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In Sachen zeitgenössische
Kunst stellt China das Gros der Jungstars der
internationalen Szene. Der Erfolg dieser Künstler auf
den Kunstmessen und internationalen Grossausstellungen,
etwa der Biennale von Venedig, verdeckt bisweilen die
Tatsache, dass viele von ihnen die Volksrepublik einmal
unter Protest verlassen hatten und inzwischen in Paris,
New York, Los Angeles, Sydney oder Taipeh arbeiten.
Mittlerweile versucht sich China mit der Biennale von
Schanghai seinen Platz auf dem Parkett der
internationalen Gegenwartskunst zu sichern. Doch Zentren
wie Hongkong, Seoul, Singapur und Taipeh ziehen nach. AUFBRUCHSTIMMUNG IN TAIWAN
Die Republik China ist stolz auf ihre
demokratisch gewählte Regierung unter Präsident Chen
Shui-bian, der seit dem 1. Dezember 2001 mit seiner
Democratic Progressive Party über die stärkste
Parlamentsfraktion verfügt. Zu den politischen Signalen
gesellen sich wirtschaftliche und neuerdings kulturelle
Impulse, die sich an das Festland richten, wo Taiwans
Firmen Milliarden investieren. Offenbar herrscht
zunehmend die Meinung, dass nur eine Strategie der gebündelten
Kräfte letztlich eine Überwindung der Gegensätze und
eine Annäherung zwischen China und Taiwan einzuleiten
vermag.
Für viele Intellektuelle und Künstler verdankt Taipeh
seine Dynamik seiner relativen Überschaubarkeit, dem
lebendigen Austausch mit den asiatischen Nachbarn und dem
freien Handel mit Amerika und Europa, eben jenen
Errungenschaften, die Taiwan vom zentralistisch geführten
Mutterland unterscheiden. Die Insel bietet auf engem Raum
Platz für 23 Millionen Menschen, davon wohnen allein 6
Millionen in Taipeh.
Kulturell allerdings setzt Taipeh die Zeichen: Museumsgründungen,
Sanierung historischer Bausubstanz, Aufbau und Pflege von
internationalen Kulturbeziehungen auf hohem Niveau. Ein
absolutes Must für Hauptstadtbesucher ist das National
Palace Museum mit der weltweit bedeutendsten Sammlung an
chinesischer Kunst, die 1949 aus dem Kaiserhaus nach
Taiwan gebracht wurde, um sie vor der Zerstörung durch
den Bürgerkrieg zu retten. Seit 1965 sind 15 000 Objekte
aus fünf Jahrtausenden ausgestellt, die Weltruf
geniessen und die Sammlung auf den Rang des British
Museum, des Louvre und des Metropolitan Museum stellen.
Das Museum - zweifellos Taipehs berühmtestes Aushängeschild
- begnügt sich jedoch nicht mit der Vermittlung der
kulturellen Vergangenheit Chinas, sondern nimmt aktiv am
internationalen Ausstellungsbetrieb teil. Soeben ist die
Schau «Von Poussin bis Cézanne - drei Jahrhunderte
französische Malerei» zu Ende gegangen, zu der Museen
aus ganz Frankreich Werke geschickt haben.
Die Aufnahme westlicher Kunst in die Programme der Museen
Taipehs erinnert an den Import europäischer Kunst in
Japan und ist von dem politischen Willen zur kulturellen
Vielfalt und Offenheit getragen. Auch im Taipei Fine Arts
Museum, wo in erster Linie moderne Kunst Taiwans
gesammelt und gezeigt wird, bezieht man internationale
Tendenzen mit ein. Das 1983 eröffnete Museum verfügt über
ein grosszügiges Gebäude aus Glas und Beton. Das breit
gefächerte Ausstellungsprogramm reicht von
Wanderausstellungen der klassischen Moderne wie «L'age
d'or de l'impressionnisme», «Chefs-d'uvre du Musée
d'Orsay» und «Chefs-d'uvre du Musée de
l'Orangerie», die im Rahmen internationaler
Zusammenarbeit zustande kommen, bis zur Taipei Biennial
und zur International Biennial Print & Drawing
Exhibition (2001), die sich aktiv um den Dialog Asiens
mit der westlichen Welt bemühen.
Das 2001 eröffnete Museum of Contemporary Art
artikuliert noch stärker als das Taipei Fine Arts Museum
seine programmatische Zugehörigkeit zum internationalen
Netzwerk der Gegenwartskunst. Es ist in einem
historischen Backsteingebäude aus der Zeit der
japanischen Besetzung untergebracht und als solches Teil
eines umfangreichen Sanierungsprogramms, das die
Stadtregierung an national bedeutender Architektur durchführt,
um die bewegte Geschichte und Identität Taiwans am
Stadtbild ablesbar zu machen. Beim Museum handelt es sich
um ein ehemaliges Schulgebäude in einem aus Deutschland
importierten, japanischen Klinkerbaustil, das eine für
Installationen ideale Raumaufteilung bietet.
