Die Konfrontation zwischen China und Taiwan

Seitdem Taiwans Praesident Lee Teng-hui oeffentlich erklaerte, Taiwan und China seien zwei Staaten, die in einem besonderen Verhaeltnis zueinander stuenden, rutschte das Verhaeltnis zwischen China und Taiwan auf einen neuen Tiefpunkt. Es vergeht immer wieder neue Drohungen Beijings gegen Taipeh. Denn Beijing haelt Taiwan fuer eine abtruennige Provinz Chinas und wuerde mit Militaeraktion reagieren, falls Taiwan auf dem Weg sich Unabhaengigkeit zu erklaeren. Um die Konfrontation zwischen China und Taiwan besser zu verstehen, muss man eine kurze Geschichte der Insel zurueckblicken.

Ab 9. Jahrhundert besieldelten Chinesen die Insel und suchten nach einem besseren Leben als im Festland. Im 16. Jahrhundert verstiessen die Seemaechte die Insel, darunter waren Portugiese, Hoellaender und Spanier. Die Insel wurde von den Portugiesen "Formosa" genannt. Am Ende der Ming Dynastie, nachdem der chinesische General Cheng (Koxinga) 1616 den Krieg mit den Hoellaendern siegte, eroberte er die Insel. Taiwan wurde von ihm als ein Inselstaat gegen die Manchu-Dynastie im Festland gegruendet. Doch 1683 eroberte die Manchu-Dynastie die Insel. Nachdem Chinesisch-Japanischen Krieg trat China 1895 Taiwan an Japan ab. 1945 gaben Allierte nach der Kapitulation Japans Taiwan an China zurueck. Die nationalchinesische Truppen massakrierten 1947 die Taiwanesen wegen des sogenannten 28. Februar Aufstands der Bevoelkerung gegen nationalchinesische Regierung. Offiziell wird von bis zu 28.000 Opfern, vorwiegend aus der alten Obersicht. Zwei Jahre spaeter verlegte 1949 nationalchinesische Regierung unter Chiang Kai-shek nach Niederlage gegen den Kommunisten ihren Sitz nach Taipeh. Im selben Jahr wurde die Volksrepublik China unter Mao Zedong im Festland gegruendet. Die Nationalisten uebten eine Gewaltherrschaft jahrzehnte lang ueber die Insel unter dem Kriegsrecht. Erst 1987 wurde das Kriegsrecht aufgehoben. 1996 wurde der erste demokratische Praesident direkt vom Volk gewaehlt, und Lee Teng-hui wurde mit 54 Prozent Stimmen im Amt bestaetigt. Er wurde 1998 zum ersten auf der Insel geborener Praesident bestellt. Die Demokratisierung in Taiwan wird unter ihm zuegig vorangetrieben.

Von dieser chronologieschen Geschichte weiss man, dass Taiwan seit 1895 nie vom Festland China geherrscht wird. Die heutige Einwohner in Taiwan sind 80% im 16. und 17. Jahrhundert aus den Kuestenprovinzen Chinas zugewandert, 15% flohen 1949 mit Chiang Kai-shek vor den Kommunisten, und der Rest 5% sind die Ureinwohner, die aus Malaka, Indonesien und Philippinen stammen. Die Geschichte zeigte noch dazu, dass die Siedler dem Festland ausgewandert hatten, weil sie nicht unter der chinesischen Herrschaft mochten.

Die Bevoelkerung strebte seit Jahren nach einem eigenen Staat zu gruenden. Chinas Kommunisten haben aber diese historische Realitaet ignoriert, und sie betrachten Taiwan immer als eine Provinz Chinas, wenn auch Taiwan und China politisch schon seit mehr als einem Jahrhundert nicht zusammen gehoeren.

Als 1895 das damalige Manchu-Kaiserreich die Insel an Japan abtrat, musste Taiwan danach 50 Jahre lang japanische Akkulturation hinnehmen. Nachdem 1945 Taiwan an die damals in China herrschenden Nationalisten unter Chiang Kai-shek zurueck ging, waren die Taiwanesen erneut gezwungen, ihre eigene Identitaet zu verleugnen. Man darf Taiwanesisch nicht in den Schulen sprechen. Mandarin, der Dialekt von Peking, wurde als offizielle, amtliche Sprache genommen. (Ich erinere mich noch, als ich in der Volkschule war, und Mandarin noch nicht gut gelernt hatte, bekam ich ein paar mal Ohrfeige von meinem Lehrer, weil ich Taiwanesisch gesprochen hatte.) Denn auch Chiang Kai-shek sah Taiwan nur als Region Chinas und wollte Taiwan lauter chinesisch machen, naemlich ohne taiwanesische eigene Identitaet zu haben. Die Studenten in Taiwan wussten lange nichts von taiwanesicher Vergangenheit, denn sie lernten nur ueber die chinesische Geschichte vom Festland-China. Erst nachdem das Kriegsrecht 1987 aufgehoben wurde, ist es in den neunziger Jahren moeglich geworden, die Geschichte von Taiwan in der Schule zu lernen.

