Taiwan-Info

Antrag der FDP-Bundestagsfraktion zu Taiwan

Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode - Drucksache 14/14. Mai 2002

 

Antrag

 

der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Dr. Hermann Otto Solms, Ina Albowitz, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Paul Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Günter Rexrodt, Gerhard Schüßler, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion der FDP.

   
  Für eine pragmatische Gestaltung der Beziehungen zu Taiwan
   
  Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In den letzten anderthalb Jahrzehnten hat in Taiwan ein tiefgreifender politischer und gesellschaftlicher Wandel von einem autoritären Einparteiensystem zu einer pluralistischen Demokratie stattgefunden. Taiwan erfüllt heute alle Voraussetzungen einer demokratischen Grundordnung. Mit der Wahl des vormaligen Dissidenten und Oppositionspolitikers Chen Shui-bians zum Präsidenten im Jahre 2000 und den Parlamentswahlen am 1.12.2001 hat sich ein friedlicher demokratischer Machtwechsel ereignet. Dieser Wandel zur Demokratie ist auch insofern relevant, als er ein Vorbild für Entwicklungs- oder Schwellenländer mit autoritären Regimen darstellen könnte. Um so wichtiger ist es, dass die Gemeinschaft demokratischer Staaten ihn nicht ohne entsprechende Würdigung zur Kenntnis nimmt. Nichtregierungsorganisationen honorieren die friedliche Veränderung bereits, so die Liberale Internationale (LI), die Präsident Chen im November 2001 den Freiheitspreis in Anerkennung des taiwanesischen Ringens um Freiheit und Demokratie verliehen hat. Die Regierungen einiger westlicher Staaten zögern indes noch. So hat Präsident Chen kein ein Einreisevisum erhalten, um den Freiheitspreis in Kopenhagen entgegennehmen zu können.

Es ist an der Zeit, das Verhältnis zu Taiwan im Lichte der jüngsten Entwicklung zu überdenken. Die durch die Terroranschläge vom 11. September erkennbar gewordenen neuen globalen Herausforderungen haben zu neuen Konstellationen in der Weltinnenpolitik geführt, die das Überbrücken alter Gräben geboten erscheinen lassen. Auch gehen die VR China und Taiwan in letzter Zeit wieder aufeinander zu, wie die erstmalige Aufnahme direkter Fährverbindungen vom Festland zu den taiwanesischen Inseln Kinmen und Matsu sowie die Liberalisierung von Wirtschaftsbeziehungen taiwanesischer Firmen mit dem Festland belegen. Präsident Chen Shui-bian hat unter der Bedingung eines Pekinger Gewaltverzichts sowohl eine Unabhängigkeitserklärung Taiwans als auch eine Zweistaatenlösung ausgeschlossen und bisherige Obergrenzen für Investitionen sowie das Verbot des Handels mit dem Festland aufgehoben.

Nach dem offiziellen Beitritt Taiwans am 1.1.2002 sind nun sowohl die Volksrepublik als auch Taiwan Mitglieder der WTO. Dieser erfordert, dass beide Neumitglieder sich auf einen modus vivendi verständigen, um ihren Streit nicht in deren Institutionen zu tragen. Konflikte, wie sie um die personelle Besetzung der taiwanesischen Delegation am Rande des Apec-Gipfels in Schanghai kürzlich auftraten, sind dagegen eher geeignet, die Gremien der Welthandelsorganisation zu blockieren.

Ein Überdenken der Beziehungen zu Taiwan bedeutet nicht die Aufgabe des "Ein-China-Prinzips". Dennoch sind eine Reihe von Maßnahmen denkbar, die geeignet wären, die Beziehung zu Taiwan parallel zu den sich neu gestaltenden Beziehungen zwischen Taiwan und der Volksrepublik auf eine bessere pragmatische Grundlage unterhalb der völkerrechtlichen Anerkennung zu stellen. Hier ergibt sich Spielraum. Zur Normalisierung der Beziehungen, auch der deutschen und der europäischen Beziehungen zu Taiwan, vor dem Hintergrund des politischen Wandels und der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung sind kreative Ideen gefragt, die es erlauben, einerseits die "Ein-China-Politik" beizubehalten, andererseits jedoch einen unverkrampften Umgang mit Taiwan und dessen offiziellen Vertretern zu pflegen. Auch die USA gewähren Taiwan einen größeren Freiraum. So konnte Chen Shui-bian im Mai 2001 in New York Bürgermeister Rudolph Giuliani und 21 Kongressabgeordnete treffen.

