III. Kapitel
HÖHEPUNKT UND NIEDERGANG
DES REICHES

2470 v. Chr. bis 1421 v. Chr.:

Um 2150 v. Chr. löst sich das Alte Reich in Ägypten auf.

Etwa zur gleichen Zeit wird Babylonien durch einen Einfall von
Bergvölkern vernichtet. Um 2000 v. Chr. entsteht das Reich
von Sumer und Akkad. Ein abermaliger Hochstand von Kunst
und Kultur wird durch die politische Einheit unter dem König
Hamnlurabi gekrönt. Sein Gesetzbuch istdie Grundlage fürdie
spätere Gesetzgebung des Römischen Reiches. In Europa
breiten sich seit ungefähr 2000 v. Chr. die Stämme der Indo-
germanen aus. Ein neuer Kriegsadel der Streitwagenkämpfer
gibt allen Staatsgebilden der Alten Welt ein verändertes Ge-
sicht. Während 1552 v, Chr. in Ägypten das mächtige Neue
Reich des Tutmosis die internationalen Beziehungen bis nach
Kreta ausweitet, herrscht in Europa die Bronzezeit vor, Sie
führt zur Herausbildung differenzierter Kulturen. In der Neuen
Welt beginnt die historisch erfaßbare Geschichte mit den
Chavinvölkern in Peru um 900 v. Chr. Über die Indianer Ama-

zoniens ist noch nichts bekannt.

DAS IMPERIUM AUF DEM HOHEPUNKT SEINER MACHT

Das Land meines Volkes ist ein großes Land. Dieses
Land wurde einst ausschließlich von den Ugha Mongulala
und den i7ilden Stämmen bewohnt, darunter viele mäch-
tige völker am Großen Fluß. seit der Ankunft iier Weißen
Barbaren wurden sie einer nach dem Anderen ausgerottet.
setzte sich ein Stamm zur Wehr, wurden seine Krieger er-

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nioriiet un(1 ([ie Frauen uni] Kinder i,>ie Tiere beinan(feit.
Sn steht es in unserer Chronik niedergesLhrieben und nicht
in ilerjenigen Iler iveißen Barbaren. Die Weißen Barbaren
berichten ([ie falsche Geschichte. sie haben i,iel gesagt, i>as
nicht »ahr ist. Nur i<on ihren eigenen Heldentaten un(1der
Dummheit der »Wilden« haben sie erzählt. Aber die Wei-
ßen Barbaren belügen uiid betrügen sich unentwett selbst.
Indem sie alle Naturgesetze brechen, machen sie sich glau-
ben, eine neue, bessere, schönere Welt zu errichten. Nach
dem Vermächtnis unserer Götter aber wurde die Er(le mit
Hilfe der Sonne erschaffen. Die Erde, das Land Lind mein
Volk gehören zusammen. Sie sind uiitreiinbar miteinander
verbunden, so wie es uns Lhasa gelehrt hat und wie es in
der Chronik von Akakor niedergeschrieben steht:

Die Auserwählten Diener regierten nicht mit leichter
Hand. Die Opfergaben schenkten sie nicht weg. Das
aßen und tranken sie selber. Nicht für nichts hatten
sie die Herrschaft erlangt, und nicht gering war ihre
Macht. Große Tribute kamen ein. Gehl, Silber, Bie-
nenhonig, Früchte und Fleisch. Das war der Tribut
der unterworfenen Stämme. Vor das Angesicht des
Fürsten kam all das. Vor den Herrscher von Akakor.

Im achten jahrtausend, 25oo v. Chr. in der Zeitrech-
nung der Weißen Barbaren, hatte das Imperium von Aka-
kor den Höhepunkt seiner Macht erreicht. Zwei Millionen
Krieger beherrschten das Tiefland am Großen Fluß, die
riesigen Waldgebiete des Motto Grosso und die fruchtba-
ren Osthänge der Anden. 243 Millionen Menschen lebten
nach den Gesetzen des Erhabenen Göttersohns Lhasa.
Doch auf dem Höhepunkt dr Ausdehnung des Reiches
begann auch der Abstieg. Erste Veränderungen zeichneten
sich ab, die Akakor erneut in die Verteidigung zurückwar-

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.
fen. Die Zahl Iler wilden stämme hatte Tausende erreicht.
Das Land war kaum mehr imstande, so viele Menschen zu
ernähren. Vom Hunger getrieben fielen sie immer wieder
in das Reichsgebiet ein. Auch die Verbündeten stamme be-
gannen, sich gegen die Vorherrschalt der Ugha Mongulala
aufzulehnen. Neue starke Völker entstanden, die Akakor
nur mit Mühe niederhalten konnte.

