Sie mir einiges davon erzählen, denn ich lese hier auf dem Lande gar keine musikalischen Zeitungen, in der Stadt sehr selten. Wie ist mein Cellokonzert ausgefallen? Was können Sie mir über die anderen Piecen sagen? Was war der Eindruck des Ganzen? Da Sie jetzt Landestrauer haben, könnten Sie mir einen recht langen Brief schreiben; bedenken Sie, seit wie vielen Jahren Sie an mir Papier und Tinte gespart haben. Ich möchte auch gern etwas erfahren über die musikalischen Verhältnisse von Stuttgart und Umgegend. Von mir, resp. Pest, lässt sich wenig sagen, Sie wissen ja: Pest gleicht den guten Frauen --!

Schreiben Sie mir auch über sich, sowohl als Künstler wie als Familienvater und über vieles andere, woran ich jetzt nicht denke und von dem Sie wissen, dass es mich interessiert.

Wenn ich Ihnen von mir etwas schreiben sollte, so wüsste ich nichts anderes, als dass ich seit Jahren den Winter in Pest, den Sommer hier auf dem Lande verbringe und seit Jahren meine Zeit nur der Komposition widme. Es entstand ja auch so manches, von dem Sie gehört haben werden. - Die einen halten mich immer noch für einen Zukunftsmusiker, während andere einen Zopf an mir sehen wollen; was ist Ihre Meinung? Ich weiss nur so viel, dass ich weder Zukünftler noch Zopf sein will, sondern bloss Volkmann, und das ist mein Malheur, so 'ne Gesinnungslosigkeit verzeiht man schwer. Ich glaube ohne Vorurteil zu sein (nämlich in rebus music.), weil ich die guten Leistungen jeder Partei anerkenne, soweit mein Urteil reicht; aber ein echter Parteimann tadelt das, und so bin ich zu beklagen. Ich weiss nicht, welches Ihr Dogma ist, ob Sie links, rechts oder in der Mitte sind, kann daher Ihre Leiden und Freuden nicht beurteilen. Wenn ich aber mein Ideal nur halbwegs erreichen will, habe ich noch eine schwere Arbeit vor mir, mögen auch gewisse Herren darüber lächeln!

Nun Gott befohlen; empfehlen Sie mich auch unbekannterweise Ihrer Gattin und lassen Sie bald von sich hören.

Mit freundschaftlichen Gruss

Ihr ergebenster

Robert Volkmann

Pilis-Maróth bei Gran, den 27. August 1864.

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