Kleine Erfahrungsberichte 1999 (Motto: Was man aus Fehlern lernen kann)

In der ersten Maiwoche fand in St. Augustin, wie jedes Jahr zur Saisoneröffnung, der Internationale Fünfkampf statt. Da in der Vereinskasse des ASV St. Augustin chronische Ebbe herrscht, verfiel man beim Veranstalter auf die glorreiche Idee, die Startgebühren für die Erwachsenen (die schon immer an der oberen Grenze gelegen hatten) knapp zu verdoppeln. Eine Rücksprache mit den Verantwortlichen blieb erfolglos, und so kam es zum Boykott. Einziger erwachsener Teilnehmer (für die Jugendlichen waren die Startgebühren nicht erhöht worden) war Sportfreund Morgenroth aus Recklinghausen (8. der Senioren-Weltmeisterschaft 1997 in Durban im Zehnkampf; für jemanden, der dort auf eigene Kosten hinfliegt, sind die St. Augustiner Startgebühren natürlich "Peanuts"), der spürbar enttäuscht war, daß ich nur als nichtzahlender Zuschauer kam und ihm keine Revanche gab. (Im Vorjahr hatte ich ihm glücklich und denkbar knapp im abschließenden 1.500-m-Lauf noch den 1. Platz weggeschnappt.) Besonders peinlich muß es für die Bürgermeisterin von St. Augustin gewesen sein, die traditionell die Siegerehrung vornimmt. Vielleicht lernt der ASV ja daraus und senkt die Startgebühren im nächsten Jahre wieder auf ein vernünftiges Maß.

In der zweiten Maiwoche waren die Nordrhein-Meisterschaften im Rahmen der DAMM ("Deutsche Altersklassen-Mannschafts-Meisterschaften"; böse Zungen bezeichnen das als umständlich-höfliche Umschreibung für einen Haufen alter Knacker und Suppenhühner) in Mönchengladbach-Rheydt. Dabei reichte mir eine eher durchschnittliche Leistung im 800-m-Lauf, im Weitsprung und als Startläufer der 4x100-m-Staffel zur Titelverteidigung mit dem Pulheimer SC, der zu Jahresbeginn mit vermeintlichen "Cracks" (ehemaligen Leistungssportlern) kräftig "aufgerüstet" hatte. Bei Saisonbeginn stellte sich dann heraus, daß diese die simpelsten Regeln zum behutsamen Trainingsaufbau (s.o.) nicht kannten oder nicht beherzigt hatten: Wer versucht, in 14 Tagen mit Gewalt von 0 auf 100 zu kommen, kann als Senior fast sicher mit Verletzungen rechnen. Wir hatten 15 Ausfälle (eine komplette Mannschaft!), dazu noch zwei während des Wettkampfs, und so mußten denn wieder (wie schon im Vorjahr) die altbewährten Ersatzleute 'ran. Unser Sieg wäre noch deutlicher ausgefallen, wenn nicht in der abschließenden 4x100-Staffel die beiden einzigen "Cracks", die angetreten waren, beim letzten Wechsel den Stab hätten fallen lassen - zum Glück im Wechselfeld, so daß sie ihn wiederaufheben und weiterlaufen konnten; und unser Punktevorsprung vor den anderen Mannschaften war schon uneinholbar. Was können wir daraus lernen? Der bessere Sportler ist nicht unbedingt der, der einmal im Jahr eine "Höchstleistung" in einer Spezialdisziplin aus seinem geschundenen Körper herausquält (die dann in irgendwelchen "Besten"-Listen auftaucht) und den Rest der Zeit außer Form, verletzt oder auf Erholungsurlaub ist, sondern derjenige, der über das ganze Jahr hinweg fit ist und zuverlässig seine Leistung bringt, auch wenn die in der Spitze nicht so hoch sein mag, und der auch mal in einer anderen Disziplin einspringen kann.