Kennzeichnend für das Bestreben nach Öffnung ist, dass
die Leitung des zu 51 Prozent aus privaten Mitteln
finanzierten Hauses dem Australier Leon Paroissien
anvertraut wurde.
Paroissien hatte zuvor am Museum of Contemporary Art in
Sydney Aufbauarbeit geleistet. Die Kunst aus Taiwan und
Europa konfrontierende Schau «Labyrinth of Pleasure» (Winter
2001/02) ist programmatisch: Vertreter der asiatisch-pazifischen
Region treten in einen kooperativen Dialog mit Künstlern
aus dem Westen und gehen anhand von modernen Medien den
Bedingungen der globalen Zivilisation auf den Grund.
Parallel dazu fand in Zusammenarbeit mit dem German
Cultural Center Taipei eine Fotoausstellung der deutschen
Künstlerin Bettina Flitner statt. Taiwans lebendige
Gegenwartskunst wird von Künstlern hervorgebracht, die
in der Mehrzahl im Ausland, zum Beispiel in Australien,
studiert haben und heute international ausstellen.
GEGEN INTOLERANZ
Einen Faktor der Expansionskraft
Taipehs bildet das Zusammenwirken von traditionellem
Glauben und Unternehmertum, das nicht nur buddhistische
Organisationen wie den Hsing- Tien-Tempel und das En-Chu-Kong-Spital
hervorrief, sondern am 9. November 2001 auch zur Gründung
des Museum of World Religions führte, dessen
didaktisches Ziel es ist, die Schranken zwischen den
verschiedenen Weltreligionen aufzuheben und Toleranz und
Verständnis zum allgemeinen Besuchserlebnis zu machen. Während
kaum ein geeigneterer Zeitpunkt für die Betriebsaufnahme
eines solchen Zentrums hätte gewählt werden können,
wirkt die Lage in drei Geschossen oberhalb des Sogo-Kaufhauses
im Stadtteil Yonghe eher profan. Doch im Innern erweist
sich die vom New Yorker Stardesigner Ralph Appelbaum, der
auch das United States Holocaust Memorial Museum in
Washington plante, entworfene Gestaltung als Juwel: In
grosszügigen Räumen laden Kultobjekte aus aller Welt
zur Entdeckungsreise durch ein Weltreich der Religionen
ein. Die von internationalen Gönnern eingebrachten
hochrangigen Werke aus Buddhismus, Hinduismus,
Schintoismus, Judaismus, Christentum, Islam sowie der präkolumbischen,
ägyptischen und griechischen Kunst sind an einem Ort der
Ehrfurcht und Würde sowie des interaktiven Lernens und
Wahrnehmens in hervorragender Weise vereint.
Der Rundgang basiert auf dem Zyklus des menschlichen
Lebens, dessen Sinn sämtliche Religionen der Welt ergründen.
Ihre Gemeinsamkeiten will der Stifter und Museumsleiter,
Dharma- Meister Hsin Tao, sichtbar machen, um Respekt vor
allen Glaubensformen, Toleranz gegenüber allen Kulturen
und Liebe zu allen Formen des Lebens zu lehren. Der
Rundgang beginnt mit dem «Elevator», einem schwebenden
Raum, der den Blick des Besuchers mittels
Lichtinstallation zum Himmel lenkt. Über den
symbolischen Pilgerweg begibt man sich weiter durch die
«Golden Lobby» in die «Hall of Life's Journey», eine
High-Tech-Installation zum Thema Leben, Wissenschaft und
Religion, und dann in die «Meditation Gallery», wo
erstklassige Videos eine konzise Übersicht über die
wichtigsten religiösen Praktiken vermitteln. Weiter geht
es mit den «Awakenings», wo religiöse Häupter und
Theologen in Filmporträts vorgeführt werden.
Schliesslich gelangt man zum eigentlichen Höhepunkt, der
«Great Hall of World Religions», die anhand von
Artefakten und rituellen Objekten Geschichte und
Gegenwart der zehn wichtigsten Weltreligionen
veranschaulicht. - Hsin Tao, der auch das buddhistische
Ling-Jiou-Kloster an der Felsenküste im Nordosten der
Insel gründete, besuchte unzählige Museen und traf sich
mit religiösen Oberhäuptern und Experten, um seinem
ehrgeizigen Projekt, einer Art modernem Bollwerk gegen
schwindende Toleranz, die nötige Substanz zu verleihen.
Finanziert wurde das 66 Millionen Dollar teure Museum aus
grosszügigen Spenden von Anhängern und Mäzenen aus
Wirtschaft und Hochfinanz. Anlässlich der Eröffnung, an
der auch der neu gewählte Präsident Chen Shui-bian
teilnahm, fand ein internationaler Kongress über den
Erhalt und die Sanierung religiöser Stätten und Heiligtümer
statt.
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