Aul Befehl des Hohen Rates zogen sie aus. Zum
Großen see in den Bergen zogen sie. Auch das um-
liegende Land besetzten sie. Kriegsspäher und Krie-
ger waren sie, begleitet von dem Läufer mit dem
Goldenen Pfeil. Ausgesandt wurden sie, um die
Feinde von Akakor zu überwachen und zu besiegen.
Gemeinsam zogen die Krieger der Auserwählten
stämme in den Kampf, und viele Gefangene machten
sie. Denn die Verbündeten Stämme verwarfen das
Vermächtnis der Götter. sie hatten sich eigene Ge-
setze gegeben. Nach eigenen Regeln lebten sie. Aber
die Krieger der Auserwählten Diener waren mutig.
sie besiegten den Feind und schlugen ihn blutig.

Über Jahrtausende erwiesen sich die Heere der Ugha
Mongulala iien Kriegern der aufständischen stämme weit
überlegen. sie waren sorgfältig ausgebildet und zogen nach
einer von Lhasa entworfenen Ordnung in den Kampf.
Iooooo Krieger unterstanden dem Feldherrn, dem Hun-
derttausendmannführer. Ioooo Krieger wurden von einem
Hauptmann oder Zehntausendmannführer angeiülirt. Die
Tausendmannführer und Hundertmanniiihrer zogen dem
Heer voraus und gaben das Zeichefi zum Angriff. Nach er-
iolgreicher schlacht bewachten sie die Gefangenen und
verteilten die Beute. schien der Kampf verloren, dann zo-
gen sich ii ie Ugha Mongulala im schutze der Nacht in vor-

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bereitete stellungen zurück. Der Fürst begleitete die Heere
nur in den seltensten Fällen. Durch ausgesuchte Läuier
stand er mit den Kriegern in Verbindung und konnte ihnen
in Notfällen mit seiner Palastwache zu Hilfe kommen. Mit
der Ankunft der weißen Barbaren gab mein Volk diese
Kampioriinung auf. selbst ein riesiges Heer konnte iien
unsichtbaren Pfeilen der neuen Feinde flicht willerstehen.
Die Zeit großer Feldzüge war i,orbei.
Heute haben wir nur noch ein stehendes Heer i,on
zehntausend Kriegern, ausgebildet für den Einzelkampf.
sie unterstehen zu gleichen Teilen den fünf obersten Feld-
herren und den fünf höchsten Priestern. jeder Krieger ist
mit Pfeil und Bogen, einer mannshohen Lanze mit einer
gehärteten spitze, einer schleuder und einem Bronzemes-
ser ausgerüstet. Zum schutz gegen feindliche Pfeile trägt er
einen schild aus dichtem Bambusgeflecht. Das Heer wird
von einer Truppe von spähern begleitet. Aus ihren Berich-
ten bestimmen die Feldherren den Zeitpunkt des Angriffs.
Die Kriegserklärung wird vom Fürsten beschlossen. Er ist
es auch, der den Läufer mit dem Goldenen Pfeil aussendet,
dem Zeichen für den bevorstehenden Kampf.
Der größte Kriegszug vor der Ankunft der Goten [and
um das Jahr 8 JGG statt. Nach den Erzählungen der Priester
hatten sich wilde stämme an der Nordgrenze des Reiches
mit dem Volk der Umherziehenden zusammengeschlos-
sen. Mordend und plündernd drangen sie bis zum Großen
Fluß vor. Der dort lebende stamm der Großen stimme
flüchtete in panischer Angst. Maid, der rechtmäßige Fürst
Iler Auserwählten stamme, erklärte daraufhin den feindli-
chen Völkern den Krieg.
während aus allen Teilen des Reiches ein gewaltiges
Heer zusammenkam, begannen die Ugha Mongulala mit
der Anfertigung Lies notwendigen Kriegsgeräts. In den Tä-
lern und in den Wäldern am Großen Fluß wuriien Bögen,

