Die neue Anthologie

rumänischer Gegenwartspoesie

Übersetzt von über dreißig rumäniendeutschen Lyrikern

(Darunter Oskar Pastor, Werner Söllner, Franz Hodjak, Klaus Hensel, Rolf Bossert, Anemone Latzina, Gerhardt Csejka, William Totok)

Dieter Schlesaks Sammlung ist ein poetisches Abenteuer ersten Ranges. Es löscht einen weißen Fleck auf der Landkarte der Poesie. Eine Sammlung, die sich auch wie die innere Geschichte eines Landes liest, ohne die man die geläufige kaum verstehen kann.

Hans-Jürgen Schmitt in der Süddeutschen Zeitung und im Deutschlandradio Köln

 

Präsentation auf der Leipziger Buchmesse

 

I Endloser Sonntag

 

II Man hat einen Toten gefunden

 

III Die Zukunft der Wut 

 

IV Hausordnung

 

V Messer zwischen den Blättern

 

VI Klägliche Reste des Heiligenscheins

 

Fortsetzung

 

Zur Homepage von Dieter Schlesak

 

 

 

PROJEKT ZUR PRÄSENTATION DER ANTHOLOGIE

Leipziger Buchmesse, Café Capşa, 27. März 1998

 

 

 

Meine Damen und Herren,

 

eine von mir zusammengestellte Anthologie rumänischer Poesie "Gefährliche Serpentinen", Brancusis (rum.Brâncuşis) Unendliche Säule, das zentrale rumänische Symbol, auf dem Umschlag, möchte ich Ihnen vorstellen; diese Sammlung mit über hundert rumänischen Lyrikern der Gegenwart, übersetzt von rumäniendeutschen Kollegen, liegt seit einigen Tagen beim Druckhaus Galrev vor.

Es ist eine Art Hommage an die rumänische Dichtung.

Die Anthologie stellt vier Generationen vor: die Generation 60, die 1960 zu veröffentlichen begann, dann die Generationen 70, 80 und 90, die bisher jüngste. Die Kraftlinien der Einflüsse werden zurückverfolgt bis zu älteren Autoren der rumänischen Avantgarde, die übrigens auch Paul Celan beeinflußt hatten. Im Zentrum steht die "Generation 80", zu der Mircea Cartarescu und Marta Petreu gehören, die heute hier lesen werden.

Die Auflösung der Grenzen "alter" Geschichte nach Auflösung der System- und Stacheldraht- Zäune gibt den Blick auf ein totales Endspiel, und zugleich auf eine andere, die Grenze des "Ganz Anderen" frei. Und, so Heiner Müller.: "...wenn die Chancen vertan sind, beginnt, was Entwurf einer neuen Welt war, anders neu: als Dialog mit den Toten." Millionen Opfer der Diktaturen. Tod und Transzendenz in einem geschichtlich-posthumen Kontext, der einen Gegenwarts-Stil erst möglich macht.

Er zeichnete sich schon bei der Generation 60, bei Marin Sorescu (1936-1997)oder Nichita Stanescu (1933-1983) ab. Auch Ana Blandiana, die heute hier lesen wird, gehört dazu. Tauwetter 1960/61, dann 1965, als Ceausescu, aus Machtkalkül in der Literatur Stilvielfalt zuließ. Damals erarbeiteten diese "Waisenkinder des Klassenkampfes" unter Druck eine subtile, sprachgeschärfte, spannungsgeladene Poetik der Innenwelträume.

Innerlichkeit war ein Politikum sondergleichen. So bei Nichita Stánescu, dem wichtigsten Lyriker der Sechziger, sein Gedicht im metasprachlichen Raum und die Grenze zum Numinosen offen, wo auch die Toten (ähnlich wie bei Rilke oder Celan) ansprechbar werden. ("In mir, schau her, sind alle meine Toten /erwacht/ und alle Toten meiner Toten/ und alle Freunde und Verwandten/ der Toten meiner Toten." Nuancenreiche lyrische Sprache, Destillate unter starkem Druck, Sprach-Innenräume als letzte Zuflucht des Geistes. Allerdings auch eine Entlarvungs-Aktion; der verhüllende Schleier der Worte wurde von den gebrannten Kindern der Diktatur (überfüttert mit Ideologie-Parolen) als Trug gesichtet: "Blitzartig ist erhellt eine Welt/ schneller als die Zeit des Buchstaben A."... "stand ich angespannt da/ zu erinnern jene blitzartig erkannte Welt/ die mich mit diesem Körper bestraft/ der sich nur langsam sprechend in sich hält."

Stánescus Gedicht hat die Jüngeren beeinflußt, dies Auflösen (über das Wort) in ein eigenes, bewußtgewordenes Körpergefühl. Körpergefühl ist extrem wichtig bei den Jüngeren der Generation 80: Körperdasein als nüchterne hirnsyntaktische Allegorie.

Dagegen scheint Sprache ein machtgeschütztes Abziehbild zu sein. So Mircea Cártárescu: Beim Schreiben fahre sofort "in den den Füllhalter führenden Finger wie in einen Handschuh eine fremde Klaue..." Und: "Als Leser kommt nur noch der Tod in Frage". Die Generation 80, so einer ihrer Poeten, wird von der Wirklichkeit "hypnotisiert", "von der Unmenge natürlicher Poesie, die ihr entströmt". Diese Dichtung sei "überraschend irdisch", und die "Banalität empfange täglich Visiten der Poesie"; das "Weltall" sei städtisch geworden, und die Ekstase "aus den Innenräumen auf die Straße hinausgetreten". Die Trennung zwischen Ich und Welt wird illusorisch, es gäbe "neue Masken" und Gefäße für das nicht direkt Sagbare: Bei Mircea Cartarescu und der Generation ´80 ist die Poesie das wirkliche JETZT, wie in der Quantenphysik, der beobachteten Momentaufnahme eines Schnittes durch den Weltaugenblick. Z.B. Galaxien als Kapitale von jenseits der eingeengten Lebensgrenze - "nur sie noch bringen uns, Milliarden Jahre verspätet/ Nachrichten aus der Urstadt, der Kapitale./ Wir alle, ausnahmslos alle werden sie dereinst sehen: Die Hauptstadt/ werden abstreifen das speckige Nervenjackett, die Lavallière der Adern/ und gläsern, das Gehör hinter uns werfend wie einen azurnen Schleier,/ die Geschmackspapillen verbrennend,/ werden wir die neue Mode annehmen ..."

Der Alltag, das Rätsel des wirklich gelebten Augenblicks als Ganzes wird zum Gedicht. Kosmos und Alltag dominiert, weil die genaue Wahrnehmung dieses Wirklichen von der Diktatur gefürchtet wurde, ihr ganzes Parolenarsenal und die ideologischen Abgedroschenheiten dienten nur zur Täuschung und zur Verhüllung des Elends.

Neben der Generation sechzig war es der schon zur Legende gewordene letzte Surrealist Gellu Naum geb. 1915, der die Achtziger beeinflußte. Er spricht von der "Pornographie der Macht" wider das Mirakel des Lebens, gegen die Liebe, das Genie des Femininen. Alle Ismen, Ideologie und auch die Literarthure und die "Pohesie" verhindern das Mirakel des Daseins, das von einem andern "Plan" gelenkt wird, als dem Bekannten, gar einem System: "Mein freund der tote maler/ ruft mich (spielt keine rolle)/ aus seinem mund kommen gemalte buchstaben .../ unterm arm hält er das fürchterliche buch/ es ist in jener/ sprache geschrieben/ die wir in gedanken sprechen ..." Es gehört zum undurchschaubaren Beziehungsnetz kosmischer Größe, das sich wie ein momentaner Querschnitt in unserer Sphäre zeigt - in "aktiver Erwartung", im freien Spiel der Bedeutungen, wenn das ans Geheimnis angekoppelte Unbewußte, berührt wird. Naum sucht aber dies Geheimnis nicht verquast, sondern urban und surreal mit Mitteln eines sarkastischen und ironischen Bewußtseins.

Ähnlich hielt es der zu den Sechziger gehörende Marin Sorescu (1936-1997). Daher hat er auch die Jüngeren beeinflußt: "jedes Wort vermeidend,/ das ... Buchstaben enthielt." Erstaunlich viel Sinn im ironischen Spiel mit dem Banalen und dem Nichtverfügbaren, wider das verhaftete Leben, Zellenschrecken des Jahrhunderts. Als Heilung: Kraft des Zufalls, des Unvorhersehbaren, das Sorescu schlau dem Plansystem entgegenstellte: Der von ungefähr dort um die Ecke: Der von ungefähr sitzt am Kommandopult auf dem die Anzeige fehlt. .../ (es) kommt dann alles unvermeidlich/ haargenau und so als hätte/ der von ungefähr es so gewollt.

Das Unvorzubestimmen - Feind des geschlossenen Systems, das dies schließlich entropisch erledigt. Tu, was geschieht.

Nicht weit von dieser Sicht entfernt ist Ana Blandiana. Ihr erscheint die antitotalitäre Offenheit als ethische Kategorie der "Reinheit" und "Lauterkeit", die sie (nicht nur im Gedicht) immer wieder erörtert. Diese tätige Öffnung scheint sie zur Dissidentin, zur Bürgerrechtlerin vorbestimmt: sie hatte Publikationsverbot (ihre Verse transportierten Brisantes zwischen den Zeilen, wie dieses Samisdat-Gedicht: "Ich glaube wir sind ein Volk von Pflanzen/ Wer hat schon einen Baum gesehen/ der sich aufbäumt?") Leise, verhalten Töne, Metapher des Schlafes, des Vegetalen, Sicherheit im Ei, in der Nuß, im Haus aus gestörtem Harmoniebedürfnis.

Im Mai 1990 konnte sie noch vom Balkon der Bukarester Universität Tausenden von Studenten, die gegen Iliescu protestierten, zurufen, "Wir sind kein Volk von Pflanzen." Später mußte sie es wohl wieder zurücknehmen.

Ein Vorbild für die jüngere Generation ist auch die Real-Poesie Petre Stoicas, denn Stoica strebt eine Inventaraufnahme des Zufälligen an, um das "Prosaische" lyrikfähig zu machen, die Wunder des Alltags. Das hintergründige Mitdenken eines Gesetzes von Zufall und Offenheit, ähnlich wie Sorescu, wider das Festgelegte. Im Gedicht "Option" heißt es: " uns mahnend daß es an der Zeit sei/ noch ein Glas zu leeren auf das Recht das heilige/ für eine bestimmte Jahreszeit zu optieren." Jedem dieses Recht der freien Wahl!

1971 führte Ceausescu eine neue restriktive Kulturpolitik ein. Der "Opportunismus" der Generation ´70, die weniger klingende Namen hervorgebracht hat, ist die Konsequenz der neuen Kältewelle. Mircea Dinescu war die große Ausnahme. Er hat seiner Haltung - in saloppen und sarkastischen Versen versteckt - zu einer großen Wirkung verholfen. Er attackierte jene, die angeberisch das Absolute wie eine Fahne vor sich her trugen, entlarvte es als falsche Ewigkeit, und die rote Ideologie, als deren Bastard, fiel gleich mit in diese Falle. Daher das Erfrischende seiner Poesie. Er war eine Art Vorläufer der Achtziger, denn bei jedem Vers schien er sich zu fragen: ist Poesie unter diesen Umständen in denen wir leben müssen, überhaupt noch möglich? Und jedesmal gibt Dinescu eine bejahende Antwort - nämlich durch das Gedicht selbst. Das unerträglich Wirkliche der umgebenden Finsternis und Kälte ließ ihn nicht ruhen ("Guillotine, die wie eine Geige mir am Nacken sang"). Die drei F: frig, foame, frică(Kälte, Hunger, Angst) bedingten in den achtziger Jahren alles und jeden. "Beschütze mich, herr vor denen, die mein bestes wollen, vor den flotten burschen, die einen allemal fröhlich verpfeifen, vor dem priester mit dem tonbandgerät unter der soutane ..."

Zur Generation Siebzig gehört auch Grete Tartler. Sie ist Botschafterin Rumäniens in Dänemark. und gehört zu den vielen starken Frauen wie Ana Blandiana, Elena Stefoi und Marta Petreu. Grete Tartler ist Orientalistin und Musikerin. In ihrem Gedicht wird die Welt wie ein Musikinstrument behandelt, zum Klingen gebracht: "Der Fahrstuhl// Du trittst ein in dieses Musikinstrument -/ die Luft.../ Die Bewegung/ des Fahrstuhls wie die eines Pendels. " Und auch der Hinwendung zum Offenen, "Tu, was geschieht" "Der oberste Schaltknopf fehlt", Heimkehr ist Nie: Ost-Schicksal: "Auch morgen könnte ein Sturm/ die Decke des Käfigs wegblasen -/ dann/ darfst du dich nicht mehr/ an die engen Wände klammern."

Diese Wände und MAUERN sind nach dem blutigen Dezember 89 explodiert. Poeten standen damals ganz vorn. Einige wurden verhaftet, gefoltert und mit dem Tode bedroht. Ein Kapitel der Anthologie ist diesem nationalen Komplex und der Erinnerung an die Toten gewidmet.

Auffallend ist die "Freimütigkeit" dieser Generation, die unbelastet von Zwängen und Ängsten offen und selbstverständlich auch der Securitate gegenübertreten konnten, ja Forderungen stellten. Eigentlich war der Geist dieser Generation schon "posttotalitär" - luzide, skeptisch, ironisch, der Glaube an große Entwürfe, Ideen, Utopien war zerbrochen. Ironie, Mündlichkeit, Humor, das Komische, das Absurde, der Alltag zieht sie an. Und das Zufällige, ja der gelebte Moment als Mirakel, eine Art Lupe, der "monströse Blick":

Doch nach 89 enttäuschten die meisten Achtziger. Die "Religion des Textes und der ästhetischen Wahrheit" waren wichtiger als Widerstand gegen die Iliescu- Realität. Und auch sie, wie die andern, hatten gelogen, esopische Literatur geschrieben, sich moralisch im Kommunismus infiziert, und einige waren wohl auch Spitzel gewesen. (Keiner weiß Genaues: Die Dossiers sind nicht wie in der ehemaligen DDR freigegeben worden.) Freilich: alle rumänischen Literaten sind Zeugen ihres posthumen Zustandes, mit ihrem bisherigen Werk, ihren bisherigen Plänen, es gab die bisherige Realität nicht mehr, Stoff auch der Texte. Alles war Geschichte geworden. Drastisch bringt Mircea Cartarescu den neuen Zustand auf den Punkt : "Ach, meine Welt ist versunken! Meine Welt gibt es nicht mehr, meine elende Welt, in der ich etwas bedeutet hatte. Ich, Mircea Cártárescu, bin in der neuen Welt niemand es gibt hier 1038 Mircea Cártárescus ..."

"Ich habe New York und Paris gesehen, San Francisco und Frankfurt/ ich war an Orten, von denen ich nicht zu träumen wagte./ Ich kehrte mit einem Stapel Fotos zurück/ und mit dem Tod in der Brust." Der Westen.

Doch es ist eine Öffnung ins Ganze ("Alles"), wenn das eingeredete fiktive Ich verschwindet und das Unvorhergesehene möglich wird in dieser Öffnung, entsteht eine Art "enzyklopädisches" Poem. So heißt ein Gedichtband von Cartarescu auch "Totul" (Alles).- Das lange Gedicht wird bevorzugt, weil "so viel wie möglich von den Wundern dieses Universums" aufgenommen werden soll.

Die gesamte Diskussion um die Generation 80 wurde - vielleicht um an den Westen anzuknüpfen - im Rahmen einer Postmoderne-Debatte geführt; sie begann schon ca. ab 1986. Ihr Hauptinhalt: Öffnung als Basisgedanke! Es war anfangs eine Art Widerstand gegen das totalitär geschlossene System. Nach 89 aber hatte niemand mehr Lust zu solchen Diskussionen, hautnah war die "Realität" allen auf den Leib - auch auf den der Gedichte gerückt. "Einer, der hundert Jahre lang tiefgefroren war,/ öffnet die Augen und entscheidet sich fürs Sterben". Das Gefühl, alles sei gescheitert, auch die Leistungen des vergangen Jahrzehnts, überwog; es blieb nichts als Depression.

Erst ab 1995/96 begann wieder eine neue Debatte. Jetzt gab es schon Texte der "neuen Zeit", die aber mit nichts vergleichbar waren, was im Westen geschrieben wurde und wird ("Grüß schön! Europa ist auf dem anderen Schiff." heißt es bei Mircea Dinescu); viele Texte nach 89 erscheinen wie ein Akt der Verzweiflung auch angesichts der neuen parasitären "Freiheit" und Bindungslosigkeit, die umschlägt in nichts als levantinisches Chaos und in Brutalität. Galgenhumor wird notwendig, weil nichts mehr geht, geht alles, weil nichts mehr zählt, zählt alles; zugleich ist es die Chance einer Öffnung, indem man sein Ich, seine bisherigen Sicherheiten aufgibt, das Ludische gegen die Logik ausgespielt; der Zweifel allein zählt, die Ironie, die Skepsis: "hier und jetzt, ja, hier in nächster Nähe/ so daß man's mit dem Finger berühren kann/ und auf die Wunde sich legen", schreibt. Marta Petreu in: Dies Jahrhundert: Doch was östlich nun umgesetzt wird, ist auch die Angst und zugleich die Befreiung vom eigenen Minderwertigkeitskomplex, der "Westangst" wie in Mircea Cártárescu langem Poem: Der Westen. Oder in Dinescus Versen: "Gegen Abend wenn die Barbaren aus dem Westen zurückkehren, rittlings auf Begriffen, als Abgesandte großer Salamifabriken..." Es ist Befreiung durch Ironie von der okzidentalen Kapital- Zivilisations- und Kulturmaschine, ja von der Institution des Wortes: die neue, andere Sicherheit liegt jenseits des Wortes; es ist eine Wiederaufnahme der antiliterarischen Haltung aus den achtziger Jahren nun in erlittener Reife: Ein ganzes Kapitel der Anthologie ist ihm gewidmet: "... denn nur was kein Gedicht ist, kann noch als Poesie bestehen..." Dazu Cartarescu: Wir haben große Literatur gemacht und begreifen jetzt, daß sie gerade deshalb nicht über die Schwelle kommt,/ weil sie groß ist, / zu groß, erstickend in ihrem Fett...."

