Prof.Dr.Dr. Joseph Schmucker-von Koch

Ist der Mensch als Wertbegriff ein Anachronismus ? Überlegungen zur Humanismus-Kritik Peter Sloterdijks aus bioethischer Sicht.

QC-Lecture: November 6,1999

An den Anfang unserer Überlegungen zum Thema des heutigen Nachmittags 
möchte ich ein Gedicht von Heinrich Heine stellen, das direkt auf 
unser Thema Bezug nimmt. Es trägt den Titel 'Fragen' und wurde von 
Heine 1826 niedergeschrieben. Es lautet:
 
 
                      Am Meer, am wüsten, nächtlichen Meer
                      Steht ein Jüngling-Mann,
                      Die Brust voll Wehmut, das Haupt voll Zweifel,
                      Und mit düstern Lippen fragt er die Wogen:
 
                      "O löst mir das Rätsel des Lebens,
                      Das qualvoll uralte Rätsel,
                      Worüber schon manche Häupter gegrübelt,
                      Häupter in Hieroglyphenmützen,
                      Häupter in Turban und schwarzem Barett,
                      Perückenhäupter und tausend andre
                      Arme, schwitzende Menschenhäupter-
                      Sagt mir, was bedeutet der Mensch ?
                      Woher ist er kommen ? Wo geht er hin ?
                      Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen ?"
                                        
                      Es murmeln die Wogen ihr ewges Gemurmel,
                      Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken,
                      Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt,
                      Und ein Narr wartet auf Antwort.(1)
( Heine, H.: Werke, hrsg. von Paul Stapf, Wiesbaden o.J., Bd.1, 276)
 