In der vierten Maiwoche fand das traditionelle Senioren-Sportfest in Troisdorf-Sieglar statt. Wieder reichte mir eine recht durchschnittliche Leistung im 100-m-Lauf, Weitsprung und Kugelstoßen zum Sieg im Dreikampf, denn die Veranstaltung war wie so oft schlecht besucht - bei solchen "Dorf-Meisterschaften" pflegen die Cracks naserümpfend zuhause zu bleiben. Dabei ist solche Überheblichkeit völlig fehl am Platz. Zum Vergleich: Bei den Nordrhein-DAMM konnte man beim späteren Sieger Pulheimer SC im 100-m-Lauf mit 13,3 noch in die Punkte-Wertung kommen; in Sieglar lief ich 12,8. Gewiß, es macht einen Unterschied, ob man die 100 m frisch und munter als erste Disziplin des Dreikampfs läuft, oder ob man vorher schon einen scharfen 800-m-Lauf in den Beinen hat, aber dennoch...

In der ersten Juniwoche fanden die Nordrhein(einzel)meisterschaften der Senioren in Erkelenz statt. Durch die aufrückenden jüngeren Jahrgänge waren die 400 m so gut besetzt wie schon seit Jahren nicht mehr, so daß ich - mittlerweile im letzten Jahrgang meiner Altersklasse und ältester Teilnehmer im Feld - chancenlos war. (Schlecht gelaufen war ich nicht - die Zeit erfüllte locker die Qualifikationsnorm für die deutschen Senioreneinzelmeisterschaften; aber ich habe nicht den Ehrgeiz, dieses Jahr in Schweinfurt zu starten. Die Normerfüllung gilt allerdings auch für das folgende Jahr; diese sehr vernünftige Regelung ermöglicht es, das Training langfristig, ruhig und überlegt aufzubauen, ohne Druck, zwecks Qualifikation schon zu Saisonbeginn eine Höchstleistung bringen zu müssen.) Auf 200 m sah es etwas besser aus, es reichte noch einmal zum 3. Platz - die jungen Nachrücker waren allerdings auch hier nicht zu schlagen. (Über die guten Zeiten wollte keine rechte Freude aufkommen, da sie wegen zu starken Rückenwinds nicht als Qualifikationsnorm anerkannt werden konnten.) Bei der 4x100-m-Staffel verwies uns der langjährige Abonnement-Meister und Titelverteidiger, die LG Hünxe, erneut auf den 2. Platz; es war diesmal knapp, aber für uns umso ärgerlicher; es waren halt mal wieder zuviele der "besseren" Läufer - die wir auf dem Papier durchaus hatten - übertrainiert, verletzt oder sonstwie außer Form.

In der zweiten Juniwoche fanden die offenen Senioren(einzel)meisterschaften der Kreise Euskirchen und Köln (gemeinsam) in Euskirchen statt. Nun ist es bei solchen Veranstaltungen ja kein Kunststück, die eine oder andere Disziplin zu gewinnen; aber auf einer so guten Anlage wie dem Erftstadion und zu einem Zeitpunkt, da das Aufbautraining allmählich abgeschlossen sein sollte, darf es gerne etwas mehr sein, d.h. man kann etwas für die Qualifikation zur nächsten Deutschen Meisterschaft tun; das ideale Wetter (sonnig, aber nicht zu heiß) bot dafür die beste Voraussetzung. Enttäuschend war nur die schwache Beteiligung: Von auswärts (auch aus Rheinland-Pfalz, z.B. Ahrweiler und Sinzig) kamen fast mehr Teilnehmer als aus den veranstaltenden Verbänden, und der arme Reporter vom lokalen Blättchen irrte verzweifelt mit seiner Kamera auf dem Platz umher, um irgendwo einen Sieger aus Euskirchen aufzutreiben. Leider war der Zeitplan etwas eng gesteckt, da es keine ganztägige, sondern nur eine Nachmittagsveranstaltung war: Das Diskuswerfen war kurz vor dem 800-m-Lauf angesetzt, das Kugelstoßen überschnitt sich mit dem 200-m-Lauf, und der 1.500-m-Lauf fand einfach zu spät statt. Resultat in meiner Altersklasse: Null Teilnehmer beim Diskuswerfen und beim 1.500-m-Lauf, und das Kugelstoßen "gewann" der einzige Teilnehmer (der zu keiner anderen Disziplin antrat und deshalb keine Überschneidungsprobleme hatte) mit geradezu peinlichen 8,57 m. Den 800-m-Lauf gewann ich in persönlicher Jahresbestzeit und schaffte die DM-Quali leicht, das gleiche gelang mir im Hochsprung; beim 200-m-Lauf machte dann wieder der Wind einen Strich durch die Rechnung: In Erkelenz hatte er auf der Zielgeraden zu stark von hinten geblasen, so daß die Zeiten nicht anerkannt wurden; nun kam er als starker Gegenwind von vorne, so daß die Zeiten allenthalben zu schlecht waren. Zu allem Überfluß verwies mich ein Sportfreund, der mich schon in Erkelenz geschlagen hatte, auf den 2. Platz, so daß ich zum erstenmal, seit ich wieder aktiv bin, diesen Titel nicht gewinnen konnte. Beim Speerwerfen reichte es abschließend noch zu einem glanzlosen dritten Titel mangels besserer Konkurrenz.