Katastrophe der rumänischen Identität in posttotalitärer Zeit, Masken und Karneval des "Übergangs". Amphibienseelen und neue Mafioten. Ein levantinisches Chaos auch der Institutionen von der Kirche über die Presse bis zur Regierung und dem Parlament. Diese Rest-"Seele" ist alles andere als "schön". Sie ist nach all den Erfahrungen des Grauens vergiftet, gequält und verletzt, und als Motto dazu ließe sich das alte Liebes-Gebot völlig umkehren in: "Hasse deinen Nächsten wie dich selbst". Wut-Energien bis in die Liebesbeziehungen hinein: "Zwischen dir und mir ist eine Wand aus Eis", "Wo bist du Herr? Deine frigiden Evas/ irren durch den Herbstschlamm/ Quasseln auf der Schwelle zum Nichts." "Mein Fleisch, das mich verschlingt.// Abgrund und Schatten. Ja, Schneide. Beben." Schreibt Marta Petreu, die zur Generation achtzig gehört. Sie gehört ebenfalls zu den starken Frauen nach 1989. Gottesflüche: Oder Skepsis und Verzweiflung auch bei ihr: "Ich bin müde, müde bin ich letzte/ Kreatur der Schöpfung, letzte Utopie von Gott" ; "fürchte mich im Dunkeln vor dem morgigen Tag": Kein Wunder, "Draußen" erwartet die Patienten wie überall im Osten eine wilde und rohe Geld- und Ellenbogen-Gesellschaft, die man keine zivile nennen kann. Bei Dinescu heißt es längst: »Willkommen, Konsumgesellschaft,/ entjungfere auch du uns, nimm auch du uns/ von vorn, drechsle uns aus den Nierensteinen/ ein paar Glückswürfel. Ab heute reden wir/ den Arsch nicht mehr mit Genosse/ sondern mit Herr an". Oder: "Nimm und probier. Wir sind auf dem richtigen Weg: Auch in Deutschland gehen die Uhren bverkehrt."

Auch von den ganz Jungen kommen scharfe Töne, und von den Frauen, wie wir sahen.

Krisen kündigen meist einen radikalen Umbruch an. Neue, diesmal unsichtbare Grenzen, nicht nur einen gewendeten Eisernen Vorhang. Neue Grenzöffnungen scheinen bevorzustehen. Die Generation 90, die Jüngsten, sehen nur noch den Untergang der alten Welt, der wir noch angehören: so bei Stefan Doru Dăncuş: "die ganze menschengattung ist ein schwarzes loch/ es wartet - jeder im zwischenraum der eigenen chromosomen - füll ihn aus - Herr." - "mein Engel starb an AIDS, Herr/ schick mir einen andern..." - "Schlaf in Frieden, Herr, niemand ist unversehrt geblieben".-

Ihr Lachen ist trocken, sarkastisch. Und doch kommt jetzt eine Art poesia metafisica. Das letzte Kapitel dieser Anthologie, "Grenzgänge und Totengespräche" ist nicht zufällig das längste. Es wird eine schwierige, fast unüberwindliche Grenze in Bewußtsein und Sprache erkennbar! Schon von Stánescu und der Avantgarde geahnt. So Gellu Naum: der an dieser Grenze die Toten sprechen läßt: "wir haben gänge zu euch geschaufelt unsre münder/ mit erde verschlossen/ geliebte ihr habt keine ahnung/ wir kommen in verbänden wir die einzigen die euch nicht/ vergessen haben ... " Mircea Eliades Nachfolger, Ioan Petre Culianu, gleichaltrig mit den Achtzigern, mit einigen von ihnen befreundet, spricht von Intertextualität extramundanen Reisen, Welten der Transzendenz und der Poesie: Nahtoderlebnisse und Bewußtseinserweiterung, Drogen, Parapsychologie, Neue Physik und Paraphysik, und der großen Literatur von Huxley bis Borges. Zeit, die Sprachgrenze zu überschreiten. Die Generation achtzig hat das erkannt. Welt ist Projektion, "die Sichtbarkeit der Seele ist der Körper", Durchdringung und Transparenz im Gedicht, besonders schön in Kapitel "Lacrimae rerum" der Anthologie. Diese Erkenntnis der Projektion war bei Stanescu da, sie ist erkennbar bei Ana Blandiana: "Alles ist zugleich ich selbst./Gebt mir ein Blatt, das mir nicht gleicht,/Helft mir ein Tief finden,/ Das nicht mit meiner Stimme klagt./Mein Schritt zerteilt die Erde, ich sehe/ Tote mit meinem Antlitz sich umarmen/ Und andre Tote zeugen./ Warum so viele Bindungen an diese Welt".

Die Achtziger, oft Rationalisten und westlich-antireligiös, haben sich jetzt diesem Grenzgang angenähert. Bedingung, daß die metaphysische Poesie nicht ärarisch, gar orthodox-kitschig wird, Rückfall in peinliche Vernebelung durch kirchlich-liturgische Formeln, wie bei vielen Rumänien heute im quälenden Vakuum einer Übergangsgesellschaft, ist das klare Bewußtsein einer großen Mutation, Entdeckungen der Neuen Physik und Biologie. Diese Lyrik kommt aus einer Zukunft, die noch aussteht.

Die Geschichte der Außenwelt ist okzidental, sie hat das Sagen, die Macht. Doch die langsame Umwandlung des Außen, heute bis zum Äußersten getrieben, schlägt um (Cyberspace, Quantenphysik als Wahrnehmungs-Modell einer grandiosen Immaterialisierung der Welt). Simultane Ebenen umgeben uns.

Die Antwort der Poeten: Gattungen werden wie die Wahrnehmungsgrenzen zum Zusammenfließen gebracht und vermischt; die Autoren äußern sich auf mehreren Ebenen. Ein neuer Stil, der Physik, dann die Traumata und Verletzungen der brutalen geschichtlichen Erfahrung, östliche Weisheit und die Wahrnehmung der Zukunft voraussetzt. Ein hochkonzentrierter alexandrinischer Gedichttyp enzyklopädischer Poesie ist entstanden. Einige der Achtziger schreiben Romane. Bei Cártárescu eine Art science-fiction, vor allem der neue Roman-Zyklus "Orbitor": ein Anschluß an Zukünftiges, an das, was Literatur einmal sein wird, bereitet sich vor - "virtuelles" Schreiben: eine Art Brückenbau in andere, in Zukunfts- und Transzendenz-Räume im Sinne des US- Romansciers Thomas Pynchon oder William Gibsons "Neuromancer". Was sich als "postmodern" im Westen oft als reines formales Affentheater aufspielt, ist bei den Rumänen eine Art erlittener "Hyperrealismus", jedoch urban und gereinigt von autochthonem Mief. Erst diese Generationen 80 und 90 versuchen durchzusetzen, was an der Zeit ist: eine Revolution des Subjekts (1989 hatte die gleichen Grundvoraussetzungen): alle Mauern, auch die der Wahrnehmung und der Sprache zu öffnen, zu durchstoßen, allein der Einzelne ist dazu fähig, da das sogenannte Wirkliche nichts ist, als der Zwang zu einem tödlichen kollektiven Alptraum.

 

 

 

 

GEFÄHRLICHE SERPENTINEN

Rumänische Lyrik der Gegenwart

 

 

 

Ausgewählt, herausgegeben

und mit einem Nachwort

von Dieter Schlesak

 

 

 

Edition Druckhaus

Neunzehnhundertachtundneunzig 

 

 

I

 

ENDLOSER SONNTAG

 

 

 

Alexandru Musina (Klaus F. Schneider)

 

XVIII1. Ode - "Sol"

 

Wir haben überlebt. Wie der Dachs,

der im Schlaf die grüne Knospe erblickt und seufzt.

Das Blut weiß die Regeln besser, und die Zelle

hat eine direkte Verbindung zu Gott.

 

So siegten wir: die Hand betäubt,

das Bein betäubt, der Mund betäubt.

Die Augen hörten auf zu schlagen. Das Gehirn vergaß.

So siegten wir; die Lymphe wurde zu Gelatine,

die Knochen wurden zu Gelatine, die Nerven wurden zu Gelatine.

 

Vergeblich schrieen sie, wie Besessene,

bleckten die schwarzen Zähne, klein und zahlreich,

die Zeichen, die gedruckten Storys. Die Furcht ist eine Mutter.

Die Furcht ist eine gute Mutter, voller Liebe.

In ihrem Bauch lernst du zu leben. In ihrem Bauch

gibt´s andere Regeln, andere Götter, geht eine andere Sonne auf.

 

Eine blau angelaufene, wärmliche Sonne, eine Tier-Sonne,

verständnisvoller als jede andere Sonne.

 

So siegten wir: wir schliefen.

Draußen verflossen die Zeitungen, Panzer, Gefühle,

Reiche wetzten sich ab, Reiche tauchten aus dem Meer empor.

 

Wir haben überlebt. Wir haben gesiegt. Hier bin ich.

Hier, neben dir.

 

 

Emilian Galaicu-Paun (Hellmut Seiler)

Die auflösung des kadavers (fragmente)

 

"gesetzt den fall ich nähte sie kopf an kopf, meine geliebten, hätte ich auf der weißen bahn ihres fleisches

aus dem gulag fliehen können"

flüsterte ich in einer winternacht in moskau - um mut zu fassen- ihr ins ohr, der nackten

transzendenz (gewiß, sie hatte auch einen weltlichen namen, doch gefiel es mir, im bett sie so

zu nennen), die natur

verlangte

nach transparenz und sex - wir hatten beides auch ohne unter der decke hervorzukriechen,

ihre antwort kam alsbald: "gesetzt den fall, ich knüpfte sie kopf an kopf, meine geliebten,

hätte das so entstandene elektrische feld ausgereicht, einen gulag zu umzäunen." wir übten

uns in nichts als literatur, wir

eli e-

liminierten, befreiten uns von lektüre. solschenizyn, schalamow, rasgon usw. ich streichelte

ihren kal(l)igrafischen leib als folgte ich, wie er sich gabelt in kopulative und gefüge, einem

satz:

"er sah aus als hätte er das ganze leben die gefallenen vom schlachtfeld abgeschleppt, indem

er sie auf seinen schatten schleifte, aus

welchem grund er ständig en retard war um eine grammatische zeit, unerreicht

von ihm in qualität verwandelt." ich las zwischen den zeilen der "moskovskie novosti": der

nackte könig stopfte die mäuler der wahrheitshungrigen mit erde, tbilisi, baku, jerewan. "ich

werde ein

kind

kriegen, aber mach dir keine sorgen", sagte sie mir eines tages. "wir werden", versuchte

ich sie festzulegen.

die klammern

sind in meinen texten gleichzeitig mit dem sichtbarwerden ihrer schwangerschaft erschienen.

der stil entstand durch die keineswegs zufällige begegnung auf einem operationstisch

zwischen einem schwarzen loch, das sich in zeitzonen öffnete wie ein herrenregenschirm und

einer näh-/ maschine.

die sonnenochsen, allerdings, waren schon geschrieben...

als du mir plötzlich dann auf meinem weg erschienest,

perestroika du!... (der rest ist literatur, die wand des kerkers von den "feinden des volkes" in

erwartung

ihrer hinrichtung vollgeschrieben - die fotografie ging um die welt - ist literatur: oben, die

ersten sätze stellten, jeder für sich, die "geschichte des lebens" her, gleich einer dns-

doppelhelix. stalin hatte keine geduld. es folgten einfache aussagen des typs "ein mensch-ein

satz" bis, einen meter tiefer, jemand

nur seinen namen

einritzte. dann eine lange litanei von namen, gefolgt, drei fingerbreit vom fußboden, nur noch

von initialen. und niemand hat, niemals und unter keinen umständen, dieses ungeschriebene

gesetz des kontextes übertreten. die lektion über den stil haben wir uns in all diesen jahren

angeeignet. darum auch unterschreibe ich mit graffiti auf die mauer em g-p

 

 

 

 

Ana Blandiana (Rolf-Frieder Marmont)

 

Alles

Laub, Wörter, Tränen

Streichholzschachteln, Katzen,

Straßenbahnen gelegentlich, Schlangen von nach Mehl

Anstehenden,

Marienkäfer, Leergut, Ansprachen,

gestreckte Fernsehbilder,

Kartoffelkäfer, Benzin,

Papierfähnchen, bekannte Porträts,

Pokal der Europameister,

mit Gasflaschen beladene Wagen, exportuntaugliche Äpfel,

Zeitungen, Weißbrot, Speiseöl mit Zusatz, Nelken,

Flughafenbegrüßungen, Sprudel, Baguette,

Bukarester Salami, Diätjoghurt,

Zigeunerinnen mit Kent-Zigaretten, Eier von Crevedia,

Gerüchte, die TV-Serie am Samstag abend,

Ersatzkaffee,

der Friedenskampf der Völker, Chöre,

Hektarerträge, Gerovital, Jahrestage,

bulgarisches Kompott, Versammlung der Werktätigen,

Landwein, Sportschuhe,

Witze, die Jungs auf der Calea Victoriei,

Seefisch, das Landesfestival "Preis dir, Rumänien",

alles.

 

 

Mircea Dinescu (Peter Motzan)

 

Nachsicht zur Winterszeit

 

Beschütze mich, herr vor denen, die mein bestes wollen,

vor den flotten burschen,

die einen allemal fröhlich verpfeifen,

vor dem priester mit dem tonbandgerät unter der soutane,

vor der decke, unter die man nur schlüpfen darf,

wenn man ,,guten abend" wünscht,

vor den diktatoren, die sich in den harfensaiten verhedderten vor den kerlen, die über ihr eignes volk erbost sind,

 

eben jetzt, wenn sich der winter nähert,

und wir haben weder hohe mauern

noch gänse auf dem Kapitol,

nichts als große vorräte an langmut und grauen

gehören uns.

 

 

 

Mircea Ivánescu (Joachim Wittstock)

 

Rufe über den Wolf

 

Wie alles vergolten wird... Immer wieder sagte ich,

wenn ich an einen Tisch trat, an dem mehrere saßen

und mich erwarteten oder

mich teilnahmslos hinnahmen - ich sagte:

"Welches Leid". Manche lachten. Ich selbst

wußte ja nicht recht, was ich sprach, bloß soviel:

In der Nacht, als ich mich an den Augenblick erinnerte,

da ich seine gespannten Züge gewahrte und

die in einer fremden Sprache vorgebrachten Worte hörte, mit den

gleichen Silben, die beharrlich an meine Schläfe hämmerten,

und das Gesicht anstarrte, wissend,

im Gedächtnis wird die gleiche Folge der Worte

und Mienen ausgelöst: in jener Nacht

ermaß ich, wie groß dieses Leiden ist.

 

 

 

 

 

 

Mircea Dinescu (Peter Motzan)

 

Endloser Sonntag

 

Treibt mir heut abend drei absurde masten ins fleisch, ich bin der überseedampfer unseres wohnviertels,

ich bin der nebelhund, den die leuchttürme blenden, die koryphäen werfen mir steine nach,

die säufer küssen mich.

Die gassenjungen ködern mich mit speck.

Langeweile dehnt sich hier an meeres stelle aus,

und der fröstelnde gott, der sich nicht ausweisen kann,

wird im morgengrauen vom anstandsgefühl gekillt.

Hier verkriechen sich die liebenden wie in einer konserve hier drücken sich die greise an die mauern,

hier klingt nur mein husten ehrlich,

hier haucht der zephir der gerüchte

lebenslust über den dreck:

das fußballspiel erschüttert die familien,

und das heulen des grammophons genießt freiheit,

und mit seinen grünen mückenbeinen

klopft der frühling leise an das fenster...

Schließlich zweifle ich an dir,

bis ich dich mit bitteren lippen berühre.

 

 

 

 

Elena Stefoi (Ernest Wichner)

 

Liebesbrief

 

Was du verstehen sollst? Eine Biographie

die wie eine Tonne Sprengstoff

auf meinen Wörtern lastet?

Ich weiß: ich atme nicht regelgerecht

meine Schultern sind leicht vornübergebeugt.

Von den Substantiven zum Verb

macht ein mörderischer Mechanismus Stilübungen

und wartet auf dich.

Damit du's weißt: ich habe gelogen,

habe gestohlen, habe schamlos

meine Freunde verraten; habe heimlich

Reste verschlungen von den Tischen jener,

die ich verachtete.

Ich sehne mich nach einem klaren Ozean:

beim Schwimmen die Zukunft aufrechter

Wirbelsäulen zu sehen, einen Schritt weit

von meinem liederlichen Einvernehmen.

So oft du willst,

kannst du vorbeikommen und

diese Fehler zählen: ein Oberkellner

unter den Gästen

der Sommersaison.

 

 

 

 

 

 

 

Ana Blandiana (Rolf-Frieder Marmont)

 

Die Zeugen

 

Mehr Schuld als die Betrachteten

trifft nur noch die Gaffer,

den Zeugen, der das Verbrechen nicht verhindert,

sondern scharf beobachtet, um es zu schildern,

sich entschuldigt. "Ich kann nicht

zweierlei Dinge gleichzeitig tun"

oder:

"Das engelgleiche Abbild des Opfers

zählt mehr als sein irdisches

Leben."

Schuldig kann nicht

nur einer, können nicht nur zwei oder drei sein,

wenn ganze Heere von Zeugen zusehen,

das Ende abwartend oder

daß der Henker an Altersschwäche stirbt

und das Opfer einen zweiten Tod erleidet durch Vergessen,

daß das Böse von selbst endet,

etwa so wie ein Tunnel schlicht und einfach endet...

Wir baumeln

an der eigenen Frage

wie ein Fahnentuch am Galgen.

"Vergebens", entgegnet die Zeit, "wartet ihr:

im Prozeß über die großen Alpträume

werden auch die Zeugen schuldig gesprochen."

 

 

 

 

 

 

 

Stefan Aug. Doinas (Anemone Latzina?)

