SHE IS D.I.S.C.O.

Von wegen. Es war stickig und heiss, wir wurden von der Menschenmasse zusammengedrueckt, meine Augen traenten vom Qualm, die Musik droehnte einen dumpfen Takt, das Whiskyglas das wir uns teilten, war mit Spucke und Lippenstift verschmiert. Aber wir lebten so gut wir nur konnten.
Als Frank Farian's proto-Milli-Vanilli-Quartett, Boney M, Ende der 70er aus dem Radio plaerrte und die Quie Gees mit Abba um die Spitze der Hitparade traellerten, hatte wer einen derzeit genialen Einfall. Mit zwei Plattenspielern unterm Arm und einer schachtelvoll Top 20 Hits begaben sich an Wochenenden Leute mit solch illustren Namen wie "Katastrophen-D.J. Ebse" in die umliegenden Sportheime, um fuer die Kids eine Art Tanz zu veranstalten.
"Uff da Tanz" hiess damals DM5 fuer den Eintritt in die Wuertinger Turnhalle zu zahlen, wo eine Cover-Band Hits live spielte. Das war fuer uns Rocker eine eher formale Angelegenheit im Gegensatz zu den wandernden Zigeuner-D.J.s die "Disco machten". Ich war von Disco nicht uebermaessig angetan, mehr der Led Zeppelin Typ, aber hey, in der Rock-Runde spielte Ebse wenigstens "Smoke on the Water" "Satisfaction" und "Radar Love". Und die Maedchen tanzten und wackelten zu allem.
Neben der Bar im Wuertinger Sportheim wurde ein Tisch aufgestellt, die Plattenspieler und Boxen aufgebaut, DM 3 Einlass verlangt fuer einen Abend heisser Musik auf ganz kleiner Tanzflaeche bei der Seitentuer. Im Keller war eine weitere Bar, die haertere Sachen wie Whisky-Cola anbot. Um 20 Uhr gings dann los. Die Zweitakter knatterten heran und man stellte seine Maschine ab, lugte die Reihe der Moped auf und ab, um festzustellen wer schon alles da war. Manchmal lobte oder bekrittelte man nebenher ein "aussergewoehnliches" Fahrzeug.

Die Maedchen, wie gesagt, schwangen das Tanzbein, waehrend die Jungens zuschauten - vorerst. Nur cool bleiben. Erst mal ein Getraenk gekauft und durch die Menge geschlendert/flaniert. 99% der Jugendlichen rauchte und bald war das ueberfuellte Heim sogar im Winter so dermassen heiss und sauerstoffarm, dass man immer wieder hat an die frische Luft muessen. Ich jedenfalls, nachdem ich passiv ein paar Kilo Nikotin reingezogen hatte. Ein Auge achtlos mit der Hand zu reiben bedeutete Blindheit durch Smogeinwirkung. Draussen standen dann die Neuankoemmlinge an der Tuer und kamen nicht herein. Pech. Andere warteten bis der Eintritt auf DM 2 fiel oder so um 23 Uhr die Kasse ganz schloss. Oft stand ich ebenfalls den halben Abend draussen - aus reiner Armut. So mancher Rausschmeisser (oft ein ehem. Spielerkamerad) hatte Mitleid mit mir und gab mir einen Stempel gratis. Hey, Sportsfreund. Mit dem "gesparten" Geld konnte ich mir was kaufen, was denen auch ein paar Pfennige einbrachte.

