Taiwan-Info

Bericht der österreichischen "Die Presse" zum Ausgang der Wahlen vom 1.12.2001

 
 
 

Machtablöse in Taiwan: Fortschrittspartei des Präsidenten gewinnt Parlamentswahl

Die Kuomintang verlor ihre jahrzehntelange Vorherrschaft im taiwanesischen Parlament.

Von unserem Korrespondenten OTTO MANN

   
  HONGKONG. Die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) des taiwanesischen Präsidenten Chen Shui-bian hat bei den Wahlen zur gesetzgebenden Versammlung am Wochenende 87 von 225 Sitzen gewonnen.
     
  Mit 36,5 Prozent der Wählerstimmen hat die DPP damit im Parlament die Kuomintang (KMT) entthront, die nur auf 31,2 Prozent und somit auf 68 Sitze kam und weit hinter ihren eigenen Erwartungen zurück blieb. Dritter wurde die oppositionelle People First Party (PFP) mit 46 Sitzen (20,3 Prozent), gefolgt von der Taiwan Solidarity Union (TSU) mit 13 Sitzen (8,5 Prozent) und kleineren Gruppierungen. Die Wahlbeteiligung lag mit 66 Prozent weit niedriger als gewöhnlich.

Der Wahlausgang hat die Position Chen Shui-bians deutlich gefestigt und seine Chancen für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2004 verbessert. Der DPP-Vorsitzende Frank Hsieh Chang-ting kündigte noch am Wochenende an, daß seine Partei nunmehr eine überparteiliche "Allianz der nationalen Stabilität" mit anderen Mandatsträgern anstreben werde. Damit soll vor allem der Einfluß der KMT weiter zurückgedrängt werden. Es wird aber auch nicht ausgeschlossen, daß die DPP eine Koalition mit der Kuomintang eingehen könnte.

Obwohl die KMT jetzt schwächer dasteht, könnte sie gemeinsam mit der PFP, der TSU und kleineren Parteien eine starke Opposition anführen und sogar die Handlungsfähigkeit der Regierung in Frage stellen. Dies gilt speziell für die Politik gegenüber dem Nachbarn am anderen Ufer der Taiwanstraße. Präsident Chen Shui-bian hatte sich bisher der Ein-China-Politik Pekings widersetzt und damit Befürchtungen Chinas genährt, daß sich Taiwan für unabhängig erklären könnte.

Drohung mit Militärschlag

Die Opposition hingegen steht überwiegend für die Beibehaltung des status quo, oder aber für die Wiedervereinigung, auch wenn sie nicht bereit ist, die Bedingungen der Kommunisten zu akzeptieren. China will die Wiedervereinigung nach dem in Hongkong und Macau angewandten Prinzip "ein Land zwei Systeme", ist aber willens, den Taiwanesen weit bessere Bedingungen einzuräumen, darunter die Aufrechterhaltung eigener Streitkräfte. Für den Fall jedoch, daß Taiwan in die Unabhängigkeit abdriftet, hat Peking mehrfach mit dem Einsatz militärischer Gewalt gedroht.

Anders als in der Politik boomt indessen die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Taipeh und Peking. Taiwan steckt in der schwersten Rezession seit vielen Jahren. Immer mehr Unternehmen verlagern darum ihre Produktionskapazitäten aufs chinesische Festland, das durch seinen expandierenden Markt und die billigeren Arbeitskosten attraktiv ist.

Wenig Freude in Peking

Nach taiwanesischen Angaben sind derzeit über 40.000 Unternehmen der Insel auf dem Festland präsent und haben dort mehr als 60 Milliarden US-Dollar (900 Mrd. Schilling, 65,4 Mrd. ?) investiert.

In Peking ist der Wahlausgang in Taiwan bisher nicht amtlich kommentiert worden, er dürfte aber wenig Freude ausgelöst haben. China hatte seit dem Amtsantritt von Präsident Chen Shui-bian vor eineinhalb Jahren offizielle Kontakte mit der DPP boykottiert und die Partei wiederholt bezichtigt, die Abspaltung zu betreiben. Professor Hsu Sze-chien, Chinaexperte an der Nationalen Chengchi-Universität Taiwans, sieht nun zwei Möglichkeiten: "Peking könnte entweder pragmatisch reagieren, indem es einen noch größeren wirtschaftlichen Austausch ermöglicht. Oder es nimmt ein harte Position ein und verstärkt seine Drohgebärden."

   
 
     
     
 

Taiwan in der deutschen Presse - Übersicht / Deutsch / English / Chinesisch