In dem eben zitierten Gedicht schildert Heinrich Heine in düsteren und
verzweifelten Worten die Antwortlosigkeit, die das menschliche Dasein,
das doch für jeden von uns das allernächste ist, für sich selbst 
darstellt.Heinrich Heine hat hier einen Problemzusammenhang auf 
dramatische Weise verschärft, der zum Menschsein des Menschen 
schlechthin gehört.
"Nur ein Narr wartet auf Antwort." Wäre das freilich wirklich alles,
was zum Thema des heutigen Vortrags zu sagen wäre, so könnten wir ihn
getrost gleich wieder beschließen. Doch wird wohl keiner hier dann 
damit zufrieden sein, am wenigsten wohl unser Vorsitzender, dem ich
für die Einladung zum Vortrag an dieser Stelle noch einmal 
ausdrücklich danken möchte. Von der Philosophie erwartet man
mit Recht, daß sie etwas mehr zur Frage "Was ist der Mensch ?" 
zu sagen weiß, als Heinrich Heine in seiner Verzweiflung für alles 
Nachdenken des Menschen überhaupt für möglich hält. 
Schließlich ist die über 2500 jährige Geschichte der Philosophie gar
nicht verständlich ohne die Frage, die der Mensch sich selbst ist. 
Auch die Geschichte der Mythen und Religionen ist untrennbar mit 
dieser Frage verbunden. Ja, es gäbe überhaupt keine einzige Kultur 
auf dieser Welt, wenn nicht immer wieder von neuem versucht worden 
wäre, eine Antwort auf die Frage des Menschen nach sich selbst zu 
finden.
Ich habe eben betont im Plural gesprochen und damit schon einen
ersten Hinweis gegeben, wie die Frage des Menschen nach sich selbst
adäquat zu verstehen ist.
Im Ringen des Menschen um das Verständnis seiner selbst in dieser 
Welt sind auf dem Weg aller Kulturen durch die Geschichte Antworten 
versucht worden - es sind viele Antworten, doch gibt es nicht 
die Antwort. Nur in diesem Sinne hat Heinrich Heine recht, 
wenn er resignierend feststellt: "Nur ein Narr wartet auf Antwort". 
Ohne die düstere Tönung, die Heine seiner Formulierung gibt, können
wir jedoch feststellen, daß diese spezifische Antwortlosigkeit des
menschlichen Daseins nicht bloß als etwas Negatives und Belastendes 
gesehen werden muß. Sie hat auch einen positiven Aspekt, den zu 
vernachlässigen uns um gewichtige Einsichten in das Wesen des
Menschen bringen würde: Ich möchte es einmal so formulieren: 
Der Mensch ist etwas viel zu Umfassendes, als daß man die Fülle
seines Seins mit einer einzigen Antwort gleichsam einfangen könnte. 
Wo immer dies in der Geschichte versucht wird, wird das Menschsein des
Menschen auf unzulässige Weise reduziert, eine geistig-kulturelle
Erstarrung des Menschen ist die Folge. Je offener eine Kultur für neue
Antworten ist, für die schöpferische Entwicklung daseinsleitender 
Orientierungsinhalte, um so lebendiger ist sie, um so bedeutsamer 
ist ihr Beitrag fürdie Entwicklung der Menschheit.
Die Frage nach dem Menschen - abgesehen davon, dass sie nach Kant 
zu den mit der Natur des Menschen selbst gegebenenen Fragen des
menschlichen Lebens gehoert - erhielt unerwartete Aktualitaet durch 
eine Debatte, die der deutsche Philosoph Sloterdijk ausgeloest hat. 
Er hielt vor einigen Monaten einen Vortrag, der die Zuhoererschaft,
unter ihr prominente juedische Philosophen und Theologen, gehoerig 
verschreckte. Im Habitus und Aussehen ganz Alt-68 er, hat da dieser 
Mann ploetzlich Thesen vertreten, die so gar nicht damit                                                                         
uebereinstimmten und bei manchem Zuhoerer gehoeriges Entsetzen 
ausloesten. Da war ja kein Anfaenger, auch kein Nemo am Werk, sondern
ein Mann von hoechster Professionalitaet, ein Suhrkamp-Autor, bekannt 
durch zahlreiche Buchveroeffentlichungen und vielfaeltige
Medienauftritte. Was war geschehen, dass gleich vom SPIEGEL 
ueber die ZEIT bis zur SUEDDEUTSCHEN ZEITUNG und anderen Blaettern
ein einziger Sturm der Entruestung losbrach ?  Der Vortrag, den 
Sloterdijk auf dem suedbayerischen Schloss Elmau hielt, trug den 
Titel: „Regeln fuer den Menschenpark”. Untertitel: Ein Antwortschreiben 
zum Brief ueber den Humanismus”. Nun macht der Titel gleich etwas 
erstaunen: „Regeln fuer den Menschenpark”. Menschenpark ? 
Tierpark, ja, den Begriff kennt man. Aber Menschenpark ? Damit ist 
wohl keiner so richtig vertraut, und die Vermutung regt sich in einem,
da solle vielleicht die menschliche Gesellschaft in Analogie zum 
Tierpark gedacht und vorgefuehrt werden, ja vielleicht nicht einmal 
in Analogie. Vielleicht meint der Autor ja, dass es da keinen
prinzipiellen Unterschied gibt, oder eben nur den, dass im Tierpark
die Regeln des Verhaltens schon festliegen, waehrend sie fuer den 
Menschenpark noch gefunden werden muessen. In der Tat haben sich 
viele Zuhoerer und Kritiker dann insbesondere ueber dieses 
Menschenpark-Vokabular echauffiert und den Alt-68 er unter 
Faschismusverdacht gestellt - als habe der bisher in dieser Richtung
nicht auffaellige Mann nun die Katze aus dem Sack gelassen, 
oder -philosophischer ausgedrueckt-:endlich die Quintessenz seiner
theoretischen Grundposition geoffenbart, die er bisher nicht
zu zeigen wagte. Leider hat Sloterdijk in manchen Äusserungen 
anderswo diesem  Schnellschuss vorgearbeitet. Ich habe schon vor 
Jahren hier in diesem Haus im Rahmen eines Vortrags (der dann in der
Zeitschrift Eleusis Heft 2/1995 veroeffentlicht wurde), darauf 
hingewiesen, dass beim 29. Baden Badener  Disput 1994 ein prominenter
Teilnehmer die Ueberzeugung vertrat, die aufklaererische Idee des 
Menschen und seiner sinnvermittelnden Vernunft als Medium 
rationaler Weltgestaltung und als friedenstiftende Instanz sei
Unsinn, der Mensch koenne - so die woertliche Einlassung- nur seine
eigene Idiotie feststellen, und dieser Sachverhalt entspreche ja
auch seiner biologischen Herkunft. Der Zitierte war Sloterdijk (vgl.
ebenda Seite 21).Wer -meine sehr verehrten Damen und Herren- die 
Differenz zwischen Mensch und Tier so radikal einzieht wie Sloterdijk
und ueberdies alles menschliche Kulturschaffen unter prinzipiellen 
Sinnlosigkeitsverdacht stellt, der begibt sich in gefaehrliches 
Fahrwasser: es besteht die Gefahr,  jederzeit umzukippen in eine 
gefaehrliche Arroganz, die Arroganz der Menschenverachtung. 
So haben denn auch viele Zuhoerer die Regeln fuer den Menschenpark 
verstanden: dass da naemlich einer fuer die Herdentiere der grossen
Masse Zuechtungsprogramme auf der Basis der gentechnologischen 
Moeglichkeiten fordere, ueber deren Regeln wir uns noch verstaendigen
muessten. Leider hat Sloterdijk durch seine Begriffswahl dieser
Interpretation Vorschub geleistet. Ihm unterlief der Fehler einer 
ungeschickten Umschreibung dessen, was in den Biowissenschaften 
an normativen Elementen aktuell in Kraft ist und in Zukunft weiter 
ausdifferenziert werden muss. 