In der dritten Juniwoche fanden die Deutschen Senioren-Mehrkampfmeisterschaften in Koblenz statt. Im vergangenen Jahr hatte starker Regen die Veranstaltung gründlich verdorben, und alle (!) meine Mannschaftskameraden waren verletzt, so daß wir unseren 4. Platz von 1997 nicht verteidigen konnten. (Übrigens: Es gibt keine "undankbaren" 4. Plätze; es gibt nur undankbare Athleten, die mit diesem Platz nicht zufrieden sind!) Dieses Jahr hatten wir mit Ach und Krach die notwendige Mindestbesetzung von drei Teilnehmern zusammen und gute Aussichten, erstmals den Titel zu erringen. Doch dann trat unser dritter Mann aus "persönlichen Gründen" nicht an, und in der Einzelwertung hatten weder ich als Ältester meiner Altersklasse noch mein Kollege als Rekonvaleszent, der nach einer Achillessehnen-Operation eigentlich noch an Krücken hätte gehen müssen, eine Chance. Die ganze Veranstaltung war quantitativ und qualitativ erschreckend schwach besetzt (es wirft ein bezeichnendes Licht auf die deutsch-deutschen Beziehungen im Jahre 9 nach der Wiedervereinigung, daß erstmals kein einziger Sportler aus den neuen Bundesländern teilnahm), und auch wir bekleckerten uns nicht sonderlich mit Ruhm: Beim Weitsprung blieben wir beide einen halben Meter unter unseren "normalen" Leistungen zurück. Der Speerwurf war passabel (beiden gelang uns eine persönliche Jahresbestleistung, was allerdings nicht viel besagt - wir sind eher schwache Speerwerfer), die 200 m sogar recht gut (ich gewann meinen Lauf in persönlicher Bestzeit - bei diesmal zulässigem Rückenwind - und qualifizierte mich damit für die Deutsche Einzelmeisterschaft im nächsten Jahr), aber das Diskuswerfen war wieder grottenschlecht. (Dabei hatte es beim Einwerfen gut ausgesehen, doch dann mißlangen uns beiden alle drei Versuche - das gibt's!) Beim abschließenden 1.500-m-Lauf war dann von der Motivation her die Luft 'raus, und ich nutzte ihn zum Auslaufen, d.h. ich tat gerade genug, um den in der Gesamtwertung vor mir liegenden, aber noch einholbaren Sportfreund mit dem hierfür nötigen Punktabstand hinter mir zu lassen. Meine Leistungen waren also nicht berühmt, dennoch trugen sie mir die bisher beste Plazierung bei einer Deutschen Fünfkampf-Meisterschaft ein, und zwar einfach aufgrund des Umstands, daß fast die Hälfte der gemeldeten Teilnehmer verletzungsbedingt entweder gar nicht erst antrat, während des Wettkampfes ausfiel oder nur noch ins Ziel humpelte. Nun belegt das zwar genau, was ich oben geschrieben habe, aber irgendwie wurmt es einen ja doch, daß jemand, der in der Einzelwertung weit abgeschlagen letzter wird, die 200 m streckenweise auf einem Bein gehüpft und die 1.500 m mehr geschlichen als gelaufen ist, in der Mannschaftswertung deutscher Meister wird, weil er noch zwei andere Nieten vom selben Verein dabei hatte und einzige Konkurrenz (und damit Vizemeister) der nächste Dorfverein war, der gewissermaßen Heimspiel hatte, während man selber am Ende mit leeren Händen dasteht.