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Pfeile, Steinschleudern und Bambusspeere hergestellt. Tag
uni] Nacht waren die Jäger unterwegs und erlegten das
notwendige ivild für die Krieger. Die Frauen webten die
Kriegskleidung für ihre Männer Lind sangen Lieder von
den Heldentaten großer Fürsten. Das ganze Reich Maids
wurde,von einem gewaltigen Kriegsrausch erfaßt. So je-
denfalls berichten die Priester. Endlich, nach sechs Mon-
den, als ein Heer von 300000 Kriegern versammelt war,
rief der Fürst die Ältesten des Volkes uni] die Priester zu-
sammen. Indem goldglänzenden Gewand Lhasas und niit
einem Stab mit blauen, roten, gelben und schwarzen Fe-
dern schickte er nach dem Läufer mit dem Goldenen Pfeil.
Bei seiner Ankunft verneigten sich alle Anwesenden, Maid
überreichte ihm Wasser und Brot, die Zeichen von Leben
und Tod. Unter den Stämmen der Auserwählten Diener
brach Jubel aus, ein Freudengeschrei, das bis in alle vier Ek-
ken der Welt drang und die feindlichen Stämme in Angst
und Schrecken versetzte.
Dann begann der große Marsch zur Grenze im Norden.
Zwei Monde lang iiröhnten die dumpfen Trommeln und
ließen die Erde erzittern. Unddie Priester berichten weiter,
daß die Auserwählten Stämme am Ende des zweiten Mon-
des aufdas gegnerische Heer stießen. Unter lautem Kriegs-
geschrei stürmten die Krieger gegeneinander. Die Bogen-
schützen schossen ihre Pfeile und streckten die Vorhut des
Feindes nieder. Ihnen folgten die Truppen der Speerträger,
die seine Hauptmacht zu durchbrechen versuchten, Wäh-
rend der folgenden Nacht ruhte der Kampf. Denn nach
dem Vermächtnis der Götter kann kein Krieger in das
Zweite Leben eingehen, der bei Dunkelheit fällt. Aber
schon früh am nächsten Morgen setzte der Kampf mit dop-
pelter Heftigkeit ein. In einem gewaltigen Angriff schlugen
die Ugha Mongulala den Stamm der Umherziehenden in
die Flucht. Ihre Anführer ergaben sich und flehten um

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Gnade. Aber Maid kannte keine Nachsicht. Nicht einen
von ihnen ließ er am Leben, im ganzen Imperium verbrei-
tuten sich Trauer und Freude zugleich.

DIE VÖLKER DER ENTARTETEN

im achten und neunten jahrtausend führten die Ugha
Mongulala zahlreiche Kriegszüge gegen aufständische
Stämme. Maid besiegte den Stamm der Umherziehenden
Lind schlug den Angriff wiliier Völker ani Unterlauf öes
Großen Flusses zurück. Nimaia erweiterte die drei Fe-
stungen Mano, Samoa und Kin in dem Land, das man Boli-
vien nennt, und errichtete starke Verteidigungsstellungen
in der Umgebung der zerstörten Tempelstadt Mano. Anau
kämpfte gegen den Stamm der Schlangenesser und ((en
Stamm der Schwarzen Herzen. Ton bestrafte die Tapir-
Töter für ihren Ungehorsam Lind schickte seine Späher bis
zu den Ufern des östlichen Weltmeeres. Kohab, ein beson-
ders würdiger Nachfolger des Erhabenen Göttersohns
Lhasa, schlug den Stamm der Zerrgesichter in einer iireitä-
gigen blutigen Schlacht am Oberlaui des schwarzen Flusses
und iiehnte das Imperium bis zu dem Land aus, das man
Kolumbien nennt. Muda errichtete einen zweiten Vertei-
digungsgürtel um Akakor und legte in den Hochtälern der
Anden unterirdische Vorratslager an.
Den gefährlichsten Krieg hatte jedoch Mad zu bestehen.
Es war der Kampf gegen den Stamm der Auf Dem Wasser
Lebt, der nach der zweiten Großen Katastrophe in den
Bergen,>on Peru ein eigenes Ileich gegrünilet hatte, lt
Laufe von Sao jähren unterwarfen seine Anführer zahl-
reiche wilde Völker Lind stießen bis nach Machu Picchu vol.
Um den Stamm vor einem Angriff auf Akakor abzuhalten,
heschloll der Hohe Rat seine Unterwerfung. In einem ver-
lustreichen Krieg, der sich über drei Jahre hinzog und in

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dessen verlauf die Ugha Mongulala viele schmähliche Nie-
derlagen erlitten, besiegte Mad das Reich öes Stamm der
Auf Dem Wasser Lebt und nahm seinen Häuptling gefan-
gen. Die Gefahr aus dem Westen schien gebannt.

Wie soll das enden? Immer mehr Menschen machen
eigene Gesetze, vergessen das Vermächtnis der Göt-
ter, leben wie Tiere. Der Auserwählten Diener sind
viele, aber zahllos sind die Entarteten. Sie verwüsten
unsere Felder und töten unsere Söhne. Herrschsüch-
tig sind sie. Nicht wenige Völker haben sie unter-
worfen.