Das Problem, das der Vortragstext stellt und das natuerlich gerade 
fuer den eben angesprochenen Bereich der normativen Steuerung der 
Biowissenschaften von ungeheurer Wirkung ist, sehe ich in einem ganz
anderen Bereich, den der Untertitel des Vortrags angibt, der da 
lautet: ein Antwortschreiben zum Brief ueber den Humanismus. 
Martin Heidegger hat nach dem II. Weltkrieg an einen franzoesischen 
Bewunderer namens Jean Beaufret einen Brief geschrieben, der dann 
als "Brief ueber den Humanismus” auch veroeffentlicht wurde. In 
diesem Brief wird der Humanismus, der den Menschen als Wertbegriff
in den Mittelpunkt allen Denkens und Handelns stellt -salopp 
gesprochen- zur Wurzel alles geschichtlichen und gesellschaftlichen 
Uebels erklaert: dass er naemlich letztlich schuld sei an der 
totalen Unterjochung alles Seienden unter die Herrschaft des Menschen 
und so zur Seinsvergessenheit gefuehrt habe 
„Unter dieser  Perspektive -so  interpretiert Sloterdijk Heidegger- 
muß sich der Humanismus als natürlicher Komplize aller nur möglichen
Greuel anbieten, die im Namen des menschlichen Wohls begangen werden 
können. Auch in der tragischen Titanomachie der Jahrhundertmitte 
zwischen Bolschewismus,  Faschismus und Amerikanismus standen 
sich - aus Heideggers Sicht - lediglich drei Varianten derselben 
anthropozentrischen Gewaltund drei Kandidaturen für eine humanitär
verbrämte Weltherrschaft gegenüber - wobei der Faschismus aus der 
Reihe tanzte, indem er seine Verachtung für hemmende Friedens- und 
Bildungswerte offener als seine Konkurrenten zur  Schau 
stellte.” (Sloterdijk in:DIE ZEIT, Nr.38, 16.September 1999). 
Statt sich von ihr zu distanzieren, greift Sloterdijk diese 
Humanismus-Kritik Heideggers auf und vertieft sie noch. Hier liegt
das zentrale Problem des Sloterdijkschen Vortrags: in der Abwertung
des Humanismus mit der Folgewirkung, dass dann wirklich fuer 
kuenftige biotechnologische Fortschritte der Menschheit, die auch 
Eingriffe in die Natur allgemein wie auch in die Natur des Menschen
implizieren, keine Massstaebe, keine Bewertungs- und 
Entscheidungskriterien  mehr zur Verfuegung stehen. Woher sollen sie
auch stammen, wenn der Humanismus fuer tot erklaert wird, es keine 
Dimension der Selbstverstaendigung des Menschen mehr gibt, in der er 
als Wertbegriff zur Geltung kommt  mit einer spezifischen Wuerde und
spezifischen Rechten, unveraeusserlichen Rechten, wie sie in den 
Verfassungen aller demokratischen Laender kodifiziert sind. 
Spaetestens hier hat man Schwierigkeiten, Sloterdijks Ausfuehrungen 
nachzuvollziehen. Um welchen Humanismus handelt es sich denn nun 
genauer, dass man ihn derart anklagen und verwerfen kann, 
wie Sloterdijk dies tut ? Der Verdacht draengt sich auf, dass der 
Humanismus mit all seinen geistesgeschichtlichen, politischen und 
sozialen Folgewirkungen nicht genuegend durchdacht wurde. 
Ist der Humanismus von Sloterdijk denn zureichend bestimmt worden, 
was ja allein dazu berechtigte, ueber seine Zukunft den Stab 
zu brechen ? Die Klaerung dieser Frage ist von ausserordentlicher 
Wichtigkeit, weil von ihr abhaengt,  ob wir ueberhaupt noch mit 
ethischen Forderungen an den naturwissenschaftlich-technischen 
Fortschritt im allgemeinen und den biotechnologischen Fortschritt 
im besonderen herantreten duerfen. 
Zunaechst einmal verwundert es, dass Sloterdijk in einer ersten 
Bestimmung den Humanismus auf ein literarisches Phaenomen, ein 
Phaenomen literarischer Gebildetheit reduziert.  Ich zitiere:
„Bücher, so hat der Dichter Jean Paul einmal bemerkt, sind 
dickere Briefe an Freunde. Mit diesem Satz hat er Wesen und Funktion 
des Humanismus quintessentiell und anmutig beim Namen genannt:
Er ist freundschaftstiftende Telekommunikation im Medium  der Schrift. 
Was von den Tagen Ciceros an humanitas heißt, gehört im engsten und 
im weitesten Sinne zu den Folgen der Alphabetisierung.”
(Sloterdijk,ebda.) Und weiter:”Man könnte somit das allen Humanismen
zugrundeliegende kommunitarische Phantasma auf das Modell einer 
literarischen Gesellschaft zurückführen, in der die Beteiligten 
durch kanonische Lektüren ihre gemeinsame Liebe zu inspirierenden 
Absendern entdecken. Im Kern des so verstandenen Humanismus entdecken
wir eine Sekten- oder Club-Phantasie- den Traum von der 
schicksalhaften Solidarität derer, die dazu auserwählt sind, lesen 
zu können..”(Sloterdijk,ebda). „Die Humanisierten sind zunächst nicht
mehr als die Sekte der Alphabetisierten, und wie in vielen anderen
Sekten treten auch in dieser expansionistische und universalistische
Projekte an den Tag. Wo der Alphabetismus phantastisch und 
unbescheiden wurde,  dort entstand die grammatische oder litterale
Mystik, die Kabbala, die davon schwärmt, Einsicht in die
Schreibweisen des Weltverfassers zu nehmen .”(Sloterdijk 
in: DIE ZEIT, Nr.38, 16.September 1999)                                                           
Hier wird man das erste mal so richtig stutzig: Angesichts eines so 
weit gefassten Begriffs des Humanismus fraegt man sich unwillkuerlich: 
Folgt aus einer solchen Entgrenzung des Begriffs  nicht, dass am Ende
jeder des Lesens Kundige ein Humanist ist ?  So kann man doch wohl 
nicht mit dem Begriff wissenschaftlich umgehen. Ferner: die Kabbala
als Resultat eines humanistischen Expansionismus und Universalismus
vorzufuehren - also da mag so manchem anwesenden juedischen
Theologen und Philosophen auf Schloss Elmau der Atem gestockt haben.
Ausserdem fragt man sich natuerlich schon, warum hier gerade die
juedische Mystik ins Zwielicht gerueckt wird. Die deutsche Mystik
 -was allerdings genauso unsinnig gewesen waere- haette es ja wohl
auch getan, letztlich alle Traditionen einer umfassenden 
Welterklaerung. Wie auch immer - diese Entgrenzung des 
Humanismusbegriffs zu einem blossen Alphabetisierungsphaenomen ist 
dem Begriff voellig unangemessen,  hat aber im Gesamtkonzept
des Autors eine bestimmte Funktion: Da heute sehr viel  weniger
gelesen werde als frueher, die Massenkultur andere Medien habe 
wie z.B. das Fernsehen, sei es eben auch mit dem Humanismus vorbei. 
Das will uns ja der Autor immer wieder sagen: Der Humanismus ist tot. 
So wird freiweg festgestellt: „ Durch die mediale Etablierung der
Massenkultur in der Ersten Welt 1918 (Rundfunk) und nach 1945 
(Fernsehen) und mehr noch durch die aktuellen Vernetzungsrevolutionen 
ist die Koexistenz der Menschen in den aktuellen Gesellschaften auf 
neue Grundlagen gestellt worden. Diese sind, wie sich ohne Aufwand
zeigen laesst, entschieden postliterarisch, post-epistolographisch 
und folglich post-humanistisch.”. (Sloterdijk in :DIE ZEIT, Nr.38,
 16.September 1999, Hervorhebung von mir)