Mit einem Warenumsatz von ca. 12 Milliarden Euro ist Taiwan unser drittwichtigster Handelspartner in Asien. Für die von allen Seiten gewünschte weitere Intensivierung des wirtschaftlichen Austausches zwischen Deutschland und Taiwan sind verlässliche Rahmenbedingungen unerlässlich. Auf Grund des völkerrechtlichen Status Taiwans kann jedoch kein formales Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen werden. Dies führt dazu, dass deutsche Firmen in Taiwan sowohl dort als auch in Deutschland besteuert werden. Andere EU-Partner, wie z.B. die Niederlande, Schweden und neuerdings auch Großbritannien, haben mit der Unterzeichnung von "Übereinkünften" zwischen den jeweiligen Handelsvertretungen bereits pragmatische Wege gefunden, um diese Belastung für ihre Unternehmen zu vermeiden. Es ist dringend erforderlich, dass auch im deutsch-taiwanesischen Wirtschaftsverkehr derartige Regelungen eingeführt werden. Darüber hinaus sollte der wirtschaftliche und kulturelle Austausch wieder stärker durch gegenseitige Besuche von Fachministern unterstützt werden. Auch sollte - wie in anderen EU-Staaten - im Hinblick auf protokollarische Regeln im Umgang mit Taiwan über pragmatische Lösungen nachgedacht werden.


Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:


1. im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bei den Partnern in der Europäischen Union darauf hinzuwirken, in Anerkenntnis der positiven Veränderungen sowohl in Taiwan als auch im Verhältnis zwischen Taiwan und der Volksrepublik China eine neue Bewertung des Verhältnisses zu Taiwan vorzunehmen und hieraus praktische Rückschlüsse für die Gestaltung der Beziehungen zwischen der EU und Taiwan zu ziehen.
2. die Volksrepublik China und Taiwan sowohl bilateral als auch im Rahmen der Gemeinsamen Europäischen Außenpolitik zu ermutigen, den Weg der politischen und wirtschaftlichen Annäherung fortzusetzen und zu intensivieren.

3. gegenüber den Partnern in der EU darauf hinzuwirken, gemeinsame Regeln für die protokollarische Behandlung der in der EU ansässigen Vertretungen Taiwans, insbesondere hinsichtlich der Bezeichnung der taiwanesischen Repräsentanzen sowie hinsichtlich Ausweisen, Steuerbefreiung für Einrichtungsgegenstände, offizielle Post-sendungen, Nummernschilder für Dienstwagen aufzustellen.

4. dabei keinen Zweifel daran zu lassen, dass ungeachtet aller Bemühungen um eine pragmatische Gestaltung der Beziehungen zu Taiwan die "Ein-China-Politik" der Europäischen Union in ihrem völkerrechtlichen Kern unangetastet bleibt.

5. unterhalb der europäischen Ebene
5.1. in Anlehnung an die schwedischen, niederländischen und britischen Modelle, gegebenenfalls durch Übereinkünfte zwischen den jeweiligen Vertretungen in Taipeh und Berlin, in Absprache mit den jeweiligen Finanzbehörden und den deutschen und taiwanesischen Wirtschaftsverbänden nach Wegen zur Vermeidung der Doppel-besteuerung von Firmen in Deutschland und Taiwan zu suchen.
5.2. in Anerkennung der tiefgreifenden demokratischen Veränderungen in Taiwan und der engen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen auch den Austausch auf der Ebene von Fachministern wieder aufzunehmen.
5.3. in Absprache mit den EU-Partnern die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Einreise von taiwanesischen Politikern als Privatpersonen in die Bundesrepublik Deutschland zu schaffen.
5.4. zur Förderung des gegenseitigen Austausches die Teilnahme Taiwans an wirtschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland zu fördern.




Berlin, den 14. Mai 2002
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

   
   
 
   
   
     
     
 

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