IV
DAS BUCH DER WASSERSCHLANGE

Das ist die Wasserschlange : Stark ist sie. Lautlos be-
wegt sie sich durch den Großen Fluß Lind sucht ihren
Feind, Mit Macht kämpft sie gegen die tausend
Hände ihrer Jäger. Die Fesseln zerreißt sie. Denn sie
ist frei, unbesiegbar in ihrem Reich.

165

1. Kapitel
DIE DEUTSCHEN SOLDATEN

1932 bis 1945:
Die im Friedensvertrag von Versailles festgelegten Be-
stimmungen führen zu erheblichen Veränderungen in Europa.
Unter dem Druck wirtschaftlicher Not erhalten neue ldeolo-
gien von autoritärem Gepräge Auftrieb. Im Jahre 1933 über-
nimmt Hitler mit seiner nationalsozialistischen Partei in
Deutschland die Macht. Seine rücksichtslose Expansionspoli-
tik mündet in den Zweiten Weltkrieg, dessen Folgen auch auf
andere Kontinente übergreifen. In Lateinamerika stehen die
Staaten dem Nationalsozialismus zunächst abwartend gegen-
über. Nach Beginn der Feindseligkeiten im Jahre 1939 ver-
sucht Hitler, den brasilianischen Präsidenten Vargas zu einem
Bündnis zu bewegen, und bietet ihm als Gegenleistung meh-
rere Stahlwerke an. Unter dem Druck der USA erklärt Brasilien
im Jahre 1942 Deutschland den Krieg. Die Feindseligkeiten auf
dem südamerikanischen Kontinent beschränken sich auf die
Aktionen von Geheimkommandos der Wehrmacht, die von
den starken deutschen Kolonien unterstützt werden. Das
Schicksal der Indianer erfährt in diesem Zeitraum keine nen-
nenswerte Änderung. Zum zweiten Mal rückt ein Heer von
Gummisuchern in das Amazonasgebiet ein, um die Lieferung
des wertvollen Rohstoffs für die Alliierten sicherzustellen. Die
Eingeborenenbevölkerung zieht sich immer tiefer in die un-
wegsamen Urwaldgebiete zurück.

1 6 7
DER ÜBERFALL AUF DIE SIEDLUNG SANTA MARIA

DIE CHRONIK voN AKAKOR ist die Kunde ,-an Lleii
Ugha Mongulala, wie die Frülieren Herren mein Volk je-
nannthaben. HierstehIalles geschrieben,clerAnfang unclcler
Ursprung von allem, was im Stamm der Auserwählten Die-
ner geschah. Hier wird enthLillt, erklärt und bericlitet, was
den Weilen Barbaren verborgen ist: die Zeit der Götter auf
Erden, ihre unterirdischen Wohnstätten, die Taten des Ina,
des ersten Fürsten der Ugha Mongulala, und das Reich Lha-
sas, des Erhabenen Göttersohns; die Grollen Katastro-
phen, die Ankunft der Goten mit ihren Drachenschiffen, der
Niedergang cles Imperiums und das BünLlnis mit den Deut-
schen Soldaten, die kamen und für immer bei uns geblieben
sind. All das steht in der Chronik niedergeschrieben:

Schon waren die Weilen Barbaren zahlreich gewor-
den. Manche hatten sich zu Gemeinden niedergelas-
sen. Andere kamen und gingen auf den Pfaden dahin.
Und sie kreischten wie der Grolle Waldvogel unLl
brüllten wie der Jaguar. Angst wollten sie den Aus-
erwählten Dienern einjagen. Vertreiben wollten sie
ihre Krieger, vernichten die letzten Ller Auserwähl-
ten Stämme. Und so sprach der Hohe Rat : Wir müs -
sen die Fremden bekämpfen. Töten müssen wir die
Weilen Barbaren. Sie morden unsere Frauen, rauben
unser Land und verehren iiie falschen Götter. Wir
wollen ihre Ohren und Ellenbogen durchstechen
und ihnen ihre Manneskraft rauben. Töten wollen
wirsie, einen nach dem anderen. Und wenn einer
oder zwei gehen, legt ihnen einen Hinterhalt. Ver-
sprengt ihr Blut auf den Wegen Lind legt ihren Kopf
am Flullufer nieder, wo viele unserer Krieger den
l~od gefunden haben.