In der dritten Juliwoche fanden die deutschen Senioren(einzel)meisterschaften I in Schweinfurt statt. Aus solchen Veranstaltungen kann man auch lernen, wenn man nicht persönlich mitmacht, sondern die Ergebnisse nur als Zuschauer analysiert. Besonders freute mich, daß Sportfreund Uli Dirking aus Wuppertal die 200 m gewann, nicht nur, weil er diese Saison in derselben Mannschaft startet wie ich und weil ich mir nun sagen kann, daß ich in Erkelenz und Euskirchen nicht irgendwem, sondern dem diesjährigen deutschen Meister unterlegen bin, sondern weil dieser schöne Erfolg zeigt, daß man auch im Alter noch dazulernen kann: Uli stand bereits vor 2 Jahren im Endlauf, führte auch bei 150 m deutlich, doch dann erwischte ihn eine Muskelzerrung. Wie immer man dazu stehen mag: Hätte er sich vorher ordentlich aufgewärmt, wäre das nicht passiert; aber auch erfahrene Spitzenläufer sind halt mitunter noch leichtsinnig wie die Kinder. Dieses Jahr machte er alles richtig und siegte überlegen. (Die "verlängerten" 100-m-Läufer waren gegen den gelernten 400-m-Läufer chancenlos; hätte er mit seinen langen Beinen nicht einen ebenso miserablen Start wie ich, wäre er ein ernsthafter Kandidat für die Senioren-Weltmeisterschaft.) Leider gab es auch Gegenbeispiele: Der 400-m-Nordrheinmeister von Erkelenz, Norbert Euskirchen, glaubte besonders clever zu sein, als er, statt 400 m zu laufen, sich im Stabhochsprung versuchte (eine Disziplin, die er als gelernter Zehnkämpfer eigentlich gut beherrscht). Er pokerte zu hoch, stieg erst bei 3,50 m ein und... landete ohne einen gültigen Versuch auf dem letzten Platz. (Weitere Ergebnisse und Kuriositäten aus Schweinfurt auf Annette's Seite, s.o.)

In der vierten Juliwoche fanden die offenen Senioren-Fünfkampfmeisterschaften des Kreises Heinsberg in Erkelenz statt. Die Sonne brannte heiß, und obwohl der Ausrichter die Veranstaltung vernünftigerweise auf den Spätnachmittag gelegt hatte, kamen die Akteure noch mächtig ins Schwitzen, was auf die Leistungen drückte - so auch bei mir: Einem mäßigen Weitsprung folgte ein ebenso mäßiger Speerwurf. Den 200-m-Lauf gewann ich wie fast immer leicht; allerdings verhinderte Gegenwind auf der Zielgeraden eine ordentliche Zeit. Da auch die anderen Gegenwind hatten, reichte es jedoch, um den bis dahin knapp hinter mir liegenden Sportfreund von Schlafhorst Palenberg um 2,5 sec. (250 Punkte) zu distanzieren; damit war der Wettkampf praktisch entschieden. Im Vorgefühl des sicheren Sieges gelangen mir dann noch persönliche Jahresbestleistungen im Diskuswurf und im 1.500-m-Lauf. (Wurde ja auch Zeit; berühmt war es immer noch nicht; zum Gewinn der Einzelmeisterschaften in diesen beiden Disziplinen - der mir vor zwei Jahren an einem guten Tag ohne gute Konkurrenz mal gelungen war - hätte das sicher nicht gereicht.) Was zeigt, daß psychologische Einflüsse eben auch bei jemandem, der sich davor gefeit glaubt, etwas ausmachen.