 

Alibi*

 

Auf Feld und Gasse, selbst vor Hochaltaren,

im Bett - bei Tag, bei Nacht, im Morgenrot -

wird Mord verübt, wird Todeskampf erfahren,

schickt jemand einen andern in den Tod.

War ich dabei? Wo war ich an dem Tage?

Ich war's nicht, sag ich mir voll Ungeduld,

obwohl ich auf der Stirn ein Blutmal trage,

das Kainsmal ewiger, vererbter Schuld.

Ich sah des Mörders Messer und Gebärde,

das Blut; ich hörte einen Todesschrei.

Dann sah ich nichts mehr... stürzte wohl zur Erde...

Doch weiß ich eins: Der Schuldige ist frei.

Ich weiß nicht, wie er heißt. Ach, welcher Namen

paßt für uns alle: Mann und Greis und Kind,

paßt für Jungen, die das Spielen satt hatten

und Mörder ihrer eignen Kindheit sind?

Und für ein Liebespaar im Lenz des Lebens?

Wer hielt den Faustschlag ihres Mörders auf?

Oh, alles kommt zu spät und ist vergebens,

um beide Leichen kreist ein Rabenhauf.

Und kann ich die bedrohte Festung schützen?

Wodurch? Mir wird kein Ausweg offenbart.

Wir sind und bleiben jedes Mords Komplizen

wie Gott durch unsere Allgegenwart.

Komplizen... Aber wessen?

Wir Verlorene,

die Mitschuld tragen wir als Last und Los.

 

Sein Alibi hat nur der Ungeborene,

bloß er schläft ohne Schuld im Mutterschoß.

 

 

* Übersetzer nicht bekannt

 

 

 

 

 

 

II

MAN HAT EINEN TOTEN GFUNDEN

 

 

Mircea Bârsilă (Johann Lippet/William Totok)

Brief

 

nichts neues im dorf

alles wie du’s kennst

heute am letzten februartag schneit’s spärliche flocken

bei deiner schwester Gică ist alles beim alten

sie haben sich einen Dacia gekauft

Petrisor fährt sicher der ruhige mensch s

die knospen haben aufregende pläne mit den bäumen

auch dies jahr

mit dem geld für die ferkel kaufen wir heu für die kuh

ohne milch läßt es sich auf dem land nicht leben

wie geht’s dir mit dem studentenleben

uns mit dem unsrigen geht’s bis auf den heutigen tag gut

nur den gegenschwieger den alten hat der zug überfahren

er dachte ans vermögen wie an ein vom haus gerissenes dach

nun hat ihn der zug überfahren

doch bevor er aus dem leben ging

machte er sich beine aus ofenrohren

um an der spitze zu sein auch im jenseits

wo es dunkel ist

ansonsten gesund machen wir uns bereit für die arbeit

bis zu deinen ferien ist’s noch ein kleines stück

dann wird es uns leichter sein auch mit dir

abschließend küsse ich dich

vom geld was soll ich dir schreiben vorläufig habe ich keins

aber hundert lei schick’ ich dir trotzdem

lerne dich auch über das wenige freun

und dich benehmen wie man’s von dir verlangt

 

 

 

 

 

Mircea Dinescu (Peter Motzan)

 

Eine Fabrik ruft nach einer zweiten Fabrik

 

Hundert frauen springen monatlich

aus dem ledigenheim der seidenfabrik ab,

die webstühle bellen ins leere,

die produktionskurve schlängelt sich über die dielen, der direktor wird grau,

das telefon flucht,

grün vor lauter ärger kehren die dollars in den westen zurück, die buchstaben der losungen werden noch imposanter,

in den sitzungen geht's hitziger zu,

lastkraftwagen schaffen mädchen aus der umgebung herbei, am arbeitsplatz werden sie ausgebildet,

aber monatlich reißen hundert frauen aus,

verstört von dem seidenrot

wie stiere in einer corrida ohne toreros.

Kämen doch endlich die raupenschlepper,

um die erde einzuebnen,

kämen doch die betonarbeiter und schmiedemeister,

die fahrer, die's raushaben, durch die zähne zu pfeifen,

die weißhaarigen flegel, die asse der baustellen.

 

Fließbänder sollen lärmen,

Martinöfen summen,

kohle und teer zum himmel stinken,

damit sich die mädchen beruhigen,

hand in hand

seide und gußeisen,

fabrik an fabrik.

 

 

Magda Cârneci (Helmuth Frauendorfer)

 

Der Wirklichkeit ins Gesicht schauen

 

Schauen wir der Wirklichkeit ins Gesicht

in ihr dickes Gesicht einer Hausfrau, ohne Ansprüche

schlecht gekleidet, Mutter von zehn Kindern (Abgetrieben

hat sie niemals), hat Essen zubereitet für eine ganze Kantine,

eine Armee von unterirdischen, irdischen und Luftlinien-

Bausoldaten, Kuttelsuppe, heiße, fette Suppe

in Blechkesseln

 

Küssen wir mutig und stolz

ihr geschminktes und rasiertes Gesicht (es hat Schnurrbart, das Weib),

das zerfressen ist von Pickeln und Geschwüren, aber freigiebig,

ein Blumenkohl, Melasse, Feuerpilz, Eingeweide, Explosionen,

"Landschaft nach der Schlacht", Bett nach der Liebe,

eine berühmte

Geschichte, zügellos und sündhaft

wie eine Schädelpyramide,

ein grausames Mahl ohne Grenzen, die Frau mit den

tausend Brüsten

heute gut, morgen gut, zehntausend Wochen lang gut

 

Wie wir in ihrer krausen Mähne hocken, Ameisen, Mikroben,

Zecken (Löcher, Schlitze, Türen)

dann wenn sie gähnend

ihren breiten Mund schließt, der geschminkt ist mit

einer Tonne

Lippenstift Purpur Blut

Sie ist dabei, uns zu verschlingen, zu kauen, sie schließt uns

in die Arme

als wär´s ein Liebeskuß, Ekstase, Verschmelzung

mit dem All, Epiphanie:

schwarze und grüne Fliegen sangen glückselig Hymnen auf

dem klebrigen und giftigen Papier.

 

 

 

 

 

 

Nichita Danilov (Dieter Schlesak)

 

Landschaft

 

In den Glocken des Getreide

Feldes ein nackt verliebtes Paar

Verschwimmend in der Dämmerung

 

Die Sonne wie ein Glücksspiel

Breitet die langen Schatten aus

Auf dieses Feld genannt

Verzweiflung.

 

 

 

Matei Visniec (Klaus F. Schneider)

 

man hat einen toten gefunden

 

im kornfeld hatte man einen toten gefunden

einen großen toten mit schmalen händen

übrigens auch einige feuchte zigaretten

waren ihm aus der hosentasche gefallen

 

die beiden traktoristen hatten sich müde

neben den stattlichen leichnam gesetzt

ihn schweigend eine weile betrachtet

und bloß irgendwelche körner zwischen den zähnen zermalmt

später dann hatten sie sich auf den rücken gelegt

und den himmel betrachtet aufmerksamer denn je

schließlich und endlich sagte der eine

was haben wir denn schon in diesem leben erreicht

 

 

 

 

Geo Dumitrescu (Peter Motzan)

 

Romantik

 

Wir sind kluge Leute - das kann niemand bestreiten!

Der Vers, Freundchen, ist giftig, das Brot teuer und schlecht;

früher fühlten wir uns herrlich bei 'nem Schwatz und spuckten,

und daß die Zeit verfloß, war uns nur recht.

 

Zu kalt ist's heut im Büro, die Menschen sind gelblich und trocken,

voller Mitleid sind alle, und kleinlich ihre Gedanken;

die Nächte sind glasig wie die Augen der Toten,

und um sich zu besaufen, muß man nicht Wein, sondern Spiritus tanken.

 

Früher hatten wir Zeit, Geld, Hunger nach Sehnsucht,

alles war prima. Man war halt so dumm wie ein Kind.

Wir wußten nur, daß in Japan die Glühbirnen sehr billig

und daß unsere Tage fürchterlich kurz und gezählt sind.

 

Wir sind kluge Leute - das ist nicht zu bestreiten!

Von einem Krieg - schön, groß, episch breit und unerhört -

könnten wir auch ein Liedchen singen,

und wie wir nach Hause zurückgekehrt!

 

Freundchen, ich sag dir, der Vers ist giftig und teuer das Brot,

trotzdem frag ich dich in fünf Jahren, bescheiden und sacht:

(wenn wir wieder dumm sind und Zeit haben werden)

"...vor oder nach der großen Schlacht?"

 

Der Frühling kommt morgen mit vielen, unnötigen Blumen,

der Mond jedoch ist giftgefleckt und die Mädchen tippen.

Die Nächte sind so glasig wie die Augen der Toten,

und um sich zu besaufen, muß man schon Spiritus kippen.

 

Dinu Flamând (Peter Motzan)

 

Stadt

 

Die abschüssige Straße führt zu den Kliniken,

hältst du den Atem an, hörst du

das Heulen der Hunde,

sie dienen dem medizinischen Fortschritt, man hält sie

im Kellergeschoß, hinter Gittern berührt

sie der Frühling, am Abend, wenn Knospen zerspringen.

 

Du öffnest ein Fenster den wächsernen Sternen,

und herein fließt der Duft von der Seifenfabrik.

Bist du besser oder schlechter geworden? So bald

wirst du's nicht wissen.

Doch sicher ist: das Volk wäscht sich!

 

Zu einfach wär's, es siegte nun plötzlich

der Durst deines Körpers. Auf der Straße gehen

Mädchen vorbei, und eine drückt auf den Schwengel des Brunnens

und unter dem Wassersäbel krümmt sich ihr Hals.

 

 

 

 

Mariana Marin (Gehardt Csejka/

Helmut Frauendorfer)

 

Dark Ages

 

Ein Kind mit dem Blick eines Hundes

fragte mich einmal,

ob es schwer sei Schriftsteller zu werden.

Es war Winter und regnete doch

auf dem kurzen Weg zwischen Schule und Wohnung.

Vom Wasser gepeitscht

machte der Müll mit Lust große Wäsche.

Selbst der Müll wollte gern reingewaschen sein.

Ich konnte seine Freude spüren, als ein Tümpel

mir durch den Schuh hindurch die Sohle leckte.

Der Milchwagen war noch nicht da gewesen.

Es war viel zu kalt.

Die Vorstadthunde bellten drauflos,

immer dichter das Dunkel, Handschuhe hatte ich keine.

Der Mutterseelenallein brütete dumpf in der Wohnung, Stromausfall und Gasausfall - auch sie

bei einer Klatschpartie irgendwo im lauschigen Winkel.

Kalt, sehr kalt.

Eisige Kälte, zum Kotzen kalt.

Ein Waisenkind fragte mich eines Tages

auf dem kurzen Weg zwischen Schule und Wohnung,

ob es schwer sei, Schriftsteller zu werden.

Der Blick eines geprügelten Hundes

antwortete einem anderen Hundeblick,

er möge sich besser umsehen,

bis er richtig gut bellen kann

und den Hals in der Kette aufrichten,

wenn die Sterne fern sind,

die Freiheit.

 

 

Denisa Cománescu (Grete Tartler/ Helmut Britz)

 

Sylvia

 

Von dir

lernten alle Dichterinnen der Welt

in ihrer Biographie auch einen mißglückten Selbstmordversuch

anzuführen

als ob du eine der Gaskammern gewesen wärest

mit der goldenen Beißzange deiner Hilflosigkeit hast du uns randvoll gefüttert

zwei Kinder, zwei Rosen

den letzten Schutzwall unserer Scham durchstoßen

- wie ein Kind Vergeltung geübt -

dessen Dauerhaftigkeit die eines Schneemanns war: genau bemessen

und unmittelbar

und was würdest du mit einer zahllosen Kompanie von Schneemännern

anfangen,

die wie armselige Vogelscheuchen ewig

auf einem aufgelassenen Feld rumstehn?

ich bin von einem Schrei bewohnt, heißt es im Lied

als ob Angst aus dir sprudelte

und als Flügelschlag vor sich selbst Flöhe

im Mundwinkel die Spuren eines Kusses

ich bin die Zunge des Pferdes

das um den Pferch trabt und vor dem verschlossenen Tor

zu sabbern beginnt

ich bin eine blasse Kopie

als dickliches Kind getarnt, das sich endgültig abnabelt

dein Gedächtnis

dies perfekte Alibi

 

Lückenhaftes Gewebe

 

Es gibt eine Grenze der Verkümmerung

Ich sehe einen erblühten Kirschbaum

und sage mir:

es ist doch gut so

er nimmt nicht teil

an dieser seltsamen Form der Leblosigkeit

 

 

 

 

 

 

 

Iustin Panta (Dieter Schlesak) t

 

Erstes Bild Kommentar im Spiegel

 

Um einige Sorgengedanken zu vergessen -

denn du hast das Gefühl, als lägen in dir etliche Leichen,

stehst du aus dem Bett auf, machst ein paar Schritte im Zimmer

entgeistert im fahlen Licht, es dämmert.

Du betrachtest konzentriert den Fußboden.

Und plötzlich bist du begierig, dir ins Gesicht zu sehen,

zu fühlen, daß es dich gibt.

Und du schaust in den Spiegel.

Doch der Spiegel ist nicht mehr an seinem gewohnten Platz -

jemand hat ihn gegenüber angebracht,

und du starrst auf den Wandfleck, wo der Spiegel war,

ein Wandrechteck, weniger entfärbt als die übrige Tapete,

und siehst und glaubst tatsächlich, dies sei dein Gesicht -

ohne Mund,

ohne Augen,

Leere

Gesichtsfläche/ kein

Ausdruck.

 

 

Florn Iaru (Anemone Latzina)

 

Unsauberer Sonntag

 

Sprechen werde ich über´s Vergessen. Doch ein anderer hat vergessen.

Sprechen werde ich übers Sterben. Doch nur die Seele ist gestorben.

Sprechen werde ich übers Enden. Doch nur die Anfänge enden.

- Oh, Gott! jammert mein Bett - was für ein vorsintflutliches Tier

ist auf mich gefallen!

- Oh, Gott! schreit der Spiegel - weck mich nicht mehr aus dem Schlaf

mit deinem Gequassel!

- Oh, Gott! rufe auch ich - Unterwäsche

Einsamkeit sentimentaler Plunder!

Dennoch werde ich übers Sprechen sprechen. Doch ein anderer rennt vor

mir her und wedelt wie eine Giraffe:

- Ich! Ich hab´s zuerst gesagt!

- Ich! Ich hab sie zuerst geliebt!

- Wir - jubeln die sonntäglichen Gegenstände mir zu - wir haben sie

vor dir vergessen!

- Folglich - trage deine

warmen Handtücher

deine morgendliche Geburt!

Der Müllmann zündet seine Zigarette an.

Und sagt ruhig zu mir:

- Schmutzig. Sehr schmutzig.

Aber warm.

 

 

 

Petre Stoica (Oskar Pastior)

 

hoffnung meine schwarze tulpe

 

fast vier jahrzehnte lang schneit es schon ununterbrochen

weiße flocken auf zeichen und wappen und schwarze buchstaben

auf meinen seit eh und je schwarzen kontoauszug

der schnee hält nicht ein weiße schwärme weiße wirbel

hinterm spiegel schwarzer sanfter spinnen

mein mund ist voll kälte voll schnee mein leben

blakt unterm flockengezüngel es schneit auf meinen

schon fast vier jahrzehnte alten tod und es wächst

hoffnung meine schwarze tulpe wächst aus weißer

zeit

 

 

Petre Stoica

 

Option

 

Ich möchte ein für allemal klarstellen

daß es mir nicht um eine

bestimmte Jahreszeit geht

und ich sie gleichermaßen mag

die blauen Schnurrbartspitzen des Flurhüters

genauso wie die Petersilienbeete die bis

tief in den Herbst hinein wie Samt und Seide sind

ja und besonders vernarrt bin ich natürlich

in die Winterabende wenn der Kürbis im Rohr schmort

und der Ziegenbock mit seinen Hörnern an die

Futterkrippe klopft

erst einmal dann dreimal dann zehnmal

uns mahnend daß es an der Zeit sei

noch ein Glas zu leeren auf das Recht das heilige

für eine bestimmte Jahreszeit zu optieren

 

Oskar Pastior

 

 

 

 

 

 

 

 

III

 

DIE ZUKUNFT DER WUT

 

Marta Petreu (Ernest Wichner)

 

Tag der Wut

 

Zwischen mir und dir ist eine Wand aus Eis

die in die Hand sich schmiegt zum Streicheln.

 

Wütend stehe ich davor und Fieber schüttelt mich

und wie durch Tränennebel lauere ich auf dein Gesicht

verschnüre mir die Hände auf dem Rücken, tu einen

Schritt zurück und halte meinen Atem warm.

 

In vorgestellter Erinnerung

 

Wo bist du Herr? Deine frigiden Evas

irren durch den Herbstschlamm

quasseln auf der Schwelle zum Nichts.

 

Und ich hab Zeugen für deine Interesselosigkeit

in allen erdenschweren Dingen.

 

In vorgestellter Erinnerung bloß

weht ein sinnenfroher Wind, der treibt

gewaltige Flocken herbei:

welch passendes Lager, welch Eden warf

ich mir auf im Schnee.

 

 

 

 

Iolanda Malamen (Rolf-Frieder Marmont)

 

Die Zukunft der Wut

 

Ich trat auf die gefirnißten Läufer, im Tunnel der Sinne

schieb die kleine Truhe beiseite, mit etwas gutem Willen

wird sie zum Stehen kommen

unterhalb der zarten Wut!

Heraus werden die Spitzen fallen, die

erbitterte Generationen um den Verstand brachten.

 

Danach streckte sich die Spitzenklöpplerin aus unterm

Fensterbrett

von der Farbe

eines Grabes,

ließ ihren kranken Fuß in die Zukunft einbrechen,

winkte mit den Glühlämpchen aus Schreien.

Wir schubsten unser Dahingleiten, die Dachsparren

wirbelten über uns,

noch ein Schritt, und die Gesichtszüge der Liebe rückten

Richtung Trümmer vor,

fielen ab wie Blätter.