1 6 8

Mit Llem Rückzug der Gummisucher endete öer lit-
oberungskrieg Ller Weißen Barbaren. Nur noch kleine
Gruppen von Abenteurern und Goldsuchern wagten sich
über die Gren?e am Grollen Wasserfall. Sie drangen bis in
das Kerngebiet von Akakor vor Lind führten einen heftigen
Kleinkrieg mit unseren Spähern. Er wurde ani beiden Sei-
ten mit furchtbarer Grausamkeit ausgefochten. Die Wei-
ßen Barbaren überfielen die Dörfer der Verbündeten
Stämme und töteten die Männer, Frauen und Kinder. Die
Ugha Mongulala nahmen ihre Vorposten gefangen, ritzten
ihnen die Füße auf und warfen sie in den Fluri, ihr Blut ?og
die fleischfressenden Fische an, die sie bei lebendigeln
Leibe abnagten. Oder unsere Krieger setzten sie mit ge-
bundenen Gliedern den wilden Tieren in der Lianenwild-

nis aus.
Zu gröileren Kämpfen kam es nur selten, wie im Jalire
12412, 19j6 in der Zeitrechnufig der Weißen Barbaren.
Eine von Weißen Priestern angeführte Expedition war bis
in das Gebiet des Verbündeten Stammes der Schwarzen
Herzen vorgestoßen. Sie hatte ihre Hütten angezündet und
ihre Gräber nach Gold durchwühlt. Das war ein Verbre-
chen am Vermächtnis der Götter, das Sühne verlangte.
Fürst Sinkaia, der auch den Befehl zum Angriff auf Lima
gegeben hatte, setzte sich an die Spitze der Ugha Mongu-
lala. Mit ausgesuchten Kriegern überfiel er eine Siedlung
der Weißen Barbaren am Oberlaui des Schwarzen Flusses,
die man Santa Maria nennt. Er befahl, alle Männer zu tüten
und die Häuser niederzubrennen. Nur die vier Frauen öes
Dorfes überlebten den Angriff. Sie wurden gefangenge-
nommen, Drei ertranken auf dem Rückweg nach Akakor
bei einem Fluchtversuch im Roten Fluri. Die vierte Frau
erreichte die Hauptstadt des Reiches der Ugha Mongulala.
Mit ihrer Ankunft im Jahre 124 iJ begann ein neuer Alb-
schnitt in der Geschichte meines Volkes. Zum ersten M,il

1 69
brachte eine Angehörige des Volkes der Weißen Barbaren
den Ugha Mongulala weder Verderben noch Leid. Und
zum ersten Mal verband sich der Fürst der Auserwählten
Stämme durch Blutsbande mit der Frau eines fremden Vol-
kes, gegen den Wunsch des Hohen Rates, aber mit Zustim-
mung der Priester.
Reinha, so war der Name der gefangenen Frau, kam aus
einem fernen Land, das man Deutschland nennt. Weiße
Priester hatten sie nach Brasilien geschickt, um die Entarte-
ten Stämme zum Zeichen des Kreuzes zu bekehren, Durch
ihre Arbeit kannte sie das Leben der alten Völker am Gro-
ßen Fluß. Sie hatte ihre Not mit eigenen Augen gesehen
und wußte um ihren verzweifelten Überlebenskampf.
Nach ihrer Gefangennahme gewann Reinha schnell das
Vertrauen meines Volkes. Sie half den Kranken und ver-
band die Wunden der verletzten Krieger. Mit den Priestern
tauschte sie ihr Wissen aus und sprach über das Vermächt-
nis ihres Volkes. Bald wurde sie von den Ugha Mongulala
geachtet und geehrt. Fürst Sinkaia aber, der sie sorgfältig
beobachtet hatte, faßte eine tiefe Zuneigung zu Reinha. Als
sie seine Gefühle erwiderte und auch bereit war, dem Zei-
chen des Kreuzes zu entsagen, machte er sie zu der neuen
Fürstin der Ugha Mongulala.

Wir werden jetzt die Namen und Titel aufzählen.
Von Allen Anwesenden werden wir berichten, die
nach Akakor kamen, um den Bund zwischen Reinhä
und (iem Fürsten zu feiern. Der First der Auser-
wählten Stämiiie war Sinkaia, der erstgeborene Sohn
cles Uma, der ehrwiirdige Nachfolger des Götter-
sohns Lhasa. Ihm zur Seite standen (ler Hohepriester
Magus und cler Oberste Feldherr Ina. Das waren die
ersten des Volkes, die der neuen Fürstin hul(ligten.
I)ann folgten der Hohe Rat, die Herren des Hauses

1 70

Hama, des Hauses Magus und des Hauses Maid.
Und auch die Krieger kamen zusammen. Selbst das
einfache Volk eilte herbei. Alle grüßten die neue
Herrin mit der gebührenden Ehrfurcht.