Die in der Chronik genannten aufständischen Stämme
gehören zu den Entarteten. Lhasa hatte sie in das Imperium
von Akakor eingegliedert und das Vermächtnis der Götter
gelehrt. Im Laufe der jahrtausende entzogen sie sich der
Oberherrschaft der Ugha Mongulala und vergaßen die
Lehren der Altväter. Wie die wilden Stämme leben sie seit-
dem in Strohhütten oder in rechteckigen Schilfhäusern,
groß genug für die ganze Stammesgemeinschaft. Ihre Sied-
lungen sind mit einer hohen Holzbarriere umgeben. Sie
tragen keine Kleidung. Der Webstuhl ist ihnen unbekannt.
Aber mit viel Geschick wissen sie vogelfedern zu Kopf-
schmuck zu verarbeiten. Die Entarteten gewinnen das
fruchtbare Land durch Abbrennen des Waldes. Sie pflan-
zen Maniok, Mais und KartoifeIn. Ebenso wichtig wie die
Bebauung des Bodens ist die Jagd. Ihre Pfeile und Bögen
sind den unseren nachgebildet, nur kleiner und leichter.
Das Gift haben sievon den Ugha Mongulala übernommen.
Im Nahkampf benutzen sie eine Lanze mit einer geschärf-
ten Steinspitze.
Während mein Volk iias Vermächtnis der Götter ver-
ehrt, beten die Stämme der Entarteten iirei verschiedene

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Gottheiten an : die Sonne, den blond und einen Gott der
Liebe. Die Sonne ist für sie die Mutter allen Lebens auf der
Erde. Der Mond ist die Mutter aller Pflanzen und Tiere.
Der Gott der Liebe beschützt den Stamm und sorgt für die
Fruchtbarkeit des Volkes. Wenn sich ein Stamm vom Un-
glück verfolgt glaubt, vertreibt der Zauberpriester die bö-
sen Geister. Auch die Entarteten wissen um das Kernhalte
Ich, das sich beim Tode vom Körper löst und in ein Zweites
Leben eingeht. Dieses Zweite Leben vermuten sie in den
unterirdischen Wohnstätten der Früheren Herren.

VIRACOCHA - DER SOHN DER SONNE

Die Weißen Barbaren glauben, das höchste Wissen zu be-
sitzen. Und wirklich machen sie viele Dinge, die wir nicht
machen können, die wir nie begreifen werden und die für
unseren Kopf nichts als schwere Steine sind. Doch das
höchste Wissen der Menschen ist längst in der Geschichte
untergegangen. Die Kenntnisse der Weißen Barbaren sind
nichts anderes als ein Wiedererlernen und ein Wiederent-
decken der Geheimnisse der Götter. Sie haben das Leben
aller Völker auf der Erde geprägt. Das Volk der Auser-
wählten Diener hat ihr Vermächtnis am treuesten bewahrt.
Sein Wissen ist entsprechend größer. Die Stämme der Ent-
arteten erinnern sich kaum mehr an die Zeit ihrer Vorväter
und leben in der Dunkelheit. Den wilden Stämmen und
den Weißen Barbaren wurde das Vermächtnis der Götter
niemals offenbart. Wie Tiere ziehen sie auf allen vieren
durch das Land.
Nur ein Volk außer den Ugha Moniulala weiß um die
Ordnung der Götter. Es sind die Inkas, ein Schvvestervolk
der Auserwählten Stämme. Seine Geschichte beginnt im
Jahre 7951, 2470 v. Chr. in der Zeitrechnung der Weißen
Barbaren. In jenem Jahr erhob sich Viracocha, Iler zweit-

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geborene Sohn des Fürsten Sinkaia, gegen das Vermächtnis
der Götter. Er floh zu dem Stamm der Auf Dem Wasser
Lebt und gründete ein eigenes Reich.

Da kamen die Priester zusammen, des Zaubers
mächtige Männer. Sie wußten die Kriege voraus. Of-
fenbart war ihnen alles, Alles wußten sie, Ob Krieg
und Zerwürfnis bevorstand, sie wußten es. Gewiß,
übelmächtig war ihr Wissen. Und da sie den Verrat
cles Viracocha, des zweitgeborenen Sohns Sinkaias,
vorhersahen, was ihr Fasten groß. Lange kasteiten
sie sich und fasteten im Großen Tempel der Sonne
von Akakor. Nur dreierlei Frucht aßen sie. Und
kleine Maisfladen. Fast nichts aßen sie. Es war ein
wirklich großes Fasten zur Schande des ungetreuen
Viracocha. Auch gesellte sich kein Weib zu ihnen.
Allein blieben sie viele Tage im Tempel, die Zukunft
erforschend, Weihrauch und Blut spendend. So ver-
brachten sie die Tage, von der Morgendämmerung
bis zur Abenddämmerung und während der Nacht.
Aus heißem Herzen baten sie um Vergebung für den
ungetreuen Sohn des Sinkaia.

