Taiwan-Info

Bericht des "Spiegel" zum Ausgang der Wahlen vom 1.12.2001

 

TAIWAN-WAHLEN

 

Neue Spannungen in der südchinesischen See?

von Andreas Lorenz, Peking

   
  Der Ausgang der Parlamentswahl in Taiwan bereitet Peking neue Albträume. Ausgerechnet die beiden meist gehassten Politiker, Präsident Chen und Ex-Präsident Lee, gingen als Sieger daraus hervor. Beide machen keinen Hehl daraus, dass ihnen ein unabhängiges Taiwan am liebsten wäre.

Bei den Parlamentswahlen hat die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) von Präsident Chen Shui-bian eindeutig gesiegt. Sie gewann 21 Mandate hinzu und wurde in der 225-Sitze-Volksvertretung stärkste Partei.
 

   

Wahlkampf in Taipei (AP)

  Die nationalistische Kuomintang (KMT) musste dagegen eine verheerende Niederlage einstecken. Sie verlor nach 50 Jahren zum ersten Mal die Mehrheit im Parlament und wird statt 110 nur noch 68 Abgeordnete in das Parlament entsenden. Drittstärkste Kraft wurde die "Erste Volkspartei" (PFP) des KMT-Abtrünnigen James Soong.

Die Entscheidung der 23 Millionen Taiwaner ist für die KMT um so bitterer, als sie seit ihrer Flucht vom Festland nach Taiwan vor über 50 Jahren die Politik der Insel dominierte. Bis zur Aufhebung des Militärrechts 1987 hatten die Nationalisten die DPP gnadenlos verfolgt. Nachdem Chen im vorigen Jahr bereits den Präsidentenpalast erobert hat, scheinen die Erben des Diktators Chiang Kai-chek nun in die politische Mittelmäßigkeit abzudriften. Chen muss für eine stabile Regierung allerdings Koalitionspartner suchen. "Das Ende der Wahlen markiert den Anfang einer Ära der Zusammenarbeit", kommentierte er das Resultat.

Das Votum ist nicht nur aus innenpolitischen Gründen brisant. Die Pekinger KP, die bislang das Resultat nicht kommentierte, dürfte die Entwicklung bei den Brüdern und Schwestern auf der Insel hochgradig nervös machen. Neue Spannungen an der Taiwan-Straße scheinen programmiert. Peking betrachtet die Insel als abtrünnige Provinz und droht immer wieder mit militärischer Gewalt, falls sich die Taiwaner für unabhängig erklären sollten.

Was Peking heftig irritieren dürfte: Es legten genau jene Gruppen zu, die für ein selbstbewussteres Auftreten gegenüber der Volksrepublik plädieren. Symptomatisch ist die bittere Niederlage der kleinen Neuen Partei, die als einzige Gruppe auf Taiwan eindeutig für die Wiedervereinigung mit der Volksrepublik ohne Wenn und Aber plädiert.

Hinzu kommt, dass mit der KMT eine Partei an Einfluss verliert, die noch emotionale Bindungen zum Festland hat und eine Wiedervereinigung nicht so radikal ablehnt wie Chens DPP. Die meisten Anhänger des Präsidenten sind auf der Insel geboren und haben keine verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Festländern.

Aus dem Wahlergebnis kann Chen die Unterstützung der Taiwaner für seine Politik ablesen: Er wies in den letzten Monaten energisch die Forderung Pekings zurück, das "Ein-China-Prinzip" anzuerkennen: "Völlig unannehmbar".

Sollten die Taiwaner diese Maxime akzeptieren, will ihnen die KP weitgehende Autonomie zugestehen. Peking hat sich sogar bereit erklärt, über einen neuen Namen und eine neue Flagge für das vereinigte China nachzudenken. Doch Chen und seine DPP trauen den Zusicherungen der Festland-Führung nicht.

Beunruhigen wird die Pekinger Regierung auch der Erfolg des ehemaligen Präsidenten und Erzfeindes Lee Teng-hui. Der gewann mit seiner "Taiwan-Solidaritätsunion" (TSU) 13 Sitze. Er hat eine Koalition mit der DPP angekündigt. Lee wertet das Verhältnis zwischen Taipeh und Peking als "besondere Beziehungen zwischen Staat zu Staat", was die Regenten der Volksrepublik in der Vergangenheit zur der Forderung veranlasste, Lee in den "Mülleimer der Geschichte" zu werfen.

   
   
 
   
     
     
 

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