Taiwan-Info

Bericht aus der "Berliner Zeitung" zu den Wahlen vom 1.12.2001

 
 
 

Nach fünf Jahrzehnten Machtverschiebung in Taiwans Parlament

(2.12.2001)

   
  Taipeh (dpa) - Nach fünf Jahrzehnten der Vorherrschaft der Kuomintang haben die Wähler in Taiwan am Samstag für einen Machtwechsel im Parlament gestimmt. Mit einem klaren Sieg wurde die Fortschrittspartei (DPP) von Präsident Chen Shui-bian erstmals stärkste Partei. Zum ersten Mal in der Geschichte Taiwans wird eine Koalitionsregierung gebildet.
Für die nationalistische Kuomintang ging mit dem unerwartet hohen Wahlverlust eine Ära zu Ende. Nach der Niederlage im Bürgerkrieg 1949 gegen die Kommunisten, der Flucht aus China, fünf Jahrzehnten Herrschaft in Taiwan und dem Verlust der Präsidentschaft im März 2000 hat die Kuomintang jetzt auch noch die Macht im Parlament verloren.
Präsident Chen Shui-bian sagte: «Das Ende der Wahl sollte der Beginn der Zusammenarbeit sein.» Seine Partei gewann 37 Prozent der Stimmen und damit 87 Sitze im 225 Abgeordnete zählenden Parlament. Die Kuomintang kam nur noch auf 68 Sitze (32 Prozent). 1998 hielt sie noch 123 Sitze, die sich durch Austritte auf zuletzt 110 reduziert hatten.
Die Volkspartei (PFP) um den populären ehemaligen Kuomintang- Gouverneur, James Soong, verdoppelte ihre Abgeordneten auf 46. Auch die erst im Juli gegründete Solidaritätsunion Taiwans (TSU) um den beliebten früheren Präsidenten Lee Teng-hui, der aus der Kuomintang ausgeschlossen worden war, erreichte 13 Sitze.
Die Gruppierung ist für den Präsidenten die erste Wahl als Koalitionspartner, da beide für einen eigenständigen Kurs Taiwans stehen und und sich auf gebürtige Taiwanesen stützen. Beide Parteien haben zusammen aber noch keine Mehrheit. Doch rechnet Chen Shui-bian mit Unterstützung aus den Reihen der zehn Unabhängigen und angesichts häufiger Parteiwechsel von Abgeordneten auch aus anderen Parteien wie der sich weiter zersplitternden Kuomintang.
Das überraschend klare Votum für die Kräfte, die ein eigenständiges Taiwan wollen, ist ein Schlag für die kommunistische Führung in Peking. Doch erwarteten Beobachter am Sonntag keine neue Politik von Chen Shui-bian gegenüber Peking, das Taiwan nur als abtrünnige Provinz betrachtet und die Wiedervereinigung nach dem Modell «Ein Land, zwei Systeme» wie in Hongkong und Macao sucht.
Eine solche Wiedervereinigung zu Pekings Bedingungen lehnt die Mehrheit der Taiwanesen jedoch ab. Die Kuomintang und die Volkspartei treten zwar letztlich für das Ziel einer Wiedervereinigung ein, machen dafür aber eine Demokratisierung in der Volksrepublik zur Voraussetzung.
Die taiwanesischen Zeitungen appellierten am Sonntag an die Parteien, trotz des bitteren Wahlkampfes zu einer Kooperation zurückzufinden, da die Wähler politische Stabilität wollten. Die Niederlage der Kuomintang wurde als Quittung für deren Boykotthaltung im Parlament gegenüber der Politik des Präsidenten betrachtet.
Die neue Regierung muss vorrangig nach Wegen aus der schlimmsten wirtschaftlichen Rezession in der Geschichte Taiwans suchen, die Rekord-Arbeitslosigkeit bekämpfen und versuchen, die eingefrorenen Beziehungen zu Peking zu verbessern. Von den 225 Sitzen im Parlament wurden 168 direkt gewählt, 41 proportional besetzt. 15 waren Repräsentanten der Ureinwohner und Auslandschinesen vorbehalten.
     
   
 
     
     
 

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