Natuerlich hat Sloterdijk recht, wenn er vom Ende des 
bildungsbuergerlichen Humanismus des 19. Jahrhunderts  
spricht, der seine Identitaet aus der Kenntis eines gemeinsamen 
Kanons ehrwuerdiger Schriften bezog. Aber das ist doch nicht der
Humanismus ! Der Humanismus als geistesgeschichtliche Bewegung ist 
ueberhaupt nicht nur ein literarisches Phaenomen. Der Humanismus ist
auch eine emanzipatorisch, sozialkritisch und politisch gerichtete 
Bewegung, die in der Franzoesischen Revolution und  der Erklaerung 
der Menschen- und Buergerrechte  nicht mehr auszuloeschende Zeichen 
in der Geschichte gesetzt hat. So sah es schon Immanuel Kant,
der mit diesen Ereignissen die Menschheit auf dem Weg des 
Fortschritts zum Besseren sah,  so sah es Goethe, so sah es die
ganze zivilisierte Welt, die in ihre Verfassungen die Menschrechte
aufnahm. Im Namen des Humanismus wird um soziale Rechte gekaempft,
um Autonomie und Selbstbestimmung, es geht in ihm „um den Ausgang 
des Menxchen aus seiner selbstverschuldeten Unmunedigkeit”, wie Kant
wegweisend formulierte. Im Medium der Schrift wird das alles 
verbreitet und unter die Leute gebracht,  in heftigen Kaempfen unter 
oft grossen persoenlichen Opfern durchgefochten. Diese
emanzipatorisch-kritische Bedeutung des Humanismus einfach 
auszublenden ist nicht statthaft, den Humanismus auf ein rein 
literarisches Geschehen, auf die Instrumente seiner Verbreitung 
also zu reduzieren ist der Sache so unangemessen, als wollte man
jemandem, der vor einem Teller mit schoenem Besteck sitzt und sich 
aufs Essen freut, sagen, dies sei schon das Essen.
Natuerlich hat Lesen auch seine Wirkung, und diese Wirkung 
thematisiert Sloterdijk ja auch,  jedoch auch wiederum nur in 
eingeschraenkter Weise, mit der Brille des literarischen Humanismus-
begriffs sozusagen.  Ich darf wieder zitieren: „Das latente Thema des
Humanismus ist ... die Entwilderung des Menschen, und seine latente
These lautet: Richtige Lektuere macht zahm.”(Sloterdijk, ebda). 
Hier wird nur ganz formal und unbestimmt genannt, was das 
eigentliche Ziel des Humanismus sein soll: die Entwilderung des
Menschen. Und das soll -so Sloterdijks Auffassung des Humanismus- 
die richtige Lektuere leisten. Die Folge dieser Reduktion
des Humanismus  auf ein letztlich kleinbuergerliches Bildungsphaenomen
laesst sein Ende dann umso leichter prognostizieren. Hierfuer wird 
Nietzsche als Kronzeuge bemueht. Was ist das Ergebnis dieses 
literarischen Projekts der Entwilderung genannt Humanismus ?
Mit Nietzsche wird die Antwort gegeben. Sloterdijk zitiert:

     "Denn er
      Zarathustra) wollte in Erfahrung bringen, was sich                  
      inzwischen m i t d e m M e n s c h e n zugetragen
      habe: ob er grösser oder kleiner geworden sei. Und
      einmal sah er eine Reihe neuer Häuser; da wunderte er
      sich und sagte: Was bedeuten diese Häuser?
      Wahrlich, keine große Seele stellte sie hin, sich zum
      Gleichnisse! ...diese Stuben und Kammern: können M
      ä n n e r da aus- und eingehen? - Und Zarathustra blieb
      stehen und dachte nach. Endlich sagte er betrübt: 'Es
      ist A l l e s kleiner geworden!' Überall sehe ich
      niedrigere Thore: wer me i n e r Art ist, geht da wohl
      noch hindurch, aber - er muß sich bücken! . . . Ich
      gehe durch diess Volk und halte die Augen offen: sie
      sind kl e i n e r  geworden und werden immer kleiner: - 
      d a s   a b e r  m a c h t  i h r e L e h r e  v o n G l ü c k 
      u n d  T u g e n d. Einige von ihnen wollen, aber die Meisten
      werden nur gewollt . . . . . . Rund, rechtlich und gütig
      sind sie miteinander, wie Sandkörnchen rund, rechtlich
      und gütig mit Sandkörnchen sind. Bescheiden ein
      kleines Glück umarmen - das heissen sie 'Ergebung'! .
      . . Sie wollen im Grunde einfältiglich Eins am meisten: 
      dass ihnen Niemand wehe thue . . . Tugend ist ihnen
      das, was bescheiden und zahm macht: damit machten
      sie den Wolf zum Hunde und den Menschen selber zu
      des Menschen bestem Hausthiere." (KSA 4, 211-214)
      (zitiert von Sloterdijk in DIE ZEIT, Nr. 38, 16.September 1999)
   
      Sloterdijk kommentiert diese Nietzsche-Stelle wie folgt. 
      Ich zitiere im folgenden deshalb so ausfuehrlich,  um die ganze
      Tragweite der Ausfuehrungen Sloterdijks 
      sichtbar zu machen.

     „Ohne Zweifel verbirgt sich in dieser rhapsodischen
      Spruchfolge ein theoretischer Diskurs über den
      Menschen als eine zähmende und züchtende Gewalt.
      Aus Zarathustras Perspektive sind die Menschen der
      Gegenwart vor allem eines: erfolgreiche Züchter, die es
      vermocht haben, aus dem wilden Menschen den
      letzten Menschen zu machen. Es versteht sich von
      selbst, daß dergleichen nicht nur mit humanistischen,
      zähmend-abrichtend-erzieherischen Mitteln geschehen
      konnte. Mit der These vom Menschen als Züchter des
      Menschen wird der humanistische Horizont gesprengt,
      sofern der Humanismus niemals weiter denken kann
      und darf als bis zur Zähmungs- und Erziehungsfrage:
      Der Humanist läßt sich den Menschen vorgeben und
      wendet dann auf ihn seine zähmenden, dressierenden,
      bildenden Mittel an - überzeugt, wie er ist, vom
      notwendigen Zusammenhang zwischen Lesen, Sitzen
      und Besänftigen. Nietzsche hingegen - der Darwin und
      Paulus gleich aufmerksam gelesen hat - meint, hinter
      dem heiteren Horizont der schulischen
      Menschenzähmung einen zweiten, dunkleren Horizont
      wahrzunehmen. Er wittert einen Raum, in dem
      unvermeidliche Kämpfe über Richtungen der
      Menschenzüchtung beginnen werden -und dieser Raum
      ist es, in dem sich das andere, das verhüllte Gesicht
      der Lichtung zeigt. Wenn Zarathustra durch die Stadt
      geht, in der alles kleiner geworden ist, nimmt er das
      Ergebnis einer bislang erfolgreichen und unumstrittenen
      Züchtungs- politik wahr: Die Menschen haben es ­ so 
      scheint es ihm - mit Hilfe einer geschickten Verbindung
      von Ethik und Genetik fertiggebracht, sich selber
      kleinzuzüchten. Sie haben sich selbst der
      Domestikation unterworfen und eine Zuchtwahl in
      Richtung auf haustierliche Umgänglichkeit bei sich
      selbst auf den Weg gebracht. Aus dieser Einsicht
      entspringt Zarathustras eigentümliche
      Humanismus-Kritik als Zurückweisung der falschen
      Harmlosigkeit, mit der sich der neuzeitliche gute
      Mensch umgibt. Tatsächlich, es wäre nicht harmlos,
      wenn Menschen Menschen in Richtung auf
      Harmlosigkeit züchteten. Nietzsches Verdacht gegen
      alle humanistische Kultur dringt darauf, das
      Domestikationsgeheimnis der Menschheit zu lüften. Er
      will die bisherigen Inhaber der Züchtungsmonopole - die
      Priester und Lehrer, die sich als Menschenfreunde
      präsentierten - beim Namen und ihrer verschwiegene
      Funktion nennen und einen weltgeschichtlich
      neuartigen Streit zwischen verschiedenen Züchtern und
      verschiedenen Züchtungsprogrammen lancieren. Dies
      ist der von Nietzsche postulierte Grundkonflikt aller
      Zukunft: der Kampf zwischen den Kleinzüchtern und
      den Großzüchtern des Menschen - man könnte auch
      sagen zwischen Humanisten und Superhumanisten,
      Menschenfreunden und Übermenschenfreunden. Das
      Emblem Übermensch steht in Nietzsches
      Überlegungen nicht für den Traum von einer schnellen
      Enthemmung oder einer Evasion ins Bestialische - wie
      die gestiefelten schlechten Nietzsche-Leser der 30er                                       
      Jahre wähnten. Der Ausdruck steht auch nicht für die
      Idee einer Rückzüchtigung des Menschen zum Status
      vor der Haustier- und Kirchentierzeit. Wenn Nietzsche
      vom Übermenschen spricht, so denkt er ein Weltalter
      tief über die Gegenwart hinaus.  Er nimmt Maß an
      den zurückliegenden tausendjährigen Prozessen, in
      denen bisher dank intimer Verschränkungen von
      Züchtung, Zähmung und Erziehung
      Menschenproduktion betrieben wurde - in einem
      Betrieb freilich, der sich weitgehend unsichtbar zu
      machen wußte und der unter der Maske der Schule
      das Projekt Domestikation zum Gegenstand hatte. Mit
      diesen Andeutungen - und mehr als Andeutendes ist
      auf diesem Feld weder möglich noch statthaft - steckt
      Nietzsche ein riesenhaftes Gelände ab, auf dem sich
      die Bestimmung des Menschen der Zukunft wird
      vollziehen müssen, gleichgültig ob dabei Rückgriffe auf
      das Übermensch--Konzept eine Rolle spielen oder
      nicht.” (Sloterdijk in: DIE ZEIT, Nr.38, 16.September 1999)
      Und weiter:
      ... der Diskurs über die   Differenz und 
      Verschränkung von Zähmung und
      Züchtung, ja überhaupt der Hinweis auf die Dämmerung
      eines Bewußtseins von Menschenproduktionen und
      allgemeiner gesprochen: von Anthropotechniken - dies
      sind Vorgaben, von denen das heutige Denken den
      Blick nicht abwenden kann, es sei denn, es wollte sich
      von neuem der Verharmlosung widmen ....(Sloterdijk,ebda.)
      Doch auch nach Abzug der überspannten und
      argwöhnisch-antiklerikalen Momente bleibt von
      Nietzsches Idee ein hinreichend harter Kern zurück,
      um ein späteres Nachdenken über die Humanität
      jenseits der humanistischen Harmlosigkeit zu
      provozieren. Daß die Domestikation des Menschen das
      große Ungedachte ist, vor dem der Humanismus von
      der Antike bis in die Gegenwart die Augen abwandte
      -dies einzusehen genügt, um in tiefes Wasser zu
      geraten.” (Sloterdijk,ebda.)