Die Spitzenklöpplerin rollte ihren Schlachtplan breit aus,

fütterte uns damit,

schlürfte ihre durchscheinenden Finger.

 

Ich hätte mir ein bescheidenes Erblühen gewünscht, das

Knirschen des Schotters nahebei,

das Tal strotzend von Wild.

 

Ich schubste sie (sie hatten Riegel aus Spitzen gefertigt) -

der Vater sammelte, sammelte, sammelte das Klirren der

Messer,

er wollte ganz einfach einen Wald mit reißenden Tieren,

wollte seine Krankheit betten auf eine Sternentrage,

wollte ganz einfach mein Aufbrüllen niedermähen.

 

 

 

Angela Marinescu (Hellmut Seiler)

 

Die Sonnenblume

 

Am tag an dem ich dich berührte (ich glaube es war frühling,

wie auch jetzt, da ich schreibe) hätte ich aufgeschrieen

hätte den verstand verloren

wäre das messer in meinem mund nicht gewesen.

am tag an dem du mich berührtest, träumte ich; daß ich keine KRAFT habe.

mit kalten schritten rötet die verzweiflung meinen weg.

 

im schatten des baumes, gegen abend, kreist das licht eines einzigen wortes,

langsam, wie eine sonnenblume.

 

die jetzt weggehen sind die ersten: in der kirche

die die ärmsten dichter gebaut haben.

 

 

 

 

 

 

 

Mariana Marin (Gehardt Csejka/Helmut Frauendorfer)

 

Liebesgedicht

 

Wenn es wahr ist, daß wir zwei eine große Liebe durchleben, warum klappern die Silhouetten des Todes dann auf dem Schornstein gerade unseres Märchenhauses? Die Jahre klemmen, es stimmt nicht, daß sie uns zwischen den Fingern zerrinnen wie zu anderen Zeiten Traumgesichte, wenn wir zwischen den Schiffen auf der Seine östliche Pergamente und Zeichen phantasierten. Doch wenn es wahr ist, daß auch ich ohne Alpträume aufwachen kann, warum drückt mich des Morgens dann dieser Osten?

 

Es ist hier das Ende einer Welt und was uns trennt, tut so, als wäre es ohne Ende, es verschlingt grobschlächtig oder erschießt unser beider Leben, die unmittelbar demselben Stacheldraht entwuchsen.

 

 

 

Nora Iuga (Lioba Happel)

 

Die Reise nach Plowdiw wurde verschoben

 

Auch die Dichtung denk ich
wird von mir gehen
wie ein Kind das heranwuchs
mich nicht mehr braucht
Briefe werden wir uns schicken
Entschuldigungen Alimentengelder
die Quittungen für all den Aufruhr
hineingepreßt in pralle Akten
in denen man beim besten Willen nichts mehr findet

 

Und wie rannte einst das Fieberpferd von Prinz D’Alexis
hin auf gefährlich angelegten Serpentinen
Kurven eines genialen Hirns
– Siehst du nicht mir geht es gut nur find ich mich
ich finde mich nicht wieder –

 

Ich besitze noch ein Dutzend loser Knöpfe
mit denen sich im Nachhinein ein Lebensweg belegen ließe
meinen Mantel seit ich neun bin
den ersten Büstenhalter
Uniform, ein Reisekleid
– die Reise nach Plowdiw wurde verschoben –

Und Krümel auf dem tuchbedeckten Tisch
– gestern wurde Champagner getrunken –
Zu viele Gewissensbisse
zu viele Zähne die die Hand da beißen
wie sie sich schüchtern streckt
nach dem häßlichsten Apfel greift

 

Warum fürchte ich mich wenn der Gedanke schneller als das Wort herausdrängt?

Was laß ich vor dem armen Wesen herabfall’n die eisernen Gitter
wo es sich abmüht ein großes Geheimnis an den Tag zu bringen?

 

Ironie, zärtliche Hut
die du mich immer auf die Dienstbotentreppe geführt hast
ist es nicht gut daß wir leben
Und die sanfte Sonne auf dem Gichtkreuz des Rentners
Und die Ansichtskarte, wie schön, von den Antillen –
das Erdbeben es fand
auf einem anderen Kontinent statt

 

 

 

 

Mircea Dinescu (Peter Motzan)

Die Lawine

 

Am 11. november um 9 uhr morgens

hatte ich ein rendezvous

mit einer jungen lawine

auf einem der anmutigsten hänge

des Himalaja.

Eine liebe auf den ersten blick hätte uns ergriffen,

doch bis man mir den paß ausstellte,

bis ich meine verwandten angab,

bis ich mir die koffer packte,

bis mich die zollbeamten filzten.

bis mich der detektor beschnüffelte,

wurde es viertel nach neun,

und die lawine, pikiert und hysterisch,

war mit einem griechen und zwei japanern talwärts gerollt.

 

Stimme sie milder, herr, diese behörden der trauer,

diese behörden, ach, sie bekämpfen die liebe,

die liebe und den tod.

Mircea Dinescu

 

Liebesbriefe, geschrieben unter einer zerbrochenen Lampe

 

Siehst du's, der zug der raben ist ein brief,

von einem stummen in das all geworfen,

und hör' nur, wie die bilderfresser

die morgenbrühe samt den lerchen schlürfen,

ein zeichen ist's: der faule frühling kommt

(und frierst du, zieh' dir die stadt über den leib

oder hüll' dich in eine decke aus brünstigen ratten). Am flußufer schlafe ich,

und die uhr singt in der baumhöhle,

und tausend ersoffene buhlen um meines strohhalms gunst,

den ich den wasserwirbeln anvertraute.

Flinkes unglück,

demütige flucht,

soldaten, angeheuert schon im säuglingsalter.

Unsere braut ist die brotrinde, es wuchsen ihr

beine, sie ist mit dem schönsten burschen getürmt,

doch hilft dir kein ekel, spuck´ nicht in die sonne,

ihr lampenschirm wird ganz sicher zerbersten.

 

Peter Motzan

 

 

 

Elena Stefoi (Rolf Bossert)

 

Zwei Schritt vom Horizont

 

ich kann ihr

nicht helfen. Sie taucht in kurzen Abständen auf und ähnelt

den Säufern

aus manchen Büchern. (Mir graust vor ihren zerrissenen

Lippen:

die bedrohen mich mit absoluter Liebe; auch haben sie mir

gezeigt,

daß Käfer in eine Sinfonie einbrechen können.) Komm

wir organisieren

den Sumpf da, flüstert sie mir zu, komm wir erhängen uns

beide

am Haken der Intransigenz. Sie küßt meine Nächte, bis nichts

mehr bleibt

als Verwirrung, aus der man Stacheldraht herstellen kann.

Sie schläft ein, schnarcht in meiner Grammatik, dann habe ich

keinen Vater und keine Mutter mehr. Und wenn sie jäh

stolpert,

zwei Schritt vom Horizont, wird sie bleich und sie zittert und

brüllt,

sie habe es gründlich satt, dieses (allerdings epileptische) Hel-

dentum,

das mich am Leben hält. Soviel.

 

 

 

Florin Iaru (Anemone Latzina)

 

Guten Morgen

 

Dieser Morgen hat gestern abend begonnen

mit Kopfweh

mit einer Landung in Angola

Schlaf

eine Frau

Gras aus Glas

unmoralisches Picknick (mit Ideen)

mehrere Frauen führen ihren Schatten an der Sonne spazieren

ein paar Keime Melancholie

Stunden, die

Sonne, die

Ereignisse, die

mein Kopf, eingeklemmt

im Holz des Bettes

deine Seele, Geliebte, eingeklemmt im Holz des Bettes

das blaue Schisma eines Messers

seit unserer Jugend in der Mitte des Bettes

ach, die Ereignisse

ach, die Ereignisse

wir haben uns (natürlich) umarmt

das Tagebuch schmatzt mit seinen Blättern

die kahle Pendeluhr macht Liebe

mit dem häuslichen Interieur

oh, Kopfweh, das

oh, Landung in Angola, die

oh, schlaf

oh, schlaf

in den Parks lassen die Alten

des Letzten Weltkriegs durch ihre Schatten

die Sonne runzlig scheinen

aha, die Sonne

und der Morgen

aha

- Guten Morgen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Carmen Firan (Dieter Schlesak)

Es gab diese Zeit

glücklich waren nur wir

 

die Welt bewegte sich wie betäubt

die Kontinente brachen auseinander

und die Geschichte hatte keine Helden mehr

verbraucht das Leben in Verschwörung und Erlässen

es war die Zeit ohne Zeit

sogar unser Hund winselte sich langsam zu Tode

und von einem Ende zum andern war Nichts als nur Sand

keine Stimme mehr keine Brücke

eine Wüste aus Glas und frucht-lose Bäume

Schaufenster grinsend durch die Gitter auf leere Straßen

der einzig lebendige Zustand war - der Überdruß

doch glücklich waren nur wir

 

So bewachend dich/ deinen verzweifelt sanften Schlaf

schlief ich an deiner linken Schulter ein

als wär ich herausgewachsen aus dir

die Schwimmerin in einem Tropfen Tau

dein Arm schrumpfte rechts von meinem Kopf ein

als du erwachtest zitternd mich zu streicheln

das war nicht ich

der Tod

ich hatte gelernt zu weinen

 

 

 

 

 

 

 

IV

HAUSORDNUNG

 

Mariana Codrut (Dieter Schlesak)

lied zum erschrecken des schattens(den spitzeln)

wehe dir, schattennamenlos und ohne vater und mutter

verfolgst du mich seit jahren

versteint den augenblick

 

niemand wird

deine geschichte kennen

nur meine

 

weh dir, schatten

vereist sind deine roten blutkörperchen

so trinkst du rotwein meine worte

erregen dich im hirn ihr echo blinkt

 

deine geschichte nie

eine protuberanz

doch meine:

ja!

 

weh dir, schatten

sogar dein herz imitierts

 

meines, mein herz schlägt

dich/ dein lang entleertes leben

 

geh in dich

du bist ein Nichts

ich lebe

du aber: nicht!

 

 

 

Florin Mugur (Dieter Schlesak)

 

Hamlet

 

Des Mittelalters Anfang.
Gefährliche Gegend, das Weiße

im Mond.

Legt Eisen an,

dann fliegt ihr nicht.

Wir treten ein

Wir treten ein

in das verborgene mittlere Reich

des Verdachtes.

 

*

 

Siehe, es kehren ermüdet die Henker

heim,

ihre Frauen zu lieben!

Und die Hofnarren, die schnellen,

ziehen vorbei

im Läuten der Schellen.

Und die besoffenen Könige

äffen sie nach.

 

 

Marin Sorescu (Dieter Roth)

 

Studie

 

Ich kam mir schon lange verdächtig vor,

und gestern heftete ich mich an meine Fersen

und beschattete mich unauffällig den ganzen Tag.

 

Nun gut, ich bin weit gefährlicher,

als ich dachte

Wenn ich auf die Straße trete, blicke ich

nach rechts und links,

als fotografierte ich fortwährend

Gebäude, Menschen, Telegrafenstangen

und alle Reichtümer.

 

Ohne ersichtlichen Grund

(lies: um nicht erkannt zu werden)

verändere ich ständig meinen Seelenausdruck.

mein Gesicht ist das reinste Morsealphabet,

alle Augenblicke funkt es Gott weiß was für

Geheimnisse an die Mondmenschen,

die dort oben lange Ohren machen.

 

Wenn ich am Tisch sitze,

reiße ich ein Blatt Papier

in lauter kleine Schnitzel, die ich zusammenknülle

und sofort der Vergessenheit anheimfallen lasse,

was seltsam genug ist.

 

Abends seile ich mich sogar in meinen Schlaf hinunter

(an einer Leine, die ich eigens zu diesem Zweck

bei mir trage),

um zu sehn, was das Subjekt dort

zu offenbaren hat, was es

spontan erinnert und -

das Wichtigste -

wer ihm diese Sachverhalte

zwischen den Dingen

zuträgt.

 

Dann fülle ich

die Karteikarte aus.

 

 

 

 

Andrei Zanca (Helmut Britz)

Nur anstatt

mittäglich. sirenengeheul.anreihung den gehsteig entlang, die haltestelle

zigarettenstummel, windfahnen.

später schlängelt sich die stimme dieses kastrierten

griechen durch die lüfte, schwächeanfall

der luft über den dächern. ach,

die leute entspannen sich, die handrücken

fahren über die schweißperlen, warm ist es auch.

Jetzt ist dir alles gut genug. alles, der kranke sehnt

sich nach dem leben, das er als gesunder verfluchte.

nur soviel? Jetzt hast du gelächelt. Jetzt waren wir

jung gewesen.

wieder das geheul. absterbend. nachts, wird die

geburtenziffer steigen.

das entsetzen wird die leute einander näherbringen

die kinder zur welt.

die häuser rücken zusammen. die gefahr wirft sich zur

wand auf.

was ist mit den gelben gesichtern - sonnengelben, verzerrten

gesichtern - sonnen zugewandte gesichter.

ist es die sonne vor der sonne, die ihr meint? der

fleischerladen mit

dem roten aushängeschild CARNE, der platz mit

zigarettenstummeln übersät, wirklich,

CARNE?

das geheul. es ist gut so. Jetzt.

mittäglich. juligleich. die fragen brechen aus.

das leben als ein leben.

 

Pause

 

der tag schmilzt, mählich, zerläuft

bunkerwärts, später die nacht

erfriert unter der stirn, die brennende zigarette.

die Straßenkehrerinnen, du erschauerst, einbrechende

dunkelheit.

du erschauerst, setzt

über schützengräben hinweg, versengte grasnarben

panzerwagen und stiefel,

du erschauerst, erwachst, erschauerst, das

morgengrauen, erschauerst.

es regnet,

nieselregen.

ist etwas geschehen? NUR ANSTATT... sagt der

pförtner

die mutter meiner mutter, das haar sanft angegraut,

ich esse.

ihre augen folgen jedem bissen, nimmst du noch?

nein, ich räume ab, sie streckt sich, schläft ein.

ist es damit genug? REICHT ES?

es geht alles vorbei. nur anstatt

erschossen zu werden

mit einem gedicht über das vaterland, allein im feld.

deine jungen jahre

werden zeit haben

zu altern.

 

 

 

 

Marius Robescu (Gerhardt Csejka)

 

Frei atmen

 

Wenn für dich alles zu spät kommt
was du hundertfach verloren glaubtest
schiebst du mit den Händen die Gäste beiseite
wirfst die Geschenke zum Fenster hinaus

 

sie halten dich natürlich für’n Querkopf
der geradezu in einem Kubus wohnt
(ganz verkehrt wäre das nicht: rechte Winkel und Musik
besänftigen die Nerven, die von früh bis spät wie Telegraphendrähte summen)

 

stets findet sich eine Stimme bereit auszurufen
Mein Gott wie ungezogen der ist! (nicht die der Mutter
sie hat in ihrer Liebe für dich längst resigniert
und ist, nach einem ganzen Leben, mit dem Ergebnis doch nicht zufrieden)

 

es ist eine unpersönliche Stimme, eine Radiostimme beinah
die dich tadelt; ohne Hast
drehe du an einem imaginären Sucher
und atme weiterhin frei, stülp dir kein Kissen über den Kopf

 

doch versuche auch nicht zu lächeln
sondern denke lieber in Schmerzen darüber nach
warum du dich mit den Verlusten nicht abfinden kannst
(alles Wiederfinden ist illusorisch)

 

wie als Kind: obgleich hungrig
bleibe unter der Treppe versteckt
und weine
antworte nicht, wenn sie zum Essen rufen

 

 

 

 

Virgil Mazilescu (Rolf Bossert)

 

Der Verwalter kann jeden Augenblick

auf der Strecke bleiben

 

zum teufel du verwalter ich bin die realität he die greifbare realität

die entäußerung des weltgeists im sinnlichen (hegel vorlesungen

phänomenologie)

ich bin die mit den kleinen ohren

mit häschen und murmeltieren aus knete

bin die mit süßen und süßesten worten

und wenn mir der kragen platzt und ich hinüberwechsle auf den

anderen gehsteig und dir

vorher sage: du verwalter mit dir bleib ich nicht länger

was fängst du dann an? die häschen schmelzen dahin die murmel-

tiere fliehen

in ihr eignes land keine süßen worte wirst du mehr hören

kleine ohren nicht finden in die du brüllen kannst

so daß zum teufel du verwalter ich bin die greifbare realität

ich bin die mit den kleinen ohren

mit häschen und murmeltieren aus knete

bin die mit süßen und süßesten worten

 

 

Der Verwalter erklärt worin sein Leben

eigentlich besteht

(absolut ehrlicher bericht)

 

der transport eines alten schranks aus dem wohnzimmer auf die

terrasse

warum macht er mir seit einiger zeit so sehr

zu schaffen - ich hatte doch alles vorausgesehn

bis ins kleinste detail

 

"bis zur äußersten grenze bis zum weiter-gehts-nicht"

 

das gehirn und der schlehdorn hinten im garten

die grüne seide und hau dem schwein eins aufs dach!

der see und die schar düsterer animalischer einbildungen:

meine liebe

 

denn man kann nicht mehr sterben vor kälte vor hunger auch nicht

von der kugel getroffen - doch der transport

eines schranks aus dem wohnzimmer auf die terrasse

die abgetretene schwelle das lächeln bereits zur hälfte gestockt

und den fuß den fuß zieh zurück und empfange die götter

 

ich habe alles vorausgesehn bis ins kleinste detail

der transport eines alten schranks aus dem wohnzimmer auf die

terrasse

mein leben

 

meine kleider werde ich wieder verbrennen ändern meine identität

wieviel ehre und wieviel ruhm - ich habe alles vorausgesehn

"er ruhe in frieden gott lasse ihn ruhen in frieden

es könnte ja sein daß wir von seinem tod irgendwie profitieren"

 

 

 

Iosif Costinas (Eduard Schneider) s

 

Hausordnung

 

Legen Sie sich nicht mit brennender Zigarette aufs Bett

und mit der falschen Vorstellung, daß sie unsterblich sind.