In der dritten Augustwoche fanden die Deutschen Seniorenmeisterschaften II in Hagen statt. Für Mitte August war es empfindlich kalt; und da ich mich darob im dicken Winter-Trainingsanzug einlief, war ich schon nach dem Aufwärmen wie aus dem Wasser gezogen. Erstmals hatte der Pulheimer SC eine 4x400-m-Staffel für die (kombinierte) Altersklasse M 40/45 zusammen bekommen, in der zwar kein einziger Pulheimer und kein einziger "echter" 400-m-Läufer stand - aber im Seniorenbereich sind die Staffeln praktisch aller Vereine bunt gemischt aus 200-, 400- und 800-m-Läufern. Letzteres muß kein Nachteil sein, da bei der 400-m-Staffel andere Gesetze gelten als beim 400-m-Lauf "solo". Die "Solo"-Läufer haben eigene Bahnen mit Kurvenvorgabe, d.h. sie kommen sich nicht in die Quere und müssen ihre Ellbogen nicht einsetzen. Bei der Staffel gilt das nur für die Startläufer. Vom ersten Wechsel an kämpfen alle Läufer um die Führungsposition auf der Innenbahn - je dichter das Leistungsvermögen beieinander liegt, desto härter, ähnlich wie beim 800-m-Lauf. Da sich unsere Staffel aus einem 200- und drei 800-m-Läufern zusammensetzte, hätte es aus taktischen Gründen nahe gelegen, unseren jüngsten und schnellsten als Startläufer auf "eigener" Bahn einen Vorsprung herauslaufen zu lassen, um unseren zweiten und dritten Läufern - schmächtigen Kerlchen (typischen Mittelstreckenläufern) Ende 40, die gegen die jungen 400-m-Spunde der Konkurrenz beim Drängeln das Nachsehen haben mußten - diese Drängelei zu ersparen. (Als hochgewachsener, relativ robuster Fünfkämpfer hätte ich mich am Schluß zur Not noch "durchtanken" können.) Aber unser Crack meinte, er sei nicht bereit, sich "kaputt zu machen", ohne zu wissen, ob es sich überhaupt lohnt. (Man muß die Vorgeschichte kennen: Vor neun Jahren, am Ende seiner "normalen" Sportlerkarriere, war er auch die 4x400-m-Staffel bei den Deutschen Meisterschaften gelaufen, hatte als Startläufer beim 1. Wechsel geführt, und seine Mannschaft war am Ende doch nur 10. geworden, also nicht mal in den Endlauf gekommen; damals hatte er sich "geschworen, nie wieder 400 m zu laufen".) Also lief er als letzter, und die undankbare Aufgabe des Startläufers blieb an mir hängen. Sie war umso undankbarer, als wir - Newcomer ohne vorherige "Bestzeit" - unter sieben Teams die ungünstige Bahn 7 zugeteilt bekamen, auf der man nicht sieht, wie man im Vergleich zu den hinter einem auf den Innenbahnen gestarteten Konkurrenten im Rennen liegt. Also mußte ich ohne Rücksicht auf Reserven Tempo machen; zum Glück ging das gut, und beim ersten Wechsel betrug mein Abstand sowohl zum Vorder- als auch zum Hintermann fast 10 m. Da auch meine Nachfolger diese Abstände in etwa hielten, klappten alle drei Wechsel ohne Rangeleien oder sonstige Probleme, und am Ende wurden wir immerhin Vizemeister. Mehr war nicht drin, zumal sich unser etatmäßiger zweiter Mann beim Abschlußtraining vier Tage zuvor unvorsichtigerweise verletzt hatte (ich hatte mich die ganze Woche zuvor bewußt geschont, d.h. nicht scharf trainiert) und wir mit einem (ebenso schmächtigen) Ersatzmann aus der Altersklasse der Fünfzigjährigen an den Start gehen mußten. (Gewiß, ein guter Läufer, Nordrheinmeister über 400 m in seiner Altersklasse, aber dennoch...)

