Taiwan-Info

"Neue Zürcher Zeitung" vom 25.05.2002
![]()
Chinesische Muskelspiele vor Taiwans Küste Disput um das Kampfpotential der Volksbefreiungsarmee Von U. Sd., Peking |
| An der Küste der Taiwan-Strasse hält China derzeit wie jedes Jahr militärische Manöver ab. Die Kommunisten in Peking scheinen der Welt beweisen zu wollen, dass sie - Unkenrufen aus Amerika zum Trotz - fähig sind, Taiwan innert kurzer Zeit zu erobern. | ||
| Die chinesische Führung
ist, was Militärisches angeht, in der Regel nicht sehr
auskunftsfreudig. Aber da dieser Tage zwischen der
Provinzhauptstadt von Fujian, Fuzhou, und der Küstenstadt
Xiamen lange Kolonnen von Militärfahrzeugen gesichtet
wurden, sind sich westliche Militärexperten ziemlich
sicher, dass die diesjährigen Manöver wie erwartet in
den nächsten Tagen beginnen werden. Wie immer geht es
dabei nur um ein Thema, Taiwan, und wie immer steht die
eine grosse Frage im Mittelpunkt: Wäre China in der
Lage, die Insel innert nützlicher Frist zu erobern? Wie
der bekannte, in Hongkong lebende Militäranalytiker Ma
Ding-shing sagte, geht es der Führung in Peking in
diesem Jahr primär darum, den skeptischen Amerikanern zu
beweisen, dass Peking seine Truppen im Kriegsfall
erfolgreich auf Taipeh landen könnte. Szenario und Gegenszenario Dass die Kommunisten in diesem Jahr besonders gereizt zu sein scheinen, dürfte auf eine Äusserung des Kommandanten der amerikanischen Streitkräfte im Pazifik, Admiral Dennis Blair, zurückzuführen sein. Blair hatte an einem Hearing im Repräsentantenhaus in Washington im März gesagt, China verfüge derzeit «nicht über die militärische Kapazität, um Taiwan einzunehmen und zu halten». Mit gewaltsamen Mitteln könne China sein erklärtes Ziel, die Wiedervereinigung Taiwans mit dem Festland, nicht erreichen. Blairs Diktum ist weder neu noch ausgefallen; es entspricht ziemlich genau der Einschätzung der Mehrheit der internationalen Militärexperten. In Peking, wo man nicht gerne öffentlich als schwach eingestuft wird, scheinen die Worte Blairs allerdings dennoch heftigen Zorn ausgelöst zu haben. Von grossem Interesse war auch ein Artikel in der Peking freundlich gesinnten Hongkonger Zeitung «Wen Wei Po», der sich der militärischen Stärke Chinas widmet und zum Schluss kommt, der Westen, insbesondere die Amerikaner, unterschätzten die Fähigkeiten Chinas. Kritisiert wird insbesondere die gängige Meinung, das Festland sei mangels ausreichender amphibischer Kapazität lediglich fähig, maximal 20 000 bis 30 000 Soldaten auf Taiwan abzusetzen; für mehr fehlten China ganz einfach die grossen Schiffe. Die Hongkonger Zeitung ist hingegen der Ansicht, ein Landemanöver, das im letzten Sommer in Dongshan ganz im Süden von Fujian durchgeführt wurde, habe bewiesen, dass China ohne weiteres 100 000 Soldaten auf einmal landen könne. Dies genüge, um die etwa 20 000 taiwanischen Frontsoldaten rasch zu überwältigen und die ganze Insel einzunehmen. Um die Invasion zu bewerkstelligen, könne die Volksbefreiungsarmee auf zivile Fischerboote und auf Tragflügelboote aus dem Transportsektor zurückgreifen, schrieb «Wen Wei Po». Laut dem Analytiker Ma sind in den letzten Jahren in den Küstengegenden vis-à- vis Taiwan sehr viele private Boote mit Motoren ausgerüstet worden, die eine Geschwindigkeit von 12 Knoten und mehr erreichen können. Es ist kaum anzunehmen, dass die Ausführungen von «Wen Wei Po» die westlichen und die Taiwaner Experten über die Massen erschrecken werden. Das Szenario mit den Fischerbooten ist alt und taugt nach amerikanischer Einschätzung wenig, da die taiwanischen Frühwarnsysteme einen derartigen Angriff rasch entdecken würden und die Invasoren unter verheerenden Beschuss genommen werden könnten. Landemanöver, wie sie in Dongshan durchgeführt wurden, hält man in Taiwan nicht für aufschlussreich, da realistische Bedingungen fehlen und notorisch von zu optimistischen Grundannahmen ausgegangen wird. In jedem Fall ein hoher Preis Nicht vergessen werden sollte zudem, dass China die «abtrünnige Provinz» 72 Stunden nach Beginn der Kampfhandlungen eingenommen haben müsste, denn spätestens zu diesem Zeitpunkt wären die Amerikaner da, um Taipeh zur Seite zu stehen. Und last, not least, hätte Peking im Falle einer Invasion auch zu bedenken, dass Taiwan etliche chinesische Städte, unter ihnen Schanghai, in Schutt und Asche legen könnte, und zwar unabhängig davon, ob die Invasion vom Festland aus erfolgreich verlaufen oder scheitern würde. Der Preis, den China für einen Sieg zu entrichten hätte, wäre auf jeden Fall extrem hoch. |
||
Taiwan, China und das Militär / Taiwan in der deutschen Presse / Deutsch / English / Chinesisch |
||