                   
In dem eben zitierten Kommentar Sloterdijks sind zwei Thesen 
enthalten, die ich noch einmal kurz zusammenfassen moechte:
1. Aller Humanismus in der bisherigen Geschichte der Menschheit 
hat zu einer Domestikation des Menschen gefuehrt, die ihn 
zum „letzten Menschen” im Sinne Nietzsches machte, einem voellig
degenerierten Wesen, das herumhuepft in seiner Welt wie der
„Erdfloh”  (so lautet  ein Charakteristikum des letzten Menschen
 bei Nietzsche). An ihm geht Zarathustra veraechtlich vorueber. 
Denn dieser Mensch huepft bloss von einem beliebigen Punkt zum anderen,
ohne Ziel, sein Leben hat keinen Sinn. „Was ist Liebe, was ist 
Sehnsucht, was ist Stern ? sagt der letzte Mensch und blinzelt”.
So steht es im "Zarathustra".
Die humanistische Domestizierung brachte also lauter Herdentiere 
hervor, lauter fuer ein „grosses Leben” untuechtige Schwaechlinge, 
und dieser Domestizierung setzt  Nietzsche nun sein Konzept des 
Uebermenschen entgegen, des starken Menschen, die „blonde Bestie”, 
wie er selbst es nennt, die ihre eigene Machr liebt und sich nicht 
scheut, ruecksichtslos ihre Macht nach eigenem Gutduenken auszuueben,
der als Herrschaftsform die Staerke der Unterjochung lieber ist als 
die Demokratie der Wahl.

2. Da der alte Humanismus gescheitert ist, wird eine neue Epoche
der Menschenzuechtung heraufziehen, die viel tiefer ins menschliche 
Leben eingreift als die des bloss literarisch wirksamen alten 
Humanismus. Die neuen Moeglichkeiten der Biowissenschaften erlauben 
die Zuechtung eines neuen Menschen. Das lichtet sich zumindest am
Horizont, um in Sloterdijks Heidegger-Paraphrase zu sprechen. Was 
das dann genau sein soll, diese Welt des neugezuechteten Menschen,
darueber wird -Sloterdijks Text laesst keine andere Instanz finden- 
von Maechtigen im Sinne der Uebermenschen Nietzsches entschieden 
werden.