Bringen Sie keine entflammbaren Flüssigkeiten ins Zimmer,

keine Liebe verdient es, daß Sie zur lebendigen Fackel werden.

Verlangen Sie kein Zimmer, wenn Sie betrunken sind,

sich jemandes Gunst erfreuen oder zu allem fähig sind.

Zerstören Sie nicht die sanitären Anlagen und das Mobiliar,

kühlen Sie ihr Mütchen durch Hürdenlauf.

Benutzen Sie im Zimmer nicht das elektrische Bügeleisen,

den elektrischen Stuhl und die elektronische Guillotine.

Schnarchen Sie nicht, lauern Sie nicht, trampeln Sie nicht.

Fluchen Sie nicht, widersprechen Sie nicht, versuchen Sie nicht, sich zu erhängen.

Seien Sie niemandes Feind, seien Sie kein Kind, suchen Sie nicht, was Sie nicht hatten.

Staunen Sie nicht und erheben Sie keinen Einspruch, wenn

wir Ihnen einen schönen Aufenthalt wünschen,

einen schönen Aufenthalt auf Erden und einen gedeckten Tisch.

Und was schlecht ist, wird schon recht.

 

 

Traian T. Cosovei (Horst Samson) s

 

Wiegenlied

 

Du sollst nicht weinen - eine Träne ist teurer als

eine Eisenbahnbrücke - Du sollst nicht weinen

(sie würden dich verächtlich im Rückspiegel betrachten

oder dich verdächtigen, daß du eine neue Atombombe erfunden hast).

 

Am Rande des Feldes,

immer am Rande des Feldes

unter dem von Petarden und Fallschirmen durchquerten Himmel,

hörst du dem vertonten Brandschutz zu

oder der Schraubenproduktion in Alexandrinern

- bedeutende Elegien für das Mahlen des Morgenkaffees -

 

Du sollst nicht weinen -

dazu sind andere abgerichtet

oder um mit verlorenem Blick von gemähten Feldern zu träumen

in den Schaufenstern mit Ozeanfischen.

 

Du sollst nicht weinen - siehe

die Zimmer öffnen jetzt allerlei Türen

für die Seelenzustände der Schatten -

du sollst nicht weinen -

Morgen werden wir in einem anderen Bahnhof sein

unter einem anderen Regen frei und leicht seit je

zwischen den Wasserstoffballons der großen Feste

so wie Kindertränen am blauen Himmel.

 

 

 

Romulus Bucur (Herbert-Werner Mühlroth)

 

20 & 2

 

mir selbst, 11. mai 1978

 

aufgewachsen zwischen ausschnitten aus zeitschriften

in der kabine eines lastkraftwagens

 

jedes verflossene jahr ist ein sieg

die lyrik = tintenkleckse

 

 

 

g

e

t

r

o

p

f

t

i

n

s

wasser

zur lobpreisung der frauen die vor dir in die knie fallen sollen

 

alles was du hast - eine eintrittskarte fürs kino

+ eine befangenheit oder etwas in der art

(du schreibst nicht james dean

aus konformismus

aus furcht wegen kosmopolitismus angeklagt zu werden)

 

Oh, schmetterlingsjagd am rande der autobahn!

Oh jugend, brennende fackel auf einem weiten feld!

 

 

Virgil Mazilescu (Rolf Frieder Marmont)

 

die worte eines freundes jenseits dessen was ich weiß und anzuwenden versteh erhebt sich was ich nicht weiß und nicht anzuwenden

versteh

erhebt ihr euch schwächliche schatten und es scheint

mir bleibt keine andere wahl: da man weder durch umkehr -also

durch verzicht aufs aktuelle und lebensfähige element

und durch

den (nun gut beherrschten) fall in eine völlig andere

stellung* zu einem anderen ergebnis käme. noch durch

weigerung oder durch die taktik des friedlichen verschiebens

von

heute auf morgen. noch durch dunkel noch durch

licht. es sei denn

die musik des namens die stufen eures namens

 

,,man sprach zu mir: du siegst wenn du dich unterwirfst

ich unterwarf mich und fand die asche

man sprach zu mir: du siegst wenn du liebst

ich liebte und fand die asche

man sprach zu mir: du siegst wenn du von diesem leben läßt ich ließ davon und fand die asche"

 

(das sind die worte eines freundes der schon lang sich bemüht möglichst klar zu sehen. seinesgleichen zu begreifen. auf

recht und ohne scheu

auszuschreiten. ich hörte sie eines abends und glaube sie kommen mir nie mehr aus dem sinn.)

 

 

* will sagen: in eine andere welt und einen anderen traum

 

 

 

 

 

Eugen Suciu (Dieter Schlesak)

 

"Gefühle zu haben, heißt: unaufmerksam sein"

Poem für Rolf Bossert

 

Guiomar

du sollst nicht glauben daß meine Zähne je

einen Psalm singen werden

ein viel Blutgieriger wird

anhalten um den Mond

 

sicher

ein Wort kann Ziegel sein

doch eine Zunge ist kein Auge

höchstens

ein nächtliches Abenteuer wenn

meine Hände nichts sind

als Phantasien der Metianustraße

(die mit dem Antiquariat

Ecke zu Anatole)

 

dort

sind sie gleich wichtig die kleinen Feigheiten

eine Art Gesundheit

die nur die Verse unterhöhlt

und wenn ich manchmal meine Augen

als streitsüchtigen Abgrund sah

(Herr Paul, Rolf und ich)

oh! wie sehr hatten wir gehofft

die Deutschen dichten zu lehren

(doch in freien Rhythmen

weißt du nie

wenn sich das Dunkel von den Knochen

löst

ob die Guillotine gut geölt ist

oder der Nacken nach ihr giert)

 

hier

nach dieser Musik von heute nacht

"die Sonne steigt blau und grün auf"

blau und grün - geleckt

von einer feuchten Schnauze

einer Schaffnerpension

und hier

gibt’s nichts als Regen der

bejahend mit den Tropfenköpfen nickt

 

Adrian Popescu (Franz Hodjak)

 

Die Rohre

 

Wo schreibst du deine Gedichte,

fragte S. mich eines Tags.

In einem chinesischen Pavillon.

In einem Jagdturm?

 

Im westlichen Stadtviertel, in einer

Zelle aus Eisenbeton,

die ich selbst aufräume,

nicht in den Vorstädten des Himmels.

 

Weshalb versteckst du, wenn jemand

unerwartet eintritt, die angegrauten Papiere

wie ein Halbwüchsiger, der heimlich

bei Lampenlicht ein Buch liest?

 

Voller Draht, vergilbter Papiere

und Deckel - der Wald.

Wie kann man noch an Kobolde glauben

und Dryaden? Wo siehst du Tau?

 

Hör lieber den Rohren zu, die im Erdgeschoß

des Hauses vergraben sind, hör, wie sie

leise mit Parzenstimmen murmeln,

nachts, wenn niemand sie hört,

 

ein Lied, hör, über Quellen

und Wiesen

wohin unser Blut niemals mehr

zurückkehren kann.

 

 

 

Ana Blandiana (Horst Helge Fassel)

 

Im Schlaf

 

es geschieht mir, daß ich im schlaf

aufschreie,

nur im schlaf.

ich erwache und bin erschrocken

über so viel mut

in der stille der disziplinierten nacht,

und ich versuche es, den schrei

des ruhenden nachbarn abzuhören.

aber sie alle sind so klug

und schreien nur, nachdem sie sich

vergewissert haben,

daß ihr schlafen ein traum ist

im schlafe des schlafs,

wo niemand es hört, öffnen sie den mund:

was muß das für ein befreites stimmengewirr sein

im schlafe des schlafs.

 

 

 

 

Ana Blandiana (Franz Hodjak)

 

Müdigkeit

 

Was für brave Tote wir haben!

Sie brechen nicht hervor aus Vulkanen,

verhalten sich ruhig unter den Mauern,

die sich auf sie stützen.

Sie lassen sich in Statuen sperren,

in Gesten, von andern gemeißelt,

lassen sich von Fahnen einspannen

auf unbekannten Wegen, lassen sich ackern

und verwesen gewissenhaft, um die Erde zu nähren.

Was für Tote wir haben, brav und müde.

 

 

 

Ioana Cráciunescu (Dieter Schlesak)

 

Macht, Versuchung

 

Größe, Versuchung.

Die Lebenden kalken die großen Gruben.

Der Fall wird reinlich sein!

 

Anmaßender, viel zwingender

zwischen den Zeilen und Atomen beherrscht uns

Erniedrigung.

Viel wird von ihr noch zu sprechen sein!

Sie heilt das Brennen im Magen der Menge,

betäubt die Widerstandsfähigkeit,

und erfreut die Macht.

Welch ein Gewälze von Talenten im Schlamm

welch ein Quietschen der Dankbaren in den Kneipen!

Mit fleischiger Hand öffnet der Metzger die Knöpfchen

des grauen Kleides,

das heute anzog/ meine Melancholie.

 

Erhöhung - Versuchung.

Die Lebenden kalken die großen Gruben.

Und reinlich wird der Fall sein.

 

 

 

 

 

Dan Culcer Werner Söllner

 

Ethik

 

die sonne weicht nicht von ihrer bahn

der horizont verfinstert sich nicht

das meer tritt nicht über die ufer

das leben steckt sich nicht an

der rahmen zerstiebt nicht

der geist wird nicht satt

nur der hund wedelt mit dem schweif

wenn er getreten wird

 

 

 

 

 

Mircea Dinescu (Gerhardt Csejka)

 

Vertagt

 

Vertagt wird der Aufstand aus Gründen des Regens

vertagt wird das Baby des Brotes wegen

dabei bellen nicht nur die Hunde Maria an

und der Stern ist längst reif die Ochsen sind warm

die Weisen haben beim Gastwirt "Zur Not" hohe Schulden

Gerüchte erblühn in den Handflächenmulden

das Kind wird vertagt des Brotes wegen

der Aufstand vertagt aus Gründen des Regens

 

 

 

 

 

 

V

 

DAS MESSER ZWISCHEN DEN BLÄTTERN

 

Nichita Stánescu (Dieter Schlesak)

Die zweite elegie. getica

für Vasile Pârvan

 

In jedes astloch setzte man einen gott.

Wenn ein stein zersprang wurde geschwind ein gott gebracht.

 

Wenn eine brücke brach

vertrat ein gott den leeren übergang

 

Wenn auf der straße gruben entstanden

brachte man schnell einen gott um ihn auf die straße

zu setzen.

 

Schneide dich nicht in den finger oder in den fuß

nicht absichtlich und nicht aus versehen!

 

Sie werden dir die wunde mit einem gott verbinden

daß an jeder stelle

ein gott sei von ihnen eingesetzt

daß zwang sei sich ihm zu beugen ihm

dem verteidiger aller dinge die innen sich von sich

selber scheiden.

 

Hüte dich kämpfer verliere dein auge nicht

gleich werden sie dir die augenhöhle

mit einem gott vermauern

der nun als steinbild in den höhlen aufsteht.

Wir aber müssen die seelen kreisend

aus dem lob bewegen.

auch du wirst ihn wie fremde

in alle deine hymnen tragen und deine seele

versetzen.

 

 

 

 

Marin Sorescu (Dieter Schlesak)

 

Und siehe, die Dinge sind in zwei Hälften geteilt, die eine sind sie, die andere mein Name.

 

Am Anfang stand gar nichts aufrecht, kein Hochgebirge

ja, kein Traum/ es wäre für den Regen sinnlos gewesen von oben zu fallen.

 

So regnete es eben aus den Falten der Erde.

Die Tropfen kamen vom Nordpol.

Man sehe sich mal eine Karte an.

 

Die Bildung des Reliefs und die des Menschen

verschob den Schwerpunkt der Erde.

 

Nun erheben sich die Wolken fallschirmgleich.

 

Trotzdem regnet´s auch heute manchmal noch horizontal, dann seh ich aus dem Fenster oder in die Geschichte:

Wer von uns beiden geht wohl auf allen Vieren?

Und zwischen beiden ist ein breiter Platz, Platz zum Laufen, zum Leben.

 

Und siehe, du bist in zwei Hälften geteilt, die eine bist du, die andere dein Name.

 

Merkst du nicht manchmal, vielleicht im Traum, vielleicht neben den Träumen, daß über deine Stirn fremde Gedanken gezogen werden, über deine Hände andere Hände?

 

Jemand hat dich erkannt einen Augenblick lang: dein Name geht singend und schmerzhaft durch deinen Körper wie der bronzene Klöppel durch die große Leere der Glocke.

 

 

 

 

Ilie Constantin (Dieter Schlesak)

 

Glatt ist das Wild.

 

Es narrt die Treiber,

verbirgt seine Fährte, schlüpft

in den Bau mit geheimen Türen,

zeigt sich,

verschwindet,

gewinnt Konturen.

 

Endlos währt die Verfolgung.

Die Jäger krepieren beim Hetzen.

Bellend verenden die Hunde.

 

 

 

George Almosnino (Gerhardt Csejka)

 

Weg I

irgendwo schimmert ein weißes licht dein weg

maus führt durchs gemäuer endlose galerien

riechend nach schlaf

 

groß ist der hunger

könig-vater widerruft seine strafe nicht

jegliche sünde – umspült von lässig plätscherndem wasser von gift

 

ein braver leichnam dicht am ohr der kaputten puppe


spiralfedern und signaturen überreste

von turmuhren länglich verzognen zerfließenden uhren

 

Ich glaube

 

 

 

Ana Blandiana (Dieter Schlesak) 

Psalm

(Paraphrase)

 

Aber siehe sogar der Zug Kraniche verriet Vorher-Sagen aufzuheben den alten Fall UND die zwei Bäume entsagten Eden weise Erkenntnis vernünftig

ist wirklich Ja mein vor sichtiger Vater

wirst du es satt haben zu frieden zu sein?

Sieh (mein Auge) Wort für Wort nichts zu sagen wurde uns ein gebläut. Herr aus diesem Schweigen versprichst du unverwest aufzuheben mir

alle Worte: daß die Vögel ihre Rückkehr erinnern

und die Blätter im Fall auf den grünen Zweig

kommen werden alles erweckt in Lehm und Blech

aufersteht wenn du mächtig sein wirst UND kein Niemand - Ersetz mir die Trauer durch den Haß.

 

 

 

 

Matei Visniec (Rolf Bossert)

 

Ein hoher Mann ging vorbei

 

ich schlenderte auf irgendeinem öden strand

des reiches umher ein hoher mann ging

an mir vorbei wer bist du fragte ich ihn gelangweilt

ich bin der könig sagte er sehr schön ich

bin der schwarzkünstler siehst du soeben spazierte ich

allein hier auf dem strand rum und langweilte mich

da dachte ich was wäre ich bring mir den könig

mal her laß ihn vorbeigehn und

frag ihn gelangweilt wer bist du?

 

Die Stadt voller Blumen

 

aber wartet doch noch bis morgen morgen

wird der könig gerechtigkeit walten lassen

morgen wird die stadt voller blumen

voller teppiche sein die trompeten werden

aus den schränken der ratsherrn geholt und ein herrlicher

marsch wird erschallen in allen

straßen der könig wird durch die stadt

reiten er wird durch die menge

reiten und sagen

der ja

der nicht

der ja

der nicht

 

Nie sollst du

 

nie sollst du die stadt Abraquilvir verlassen

ohne dir vorher ein gewehr gekauft

die augen verbunden

und eine stunde lang auf der hauptstraße

nach rechts und nach links geschossen zu haben

 

und reißt du das tuch von den augen

siehst du um dich herum andere leute,

die augen verbunden. ruhig spazieren sie

mit ihren durchlöcherten hüten

 

 

Dan Dánila (Georg Scherg)

 

Paris

 

in den jahren der besatzung, cioran auf dem fahrrad

auf der place concorde, zwischen panzerwagen,

lautsprechern mit edith piaf

und wagen mit rot-weiß-blauem eis,

feinsinnigen formen des widerstandes

 

in den cafés wurde herausfordernd geschwiegen,

philosophisch geschwiegen - die schubladen wurden geleert,

die manuskripte mit fallschirmen abgeworfen

über den almen der schweiz,

aber niemand verließ

die verdunkelte stadt des absurden,

des champagners, des kognaks,

der seidenstrümpfe

 

in den kellern der gestapo

wurden die grausamsten foltern verordnet:

das schlafverbot, das gebot zu schreiben

und alles und jedes - damals wußte man gar nicht

daß nicht weit davon,

in einer mansarde des quartier latin

dies ein modus vivendi war.

 

Georg Scherg

 

 

 

Matei Visniec (Gerhardt Csejka)

 

Erlebnisse mit der Bestie III

 

Die bestie legte ihre schnauze auf meine knie

nur nicht heulen, schrie ich sie an, ich

mag dich nicht heulen sehn

 

doch das gesicht der bestie verzerrte sich vor

kummer und meine knie erbebten

vom unsäglichen geheul der bestie

 

du bringst dich um, schrie ich, du weißt doch

das heulen ist tödlich für dich

halt ein, rief ich ihr zu

 

aber das auge der bestie schwamm zuckend in tränen

ihrem mund entquollen brocken vergangener mahlzeiten


und in ihrem herzen rötete sich allmählich die luft

Da heulte auch ich auf dem haarigen arm

der bestie und wir erinnerten uns an kastanienblätter

und an den schönen blauen pelikan

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

VI

DIE KLÄGLICHEN RESTE DES HEILIGENSCHEINS

 

 

wie du zu kämpfen weißt mit dem erstbesten Fliegenschwarm

der sich auf die Ideale gesetzt hat.

 

 

 

Nichita Stánescu (Oskar Pastior)

 

Naturgesetz

 

Weil ich mir's vorstelle

sagt er:

Zwei Hände haben und an

jeder fünf Finger das ist

ein Naturgesetz,

zwei Füße und an jedem

fünf Zehen das

ist ein Naturgesetz.

