Taiwan-Info

Hintergrundbericht der "Süddeutschen Zeitung" zum Ausgang der Wahlen vom 1.12.2001

 
 
 

IM PROFIL

Lee Teng-hui -
Ex-Präsident und Totengräber der reichsten Partei der Welt

Von Kai Strittmatter

 

(Bildquelle: United Daily News, Taiwan)

  China hasst ihn. Taiwans Kuomintang auch. Lee Teng-hui hat in seinen zwölf Jahren als Präsident von Taiwan mit Lust Pekings Kommunisten vergrätzt; dafür nannten sie ihn „Abschaum“ und „Hure“. Indes verwundert der Hass der Kuomintang zunächst schon: Die KMT war seine Partei, er war ihr Vorsitzender. Aber Lee sollte noch mehr sein: Er wurde zu ihrem Totengräber. Auch diesen letzten Dienst an seinem Land verrichtete Lee mit der für ihn typischen Leidenschaft. Mehr noch aber treibt ihn die Überzeugung, dass nur zwei die nötige Weisheit besitzen, das Volk in eine gelobte Zukunft zu führen: Gott und Lee Teng-hui. Einmal hat sich der gläubige Christ mit Moses verglichen – den Stab gab er allerdings schon im letzten Jahr ab: an den jetzigen Präsidenten Chen Shui-bian.

Herkömmliche politische Weisheit hätte die beiden in gegnerischen Lagern vermutet – hier der KMT-Mann Lee, Vertreter einer ehemals diktatorischen Einheitspartei, dort der Oppositionelle Chen, aufgewachsen im Widerstand gegen die KMT-Diktatur. Wie sich schnell zeigte, war das Gegenteil der Fall: Lee und Chen flirteten miteinander. Faktisch hat Lee – der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte – dem Rechtsanwalt Chen Shui-bian die Steigbügel gehalten bei dessen Einzug ins Präsidentenpalais vor 16 Monaten.

Historiker werden zwei Dinge über Lee Teng-hui sagen: Unter seiner Präsidentschaf t wurde Taiwan demokratisch. Und er brach der KMT das Rückgrat – seiner eigenen Partei, die noch immer die reichste der Welt ist und nun, zum ersten Mal seit mehr als sieben Jahrzehnten, von allen Bastionen der Macht verdrängt wurde. Vor 52 Jahren verlor die KMT China an die Kommunisten, im letzten Jahr verlor sie das Präsidentenamt an die Opposition, und am Samstag gab sie die Mehrheit im Parlament ab. Der 78-Jährige, der seinen Ruhestand als Laienprediger verbringen wollte, vollendete am Wochenende sein Werk. Ohne sein Zutun wäre die Niederlage für die KMT nie so demütigend ausgefallen. Denn Lee – längst ein trojanisches Pferd – hat die KMT zum zweiten Mal in nur zwei Jahren gespalten: Kurz vor der Wahl gründete er eine neue Partei – erst dann warf ihn die masochistisch geduldige KMT hinaus. „Das Vergnügen ist ganz meinerseits“, kommentierte Lee den Parteiausschluss.

Lee ist der Sohn eines Reisbauern. Einmal sprach er von der „Tragödie, als Taiwaner geboren zu sein“: Immer war Taiwan von Fremden beherrscht. Bei Lees Geburt waren es die Japaner, von 1949 an die KMT, die auf dem Festland den Bürgerkrieg gegen Mao Zedong verloren hatte. Lee Teng-hui war 1988 der erste gebürtige Taiwaner, der zum Präsidenten gewählt wurde. Bis heute misstraut er den Festlandchinesen in der KMT und deren neuer Annäherungspolitik an Peking. Lee wirft ihnen vor, „mit den Kommunisten gemeinsame Sache gegen Taiwan zu machen“. Lee will, dass Taiwan unabhängig bleibt und die Taiwaner über ihr Schicksal bestimmen. Deshalb unterstützt er Chen Shui-bian. Deshalb zog er gegen seine eigene Partei in die Schlacht. Am Samstag errang er seinen letzten Triumph.

   
   
 
     
     
 

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