Sloterdijk hat sich hier in ein aufregendes Dilemma manoevriert, 
das dann zu den bekannten oeffentlichen Reaktionen fuehrte. 
Das Dilemma besteht darin, dass sich Sloterdijk durch die Kritik am 
Humanismus, den er fuer gescheitert erklaert, sich jeglicher 
Moeglichkeit begibt, vernuenftige Kriterien oder Regeln fuer die 
humanvertraegliche Gestaltung des biowissenschaftlichen Fortschritts 
und seiner Anwendung auf den Menschen zu formulieren. 
Man gewinnt den Eindruck, dass am Ende irrationale Akte der Macht
selbsterklaerter Uebermenschen sich des Schicksals der Menschheit
bemaechtigen.
Das Ganze geraet deshalb so schief und wird deshalb so heftig
kritisiert,weil ein voellig unzureichender Begriff des Humanismus
als fixe Leitidee fungiert: Ein Begriff des Humanismus ist solange 
nicht zureichend bestimmt, solange er nicht auch die 
emanzipatorische und sozialkritische Funktion des Humanismus 
einbezieht. Der Humanismus hat in Gestalt der Aufklaerung -wie 
schon ausgefuehrt- das Programm des Ausgangs des Menschen aus 
seiner selbstverschuldeten Unmuendigkeit (Kant) entfaltet. 
Dieses Programm hat zu sehr konkreten geschichtlichen Ergebnissen 
gefuehrt, deren Nutzniesser wir alle heute sind und ohne die 
Sloterdijk keine Zeile von dem haette schreiben koennen, was er 
geschrieben hat. Ich zaehle diese geschichtsmaechtigen Ergebnisse, 
die unabdingbare Voraussetzung sind fuer eine vernuenftige Gestalt
menschlicher Zukunft, hier kurz auf:



1. Das Legalprinzip

Die Neuformulierung des rechtsstaatlichen Prinzips, das den Schutz
eines jeden Bürgers zur öffentlichen Aufgabe macht, jeden Bürger des
Staats unter das gleiche Gesetz stellt und die Macht der Magistrate
an die Gesetze bindet: es ist letztlich die libertas Romana des
Römischen Bürgerrechts, die vom 17. Jahrhundert ab neu
erkämpft wurde.
 
2. Die Glaubensfreiheit im Staat - die religiöse Toleranz.

Der Grundsatz cuius regio, eius religio, der aus der byzantinischen
Grundform bis in die Reformationszeit gültig war, wich vom 
17. Jahrhundert an allmählich der Toleranzidee. Der Staat des                                                                          
19. Jahrhunderts setzt nicht mehr voraus, daß seine Bürger religiös 
übereinstimmen; er gewährt allen Glaubensformen Schutz und Freiheit, 
sofern sie seine sittlichen Grundlagen nicht gefährden. Die
Durchführbarkeit dieses Prinzips bleibt fortan problematisch, weil 
religiöse Auffassungen und Haltungen auch immer die sittlichen 
Grundlagen des Zusammenlebens im Staate berühren.
 
3. Die Freiheit in Forschung und Lehre

Mit der Glaubensfreiheit hängt die Gewissensfreiheit aufs engste 
zusammen:
die Freiheit von Forschung und Lehre, die libertas philosophandi. 
Mit der Renaissance und dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaften
tritt die Selbstsicherheit einer rein sachgemäß-empirischen und 
ausschließlich methodischen Gebundenheit des Denkens in den 
Vordergrund tritt. Übergreifende Orientierungsvorgaben für 
Wissenschaft und Forschung werden als Einmischung von außen empfunden
und zurückgewiesen. Johann Gottlieb Fichte wird 1793 von den
Fürsten Europas in einer Schrift gleichen Titels die "Rückgabe der
Denkfreiheit" fordern, und Freiheit des Forschens wurde den Lehrern
an den neuen Universitäten Halle(1690), Göttingen (1736) und Berlin (1810)
eingeräumt. In der Humboldtschen Universitätsreform wurde sie nicht 
nur gestattet, sie wurde geradezu als eine Forderung des Staates 
erkannt, die im wohlverstandenen Interesse auch gerade des sittlichen
Konsensus liege.
Seitdem ist die Freiheit der Wissenschaft in Forschung und Lehre ein
allgemein anerkanntes Prinzip demokratischer Staaten und als
wesentliche Voraussetzung des wissenschaftlichen Fortschritts wirksam.
Auch Sloterdijk erfreut sich ihrer. Sie ist keine Selbstverstaend-
lichkeit, wie wir speziell aus der juengeren 
deutschen Geschichte (Nationalsozialismus und Kommunismus) wissen. 

4. Die Freiheit der Person 

Die Freiheit der Person gegenüber dem Zugriff des Staates in der
Rechtspflege - vom Prinzip des habeas corpus (England 1679) bis hin 
zur Erklärung und Garantie von Menschenrechten in den Verfassungen 
moderner Staaten. Auch hier wird Person zum Prinzip der Entfaltung 
eines Sinnraums menschlicher Existenz, der einerseits freie 
Entwicklungsmöglichkeiten garantiert, andererseits aber auch 
ethisch verpflichtet. Durch die UN Charta hat der europäische 
Gedanke der Menschenrechte Weltgeltung erlangt.
 
