An Louis Ehlert.

Ofen, den 25. Mai 1868

Wertester Herr Ehlert!

Besten Dank für Ihr freundliches Schreiben vom 27. April. Vor allem muss ich Sie wegen der darin berührten "möglichen Missverständnisse" beruhigen. Da Sie in Ihrem frühreren Briefe die Form nicht bezeichnet haben, in welcher Sie die Reflexionen über mich veröffentlichen wollen, so konnte ich darüber auch keine bestimmte Meinung hegen; nur so viel glaubte ich Ihren Andeutungen entnehmen zu dürfen, dass Ihr Aufsatz ziemlich umfangreich ausfallen werde. Keineswegs entspricht es aber meinem Wunsche, dass über mich ein ganzes, wenn auch noch so kleines Buch erscheine, denn ein solches müsste notwendig das Publikum zu der Annahme verleiten, es liege die Absicht vor, meine musikalischen Leistungen zu einer ungebührlichen Bedeutung hinaufzuschrauben, welche Schlussfolgerung mir nur schaden möchte. Gleich Ihnen finde ich es weit angemessener, dass der Aufsatz in einer Zeitung zur Veröffentlichung gelange, was obendrein seiner Verbreitung nur förderlich sein könnte. Ferner wäre es ebenfalls ganz in meinem Sinne, wenn Sie in Ihre Skizze nur die notwendigsten Notizen aus meinem äusseren Lebensgang aufnähmen. Selbstverständlich ist Ihnen zur Darstellung meiner musikalischen Individualität die Bekanntschaft mit meinen Kompositionen erforderlich, diese soll Ihnen daher auch auf eine Art vermittelt werden, welche Ihre etwaigen Bedenken vollkommen zerstreuen muss. Mein Hauptverleger ist Heckenast, der Ihnen mit grösstem Vergnügen meine Sachen überlässt, dasselbe gilt von Rozsavölgyi, und von Kistner erwarte ich eine gleiche Bereitwilligkeit in betreff meiner bei ihm edierten Kompositionen. Die genannten Verleger halte ich übrigens nicht für so kleinlich, dass sie für &Uumml;berlassung ihrer Verlagsartikel vom Kritiker ein Verlegunen seiner Überzeugung beanspruchen werden. Leider gibt es unter den Kindern meiner Muse so manche schwächliche Geschöpfe, welche, schon der Übersichtlichkeit wegen, in Ihrem Berichte vielleicht gänzlich zu ignorieren oder wenigstens summarisch abzutun sein möchten.

Indem ich hoffe, dass Sie die meinerseits eigentlich nie vorhanden gewesenen "Missverständnisse" jetzt als gehoben betrachten, erkläre ich zugleich, dass ich volles Vertrauen in alle Ihre mich betreffenden Massnahmen setze, und danke Ihnen wiederholt für Ihre gütige Teilnahme. -

Herr von Bertha, nach dem Sie sich erkundigen, ist, wie ich höre, im verflossenen Winter hier gewesen, hat aber sein Zelt bereits wieder in Paris aufgeschlagen. Ich bin mit ihm weder jetzt noch früher persönlich zusammengekommen: seitdem er das Unglück hatte, seine Gedanken über mich drucken zu lassen, konnte man sogar deutlich wahrnehmen, dass er mir auszuweichen trachtete. Vor sechs Jahren mämlich, als die politischen Wogen in Ungarn sehr hoch gingen, schrieb er in nationalem Eifer einen Zeitungsartikel gegen mich, der sogar von mehreren Zeitungen in verschiedenem Sinne nachgedruckt wurde. Er verlieh dort in poetisch schwungvoller Weise seinem Schmerz und Zorn darüber Ausdruck, dass ich als "ungarischer Tonsetzter" nicht meine sämtlichen Kompositionen in ungarischem Stile halte! Gegenwärtig soll sein damals tief verwundetes Ungarherz wieder vollkommen genesen sein; er hat sogar, wie man mir erzählt, aus der Fremde ganz andere Ansichten heimgebracht, wozu ich ihm nur gratulieren kann. -- Wenn Sie ihm briefliche Mitteilungen zu machen haben, können Sie sie an mich oder die Musikalienhandlung Rozsavölgyi adressieren, von wo sie an Bertha Vater, der in Pest lebt, richtig befördert werden sollen. -- Ich grüsse Sie aufs beste!

Ihr
ergebenster
Robert Volkmann



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