Noch am selben Nachmittag verteidigte ich bei den offenen Kreismeisterschaften in Aachen erfolgreich meinen Titel im Fünfkampf - Höchstleistungen waren da allerdings nicht mehr zu erwarten. Zwar waren die Speer- und Diskuswürfe passabel, aber beim Weitsprung, beim 200- und besonders beim 1.500-m-Lauf hatte ich Blei in den Beinen (so schlecht war ich im Wettkampf wohl noch nie gelaufen). Was lernen wir daraus? Nie wieder Fünfkampf nach einem scharfen 400-m-Lauf! Was hatte zu dieser meiner Selbstüberschätzung geführt? Nun, zwei Jahre zuvor war es mir gelungen, am selben Tag die Kölner Kreismeisterschaften im 200-, 400- und 1.500-m-Lauf und im Diskuswerfen zu gewinnen - das war doch fast ein Fünfkampf, oder? Aber ich hatte dreierlei übersehen: 1. war damals ideales Wetter (angenehm warm, aber nicht zu heiß), während es diesmal so kühl war, daß in Aachen noch in der vorletzten Runde des 1.500-m-Laufs ein jüngerer Teilnehmer mit einer Muskelzerrung ausschied, 2. gehen die Anläufe beim Weitsprung und beim Speerwurf - die ich damals nicht machen mußte - eben doch ganz schön in die Beine, und 3. konnte ich damals mangels ernsthafter Konkurrenz die 400 m im Schongang laufen. Also: nicht zur Nachahmung empfohlen! (Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Übungen wie die 4x400-m-Staffel bei der DSM sind an sich schon nicht für jeden Freizeitsportler zu empfehlen, der "nur" Sportabzeichentraining macht; man braucht dazu entweder eine gewisse Veranlagung oder ein gewisses Mehr an Trainingsaufwand - mit beidem hätte es vielleicht sogar zur Meisterschaft gereicht.)

In der vierten Augustwoche fanden die offenen Kreismeisterschaften im Fünfkampf in Euskirchen statt. Wie schon in Aachen reichten mir zur erfolgreichen Titelverteidigung in allen Disziplinen recht bescheidene Leistungen, die zu Zeiten Carl Diehms mal gerade so die Sportabzeichen-Anforderungen erfüllt hätten. (Dennoch war ich noch weniger schlecht als der Sieger der nächstjüngeren Altersklasse.) Nicht ganz unschuldig waren die katastrophalen Windverhältnisse: Bei Gegenwind von bis zu -4,4 beim Weitsprung mußte man froh sein, wenn man überhaupt einen gültigen Versuch zustande bekam, auf gute Resultate hoffte man da vergeblich. Pünktlich zum Speerwerfen drehte der Wind um 90° und kam nun von hinten (beim Speerwurf braucht man Gegenwind), und da blieb er auch bis zum 200-m-Lauf, um uns auf der Zielgeraden voll ins Gesicht zu blasen. Aber das war es nicht allein: Immer wenn es darauf angekommen wäre, "eine Schippe drauf zu legen", sagte mir eine innere Stimme: "Riskier' nichts, in zwei Wochen ist DAMM-Endkampf, wir haben schon genug Verletzte." In der Tat war unser Lazarett schon so überfüllt, daß wir einen unserer herzkranken Sportinvaliden (Ex-Spitzensportler) reaktivieren mußten; als letzter gesunder Allrounder durfte ich nicht auch noch ausfallen. Unsere M 60er konnten sich dieses Jahr infolge vieler Verletzungen nicht für den Endkampf qualifizieren und hatten daher dieses Problem nicht - sie lieferten trotz des Gegenwinds in vielen Disziplinen Bestleistungen ab; für sie war es der Saison-Abschluß. Als Einlage versuchte eine Staffel der LG Bonn-Troisdorf-Niederkassel, den Landesjugendrekord über 3x1.000 (8:16) zu brechen. Nach einem taktisch dumm gelaufenen Rennen (Unerfahrenheit?!) verfehlte sie ihn nur um wenige Zehntel. Bei solchen Versuchen braucht man "Begleitschutz" in Form geübter Tempomacher (s.o., 3. Gruppe, Schnelligkeit), nicht die Ersatzstaffel