5. Die Emanzipation der Juden

Ich erwaehne diesen Punkt eigens, obwohl er sich unter die 
vorhergehenden subsumieren liesse.
Angesichts des Furchtbaren, was in der europaeischen und
insbesondere deutschen Geschichte den Juden angetan wurde, 
die zahllosen Verfolgungen, die Ghettoisierung und unmenschliche 
Ausgrenzung - all das ueberwunden zu haben und den Juden zur 
Anerkennung als gleichberechtigte Menschen und Buerger im Staate 
verholfen zu haben - das alles ist eine weltgeschichtliche Leistung 
des Humanismus der Aufklaerung.



6. Die innere politische Freiheit

Innere politische Freiheit: die Möglichkeit der Beteiligung freier 
Bürger an der Entscheidung über sie betreffende Angelegenheiten, 
die Mitwirkung an der Willensbildung der Staatsgewalt - dies sind 
ebenfalls Forderungen, die nur auf der Basis eines allgemein 
verpflichtenden humanistischen Ethos erhoben und
eingelöst werden können. Zu dieser inneren politischen Freiheit
gehört als außenpolitisches Korrelat, daß zwischen den Staaten ein 
völkerrechtlicher Zustand herrschen, daß auch hier nach Gesetzen 
gehandelt werden soll, daß die Staaten sich selbst verwalten, 
aber aufeinander durch Verträge und gerechte Ordnungen Rücksicht
nehmen müssen, gleich ob sie stark oder schwach
sind. Die Freiheit der Selbstverwaltung und der Mitträgerschaft 
im Staat enthält nach diesem Verständnis zugleich die Pflicht, 
eine gerechte Regelung aller staatlichen Angelegenheiten sowohl 
nach innen wie nach außen anzustreben und insbesondere sich 
gegen jede Zerstörung des bereits entwickelten Völkerrechts
mit allen gerechten Mitteln zur Wehr zu setzen.
 

Um die genannten Freiheiten insgesamt ging es in den Kämpfen der
abendländischen und europäischen Welt. Ihnen verdanken wir auch unser
freiheitliches Leben, genauer gesagt, jenen Menschen, die vor uns 
dafuer sich eingesetzt haben, und es ist unsere Aufgabe, uns weiter 
dafuer einzusetzen, damit dieses Licht der Hoffnung fuer die Zukunft
niemals  erlischt. Hier haben wir Grundlagen, auf denen die
vernuenftige Gestaltung  auch des biowissenschaftlichen Fortschritts 
in seiner Anwendung auf den Menschen aufbauen kann. Es ist doch nicht 
so, als gaebe es nur die Alternative „Uebermensch” oder 
„domestizierter Schwachsinn” Das geht voellig an der
wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit vorbei.
Biowissenschaftliche Forschung am Menschen vollzieht sich nicht in 
einem wertfreien Raum, sondern in einem komplizierten Geflecht von 
Forschungsinteressen und jeweils einzeln zu ermittelnden ethischen 
Geltungsanspruechen verschiedener Stufen.
Es gibt  auf der Basis der oben genannten humanistischen
Errungenschaften bereits ein normatives Regelwerk, das den
wissenschaftlichen Fortschritt in seiner Anwendung auf den
Menschen vernunenftig gestalten hilft.
Einschlaegig sind hier:

Auf weltweiter Ebene:
1. Die  Helsinki- Empfehlung des Weltaerztebundes fuer Aerzte, die 
   in der biomedizinischen Forschung taetig sind, (kurz Declaration
   of Helsinki, letzte Fassung erfolgte bei der 48. Generalversammlung 
   in Somerset West, Suedafrika, 1996))

2. Die sogenannten ICH GCP Guidelines (Guidelines for Good Clinical 
   Practice), insbes.Kapitel 4  und 5
3. Entscheidungen der amerikanischen Zulassungsbehoerde FDA, 
   die weltweite Auswirkungen haben.

Auf europaeischer Ebene:
3. Die Bioethik-Konvention des Europarates
4  Die demnaechst in Kraft tretende Richtlinie des Europaeischen
   Parlaments und des Rates zur Angleichung der 
   Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten ueber 
   die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchfuehrung 
   von klinischen Pruefungen
5. Die Arbeit eines Peer Review board of experts in bioethics and
   medical ethics bei der Europaeischen Kommission in Bruessel

Auf nationaler Ebene
6. Die Bestimmungen des AMG (Arzneimittelgesetz)
7. Die Bestimmungen des MPG (Medizinproduktegesetz)
8. Die Arbeit oeffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen bei den
   Landesaerztekammern der einzelnen Bundeslaender


Lassen sie mich vor dem Hintergrund dieser Ausfuehrungen zu
Rechtsstaatlichkeit und bioethischer Forschung schliessen 
mit der Feststellung, dass das Licht der Hoffnung, das der 
Humanismus entzuendet hat, uns nach wie vor traegt, aber dies ist wie
alles im Leben keine Selbstverstaendlichkeit, sondern Ergebnis des
taeglichen Bemuehens eines jeden einzelnen von uns an seinem Platz 
in der Gesellschaft.

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