REINHA IN AKAKOR

Der Bund zwischen Reinha und Sinkaia veränderte das
Leben meines Volkes. Die neue Herrin der Ugha Mongu-
lala war die erste Frau, die an der Seite des Fürsten mitre-
gierte. Sie nahm an den Sitzungen des Hohen Rates teil und
führte wichtige Entscheidungen herbei. Auf ihren Rat be-
fahl Sinkaia die Gleichstellung der Verbündeten Stämme.
Bis zur Ankunft Reinhas in Akakor waren sie verpflichtet
gewesen, hohe Tribute zu zahlen und Kriegsdienst zu lei-
sten, jetzt hob Sinkaia eines der ältesten Gesetze der Alt-
väter auf. Er gab ihnen die gleichen Rechte, wie sie die
Ugha Mongulala haben, so wie es in der Chronik niederge-
schrieben steht:

So wurde die Gleichheit aller Stämme eingeführt.
Die Bogenschützen und die Speerwerfer, die Schleu-
derer und die Späher, die Ältesten und die Feldher-
ren, alle Titel und Würdezeichen standen jetzt allen
ollen. Nur das Amt des Fürsten und (iie Ränge der
Priester, das blieb dem Auserwählten Volk vorbe-
halten, den rechtmäßigen Nachkommen der Frühe-
ren Herren.

Von jetzt an waren die Verbündeten Stämme gleichbe-
rechtigt. Um sie von einem möglichen Verrat abzuhalten,
führte der Hohe Rat die Todesstrafe ein. Auch das war ein
Verstoß gegen die Or(Inung der Altväter. Nach ihrem 17er-
mächtnis wurden die schwversten Verbrechen mit ((er Ver-

l7l

bannung geahndet. Aber die Goldene Zeit gehörte der
vergangenheit an. Statt weiser und weitsichtiger Götter
bestimmten die Weißen Barbaren die Geschicke des Kon-
tinents, Sie herrschten nach eigenen Geset?en Lind stifteten
mit Trug und List Unruhe unter den Verbüiiöeten Stäm-
men. Mit ihren scheinheiligen Versp rechen hatten sie schon
fünfzehn der vertrautesten Völker verblendet Lind zum
Zeichen des Kreuzes bekehrt. Durch die Einführung der
Todesstrafe hoffte der Hohe Rat, die Gefahr von Verrat
wenigstens vorläufig zu bannen.
Am Ende der Regenzeit cles Jahres 12 416, 19j7 in der
Zeitrechnung der Weißen Barbaren, trat in Akakor ein lang
ersehntes Ereignis ein. Reinha gebar Sinkaia einen Sohn.
Sinkaias erstgeborener Sohn bin ich, Tatunca Nara, der
letzte rechtmäßige Fürst der Ugha Mongulala, so wie es in
der Chronik niedergeschrieben steht:

Das ist der Bericht von der Geburt des erstgeborenen
Sohnes des Fürsten Sinkaia. Wie die Sonnenstrahlen
am frühen Morgen verbreitete sich die Kunde im
ganzen Land, und groß war die Freude der Auser-
wählten Diener. Voller Wärme waren ihre Herzen.
Plötzlich schwand ihre Trauer. Leichtmütig wurden
ihre Gedanken. Denn hoch geachtet war Sinkaia, an-
gesehen seine Familie. Die Fortsetzung des Hauses
Lhasa war gesichert. Jetzt konnte es nicht mehr ver-
löschen. Es konnte nicht mehr vergehen das Ge-
schlecht des Fürsten, cles obersten Dieners der Frü-
heren Herren. So sprach das Volk, so sprachen die
Krieger. Nur der Hohepriester saß in Schweigen ge-
hüllt. Und er vollführte die vorgeschriebenen Be-
schwörungen. Um die Zukunft zu deuten, öffnete er
den Baum. Aber roter Saft rann aus dem Baum, fiel
in die Schale. Zu etwas Rundem wurde er, wie ein

172

Herz geformt. Saft wie Blut raiin heraus, wie wirkli-
ches Blut. Dann gerann das Blut. Der Saft bedeckte
sich mit einer glänzenden Kruste, die ein furchtbares
Geheimnis umschloß. Der letzte Fürst war geboren,
der letzte aus dem Geschlecht Lhasas.