Ich hocke im grünen Busch und

stelle mir dieses Naturgesetz vor, es

ist ein Naturgesetz wenn man

zwei Hände hat

und fünf Finger an jeder, es

ist ein Naturgesetz wenn man

zwei Füße hat

und fünf Zehen an jedem, es ist ein Natur-

gesetz wenn man einen Schädel

mit zwei Augen hat und zwei Ohren

und zwei Nasenlöchern

und zwei Augenbrauen und mit jeweils

einem Paar Abständen dazwischen.

 

Er sagt mir, weil ich mir's

vorstelle hast du

einen Kopf, zwei Hände zwei Füße. Und

außerdem sagt er: steh auf und

geh.

 

 

 

Laus Ptolemaei

Fragment

 

X Ärger darüber, daß zu wenig Gefühle

rings um die Ideen zum Ausdruck gebracht werden.

 

Nun also, über alle Vorstellung hinaus

taub geworden vom Gras und abgegrast

von den Gäulen der Phantasie, lasse ich

federnden Schrittes die Silben zurück.

 

Glatt gehobelt bis aufs Blut vom fröh-

lichen Quieken nie gesehener Kinder,

das an den wundgescheuerten Nerven

zerrt, bis der Schmerz zerreißt.

 

Ich lasse also einen von allen Seiten

ständig attackierten Zustand der Mau-

erhaftigkeit, der Mückenbelästigung,

des vom Mond her strömenden Geruchs

 

hinter mir. Desgleichen die heilige Scham-

losigkeit des Schenkels einer nackten

Frau, des Hungers, der Küchenabfälle,

des Raufens mit Winkeln, Geraden, Spi-

 

ralen, das alles lasse ich also und zwar

sozusagen in sich beruhend wie das Dot-

ter im Ei, irgendwo in der Mitte, rauh,

roh, wie alles Alte und wie alles Neue.

 

 

 

 

Elena Stefoi (Rolf Bossert)

 

Direkt auf den Olymp wirst du gelangen

 

Schau sie dir an, die kläglichen Reste

des Heiligenscheins. Mit zusammengebissenen Zähnen

geht die Geschichte an deinem Namen vorbei. Hast du Angst,

so zu tun als ließe dich das kalt,

hast du Angst? Da wächst ein Paar Krallen,

schau nur wie´s wächst, lächelnd, im Spiegel. Großartig,

wie du zu kämpfen weißt mit dem erstbesten Fliegenschwarm

der sich auf die Ideale gesetzt hat.

 

 

 

 

 

 

Doina Uricariu (Herbert-Werner Mühlroth)

 

Exil

 

Wie lang soll'n wir noch in einem fremden Hause wohnen?

Unsre Feinde und die Meineidigen lieben?

Wie Zugvögel ein Nest uns bauen

aus Resten, Herr, zu soliden Resten?

Exil neben Exil,

Das Exil aus Exil.

Öffnet eure Schnäbel: ich habe euch das Exil gebracht,

verschlingt es geschwind!

Nahrung habe ich euch gebracht.

 

 

 

 

Auf die Körper der Jugendlichen in T-Shirts

 

Auf die Körper der Jugendlichen in T-Shirts

in die vom vielen Tragen geweitete Baumwolle fiel die Elegie.

Du trugst mich auf den Armen zum Strand, nach Kap Aurora.

Auf den Scheitel Gottes fiel der Schatten der Möwen.

 

Die Muscheln hätten die Fersen mir zerschnitten,

hättest du auf deinen Armen mich nicht getragen.

Ich gehörte zu dir wie der Schatten der Möwen auf dem Scheitel Gottes.

 

Ich ging, um Shakespeare zu lesen,

den ungeschliffenen Caliban,

du kehrtest zu deinen Freunden zurück

und binnen zwei Stunden umnebelte der Wodka euer Hirn.

Wie die Faust Stalins

fiel dein Kopf dir auf die Brust,

mit seinem schweren Kinn die Weltreiche verteilend.

Die Reiche in einer Wunde, von links nach rechts,

reihten ihre Gräber aneinander.

 

 

 

 

 

Virgil Mihaiu (Peter Motzan)

 

Mit eigenen Augen

 

Wir drängten uns zwischen

den papierwänden eines zeltes zusammen

das wir aus einigen geretteten büchern zusammengeklebt hatten

nur zu gut wußten wir

daß wir nichts als unsere pflicht taten

vom ufer riefen sie uns zu:

rettet eure seelen

 

wir redeten uns ein

daß wir mit eigenen augen

erleben müßten

wie das alles zu ende geht

 

 

 

Auf der Lauer vor dem Briefkasten

 

Ich erwache mit bleiklumpen in den augen

und versuche mich an den geschmack des brotes

an den lockruf des lächelns zu erinnern

 

auf dem flugweg zu mir

wurde dein brief auch diesmal

von den falken angefallen

 

die tränen haben die farbe des blutes

das einsickert in die buchstaben und

in klare und trübe, schwere und leichte gedanken

 

 

 

Mildernde Umstände

 

Nichts bleibt als:

ein notizbüchlein

eine rippe

ein splitter

 

der entwurf einer großen subjektiven utopie

 

währenddessen gleitet deinen hals

der kühle revolverlauf hoch

und pfeift dir erneut den befehl ins ohr:

sei glücklich

 

 

 

Augustin Frátilă (Dieter Schlesak)

 

Bibliothek

 

Die wahre Fülle

liegt unerschöpflich in der Leere.

Lao-tse

Bibliothek, die mir das Leben nahm: ich - atmend

und schon tot:

sehr müd in dieser Irrfahrt

jahrelang von einem Ende

meiner Blutbahn hin zum andern

mit meiner Liebsten

dragam

Albia.

Pausenlanges Schweigen

ist ein Herzstoß. Er fehlte hier

der langen Heimkehr; die Rückkehr

war sehr müde und sehr arm - der Weg

er hatte seinen hohen Preis: Das Leben!

Ich konnte Ihn in mir

nicht wachsen lassen, Ihn nicht erhalten - so

gab ich Ihn dem Tod, weil Er der Tod ist ... Ein Jetzt

das in mir ruht; so stehe ich und schau nach außen,

den Träumen nach:

 

Ein Adler der zuerst den Löwen aus-

nimmt, erspürt die Schwarze Katze Nacht der Hosentasche

und wie der Glanz des schwarzen Fells

vor Angst verlöscht/ Eins wird mit dieser Finsternis,

das Kind versteckt sich in der Kindheit - sieh,

es sind nun Sie - Sie suchen mich

von Zeit zu Zeit, Sie sehn mich schweigend an; und Sie

verschwinden kurz vor dem Erwachen;

mich sehn jetzt, nur die frischen Ameisen-

haufen, Krater

der Maulwürfe Augen der Dunkelheit ...

der Schmerz ist zu ertragen, welch eine Qual! Ertrage

den Schmerz schon besser; denke sogar:

Ihre Wiederkehr würde mich verwirren, jetzt, daheim:

so viele Jahre vergeudet, soviel an Versöhnung fleißig

zusammengetragen, so viele Lügenbücher,

die Ihr Verschwinden zelebrieren! Nein -

ausgerechnet jetzt nachdem ich aufgebaut

solide Trauer; aus trockner Haut des Wortes `Liebe`

(und ich habe dir doch gesagt - während meiner Abwesenheit, dieses Wort darf nicht verkommen, sich balgen gar mit anderen Wörtern, hab´s dir gesagt!) und schuf so

drei Visionen, drei Fenster - denn in Richtung Norden

ließ ich zu riesige Flügel adlerartige Himmelsfrequenz

zehn Fundamente kindlicher Leucht Türme

genau an der Kreuzung warten

"auf jenen der sich niemals verirrt" ... und dieses bleibt

so Jetzt und nur noch: dies:

wenn ich die Augen schließe

tritt hier Niemand mehr ein ...

 

Ich, ein Berufseinsamkeitler hier, ich

werd mich im dolce far niente und

taugenichtsartig auf dem Rücken

meiner Erinnerung selbst verbrennen

im Tode lachend: Nichts als

mit meinem Selbst zu hadern

im Abgrund

der Geister im Keller der Glorien- und

der Heiligenscheine erhöhnt?

 

Den Letzten den Vers

werd ich anstecken können

um bei seinem Schein noch

zu schreiben

den nächsten den allernächsten Vers ...

 

Von jetzt an

Nie mehr ein Flüchtling zu sein...

 

 

 

 

Virgil Mazilescu (Dieter Schlesak)

 

Die Mutter der Aufständischen, die Nachtigall

 

Die Mutter der Aufständischen, die Nachtigall

ist eine entfesselte Mutter,

eine Mutter, die Handspiegel verkehrt hält.

Du Mutter, du drehtest den Schlüssel in meinem trägen Blut.

Langsam, langsam bewegtest du den Schlüssel, wie bei einem Einbruch.

 

 

 

 

 

VII

 

PRIVATUNTERRICHT

 

 

Daniel T. Suciu (Edith Konradt)

 

Aus:

Apropanz, wie kein anderer

 

Dem hochmögenden Landvermesser

Ion Barbu gewidmet

 

(Fragment)

 

In dem Augenblick als ich eine Kneipe

betrat in Apropanz

der Schnaps faulte in den Gläsern

und ich konnte nur

wenige Tage

zusehen wie der Schimmel quillt

aus dem Glas und an den Tischen

alle überzieht

blau wie Frost

war meine Angst weiter zu sehen

und wohin mich dann verirrt mein Gott?

 

In Apropanz bestehen

die Häuser aus vier Fenstern

das Dach ist die Tür

durch die allein von

Zeit zu Zeit

Ausgang gewährt wird

(einigen)

 

In Apropanz haben

die Vögel keine Flügel

sie weisen mit Fingern wohin

sie fliegen wollen

und weinen wenn

aus den Eierschalen

das Junge mit verstümmelten Flügeln

schlüpft

es sind schwere Zeiten

für Apropanz

 

 

Gabriela Melinescu (Oskar Pastior)

 

200 Jahre

 

Ooh das wunderschö-

ne Leem!

Meinz jedoch ee-

wickverbiestert.

 

Wie staken Lucky Luke und

Spindel-Phil Defer

in der beschissnen Tinte.

 

Wer von den aller-ober-chiefsten

will mir die Silbersommersprossen reichen?

diese Schraubenköpfe im Ab-

sinthgekröse? (saufs aus

Hick-Hollow-Gequassel saugs auf

durch drei Papillen Balsam)

 

Ich sage bloß: genug mein Fräulein!

Und in der Sperr- und Trauerpinte

noch einen Schmatz auf´s

Kampferseelchen dieser

Fummelpichlerinnen

im Tresengriff.

 

Mitunter flotze ich geblümt und spöttelgalgisch.

 

 

Privatunterricht

 

Die Privatstunde beginnt

mit einer Kollektion Fingernägeln und

Kinderhaar

tschüs Berthe!

 

Unvorstellbar dieser Purpur

auf der Haut war das ein Fall

gib acht aufs Gesicht kommt´s an

tschüs Berthe!

 

Dieses löblich zu finden

sei höchst erfreulich

einen zarten Gaumen mit

Zahnschmelz vorzeigen huch ein

Oriongestirn mit Haß-

schnitzerei.

 

Was habt ihr uns noch zu sagen

wir sind eh mit Alkohol unter-

jubelt Minusgraden Stacheldraht-

spasmen tschüs

Berthe!

 

 

 

Die Prinzessin

 

Ha nicht lebensmüd ha nicht sterbensfroh

ha ich bin ha dgegen. Aha!

Am liebsten zögi mirdi Karotide

mit e i n e r Hand (faule Krabbe)

ausm Hals.

 

Du siehst ich kann nicht kommen.

Wohlix Kribbeln hebt an. S

boigt mich hin zd

1000 Feeflaumfeder-

betten wos fos-

forgrün bioströmlich

drunter läppelt.

 

 

VintilăIvánceanu (Dieter Schlesak)

 

genügend männerschenkel

auf dem schanktisch mit leeren bierseideln

und die kellnerinnen im pyjama

verkaufen grabsteine ab einem kilo

die frösche quaken im schlaf

und die heiligen murmeln flüche

in dieser nacht klebt der alte filatelist

eine briefmarke auf sein foto

nachts nur nachts werfen die katzen

zwei drei junge

 

ein akkordeon bläst sich auf ein toter bläst sich flach

und die autos bewegen sich langsam

wie bischöfe durch die menge

mach mich zum soldaten mutter

ein land zu erobern wo

kein mensch geboren wurde und nie

zur welt kommt ein mensch

dort möchte ich mir mein meer

auf die füße stellen

und dort dichter zur welt bringen

 

 

 

 

Mariana Marin (Gehardt Csejka/ Helmut Frauendorfer)

 

Offener Brief oder Erwartet mich nicht mehr zu frühesten Stunden

Auch heute noch umgehe ich die Ameisenhügel aus Angst, ich könnte der Königin wehtun oder einen ihrer Untertanen zertreten. Mir sind zu Lebzeiten aber Menschen begegnet, die hätten mich gern im Bannkreis des Makabren gehabt, sie hielten meine Fußsohle

für den Höllengrund selbst und wollten, daß auch ich das so sehe. Ihnen erkläre ich folgendes:

Ich stehe auf der Seite des Lebens, ich begreife Gesundsein nicht als Defekt ich finde am schieren Sterben keinen Gefallen. So laßt mich denn

beladen allein mit dem Fluch der Ameisenkönigin, der ich vielleicht einen Untertanen aus Unachtsamkeit getötet habe.

Sie weiß, daß ich sie jedesmal um Vergebung bat und am Grab jeder einzelnen zu Tode gekommenen Ameise nach Kräften ein Gedicht aufrichte.

 

 

 

Virgil Mihaiu (Peter Motzan)

 

Heiter

 

Der Tag beginnt mit einem Sonnenstrahl. Ich öffne den Postkasten,

dein Brief schlägt Purzelbäume. Während ich ihn lese, sehe ich,

wie die Buchstaben deinen Lippen entspringen. Nun trage ich

in der Tasche dein Herz, zur Sonne wird's und pocht

berauschende Glut in den Tag.

 

 

Waage

 

Dieser Sonnabend beginnt beinahe unparteiisch,

in den Himmeln schnurren die Wolken, der Wagen

ist in Sicherheit, das Wasser steigt in den Leitungen

hoch, das Gas brennt pflichtbewußt in der Küche,

den Druck der 35 Jahre fühle ich nicht, da ihm

die Illusion der anderen, noch ungelebten entgegenwirkt.

 

 

 

 

 

Emil Brumaru (Alfred Kittner)

 

Elegie

 

Ihr Sommerküchen, mir vertraut seit lange schon,

Des Mittags Wohlgeschmack fühl ich im Mund,

Die Traurigkeit ist um mich wie ein Hohn,

Doch träum ich mich als Kind und -

Sehe Nelken, Pfeffer, fein geröstet auf dem Herd,

Die Fische dick, in milchger Tunke schlaferstarrt,

Die Puter, eine Nacht im eignen Saft bewahrt,

Daß ihre Leckerheit unendlich währt,

Pilze, wie Kanapees, mit duftgem Spitzenspiel,

Des Roggens Korn: Glotzaug, sperrangelweit,

Der dicke Teig, der schwer nur aufgehn will

In engelhafter Tölpelhaftigkeit,

Das Innre weicher Leber, gut verwahrt

In Schneckeneierfäßchens tränensüßer Truhe

Traumhafte Knoblauchtunken, Schinken zart,

Will betten sich die Seel im Senf zur Ruhe;

Und in den Kannen, die Erlauchtheit offenbaren

Durch Glitzerprunk und Henkel prächtiglich,

Tee, der verdampft zur köstlich-wunderbaren,

Zur rosenfarbenen Essenz des Dings an sich!

 

 

 

Emil Brumaru (Anemone Latzina) 

Naives Lied

 

 

Ein kleiner Fisch der war sehr trist

Im Fischweiher des Grafen

Und liebte einen Amethyst

Am goldnen Ring des Grafen

 

Er kam in einer Kutsche an

Bat um die Hand des Grafen

Doch abgewiesen starb er dann

Im Angesicht des Grafen

 

Ein stolzer Diener briet sodann

Auf Anordnung des Grafen

Zum Abendbrot mit Thymian

Ihn für die Katz des Grafen

 

 

 

 

Leonid Dimov (Else Kornis)

 

Das Lied von den Wohnräumen

 

Wir wollen ruhigere Hintergründe,

Nach bestem Wissen tun wir was dafür,

Und just, als ob sie uns im Wege stünde,

Verlegen wir sogar die brave Tür.

 

Wir möchten grüne Gärten um uns sehen,

Und seien sie auch aus Brokat gemacht,

Odysseus soll im Glanz vor uns erstehen,

Von Aphrodite mütterlich bedacht.

 

Wir wünschen uns auch Purpurdraperien,

Die Falten voller Falter aus Email,

Der Wohnraum soll in Bischofsrot erglühen,

Auf daß hier jeder Tag ein Festtag sei.

 

Den Lehnstuhl schmücken weiche, gelbe Kissen,

Von vielen blauen Knöpfen eingefaßt,

Auch Topfgewächse wollen wir nicht missen.

Denn Blumen laden Käfer gern zu Gast.

 

Ein Umhang liegt dort drüben - lila Seide -,

Mag sein, daß heute wer erwartet wird...

Schon schließt die Nähschatulle sich vor Freude,

Und vom Schatullendeckel lacht ein Hirt.

 

Hier Elfenbein, gebracht von Karavellen,

Die sich einst sturmgepeitscht dem Land genaht,

Da, neben Farben, matten oder grellen,

Ein blendend-weißes Feiertagsornat.

 

Aus einem goldnen Tabernakel blicken

Uns Heilige mit ernsten Augen an;

Je nun, der Schrein will von der Stelle rücken:

Es ist, als zöge irgendwer daran.

 

Die Heiligen Drei Könige dort scheinen

Des Siegs über Dämonen ganz gewiß,

Was es an Farben gibt, erglänzt am Leinen,

Doch mitten durch die Leinwand geht ein Riß.

 

 

 

Leonid Dimov (Dieter Fuhrmann)

 

XXXIV. Sonett

 

Lauf an die Straßenecke, tritt in den Krämerladen

Und gib dort nur die Auskunft, du seist entsandt von mir,

Kauf ein Rückenpolster, Papier und Bindfaden

Nebst einer Flasche Anis, mit Siegel und Petschier.