Das Verhaeltnis zwischen Taiwan und China war niemals angenehm. Bis 1979 beschossen kommunistische Truppen immer wieder die winzigen, vorgelagerten Inseln Quemoy und Matsu, die nur zwei Kilometer das chinesische Festland entfernt liegen. Es ging besonders blutig im August 1958, die Kommunisten schlugen allein an einem Tag innerhalb von zwei Stunden 40,000 Granaten ein. Der Angriff dauerte insgesamt 44 tage. Danach beschimpften sich die beide Seiten stets ueber die Meeresenge ueber riesige Lautsprecheranlagen. Als Taiwan 1996 den ersten freien Praesidentenwahlen stattfinden wurde, versuchte China mit Raketentests die Insel einzusuechtern. Die USA entsendeten damals zwei Flugzeugtraeger in Richtung Taiwan und liess sich unmissverstaendlich erkennen, dass sie eine gewaltsame Loesung der Taiwan-Frage nicht zulassen.

Die Volksrepublik China hat Taiwan stets mit militaerischer Gewalt gedroht, falls sich die Insel in Richtung Eigenstaatlichkeit bewegen sollte. Mit einer Kriegserklaerung Chinas an Taiwan ist jedoch derzeit noch nicht zu rechnen. Zwar ist Chinas Armee zahlenmaessig, mit 2,8 Millionen Soldaten gegenueber 375,000 taiwanesichen Militaers klar ueberlegen. Doch viele chinesische Truppen sind gebunden, etwa in der Xinjiang Provinz im Nordwesten und in Tibet. Beijing verfuegt zudem noch nicht ueber die noetige Logistik. Anderseits will China Taiwan auch nicht zerstoeren, es will die Insel unter seiner politischen Kontrolle haben und den Zugriff auf deren Waehrungsreserven. Unsicher ist auch die Reaktion der USA. Im "Taiwan Relation Act" von 1979 haben sie sich zur Hilfestellung fuer Taipeh verpflichtet.

Seit 1996 haben die USA in den vergangenen drei Jahren die militaerische Beziehungen zu Taiwan heimlich angebaut. Dabei seien unter anderen, gemeinsame Strategien gegen eine Invasion durch die Armee der Volksrepublik China entwickelt worden. Die Amerikaner erwaegen auch, neben Japan und Suedkorea, die Insel in das "Theater Missile Defense"-System(TMD) einzubeziehen. Obwohl der Schutzschirm dieses Raketenabwehrsystem noch nur bislang auf dem Reissbrett existiert, fuerchtete China, ins Militaerische Hintertreffen zu geraten und auf den Gedanken verzichten zu muessen, jemals Taiwan eroberen zu koennen.

Obschon die meisten Staaten der Welt wissen, dass Taiwan De-Factor ein unabhaengiges Land ist, sind sie gezwungen, die Ein-China-Politik unter den Bedingungen Beijings zu unterstuetzen, um sich wirtschaftlich den riesigen chinesischen Markt zu sichern. Denn kein Land kann diplomatische Beziehungen zu Beijing und gleichzeitig zu Taipeh unterhalten.

Die China-Politik der USA hat drei Saeulen: die Ein-China Politik, Foederung des Dialogs zwischen den beiden Seiten der Taiwan-Strasse, und die friedliche Loesung von Streitigkeiten. Die US-Anlegung der Ein-China Politik ist aber anders als die Chinas. Die USA haben Herrschaftsanspruch Chinas ueber Taiwan nicht anerkannt. Sie sehen laut dem "Taiwan Relation Act" hoechstens handlungsbedarf, falls versucht wird, die Taiwan-Frage mit Gewalt zu loesen. Die USA haben klar gestellt, dass sie in allen Versuchen, die Taiwan-Frage mit anderen als friedlichen Mitteln zu loesen, eine Bedrohung des Friedens und der Sicherheit in der Pazifik-Region sehen wuerden. Also haben sie bei dem Ausbruch der Krise vielmals sowohl China als auch Taiwan zur Maessigung und Zurueckhaltung aufgefordert, und Beijing gegenueber ihr Festhalten an der Ein-China-Politik versichert. Denn die USA moechten auf keinen Fall in eine Situation kommen, wo sie waehlen muessen, zwischen ihren Beziehungen zu China und den Verpflichtungen, die sie gegenueber Taiwan eingegangen sind.