desselben Vereins, die 100 m hinterherläuft. Kopfschüttelnd sahen die Mitglieder unserer 3x1.000-m-Staffel M 60 diesem Trauerspiel zu - sie hatten dieses Jahr (auf einem "Dorf-Sportfest") den Landesrekord geradezu spielend unterboten und gleich um 32 Sekunden verbessert (nun ja, in der Altersklasse stand er natürlich nicht bei 8:16). Hauptgesprächsthema waren jedoch die gerade zuendegehenden Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Sevilla und ihre gesammelten Dummheiten und Unsportlichkeiten: Von den Zehnkämpfern, die sich z.T. schon beim Aufwärmen verletzten, über den "Heimvorteil" spanischer Athleten (die Weitspringer durften ungestraft übertreten, etwas kurzsichtige Läufer durften als sogenannte "Sehbehinderte" den Blinden anderer Nationen die Behinderten-Medaillen wegschnappen) bis zu den Doping-Enthüllungen im Vorfeld. Ein Insider vertrat die Auffassung, daß immer nur "ältere" Athleten (damit meinte er solche über 30) am Ende ihrer Karriere erwischt würden, weil die Veranstalter sich von ihnen keine großen Geschäfte mehr versprechen, weshalb sie nicht bereit seien, die bei jüngeren, ebenso gedopten Athleten (bei den spanischen Marathonläufern z.B. pfiffen es die Spatzen vom Dach) üblichen Bestechungsgelder an die "Pippi-Labors" zu zahlen. Man kann nur hoffen, daß der Seniorensport von alledem frei bleibt...

In der zweiten Septemberwoche fand der Endkampf der DAMM in Menden/Sauerland statt. Diese Veranstaltung liegt in etwa soviel zu spät, wie die Deutschen Mehrkampfmeisterschaften der Senioren zu früh im Jahr liegen, denn was sich da zu den Deutschen Mannschaftsmeisterschaften, also dem vermeintlichen Höhepunkt der Saison, noch zusammenfand, war qualitativ und quantitativ erschreckend. Kaum ein Team ging noch in voller, geschweige denn in stärkster Besetzung an den Start, und für unseres endete es wieder mal enttäuschend: Nach dem Hochsprung und dem 800-m-Lauf lagen wir zwar an erster Stelle - aber das war uns auch schon in früheren Jahren gelungen. Danach pflegten wir, d.h. meist unsere Werfer und Weitspringer, einzubrechen. Diesmal schlugen sich die Werfer halbwegs passabel - dafür versagten ausgerechnet die Sprinter: Unser 200-m-Meister blieb in den Startblöcken kleben und wurde vorletzter (woraufhin er sogleich erklärte, "nie wieder 100 m laufen" zu wollen); unser reaktivierter Invalide quälte sich sichtlich, kam aber nichtmal in die Wertung. (Aber immer noch besser als er wäre schneller gelaufen und dafür im Krankenhaus gelandet.) So schob sich nach einem unerwarteten Doppelsieg der krasse Außenseiter TV Bürstadt (mit 12 Mann das kleinste Team, aber mit vier neuen Leuten vom Jahrgang 1959 auch das mit Abstand jüngste) vor uns und hielt diese Führung bis zum Weitsprung, bei dem der Titelverteidiger, die LG Bielefeld, indes mächtig aufholte. Danach kamen nur noch der 5.000-m-Lauf und die 4x100-m-Staffel - die doppelt zählt; Bürstadt (deren Staffel amtierender Deutscher Meister war) stellte bereits den Sekt kalt. Der 5.000-m-Lauf wurde mörderisch: In praller Hitze zu einer Uhrzeit gelaufen, da im Stadion nicht einmal mehr die Gegentribüne Schatten wirft - wenn sie denn diesen Namen überhaupt verdient; die Funktionäre, die eine Deutsche Meisterschaft in ein solches Kaff vergeben, das mit öffentlichen Verkehrsmitteln praktisch gar nicht und auf der Straße nur mit äußerster Schwierigkeit zu erreichen ist, dessen Stadion keinen Schatten und keine separate Werferanlage bietet und nur 6 Laufbahnen