DAS ßUNDNIS MIT DEUTSCHLAND

Vier Jahre nach ihrer Vermählung mit Sinkaia kehrte
Reinha zu ihrem Volk zurück. Nicht als Flüchtende, son-
dern als Botschafterin der Ugha Mongulala machte sie sich
auf den Weg. Auf geheimen Fladen erreichte sie die Sied-
lungen der Weißen Barbaren am Ufer des Weltmeeres im
Osten. Ein großes Schiff brachte sie in ihre Heimat. Reinha
blieb 22 Monde bei ihrem Volk. Dann kündigten die Spä-
her ihre baldige Ankunft in Akakor an. Aber die Fürstin
der Auserwählten Stämme kam nicht allein. Sie wurde von
drei hohen Anführern ihres Volkes begleitet. Um sie zu
begrüßen, rief Sinkdia die Ältesten, die Feldherren und die
Priester zusammen. Auch das einlache Volk und die Krie-
ger versammelten sich und bestaunten die fremden Besu-
cher. In der folgenden Zeit führten der Hohe Rat und die
Anführer der Deutschen mit Hilfe Reinhas zahlreiche Ge-
spräche. Sie tauschten ihr Wissen aus und berieten über
eine gemeinsame Zukunft. Dann hatten sie sich geeinigt.
Die Ugha Mongulala und die Deutschen schlossen einen
Vertrag, der dem Schicksal des Auserwählten Volkes noch
einmal eine vollständige Wendung geben konnte.
Bevor ich von den Einzelheiten dieses Vertrages be-
richte, muß ich noch einmal das Elend Lind die Verzweif-
lung meines Volkes in jenen Jahren beschreiben. An allen
vier Ecken des Reiches giiig der Kampf weiter. In großer
Zahl wurden unsere Krieger von den schrecklichen Wölfen
der Weißeii Barbaren getötet. Unsere Feinde drangen mit

173
einer solchen Verbissenheit vor, daß mein Volk die Toten
niLht einmal mehr nach den uralten Regeln bestatten
konnte. Wie abgeschlagene Blüten verfaulten ihre Körper
auf der Erde. Die Mauern von Akakor waren von den Kla-
geliedern und schmerzensschreien der Frauen erfüllt. Im
Tempel der sonne flehten die Priester zu den Altvätern und
baten um ihre Hilfe. Doch der Himmel blieb leer. Die
Auserwählten stä1mme litten Hunger. Aus Verzweiflung
nagten sie die Rinde der Bäume ab, oder sie aßen die Flech-
ten von den Felsen. Zank und streit kamen auf. Es war nur
noch eine Frage der Zeit, bis die Uglia Mongulala den Krieg
gegen die Weißen Barbaren aufgeben mußten. Wie der Ja-
guar, der in eine Fallgrube geraten ist, wehrten sie sich ver-
zweifelt gegen den drohenden Untergang.
so war das Leben meines Volkes, als der Hohe Rat das
Bündnis mit den Deutschen Anführern schloß, sie ver-
sprachen den Ugha Mongulala die gleichen mächtigen
Waffen, wie sie die Weißen Barbaren besaßen. 2000 solda-
ten sollten ihnen die Anwendung des Kriegsgeräts zeigen.
Ihre Aufgabe war es auch, starke Festungen anzulegen und
neues Ackerland zu gewinnen. Der entscheidende Teil des
Vertrags bezog sich jedoch auf einen für das Jahr I24I 5,
I 944 in der Zeitrechnung der Weißen Barbaren, geplanten
Krieg. Unsere Verbündeten wollten an der Küste Brasili-
ens landen und alle größeren Städte besetzen. Die Krieger
der Ugha Mongulala würden den Feldzug durch Überfälle
auf die siedlungen der Weißen Barbaren im Landesinnern
unterstützen. Nach einem erwarteten Sieg war die Auftei-
lung Brasiliens in zwei Gebiete geplant: Die Deutschen
soldaten beanspruchten die Provinzen an der Küste. Die
Ugha Mongulala begnügten sich mit dem Land am Grollen
Fluß, das ihnen die Götter vor I2000 Jahren übergeben
hatten. Das war der Vertrag zwischen (leni Hohen Rat vL)n
Akakor Lind den Anführern aus Deutschland.