Die neue politische Erklaerung hat Lee nach langer Diskussion mit einer Sonderkommission des Praesidialamts gemacht. Die Kommision hat sich entschieden, die Beziehung zwischen Taiwan und China soll kuenftig nach deutschem Modell sein, wie Bundesrepublik und DDR vor der Wiedervereinigung, naemlich "zwischen staatlich" zu sein. Seit 1998 trifft Koo Chen-fu, Leiter von Taiwans "Stiftung fuer Kontakte beiderseits der Taiwan-Strasse" in China mit Unterhaendler Wang Daohan und Staatschef Jiang Zemin. Lee hatte deswegen das Verhaeltnis zwischen beiden Seiten der Taiwan-Strasse als "besondere zwischenstaatliche Beziehung" definiert, so dass es Taiwan gelingen wird, auf Basis der Gleichberechtigung mit Chinas Kommunisten zu verhandeln. Der neue Handstreich dient noch dazu, bei den Praesidentschaftswahlen im Maerz 2000 in Taiwan die Festland-Politik Taiwans zu praegen. Der Nachfolger des Praesidenten Lees soll auf diesen neuen Kurs festgezurrt werden.

Praesident Lee hatte nur die Aufkuendigung der Zwei-Staat-Politik erklaert, was laengst De-Factor Realitaet ist. Beijing und Washington sollen bereit sein, ihm zu-zuhoeren. Taiwans Politik gegenueber China nach der Erklaerung von den Zwei-Staat Theorie bleibt unveraendert. Die USA werden sowohl derzeit als auch kuenftig einen nicht provozierten Angriff Chinas auf Taiwan nicht hinnehmen. Beijing weiss auch, dass jeder Angriff zu kostspielig ist und seine lebensnotwendigen wirtschaftlichen Beziehungen mit der Aussenwelt untergraben werde. Allerdings sind beide Seiten auch wirtschatlich eng verbunden. Obschon taiwanesische geschaeftsleute den Handel mit China mit strengen Auflagen von der Regierung behindert sind, haben sie bisher etwa 30 Milliarden Dollar auf den Festland investiert. Seit dem Ende der siebziger Jahre, nachdem China die Marktwirtschaft teilweise unter Deng Xiaoping foerderte, zieht es viele Fabrikanten von Taiwan wegen der billigen Loehne nach China. Im Handel ist Taiwan drittgroesster partner Chinas, und China dagegen auch zweitgroesster Partner Taiwans. Ein Krieg zwischen China und Taiwan wird wirtschaftlich beide Seiten ruinieren.

Waehrend aus chinesischer Sicht die Insel ein Teil des Festland Chinas sei, steht es fuer die Taiwanesen fest, dass sie ihre eigene Identitaet haben. Mit der Erklaerung des Praesidenten Lees, dass die Beziehung zwischen Taiwan und China staatlich sein solle, besteht Taiwan nur auf Anerkennung der politischen Identitaet der Insel. In der Sicht Taipehs gibt es derzeit Ein-China nicht, es wird erst nach einer demokratischen Wiedervereinigung entstehen.

Eine Aenderung der Haltung von Praesident Lee oder auf eine Ruecknahme seiner Position ist nicht zu erwarten. Auch die Drohgebaerden aus Beijing hatte Taiwans neuen Standpunkt nicht beeinflussen koennen. Taiwan will wohl mit dem neuen Standpunkt offensiv in der Welt diplomatisch verbreiten.

Die Inselrepublik hat durch Intelligenz und Fleiss den Rest der Welt einen Ahnung davon vermittelt, was geschehen koennte, wenn das Festland China seine politische und wirtschaftliche Fesseln abstreifen wuerde. Die 22 Millionen Taiwanesen spielen eine David-Goliath-Rolle gegenueber Festland China in Kreise der globalen Wirtschaft. Die asiatische Finanzkriese haben sie mit einem Wachstum von 5% ueberstanden. Ihre Waehrungsreserven sind mit 90,3 Milliarden Dollar die drittgroesste der Welt. Praesident Lee betrachtet die seit 1996 geforderte Demokratisierung des Inselstaats als die beste Waffe gegen die Kommunisten in China. Eine Hongkong- oder Macao-Loesung, die nur oekonomisch konserviert, ist bestimmt den selbstbewussten Taiwanesen nicht akzeptabel.

Seit 1988 hat Taiwan sich in einem Jahrzehnt zu einer Demokratie entwickelt. Man kann Taipeh nicht verlangen, gegen seinen Willen in eine Ein-Land-Zwei-Systeme-Regelung Chinas zu geraten. Kein demokratisches Land dieser Welt wuerde Teil einer kommunistischen Diktatur wie der China werden. Das kann man von Taipeh auch nicht zu verlangen.

Taiwan ist schon De-Factor ein unabhaengiges Land. Jedoch soll es sich nicht unabhaengig erklaeren, weil China dies verbietet. Vielleicht mit seiner diplomatichen Geschicklichkeit wird es Taiwan gelingen, auf lange Zeit sein Leben in De-Factor Unabhaengigkeit zu fuehren. Praesident Lee hat erklaert, eine Wiedervereinigung mit China komme nur unter demokratischen Verhaeltnissen in Frage. Ein China und ein Taiwan existieren schon seit 1949 als zwei souveraenen Staaten. Sie werden wahrscheinlich so bleiben, bis China sich veraendert, eine Demokratie zu werden.