Am liebsten war ich in der Keller-Bar. Dort waren die aelteren Girls und die Musik nicht ganz so laut. Man konnte (theoretisch wenigstens) trinken und trinken, Umfallen war ausgeschlossen. Ueberhaupt an die Bar zu gelangen war schon schwierig (und regte den Durst erst recht an), stiess man hier und da gegen fest an die (weiche) Brust gedrueckte Glaeser, dessen Inhalt ein dann prompt in den Turnschuh schwappten oder direkt am Hosenladen landeten. Es wurde tatsaechlich noch in Glaesern ausgeschenkt. Nachdem aber zu viele zu Bruch gingen oder als Souvenirs nach Hause genommen wurden, stieg man evtl. auf Pappe und Plastik um. "Fortschritt".
Nach Eintrittskassenschluss machte man die Nebentuer an der Tanzflaeche auf, um frische Luft in die Bude zu lassen. Eine Dampf- und Rauchwolke, die bis an den Tuerknauf herunterreichte, stroemte wie aus einer chinesischen Waescherei in die Nacht hinaus, auch im Sommer. Kids gingen ein und aus, rollten hier und da im Gras herum, im Wald, auf dem Fussballfeld, in den Autos, auf dem Mond. Die dunklen Gestalten waren oft Paearchen, maybe nur einer dem die frische Albluft brachte, laut und aus tiefster Kehle den Ulrich zu rufen. Schlaegereien gabs freilich auch hin und wieder. Wer einem Nebenbuhler den Abend versauen wollte, klaute ihm den Zuendkerzenstecker, warf ihm das Mofa um, oder stopfte ein kolbenfresserherbeifuehrenden Zuckerwuerfel in den Benzintank (was in Wirklichkeit nichts dergleichen tut). An fremden Mofas herumzuschrauben war recht gefaehrlich, da verstand man kein Spass.
Apropos Uli: Gut in Erinnerung bleibt mir das Paar, das eines lauen Abends in der Bar (allerdings auf dem Tanz) stand. Er war schon arg brillo und sie stuetzte ihn ein wenig, als er hin- und herschwankte. Sie war wohl gerade dabei, ihm zu sagen wie sehr sie ihn liebte, denn er starrte sie mit voller Konzentration an, ohne zu blinzeln. Als sie fertig war, schien an seinen Lippen eine Antwort zu formen, doch er zoegerte, schloss den Mund wieder, oeffnete ihn abermals. Da! Jetzt war er dran mit dem Liebesgefluester. Nee, halt! Er kotzte ihr in den Ausschnitt! Ei! Wuerfelhusten! Derbe Panne! Aber jeder Zoll ein echtes Maedchen, wusste sie was er eigentlich damit sagen wollte, denn die beiden waren auf vielen weiteren Veranstaltungen zu sehen.

Die Discos brachten scheinbar Geld ein. Bald gabs Auswaerts-Disco in Upfingen und anderswo. Der Walde Koerner von der Wald(e?)gaststaette in Bleichstetten war von der Richtigkeit der Zahlen so ueberzeugt, dass er auch mal Mittwochs eine Disco veranstaltete. Und Samstags. Das war zwar in der Theorie super, doch mir reichte das Taschengeld nur fuer soviel Sprit und eine Disco mit Getraenk pro Woche. Ausserdem war das Disco-Feeling nicht ganz so richtig in der Ferne, so weitab der Heimat. Eine laengere Heimfahrt bedeutete Sturzgefahr und womoeglich eine Begegnung mit einer Polizeistreife.<

> Dann gabs noch den Tanz zu Wuertingen. Als mich die Routine und das Desinteresse der ueblichen Discomiezen deprimierte (=ich war blank), versuchte ich einen Weg in die Turnhalle zu finden, um zu sehen was dort los war. Wir legten manchmal zusammen, schickten einen hinein, der sich dann in die Umkleideraeume schlich und fuer den Rest die Fenster oeffnete. Ohne Stempel an der Hand musste man dann zwar bis Kassenschluss drinbleiben, aber es war allemal besser als wia in'd' Hos' gschissa. Das ging lange gut.
Cover Bands wie Point und Black Sunday waren derzeit sehr beliebt. Wehe wenn eine unbekannte Gruppe engagiert wurde, da war die Turnhalle (relativ) leer. Ich tanzte ungern vor den Gaffern auf der Buehne meinen unzureichenden Tip Fox; sah mir lieber als angehender Gitarrist den Spielern auf die Finger. Keiner der Saenger konnte richtig Englisch, die sangen eben was sie so phonetisch an einem Song wahrnahmen, was mich amuesierte und auch ein wenig aergerte. Mensch, Liedertexte gabs in der Bravo, Leute. Bemueht euch ein bisschen mit der Sprache - wie ich.

Schlaegereien, die unter den aelteren und gemischten Gaeste (etwa von Huelben, usw.) haeufiger vorkamen, wurden auf dem Tanz oft innen ausgetragen, gar in der Bar. Das gab mehr Stimmung. Fast nicht mehr auszuhalten.
Bierzelte boten eine weitere Moeglichkeit die Sau raus zu lassen. Ob Eppenzill oder Oedenwaldstetten, nicht mal Schnuerlregen konnte uns von den Festlichkeiten abhalten. Die bekannten Cover Bands spielten auch hier, nur spielte man zwischendurch fuer die aelteren Gaeste Volksmusik und Trinklieder. So lernte ich eine Menge Leute kennen - und die deutschen Sitten.

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