I7]

Weise waren die Deutschen Anführer und von Urteil
ihre Gedanken. Ihre Worte entsprachen ihren Her-
zen. Und sie sagten: Aufbrechen müssen wir. Dort-
hin zurückkehren wollen wir, wo unser Volk die
mächtigen Waffen schmiedet. Aber wir werden euch
nicht vergessen. Eure Worte bewahren wir. Wir
kehren bald zurück. Um eure Feinde zu vernichten,
kommen wir wieder. so sprachen sie beim Weggang.
Und dann gingen sie dort_hin, wo die Heimat ihres
mächtigen Volkes ist.

Das Bündnis mit Deutschland gab den Ugha Mongulala
das alte selbstvertrauen zurück. In einem Augenblick
größter Not fanden sie einen starken Bundesgenossen zum
Wiederaufbau des Reiches, sie schöpften neuen Mut. ver-
gessen war die Trauer der Frauen. Zu Ende die Zeit des
Hungers. Die sonne strahlte wieder in ihrem alten Glanz.
Die Priester berichten, daß sinkaia das ganze Volk zu ei-
nem großen Fest nach Akakor rief. Er ließ die letzten Reste
aus den Vorratskammern verteilen. Den schreibern befahl
er, aus der Chronik vorzulesen, von der Neuentstehung
des Reiches durch den Erhabenen Göttersohn Lhasa, von
der Ankunft der Goten und von der Goldenen Zeit der
Götter zu berichten. Zum ersten Mal seit vielen Jahren sah
man wieder Freude auf den Gesichtern der Auserwählten
Diener. Männer und Frauen schmückten sich mit bunten
steinen und Fäden. Ausgelassen tanzten sie zum Klang der
Knochenflöten und Trommeln. Nach den Erzählungen der
Priester währte das Fest drei Tage lang. Dann verließen die
Deutschen Anführer Akakor und kehrten in ihre Heimat
zurück.

175

DIE 2000 DEUTSCHEN SOLDATEN IN AKAKOR

Die ersten Deutschen Soldaten überschritten die Gren-
zen von Akakor in der Trockenzeit cles Jahres 12 422, 1941
in der Zeitrechnung der Weißen Barbaren. In den folgen-
den Jahren kamen immer neue Gruppen, bis die verein-
barte Zahl von 2000 erreicht war. Im Jahre 12 426, 194 5 in
Lier Zeitrechnung der Weißen Barbaren, erreichten die
letzten Deutschen Soldaten die Hauptstadt der Ugha
Mongulala. Dann brachen die Verbindungen ab.
Der Weg der Deutschen Soldaten von ihrer Heimat bis
nach Akakor ist mir aus ihren eigenen Erzählungen be-
kannt. Ihr Ausgangspunkt war eine Stadt, die man Mar-
seille nennt, Als Ziel hatte man ihnen das Land England
angegeben. Erst auf dem Schill, das sich wie ein Fisch tief
im Wasser bewegen kann, erfuhren sie von ihrem wirkli-
chen Bestimmungsort. Nach einer dreiwöchigen Fahrt auf
dem östlichen Weltmeer gelangten sie zur Mündung des
Großen Flusses. Hier erwartete sie ein kleineres Schiff, das
sie bis zum Oberlaui des Schwarzen Flusses brachte. Auf
dem letzten Teil ihrer Reise wurden sie von Spähtrupps der


176

1 7 7
Ugha Mongulala begleitet. Auf Kanus gelangten sie bis
zum Großen Wasserlall an der Grenze zwischen Brasilien
und Peru, kaum zwanzig Wegstunden von Akakor ent-
fernt. insgesamt waren iiie Deutschen soldaten firnt
Monde unterwegs,

so erreichten die Deutschen soldaten Akakor. Und
so richteten sie sich ein. Mit offenen Herzen kamen
sie. Geschenke brachten sie und tausenderlei mäch-
tige Waffen zum Kampf gegen die Weißen Barbaren.
Und so sprach der Hohe Rat : Das ist der Anfang von
der Neuentstehung des Reiches. Nicht mehr fliehen
müssen die Auserwählten Diener, in Ehren kehren
die Krieger in den Kampf zurück. Rächen wollen sie
die Verbrechen der Weißen Barbaren. Denn kriegs-
süchtige Eulendiener sind sie, Verführer und Läste-
rer. Falsch sind ihre Herzen, schwarz und weiß zu-
gleich. Aber das Vermächtnis der Götter geht in
Erfüllung. Tod steht ihnen bevor.