 

Wir baun dann einen Drachen und lassen ohne Schaden

Ihn hoch ins Nachtblau steigen über der Mordstatt hier.

Erklirren die Signale in kosmischen Kaskaden,

So winkt uns bald ein Päckchen mit Schlafelixier.

 

Nicht wirst du's je erfahren, noch wirst du je es verstehen,

Wenn, anderen Gesetzen zufolge, aus den Höhen

Ein rotwangiger Apfel zur Erde niederfällt.

 

Ich aber, viele Meilen ins All hinaus gespiegelt,

Werd' weiter Wache halten, von Anisduft beflügelt,

Um Antwort zu erhalten im Dunkel dieser Welt.

 

 

 

 

Hetze

 

Schwere Nacht, ein Labyrinth,

Schneeverweht ist jede Straße -

Sieh das Lamm im Silberwind

Gleiten wie auf glattem Glase!

 

Hart dahinter, lächelnd, still,

Springen von den Barrieren

Wie in drahtgezognem Drill

Schwarze Wölfe voll Begehren.

 

Öffne nicht! Ein Glöckchen klingt

Weit in diesem strengen Froste.

Gleich nach jenem Lamme dringt

Auch der Wolf ein, daß er's koste.

 

 

 

 

Rondel von der aufgesteckten Kerze

 

Es brannte eine Kerze, aufgesteckt

Auf eine andre Kerze, die da brannte,

Und in der Kerze Watte, eingeweckt,

Selbst weiß mich übersteigend, ich mich spannte.

 

Da lachte eine Maske, breit gebleckt,

Des schweren Würfels, sinnentleerter Kante:

Es brannte eine Kerze, aufgesteckt

Auf eine andre Kerze, die da brannte,

 

Zur Decke schwebt' empor ich, jäh erweckt,

Zum aufgemalten Gott, des nonchalante

Figur die Sternenkiste übereckt',

Da ihn das rauchlose Geschehen bannte:

Es brannte eine Kerze, aufgesteckt...

 

 

 

Leonid Dimov (C. Alioth)

 

Rondel vom verschwundenen Spieler

Es war ein Garten wie ein Labyrinth

Und mittendrin war eine Kegelbahn.

Man sah den Spieler, der da kam; geschwind

Lag in der Hand schon ein papierner Kahn.

 

Gelächter, das hell, silbern dann zerrinnt,

Hielt noch im himbeerfarbenen Abend an.

Es war ein Garten wie ein Labyrinth,

Genau im Zentrum stand die Kegelbahn.

 

Das Kegelspiel sich seinen Fall ersinnt,

Es stimmt mit Klirren einen Singsang an.

Der Spieler jedoch, kaum, daß ich ihn findt!

Ist er verschwunden; Leere starrt mich an

Aus diesem Garten wie ein Labyrinth.

 

 

Leonid Dimov

 

Im hohen Bogen auf das Bollwerk spucken

An deinen Zitadellen grün uns jucken

Den Apfel den sie mausen uns erthronen

hoho und mit den Wölfen nachts im Park

beim Katzundmausspiel uns nicht schonen

Oskar Pastior

 

 

Sorin Márculescu (George Gutu)

 

Imagomachie (IX)

 

Hier zwischen einem Wappenschildhaus

und einem Seminar gezirpt in Fetzen

da ist die Luft viel glatter und man gleitet

beim hohlen Anstoß eines blauen Gehrocks

zum Stuhl des Richters: nach dem Sprung dreifach

wird aus dem Kamm ein bröckelndes Asyl

du - wieder dreimal - nimmst im Kupferwasser

das Flittergold aus Fingernägeln wahr

im dritten Kreis hebt's sich zu andren Ängsten:

hier dreht der Richter sich um sich herum

das Kenotaph in Fohlen auferstanden

vollzieht im runden Vogel die Verbindung

von blindem Blick und seinem eignen Teig

das Rad lebendig bläht sein Schaukeln auf

es staut - zuvorderst du auf einem Flügel -

die Kuppeln in Vorhallen und kippt um

das Pflaster in die Rebe und den Tod in Felsen

und die Propheten alle in Pokale

uralter Sarkophagen über Weiden

mit Myrten und mit Gaben hingeschleppt

von deinem Stuhl aus dann im Frühlingswinde

durchs Flußbett-Blut zugweise durchgesickert

in die Radfelge ohne Gegner-Gott

bringst du das Sichtbare dreifach zum Sprung

daß du im geisterleeren Zelt erscheinst.

 

 

 

 

Augustin Frátilă (Dieter Schlesak)

 

Ballade

Heep,Heep,Uriah!

Heep, Heep, Uriah!

 

Und ich kam an zur Nacht

- spät.

Mitten in dieser Irrfahrt besetzt

alle Stühle, das Vorzimmer, die Küche,

die Tafelnden tot, und erwarteten Ihn,

den SOHN.

Auf der Couch ausgestreckt der VATER; auf dem

Teppich geblieben: offen: der Sarg - Kein

Platz außer am Boden da unten

das Offene:

"- Wieder verspätet!" (Ich verspätete immer!) konnte es

lesen auf dem Nachttisch-Spiegel

mit Atemhauch zart das Warmgeschriebene ...

 

Er hatte den besten Anzug an

die neuen Schuhe - ich aber löschte

eilig

das eben Gelesene, und reinigte den Boden

das Linoleum, die Klinke, und

machte mich aus dem Staub...

 

"Dady, dady come and see, look

what I have found!" rief Melinda: so schließ

doch die Tür, hör´n wir Blues, ja? Blues um uns

zu erinnern, ja? Wir waren so krank - und ER

ja Er nahm´s Akkordeon ( Marke Weltmeister), spielte`

n´Ländler steierisch, dann "Kukuruzbrechen"

ab oder besser´n Jazz? Viel Jazz hören, Ja?

Nur um uns zu erinnern: Schlawiner! - Er

wartete immer bis Mutter einschlief, schlich in die Küche

sein ganzes Wesen vibrierte im Kitzel:

heimlich sich einen Kaffee zu kochen ...

 

Und doch Melinda Mädchen ist´s leichter

den Blues zu erinnern so komm doch und setz

einen Blues auf: ja hol mir, zum Teufel,

endlich den Pfropfen Blut aus dem Ohr ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

VIII

WARTEN AUF WIRKUNG

 

 

 

Und alles, was mit Gewalt zurechtgebogen wird,

zerbricht...

 

Geo Dumitrescu (Rolf Bossert)

 

Das Afrika unter der Stirn

 

Nur schlechte Nachrichten kann ich noch erwarten.

Nur schlechte Nachrichten kann ich noch überbringen:

Ein weiterer Baum ist gestorben,

ein weiterer Vogel fortgezogen,

jemand hat sich die Seele zerschnitten

an einem Spiegelsplitter,

irgendwo in den Kontinent der Liebe

sind die Känguruhmenschen eingefallen...

 

Alle Winde wehen verkehrt

und sagen, daß die Bäume - die von ihnen

gekrümmt worden sind - geradegebogen werden müßten. So

ist die Sterblichkeitsrate der Bäume

erheblich gestiegen:

Denn nichts, nein, wirklich nichts kann geradegebogen werden

ohne die Billigung der Säfte,

und alles, was mit Gewalt zurechtgebogen wird,

zerbricht...

 

Deshalb erwarte ich nur noch schlechte Nachrichten -

die letzten Feuer werden wahrscheinlich verlöschen,

hartes Pferdehaar wird wachsen

auf den letzten weiß und strahlend gebliebenen Stirnen,

die noch nicht vom Knüppel zerschmettert worden sind,

und die letzten Lieder im Wald

werden von den Gorillawölfen gesungen...

 

Bis dahin müssen sich alle Leute

höchstindividuell kratzen -

so sieht es das Gesetz vor, so will es der Brauch

vor dem Tode. Insistieren Sie nicht,

Ausnahmen werden nicht zugelassen -

bloß die Armlosen dürfen sich gegenseitig

kratzen, mit der Schnauze oder mit den Füßen...

 

Inzwischen ist ein weiterer Baum gestorben,

ein weiterer Vogel fortgezogen,

jemand hat sich den Spiegel zerschnitten

an einem Seelensplitter,

und die Känguruhmenschen vermehren sich

aus der Hintertasche der Welt...

Nur schlechte Nachrichten kann ich noch erwarten.

 

 

 

Marin Sorescu (Oskar Pastior )

Der von ungefähr dort um die Ecke

 

Der von ungefähr sitzt am Kommandopult

auf dem die Anzeige fehlt.

Mechanisch und zerstreut drückt er Knöpfe

- erfundene oder reale,

mal hier mal dort -

die mit nichts und niemand

in Verbindung sind.

 

Wir machen uns lustig über ihn,

vertrottelt, sagen wir, ist der von ungefähr.

Und das tatsächliche Kommandopult

rostet schrottreif um die Ecke.

 

Dessenungeachtet

kommt dann alles unvermeidlich

haargenau und so als hätte

der von ungefähr es so gewollt.

Kein Nagelbett eitert ohne sein Wissen.

Wir fliegen einer nach dem anderen auf

und in die Luft sogar von ungefähr

nach seinem Schema, ist das

nicht absurd?

 

 

 

MARIN SORESCU (Oskar Pastor)

 

 

Bis die Bohnen kochen

Gelegenheitsgedicht

zu einem Referat über Grenzfragen

 

Bis die Bohnen kochen,

lese ich gemütlich die Zeitung. Wenn es stimmt, daß

Kochen am Leben hält, werde ich noch sehr viel

Zeitung lesen können. (Wenn nicht, dann nicht.)

 

Da gibt es Dinge, die sich wiederholen,

und auch viele diskutable Nachrichten.

(Zuverlässig wie immer: die Seite mit den Toten.)

Inzwischen aber sind die Bohnen in Bewegung, brodeln

sogar - und begleitet von menschheitsbewegenden Fragen

(die Lage im Mittleren Osten, die Eskalation diverser Wettläufe) betrachte ich durch den Dampf das Auf und Ab

der Bohnen im Topf, wie Fischlein in einem Aquarium, umgetrieben vom Fegefeuer innerer Strömungen. (Gestern

habe ich mein Zimmeraquarium abgeschafft; in diesem

Winter friert alles zu; jetzt liegt es irgendwo im Hof.)

 

Gleich müssen die Zwiebeln rein, auch die

Kartoffeln warten, daß ich sie schäle (da gibt es

Leute, die behaupten, man soll die Schalen mitessen), je-

den Augenblick kann die Petersilie eintreffen,

tja, und die Möhren muß ich diesmal ganz dazutun --

 

Und so, im Dunstkreis aktiver Küchengeschäfte

lernen wir die Vielfalt der Welt

kennen und schätzen; ja, zu akzeptieren;

selbst diese schwer bezähmbaren Widersprüche

werden immer klarer; denn schließlich, bitte, haben

die Kräfte des Guten letztendlich zu siegen ...

 

Entweder ist die Flamme zu groß, oder

sie ist zu klein - denn schon mahnt ein lieblicher

Duft, daß etwas unternommen werden muß.

Also stellst du die Flamme größer,

gibst die drei Möhren hinzu,

die Zwiebeln, die Kartoffeln...

 

Auf der letzten Seite angelangt,

kann ich ja wieder von vorne beginnen.

Es herrscht Ruhe, und alles ist wunderbar.

Das Wasser hätte zwar längst gewechselt werden müssen,

nun ja, was soll's!

Selbst die uralten Probleme erscheinen in einem neuen Licht. In der Tat: beim Kochen gerät man sozusagen in den

Rhythmus

ganz wesentlicher Dinge - das Waschen von Gemüse,

das Spülen von Tellern, das sich Wandelnde an den

Gedanken,

die Möglichkeiten der Wasserleitung - »warm«, »kalt« -

ja, das glättet und besänftigt die Nerven.

Deshalb haben die Chinesen auch so unendlich viele

Jahres- und Gedenktage auf ihren Listen... geschweige denn die Italiener. . . sogar bei uns ist ja die Lebenserwartung ehemaliger Armeeköche unentwegt gestiegen; einer in der Nachbarschaft zum Beispiel, der »am 3. April ins 94. ging«; und seit drei Jahren wachsen ihm wieder die Zähne - sein Gebiß ist schon völlig intakt. Allerdings

braucht mein Freund Nae Diaconu für einen Kochvorgang

nun 2 Liter Wein; und, wenn die Bohnen älter sind

auch ein paar Schnäpse.

 

Die Fotos sind ziemlich verschwommen,

die Lettern manchmal zu klein.

Erstaunlich nur, daß die Mexikaner mit ihrer ewig

sich verschlimmernden Krise überhaupt noch leben.

Aber wenn du mal über 75 bist, darfst du mit einem neuen Lebensfrühling rechnen; mit 8o kannst du sogar nicht mehr weinen, ziehst dir zum Wärmen den Kosmos an, so wie er grad ist (ist, nicht ist, mit Gott, ohne Gott)

und kümmerst dich plötzlich sehr um alles

was in den Zeitungen steht.

Bald bist du so geübt darin,

daß dir keine Nuance entgeht.

 

Vielleicht doch noch eine Zwiebel?

Reine Vitamine.

Wie die ganze Kochkunst: endlich begreifst du

das Geheimnis aller Kantschen Spekulation;

auch er hat selber gekocht.

Ja, mit einem Stück Zwiebel rettest du dich

vor den Magnetstürmen der Sonne, die so gräßlich

sich häufen und die Erde mitsamt ihren herrlichen Errungenschaften zu verschlingen drohn.

 

Zwei, drei Artikel hebst du dir

für nach dem Essen auf.

 

Die Türe knarrt,

während ich die Zeitung falte.

Meine Frau kommt vom Markt.

»Was tust du! Auf so großer Flamme

kocht man keine Bohnen,

bestimmt sind sie angebrannt!

Laß mich weitermachen,

geh, schreib.«

 

 

MARIN SORESCU (Oskar Pastor)

 

Warten auf Wirkung

 

Du wartest auf die Wirkung

einer Dosis

tödlichen Lebens.

 

Und es zieht sich in die Länge

die Zeit

wie ein Speer-

wurf aus dem Sattel

(hab ich dir nicht gesagt, sein

Lieblingsziel bist du, sein

beweglicher Pappkamerad?) -

die Sonne freilich

dreht sich im Kreis.

 

Warum zieht sich aber die Zeit

so schnurgerade in die Länge

wie ein Wurfspeer, der

aus dem Sattel saust?

 

Du wartest, du wartest

und wartest.

 

 

 

 

 

Ion Gheorghe (Dieter Schlesak)

 

Unaufhörlich aus Gewehren feuernd...

 

Der Ingenieur (er hat n´en Pflanzennamen) sprach:

So, Herr Professor:

ich zieh mich ins Gebirge dannzurück -

und das Gewehrfeuer wird nicht enden.

 

Das sagte er

als wir auf dem Atlantik waren,

nachdem er seine ganze Jugend

vertan mit Sitzungen und Parolen,

nun ja verschieden sind die Waffen

dieses Klassenkampfes.

 

Er war: Partei, der Aktivist

auch er durch Ausschluß oft bedroht.

Dann wurde er der Ingenieur der Fischerei,

erwarb japanische Fischkutter

aus den Hitaki-Werften

und fischverarbeitende Maschinen

aus nördlicheren Staaten.

 

Mit einem Flugzeug

überflog er auch den Nordpol;

oft landete er kurz in Alaska

noch vor dem großen Erdbeben war´s;

und heiratete die junge Ingenieurin;

er lieferte von Gibraltar aus und auch

von anderen Märkten Waren günstig

mit Rabatt zu Niedrigpreisen.

 

Natürlich kaufte er dann freilich auch

ein junges Auto -

und ruhte sich im Heimatlande aus,

wo man zwar nicht verhungern,

jedoch bald durchdrehn kann;

hier kannst du dich nur seltener bereichern,

 

dir Ruhm erwerben -

für einen einzigen Sommer dann.

Doch ehrlich unbestechlich

und schön wie früher

wird kaum dies Leben jetzt

am Ende sein

Die meisten

reißen lieber aus ihm aus -

als fürchteten sie diese Wolfsjagd

und ziehn sich ins Gebirge dann zurück,

dort unaufhörlich aus Gewehren feuernd.

 

 

 

 

GRETE TARTLER (Grete Tartler)

 

Im Fahrstuhl

Du trittst ein in dieses Musikinstrument -

die Luft,

angefüllt vom Atmen,

steigt mit dir ins letzte Stockwerk.

Man sagte dir: es gibt keinen Riß -

doch trotzdemn dringt von irgendwo ein Hauch ein.

Der oberste Schaltknopf fehlt.

Die Bewegung

des Fahrstuhls wie die eines Pendels:

wie ein Blatt, das von links nach rechts,

von einem Pflasterstein zum anderen geweht wird,

wie ein Schauer, der auch deinen Nacbarn überläuft.

Vergiß, daß du heimkehrst,

verbrenne deine Flügel

solange noch Zeit ist!

Auch morgen könnte ein Sturm

die Decke des Käfigs wegblasen -

dann/ darfst du dich nicht mehr

an die engen Wände klammern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ELENA STEFOI

 

Bis ans andere Ende der Welt

 

Aus dem Abgrund die Fäulnis

belauert hinterhältig

den letzten Tag,

seine ärmlichen Spiele.

Und was tut der letzte Tag?

Hingefläzt in teuerstes

Bettzeug räkelt er sich

vor meinen Augen im Sarg.

Bis ans jenseitige Ende der Welt

bleibt die Wüste neutral:

und doch spielte das Projekt

meiner Biographie mir

hier seine Streiche.

Fünf Sinne habe ich noch

und alle fünf sind sie

anscheinend jetzt erst zurückgekehrt

aus Auschwitz.