Die Gebete der Priester konnten das Herz des zweitge-
borenen Sohns des Sinkaia nicht bewegen. Obwohl ihm
das Amt des Fürsten nicht zustand, forderte er die Herr-
schaft über das Volk der Ugha Mongulala für sich. Er
lehnte sich gegen das Vermächtnis der Götter auf und brach
mit den Gesetzen, die Lhasa eingeführt hatte. Um die Ruhe
im Reich aufrechtzuerhalten, stellte der Hohe Rat Viraco-
cha vor Gericht. Im Großen Thronsaal befanden die Älte-
stendes Volkes über seine Schuld. Sie sprachen die höchste
und schwerste Strafe aus und schickten ihn in die Verban-

nung.

IOC

Viracocha, der Sohn der Sonne, wie er sich später selbst
nannte, ist der einzige Nachkomme aus dem Geschlecht
Lhasas, der die Gesetze der Götter brach uni] sein Verbre-
chen mit der Verbannung bezahlen mußte. Das w>ar die
höchste und schwerste Strafe bei meinem Volk bis zur An-
kunft der Deutschen Soldaten. Erst auf ihr Drängen führte
der Hohe Rat auch die Todesstrafe ein. Für kleinere verge-
hen wie Gewalttätigkeit und Ungehorsam muß sich der
Schuldige öffentlich rechtfertigen. Faulheit gilt als verstoß
gegen die Gesetze der Gemeinschaft und wird mit eineim
Strafdienst an gefährlichen Grenzen geahndet. Trunken-
heit ist nur dann ein vergehen, wenn der Angeklagte da-
durch seinen Aufgaben iiicht nachgekommen ist. Die ver-
abscheuteste Straftat ist der Diebstahl, da mein Volk alles
gemeinsam besitzt und persönliche Habe keine Bedeutung
hat. Wie die Ehebrecher, Mörder und Aufrührer werden
auch die Diebe in die Verbannung geschickt.
Der entartete Viracocha verstieß nicht nur gegen das
Vermächtnis der Götter. Er setzte sich auch über das Urteil
des Hohen Rates hinweg. Statt allein in iien Bergen zu le-
ben, wie es die Gesetze meines Volkes verlangen, flüchtete
er zu dem Stamm der Auf Dem Wasser Lebt. An seiner
Spitze zog er in ein Bergtal der Anden im Westen von Aka-
kor und erbaute Cusco, die Stadt der vier Weltecken, wie
er sie nannte. Ein neues Schwestervolk wurde geboren, das
Volk der Inkas, die Söhne Der Sonne. Ihr Reich nahm ei-
nen kurzen, aber gewaltigen Aufstieg. Unter Iler Führung
lies Viracocha und seiner Nachkommen eroberten sie ,,iele
Länder und unterwarfen zahlreiche wilde stänime. Ihre
Krieger eroberten die Küste cles westlichen Weltmeeres
und stießen bis tief in die Lianenwildnis lies Großen

Stroms vor. Ifi der Hauptstadt öes Reiches saiminelten sie
ungeheure Schätze an und führten neue, iias Verniäöitnis
der Altväter verfälschende Gesetze ein. Die Inkas eiitnik-

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ketten sogar eine eigene Schrift. Sie besteht aus verschie-
cleniarbigen Schniiren, die in Knoten zusammengebunden
sind, Jeder Knoten und jede Schnur haben einen bestimm-
ten Sin(, Mehrere Knotenschnüre zusammen ergeben eine
Nachricht. So errichteten sie ihr auf Götzenglauben und
UnterörüLkung gegründetes Reich, und es dauerte nicht
lange, bis sie zu einem Vernichtungsfeldzug gegen die
Ugha Mongulala aufriefen.
Aber nicht ungestraft verwarfen die Nachkommen des
Viracocha das Vermächtnis der Götter. Als ihre Macht am
größten war, erfüllte sich die Vorhersagung unserer Prie-
ster. Ein grausamer Bruderkrieg brach aus, der das Reich
bis auf die Grundfesten erschütterte. Das Werk der Zer-
störung wurde durch die ankommenden Weißen Barbaren
vollendet.

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