Mit dem Eintreffen der Deutschen soldaten in Akakor
begann eine Zeit der fieberhaften 'Tätigkeit. Die neuen
Verbündeten bildeten tausend Krieger der Ugha Mongu-
lala an den neuen Waffen aus, für die wir bis heute keine
Namen haben. In der sprache unserer Verbündeten sind es
Gewehre, Maschinenpistolen, Revolver, Handgranaten,
zweischneidige Messer, schlauchboote, Zelte, Gasmasken,
Fernrohre und zahlreiches aniieres geheimnisvolles
Kriegsgerät. Ausgesuchte späher brachten den Verbüniie-
ten stammen die Kunde von dem bevorstehenden Krieg.
Die Jäger legten große Fleischlager an. Die Frauen webten
Stoffe unii stellten sehübe für die &Iänner her. Unter An-
leitung der Deutschen soldaten nähten sie große säcke aus
Leder, sie waren mit einer leicht brennbaren, braunen

1 7 8

Flüssigkeit gefüllt, die aus geheimen, nur den Priestern be-
kannten Quellen in den Bergen aus der Erde kam. Bei ei-
nem Überraschungsangriff der Feinde sollten die Krieger
die Flüssigkeit in die Flüsse leiten und entzünden. Eine
einzige Fackel genügte, um ihre Wasser in ein riesiges
Flammenmeer zu verwandeln. Während dieser Kriegsvor-
bereitungen in Akakor versammelte sich ein Heer von
I i ooo Kriegern ander Ostgrenze des Reiches am Oberlaui
des Roten und des schwarzen Flusses. Angeführt von den
Deutschen soldaten, wartete es aufdas vereinbarte Zeichen
zum Angriff. Einen gerechten Krieg wollte es führen. Er
konnte nur mit dem sieg enden.

Jetzt nun sei von Akakor die Rede, von den Feiern
im Tempel der Sonne und von den Gebeten der Prie-
ster. Ihr Antlitz hoben sie zum Himmel. Um den
Beistand der Götter flehten sie. so war der Ruf ihres
Herzens: Oh du schönes Licht, du Herz des Him-
mels, Herz der Erde, du spender des Überflusses.
Gib uns deine Kraft, verleih uns deine Macht. Laß
unsere Krieger den sieg erringen, auf Weg und steg
und in der Schlucht, auf den Wassern, im Wald und
in Iler Lianenwildnis.

Der Krieg fand nicht statt. Ausgerechnet dort, wo die
Deutschen Anführer den Kampf schon für gewonnen
hielten, verloren sie ihn. Die letzte Gruppe Deutscher
Soldaten, die auch von Frauen und Kindern begleitet
war, berichtete von der gänzlichen Niederlage ihres
Volkes. Der übermächtige Feind hatte ihr Reich zerstört
und das Land in eine Wüste verwandelt. Nur durch
rasche Flucht waren sie der Gefangennahme entgangen.
Von jetzt an war keine Hilfe mehr aus Deutschland zu

erwarten.

179
Die Ankunft der letzten Deutschen Soldaten löste bei
meinem Volk Bestürzung unLl Verzweiflung aus. Ohne die
Landung der Verbündeten an der Ostküste Brasiliens war
ein Krieg gegen die Weißen Barbaren uniuöglich gewor-
den. Die Hoffnung auf die Neuentstehung des Reiches
zerbrach. Der Hohe Rat befahl den Kriegern den Rückzug
nach Akakor. Hier sollten sie gemeinsam mit dem übrigen
Volk der Ugha Mongulala über das Schicksal der 2000
Deutschen Soldaten entscheiden. Denn ihre Anwesenheit
in der Hauptstadt war mit fast unlösbaren Problemen ver-
bunden. Sie gehörten einer fremden Welt an, der das Ver-
mächtnis der Götter unbekannt war. Sie lebten nach ande-
ren Gesetzen und verstanden weder unsere Sprache noch
unsere Schrift. Aber mein Volk konnte sie auch nicht in ihre
Heimat zurückschicken. Die Verbündeten würden in Ge-
fangenschaft fallen und das Geheimnis von Akakor verra-
ten. Widerstrebend entschloß sich der Hohe Rat, einer fle-
henden Bitte Reinhas nachzukommen. Die Auserwählten
Diener nahmen die Deutschen Soldaten für immer bei sich
auf. Wie vor i JGG Jahren die Goten yurden sie zu einem
Teil meines Volkes, mit ihm verbunden nach dem Ver-
mächtnis der Götter.

180

Zum Inhaltsverzeichnis / Zum nächsten Kapitel