 

 

 

Adrian Popescu (Franz Hodjak)

 

Armer Henker

 

Nachdem er sorgfältig die Kunst und das Vergnügen,

die anderen Leute zu demütigen, erlernt hat,

und alle Kniffe der Heimtücke und Niedertracht,

 

nachdem er es zu etlichen Erfolgen gebracht hat in unter-

weltlichen Geschäften und ihm eine hübsche Rente lacht,

könnte es sein, daß er einen ganz gewöhnlichen Tod stirbt,

 

wenn er sich nicht zufällig in der Schlinge verfängt,

die er mit soviel Durchtriebenheit für seine Opfer gelegt hat,

oder

wenn er sich nicht vor Begeisterung die Kehle durchschneidet.

 

 

 

 

 

 

 

IX

 

ALS DIE DINGE AUS IHREM NAMEN FIELEN

 

 

Dezember 1989: die großartige Kollision

der völlig verschiedenen Schußlinien ...

 

 

 

Nichita Danilov (Eduard Schneider)

 

Die Guillotine

 

Ein noch junger Mann

steht vor einem offenen Fenster

und schreibt in einem großen grünen Register.

Der noch junge Mann

trägt einen Dreispitz und Livree.

Vor seinem Fenster

ist ein Lämmerschlachthof.

Inmitten des Schlachthofes ist eine Guillotine.

Jenseits der Guillotine eine grüne Wiese.

Einzelne Lämmer erheben sich auf zwei Beine,

blöken ruhig vor sich hin,

dann wird ihnen auf der großen grünen Wiese

der Hals durchgeschnitten.

Der junge Mann

trägt Einglas, Dreispitz und Livree.

Seine Augen sind blau,

die Hände feingliedrig.

Über ihm hängt

eine Lämmerschädeluhr.

Vor ihm ist ein Fenster,

hinter dem Fenster steht er und schreibt

mit angestrengter Aufmerksamkeit

in einem großen grünen Register.

Jenseits des Fensters der Lämmerschlachthof,

inmitten des Schlachthofes eine Guillotine.

 

Es ist das Jahr 1793.

Der 21. Januar 1793,

der Tag, an dem Ludwig XVI. geköpft wird.

Der noch junge Mann trägt

Dreispitz und Livree.

Der Lammkopf über ihm

blökt sechzehnmal, zum Zeichen, daß es 16 Uhr ist.

Der noch junge Mann

vermerkt mit kalligraphischer Sorgfalt in seinem großen grünen Register:

 

"Es ist das Jahr 1793,

der 21. Januar 1793,

der Lammkopf über mir blökt sechzehnmal

zum Zeichen, daß es 16 Uhr ist,

der Augenblick, in dem Ludwig XVI. geköpft wird."

 

Das Fallbeil fällt auf den Nacken.

Die Augen werden starr,

der Kopf rollt in den Korb,

der Mund klafft.

Die Menge klatscht Beifall.

Der Leib bäumt sich auf,

das Blut zischt aus dem Hals und verspritzt das Fenster.

Hinter dem Fenster schreibt

der junge Mann mit großer Sorgfalt:

"Das Fallbeil fällt auf den Nacken,

der Kopf rollt in den Korb,

die Augen werden starr,

der Mund klafft.

Die Menge klatscht Beifall.

Der Leib bäumt sich auf,

das Blut zischt aus dem Hals und verspritzt das Fenster."

Der Mann schreibt aufmerksam,

und er muß auch sehr aufmerksam schreiben,

denn für jeden Fehler

kann er zur Verantwortung gezogen werden,

denn jeder Fehler kommt ihn teuer zu stehen.

Der Mann schreibt,

dann wischt er sich die Hände ab

und schließt das Register.

Vor ihm ist ein Lämmerschlachthof,

hinter ihm einen grüne Wiese.

Über dem Schlachthof wird es Abend,

auf der Wiese regnet es.

Der Mann erhebt sich vom Tisch

und schließt das Fenster.

 

Man hört das Prasseln des Regens auf der großen grünen Wiese.

 

 

 

 

Dumitru Chioaru

(Dieter Schlesak)Rückzug aus dem Himmel(Film-Poem. Fragment ) Für Frau Doina Cornea

 

 

(...) Ich werde sie nie vergessen

die langen kalten Dezembernächte

die kurzen Anrufe

und das kalte Schweigen

Spiegel der

Straßen

von wo jene Nachrichten kamen

und die Nerven des dünnen Schnees

frieren ließen

und knarrten

unter den Stiefeln

Schnee und Manifeste fielen wie Schnee -

auf die Brücke (wie himmelnd) die ganze Nacht

die Stimme eines Freundes

von einer

freien

Radio Station

irgendwo aus dem Unvorhersehbaren

Europa

 

 

(....) Schnee wuchs schweigend auf den Bergen -

erinnert die Straßen Temeswars

in einem andern Dezember verwandelt er sich

aus Furcht und Schrecken in den Wunsch

dort

zu sein unter den Zeit Schienen - ach Temeswar

"westlichster Stempel Rumäniens"

(sagten wir damals)

von Blut imprägniert, Herr,

und die Hände

zuckten, Herr,

zum glühenden Radiogerät

die Stimme (des gleichen) Freundes

als könnte er

stoppen die

"Schnee Lawinen" Schnee Schnee

rot vom Blut Temeswars

und der Kopf fiel mir auf die Brust

wie eine zerbrochene

Kerze

der Himmel Morgen Röte wuchs stumm ein

Strich

über den Dächern

"vielleicht war´s ja nur ein Traum"

(während)

ich die Windeln meines Kindes wechselte

hörte ich

Schreie anderer Kinder die

unter die Schienen gekommen waren

plötzlich

öffneten sich die Fenster und

Münder

anschreiend gegen das Blei

Kugeln

schreiend

Sibiu: Nichts als

ein riesiger Körper: Körper des Vaters

des Sohnes

damit der Tod endlich sterbe

"der Himmel

war unter uns oder wir waren gerade

im Himmel"

( ich werde es nicht vergessen!)

denn nach dem zweiten Erwachen blieben

die Toten dann doch zurück

wo wir nicht waren: im Himmel und

die Straße leergefegt

 

doch mehrere Straßen ergeben eine Stadt

die gleiche Stadt

mit Wachtürmen von wo aus der Tod

durch Gewehrmündungen sah

(damals)

 

auf der Straße -

(jetzt) hör ich wieder die Stimme

des (gleichen) Freundes

von einer freien

Radio Station

irgendwo

im Unvorhersehbaren

Europa

wie im Zug Ich damals am geschlossenen

Fenster

und sehe an der rauchenden Böschung und

auf ihre Wände projiziert

Kino des Schreckens

und jetzt weiß ich ja

die Toten aus den Filmen sterben wirklich

wie damals im Dezember

und auch ich kann sterben im Zug

Rückzug

aus den Himmeln

erleuchtet

nur

von Bergarbeiter Lampen

und suche die Hände meines Sohnes

die Kraft

zu öffnen

das verklemmte Fenster um

 

SCHREIEN zu können

 

 

 

Marin Sorescu (Oskar Pastor)

 

Der Bericht

Aus dem Bericht des Henkers:

Ja, natürlich sind auch Fehler unterlaufen.

Schuld war aber nur der Tote.

Etwas pflichtbewußter und gewissenhafter

hätte er (der Henker) zwar arbeiten können.

Es wird immer noch sehr unzusammenhängend deliriert.

Mit verschränkten Armen hat er zusehn müssen,

während es (das Opfer) nicht lockerließ,

inkohärent zu schnaufen, zu gurgeln, ja zu ersticken drohte.

Und trotz der einwandfreien Logik einer Exekution

wissen Verurteilte noch immer nicht was sie reden,

bevor es soweit ist,

plappern drauflos, das Blaue vom Himmel herunter,

falls sie überhaupt noch etwas sagen können -

nicht das geringste

Schamgefühl!

 

Und reden sich selber um Kopf und Kragen.

Hielten anfangs es für einen schlechten Witz -

»Wie - das Blei für unsere Kugel noch vom Mund absparen?

Das ist doch . . . ha ha ha!«

Am Ende waren sie von dieser Logik überzeugt.

Nun, auch diesbezüglich läßt sich einiges verbessern.

Denn selbst ein guter Henker, bei dem alles klappt,

kann sich zu höheren Leistungen verpflichten,

bis jedermann zufrieden ist,

einschließlich der Kunden,

nach dem Leitspruch, den er eigens

und in großen roten Lettern

an die Wand geschlagen hat:

»Bei uns hat der Kunde das Sagen«.

 

Der Betrieb läuft wie am Schnürchen.

 

 

 

Liviu Antonesei (Dieter Schlesak)

 

Falls sie mich töten würden

 

Wenn das graue Auto

es geschafft hätte,

wenn das graue Auto gewollt hätte

es zu schaffen,

welch wunderbare Explosion des Körpers,

welch Garben von Fleisch und Blut,

von Hirn und Lymphe auf dem Asphalt. Welch

großartige Kollision von völlig verschiedenen Schuß-

Linien ...

Wenn das graue Auto

es geschafft hätte,

wenn das graue Auto gewollt hätte

es zu schaffen -

gäbe es einen Poeten weniger, einen Mörder mehr.

Nicht weniger, nicht mehr: Ein roter Fleck auf dem

Asphalt...

 

14. Oktober 1989, mit Fieber und Flammen in der Lunge

 

 

 

 

Elena Stefoi (Dieter Schlesak)

 

Überwachte Beziehungen mit dem Tode

für Carmen Francesca Banciu

 

Die Retina beherrscht die Finsternis besser als gestern

die Zunge im Mund liegt dem Schrecken der Nicht-

Sehenden näher - auf einem geschmückten Floß

verschwunden zwecks eines primitiven Rituals im Offenen

Grenzen zwischen dem Vorher und dem Jetzt/ Nachher

 

(Was sich verändert hat ... hat es sich etwa nur verändert

damit jeder in der Mannschaft des Todes lebe?)

 

Wir verstecken uns im Keller nähern das Zündholz

der letzten Stufe und verweigern ängstlich

den finalen Vertrag davon überzeugt: er sei schon entziffert aufgesetzt und vervielfältigt von einigen Geheimdiensten.

 

Berlin 26. August 1995

 

 

 

 

Mihai Ursachi (Horst Helge Fassel)

 

Selbstbildnis

 

O, könnte man doch

nach dem Tod Verse schreiben

mir träumt

ich sei gestorben

bevor die Welt

entstand

 

 

 

 

Mariana Marin (Dieter Schlesak)

 

Requiem

 

Untergrundköpfe, das waren wir

In unterirdischen Gängen bei Kerzenlicht

bat jeder von uns die Toten um Verzeihung

Die Eingeweide der Erde rumorten

Eine unsichtbare Hand schrieb uns das Schandmal

Auf die Stirn

Und wir wußten nicht ob es die Glocke war

Die am Ende des Weges lockte

Oder war es der Chor verstreuter Knochen

Den Hunden hingeworfen im stinkenden Abfall

Und wir marschierten, marschierten

Jeder mit dem Engel seines Toten

Und an einer magern Schulter/ Weinend

 

Das Land war leer wir fehlten

Licht Licht Keinlicht

 

Die Zeit erstarrt am Maul des Wortes

 

 

 

 

Constantin Abálută (Dieter Schlesak)

 

Aleph

 

Heute vor zwei Tagen auf dem Weißen Streifen

mitten auf dem Boulevard unter rasenden Autos

sah ich ein Kind im Türkensitz

und es warf andauernd Steinchen in die Luft

dies erinnerte mich an eine Freundin

die mich beschuldigte auf Kosten der Toten zu leben

und ich sagte mir die Toten der Welt zirkulieren von oben

nach unten nach oben parallel mit den Steinchen des Kindes

und beneidete sie.

 

 

 

Petre Stoica (Dieter Schlesak)

 Unsere lieben Toten

Die Toten kommen nachts ins Haus

die Lieben, die Toten

wenden die schweren Draperien

zünden ein Zündholz an wo seid ihr Fragen

wo

Niemand hört sie

Wir schlafen auf einer andern Seite

der Erde Traum Liebe Traum Glück am Morgen geträumt

ist wie ein Englischhorn über den Gebäuden

Tag für Tag unsere

Serie Unsterblichkeit

Niemand hört sie

sie gleiten in die Küche werden

empfangen von gepanzerten Schaben

von angebrannten Soßen

am Boden verstreuten Pfefferkörnern

und brechen hungrig vom Brot

sie haben nichts gegessen

seit zehn seit zwanzig seit fünfzig Jahren

öffnen den Kühlschrank trinken Sprudel

großer Durst seit zehn seit zwanzig seit fünfzig Jahren

 

unsere Lieben Toten sehn auf die Uhr

sie können nicht mehr lesen sie

orientieren sich an den Graswurzeln

an den Karten der Maulwürfe

der Sturm

verstreut sie vor der Morgenröte

die Steine beginnen zu sprechen

die Autos beginnen zu singen

die Vögel beginnen zu schreien

wir aber reißen uns die

transparente Schlafhaut vom Gesicht

 

Unsere Lieben Toten

sie bleiben im Staub der Kleider

im Schwarz der Fingernägel

im Straßenkot der Schuhe

und im Ruß der Karteien

 

Die Toten Überall

Unsere

Lieben Toten

 

 

 

Traian T. Cosovei (Peter Motzan) s

 

Die siamesischen Gedichte

 

V.

Ich lebe in einer Lichtgeißel.

Auf den Stern eines Wortes schlage ich ein, der Schmerz

bringt ihn zum Blühen.

Ich lausche. Unter dem Gras wabert das Blut der traurigen Toten.

Meine Finger gehn in die Tiefe, raufen die Zungen aus,

die aufsingen wollten. Meine Finger, die sich gemeinsam

mit dem gefühllosen Dunkel aufs Schweigen verstehen.

 

Ich lebe zwischen der Beschattung ausgelieferten Leibern.

Ausgestreckt unter einer Formoldecke,

warte ich auf die Abwärtsbewegung des Strahls, der schon

einen Knoten, einen verdammten Lichtschein befingert.

 

Riesige Gefäße, darin schwimmen eng beieinander

Schrecken nachbarlichen Nichts und Projektionen

jenseitigen Lebens,

zusammengestoppelt aus verdreckten Wickeltüchern, aus

Papp- und Gipsverbänden,

geblendet von frostigem Neongeflimmer,

im Dunkeln tappend nach einem Notausgang, nach einem Seil,

das irrtümlicherweise im Schwimmbecken schlenkert.

("Morgen" lautet unsere Anschrift seit jeher, die man aus den

Augen verlor, schwer wird's ihnen fallen, uns dort

aufzustöbern.)

 

 

 

Mircea Cártárescu (William Totok)

 

Plan

 

ich betrachte ein etwas steifes foto, hergestellt noch vor 1900;

all diese leute sind tot, und trotzdem ist auch dies

ein leben in chemischem ruhm. in der stellung eines engels

betaste ich die haut der lösung weder mit den augen

noch mit den fingerkuppen, sondern mit jener dimension,

die ich zu meinem vorteil bewahre: ich bin lebendig und denke,

ich kann fühlen, kann sprechen. ich betaste meine finger

und berühre das was

serglas auf dem tisch. ich blicke in die zeitung "erneut gespannte

lage in beirut, hubschrauber der entmutigungskräfte"

und nachher nichts. historisches nichts.

dort fallen brandbomben, hier berühre ich das glas

und kann meinen namen nennen. eine sekunde lang sehe ich

den aus dem anatomiebuch bekannten querschnitt durch den kehlkopf

in grünem licht. sie, die gelebt haben,

oder nicht gelebt haben, machen sich nichts draus. es scheint so

als würden sie mit höchstmöglicher intensität den augenblick erleben,

in dem sie von einem zug entzweigeschnitten werden, wobei alles in

zeitlupe gefilmt wird. ich sehe auf ihren

hälsen den zu riesigen körnern erstarrten schweiß, sie hinunterziehend,

wohin? während der zug eine ganze terrorrede

schwingt. erstarren

in einer gleichdruckkabine, ein geländer

in den tod und das ganze schwarz-weiß bis es dunkelt.

im vergleich zu ihnen besitze ich die festigkeit des eisens. ansonsten

zittert das glas sichtbar wenn meine hand es berührt.

sie scheren sich wenig darum. sie sehen dir gerade in die augen

wie an die wand gestellte revoluzzer in hemden,

vor der gewehrmündung. chemischer ruhm.

und du wirfst einen blick wie eine münze aus der mitte deines fleisches

in die mitte ihrer einsamkeit

 

 

 

Mircea Bârsilă (Johann Lippet/William Totok)

 

Dort

 

weil ich dich niemals sagen hörte

weder "warum bist du traurig, he"

noch "dir kommt ja jeder abgrund wie’n lamm vor"

vater mein, der du bist

am rande des zweiten weltkriegs begraben

begnade mich mit dem eimer des algenbewachsenen brunnens,

dem eimer, in dem du kaum etwas herauszuschaffen hattest aus der melancholie der leute

gib mir, vater, deinen segen mit auf den weg, auf dem ich dürstend

zu mir selber gelangen werde

wie zu einem fluß, dem um den hals hügel hängen. dort

hab ich freunde, die haben nicht singen können

und warten auf mich,

damit ich die liedgebärde festmauere ihrer zunge

ich höre ihre menge anwachsen wie ein meer

während die reißzähne eines himmels meine schmerzen eichen

während meine seele an alle denkt

wie ein ungeöffnetes parfümfläschchen an die kleiderfalten.

dort

unter vögeln mit schreiwärts nach vorn gewachsenen köpfen

wo ich zurückerwartet werde aus träumen, die verstohlen am schmerz genascht,

erwartet von mädchen in angst, mit dem nähen nicht fertigzuwerden

bis zur karwoche,

müht sich der traurige ritter Don Quijote

bettler in seinem überfluß

herbst für herbst allein damit ab

anstelle der blätter die hände hinzuhalten. ein baum

erwartet mich am anderen ende der ferne,

das brot, von dem ich an alle werde austeilen müssen,

alle sorgen und alle ziele, mich erwartet

der handel mit den falschen liebeserklärungen

jener sicherheitsgurt

der meine herzbacken foltern wird

mit tausend riemen und schnüren

bis ich die wahre liebe begreif

und unter einem himmel, gewaschen im rötlichen quellwasser der frühen,

die bienen um meinen kopf philosophische gespräche über blumen führen.

 

 

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