Am Tag seiner Geburt hatten seine Eltern gerade zehntausend Unzen Gold im Haus. Deshalb gaben sie ihm den sonderbaren Namen Chin Wang-Liang, d.h. zehntausend Unzen Gold. Seit seiner Kindheit war er ein Menschenfreund, treu und barmherzig und half oft und gerne armen Leuten, die in Not waren. Als er aber 20 Jahre alt geworden war, hatte er schon sein ganzes grosses Vermoegen verschenkt und war nun selbst arm geworden. Seine Eltern waren schon gestorben. Taeglich musste er sich um sein taegliches Brot sorgen. An eine Heirat war gar nicht zu denken. Er ueberlegte: "Es heisst, dass Gott gute Menschen nie verlaesst." Ich bin doch auch ein so gutherziger Mensch gewesen. Warum ist nun das Leben so hart fuer mich? Ich werde an das suedliche Meer pilgern und die Goettin der Barmherzigkeit, Kwan-Yin, befragen. Es heisst, dass sie alles ueber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft weiss. Sie wird mir sicher einen guten Rat geben.
Schon am naechsten Tag reiste er ab. Er ging ueber tausend Berge und Seen bis er eines Morgens an einem grossen Fluss anlangte. Die hohen Wellen und die Wasserstrudel erlaubten keine Ueberfahrt. Ploetzlich schien er ein Wimmern zu hoeren. Er sah aber nur eine Riesenschlange, die sich auf dem Felsen wand. Sie rief: " Chin Wan-Liang, Chin Wang-Liang! Sie pilgern doch zum suedlichen Meer. Wenn Sie Kwan-Yin antreffen, bitte stellen sie an die Goettin auch fuer mich eine Frage. Ich habe schon tausend Jahre meditiert. Warum habe ich mich noch nicht in einen Drachen verwandeln koennen? Chin Wan-Liang erschrak beim Anblick der Riesenschlange, unterdrueckte aber seine Angst und sagte: "Das wuerde ich gerne tun. Aber wie kann ich denn diesen reissenden Fluss ueberqueren?" "Reiten Sie auf meinem Ruecken. Ich kann Sie hinuebertragen." sagte die Riesenschlange. Er tat es und gelangte so muehlos ueber den Fluss.
Um die Mittagszeit erreichte er ein Dorf. Er war sehr hungrig, und als er zu einem grossen Haus kam, in dem ein reicher Mann wohnte, ging er hin und bat um etwas Essen. Als der reiche Mann erfuhr, Chin Wan-Liang sei auf dem Weg zum suedlichen Meer, um die Goettin der Barmherzigkeit zu befragen, lud er ihn in sein Haus und bewirtete ihn reichlich. Nach dem Essen bat er:"Bitte stellen Sie an die Goettin auch fuer mich eine Frage. Ich habe eine schoene Tochter. Sie ist noch immer nicht verheiratet, denn sie ist stumm. Seit ihrer Geburt hat sie noch nie ein Wort gesprochen. Ich haette gerne gewusst, wann meine Tochter sprechen kann." Chin Wan-Liang sagte:" Sie sind sehr freundlich zu mir gewesen. Selbstverstaendlich werde ich die Goettin fragen."
Weiter ging er. Es wurde Abend und er war von der langen Reise schon sehr ermuedet. Es wurde schon dunkel. Aus einem Haus am Weg schmimmerte Licht. Chin Wan-Liang klopfte an und bat um Einlass. Als der Hausherr erfuhr, dass Chin Wan-Liang auf dem Weg zur Goettin Kwan-Yin war, lud er ihn ins Haus, bewirtete ihn reichlich und gab ihm ein gutes Nachtlager. Am naechsten Morgen bat er den Wanderer:"Bitte befragen sie die Goettin der Barmherzigkeit auch fuer mich. In meinem garten gibt es viele Baeume und Straeucher. Sie bluehen aber nicht in jedem Jahr. Ich haette gerne gewusst, was mit meinem Garten los ist?" Chin Wan-Liang sagte:"Mein guter herr, Sie haben mir soviel geholfen. Deshalb werde ich gerne die Goettin befragen."
In der Regel durfte man hoechstens drei Fragen an die Goettin stellen. Nun aber hatte er schon alle drei Fragen fuer die anderen uebernommen. Was sollte nun mit seiner eigenen Frage geschehen? Er war immer treu in seinem Leben gewesen und wollte auch jetzt nicht sein Versprechen brechen. "Habe ich dann eine so weite Reise umsonst gemacht? Nein, wenn ich anderen helfen konnte, dann war das alles nicht vergeblich." Es ging also wieder weiter, ueber tausend Berge und Seen, bis er endlich an das suedliche Meer kam und die Goettin der Barmherzigkeit erreichte. Nun stellte er die drei Fragen, die ihm anvertraut worden waren an die Goettin.
Auf die erste Frage antwortete Kwan-Yin:"Die Schlange hat sieben Perlen auf ihrem Haupt. Sechs Perlen soll sie abwerfen, dann wird sie sich in einen Drachen verwandeln koennen."
Auf die zweite Frage gab die Goettin folgende Antwort:"Die Tochter des reichen Mannes wird sofort sprechen koennen, wenn sie ihren zukuenftigen Gatten erblickt."
Und auf die dritte Frage meinte die Goettin:" Im Garten des freundlichen Herrn steht ein alter Baum. Zwischen seinen Wurzeln ist ein Topf voller Goldstuecke vergraben. Er soll den Topf ausgraben. Aber er darf nur die Haelfte des Goldes fuer sich behalten. Dann werden die Baeume und Straeucher in seinem Garten wieder bluehen koennen."
Mit diesen antworten von Kwan-Yin kehrte Chin Wan-Liang wieder heim. Als der guetige Herr erfahren hatte, dass ein Topf voller Goldstuecke in den Wurzeln des alten Baumes versteckt war, liess er den Topf ausgraben. Da er nur die Haelfte fuer sich behalten durfte, schenkte er die andere Haelfte Chin Wan-Liang. Als er zum zweiten Mann kam, dessen Tochter stumm war, erblickte diese den jungen Mann und rief schon von weitem:"Mein lieber Mann, auch ich habe die Worte der Kwan-Yin gehoert. Du sollst mein lieber Gatte sein."Wie froh und erstaunt war der Vater, dass seine Tochter nun sprechen konnte. Noch am Abend wurde eine praechtige Hochzeit gehalten. Zum Abschied erhielt der junge Ehemann noch eine schoene Mitgift, als es am naechsten Morgen weiter ging.
Als das junge Ehepaar am grossen Fluss ankamen, wartete die Riesenschlange schon sehnsuechtig am Ufer. Als sie die Antwort der Goettin erfuhr, schuetellte sie sofort 6 perlen von sich und verwandelte sich sofort in einen praechtigen Drachen. Mit Leichtigkeit trug der Drache die beiden ans andere Ufer und gab ihnen auch die 6 Perlen als Hochzeitsgeschenk. Bei seiner Heimkehr war Chin Wan-Liang bereits ein reicher Mann und sehr gluecklich mit seiner schoenen Frau. sie fuehrten ein langes und glueckliches Leben.