hat, auf deren äußersten schon die Zuschauerbeine hängen (gewiß, es waren nur jeweils 6 Teams am Start; aber bei 8 Bahnen hätte man die abgelatschte Innen- und die zuschauergefährdete Außenbahn frei lassen können), gehören solange bei 40° über den Platz gescheucht und geprügelt, bis sie entweder zurückgetreten sind oder hoch und heilig geschworen haben, hier nie wieder einen ernsthaften Wettkampf stattfinden zu lassen. (Das ist im ersten Ärger geschrieben, muß aber auch mal gesagt werden!) Unsere Langstreckenläufer liefen so gut, wie es die Umstände zuließen - die Cracks vom LAC Quelle Fürth/München waren noch nie zu schlagen gewesen, aber nach der Gesamtpunktzahl bereits aus dem Meisterschaftsrennen. Für Bürstadt wurde es tragisch: ihr 2. und 3. Läufer brachen ein, wurden überrundet und vermasselten den schon sicher geglaubten Gesamtsieg. Auch wir waren von Bielefeld überholt worden (einer unserer beiden neuen Weitsprung-"Cracks" hatte jämmerlich versagt; der Ersatzmann, ein über seine besten Jahre hinausgelangter "Oldie", gab sein bestes, aber das war halt nicht genug; und auch Bielefelds Langstreckenläufer waren überraschend stark). Dennoch - wir hatten auf dem Papier die bessere Staffel, es wäre also noch alles drin gewesen, wenn sich nicht kurz vor dem Start zwei unserer "Cracks" über der Frage zerstritten hätte, wem die Ehre zukam, Schlußläufer zu sein. (Nein, es waren nicht dieselben, die die Staffel im vergangenen Jahr vermasselt hatten und auch nicht die beiden, die dieses Jahr bei der DAMM-Nordrhein-Endrunde den Stab verloren hatten - aber "cracks will be cracks".) Kurzum, unsere Staffel schaffte es, sich nicht nur von Bielefeld, sondern auch vom bis dahin knapp hinter uns liegenden Ahrensburger TSV schlagen zu lassen, so daß wir am Ende in der Gesamtwertung noch auf den dritten Platz abrutschten. Es hätte nur noch gefehlt, daß uns auch Bürstadt wieder überholt hätte; aber deren Meisterstaffel war nach der 5.000-m-Katastrophe mit den Nerven völlig am Ende und versagte ebenfalls. Enttäuschend daran war nicht die Plazierung an sich als die Art ihres Zustandekommens. (Wie gesagt, es gibt keine "undankbaren" Plätze; einer unserer Werfer freute sich vielmehr so sehr, daß er nach der 3. Flasche Sekt verkündete, er werde sich die Urkunde einrahmen und in seinem Trainingsraum an die Wand hängen; und ich als Fünfkämpfer trauerte viel eher dem leichtfertig verschenkten Sieg der Mannschaft bei den Deutschen Mehrkampfmeisterschaften in Koblenz nach.) Die Enttäuschung wurde jedoch dadurch gemildert, daß unser M-50-Team Deutscher Meister wurde und dabei auch gleich einen neuen deutschen Rekord nach Punkten aufstellte. Das war freilich vor allem dem Umstand zu verdanken, daß der derzeit wohl weltbeste Mittelstreckenläufer seiner Altersklasse, Alfred Hermes, erstmals in dieser Saison unverletzt antreten konnte. Er gewann erst seinen 800-m-Lauf im "Schongang", und anschließend die 3.000 m, wobei er mit einer einzigen Ausnahme das gesamte Feld überrundete.

Damit war die Saison 1999 beendet, und inmitten des Jubels und der salbungsvollen Reden über diesen schönen Erfolg dachte niemand mehr daran, daß unsere M 50er ihn ohne ihren noch im letzten Jahr besten Allrounder, Dieter Millbradt (einen der weltbesten Zehnkämpfer seiner Altersklasse) errungen hatten, der im Juli einem Krebsleiden erlegen war und der wenigstens an dieser Stelle noch einmal erwähnt werden soll.

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