Taiwan-Info
Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zu den Wahlen vom 1.12.2001
Chen will endlich frei regieren Taiwan Präsident hofft auf Machtverschiebung im Parlament Von Kai Strittmatter (1.12.2001) |
Taiwan hat
die Wahl: Schauspielerinnen bieten sich an, ein
Basketballspieler. Einer begann im Wahlkampf einen
Hungerstreik, die Familie eines anderen ging auf die Knie
und bat die Wähler kollektiv schluchzend um die Stimme für
ihr Familienoberhaupt - der Kandidat selbst war unabkömmlich,
er sitzt im Gefängnis wegen Anstiftung zum Mord und
Korruption. Sie alle wollen ins Parlament am heutigen
Samstag. Der Wahlkampf in Taiwan war schon immer bunter
als anderswo. Diesmal stehen die Bürger aber vor allem
vor der Wahl, ob sie ihrem Präsidenten das Leben endlich etwas leichter machen wollen. Als Chen Shui-bian im Mai 2000 Präsident wurde, zog er unter großem Jubel in sein Amt - er hatte es geschafft, als erster Oppositioneller seit mehr als sieben Jahrzehnten die Macht der nationalistischen Kuomintang (KMT) zu brechen. Der Jubel verflog schnell. Etliche Patzer des Präsidenten trugen ebenso dazu bei wie die atemberaubende Talfahrt der Wirtschaft. Der Wert der Börse hat sich seit Chens Amtsantritt halbiert, die Arbeitslosigkeit ist mit 5, 3 Prozent auf Rekordhoch. Das kann man in diesen Zeiten nicht unbedingt Chen anlasten, aber es drückt auf die Stimmung. Am meisten zu schaffen machte ihm das Parlament: Er muss gegen eine Mehrheit der Opposition regieren - und die den Machtverlust nur schwer verschmerzende KMT blockiert ihn, wo es nur geht. Chen Shui-bian hofft, dass sich das von heute an alles ändert. Tatsächlich werden der KMT Verluste vorhergesagt, Chens Demokratischer Fortschrittspartei DFP hingegen Gewinne. Wahrscheinlich wird aber keine Partei künftig in der 225-köpfigen Kammer die absolute Mehrheit stellen - Chen hofft deshalb auf eine Koalition der nationalen Stabilität. Entscheidend könnte dabei der Beitrag von Lee Teng-hui sein, seines Zeichens Vorgänger von Chen als Präsident und langjähriger Vorsitzender der KMT. Das war einmal: Die KMT hat Lee im September aus der Partei geworfen, als er eine neue Partei gründete, die Taiwan Solidaritäts-Union TSU - und allzu offen mit seinem ehemaligen Widersacher Chen Shui-bian flirtete. Lee machte sich bei seiner Abkehr von der KMT weniger Sorgen um den sagenhaften Reichtum der Partei und ihre Verwicklung in diverse dunkle Geschäfte (auch bei dieser Wahl stehen zahlreiche KMT-Abgeordnete wieder unter Verdacht des Stimmenkaufs) als vielmehr um das für Taiwan lebenswichtige Verhältnis zu China: Lee findet, die KMT biedere sich der Wiedervereinigungspolitik Pekings zu sehr an. Chen Shui-bian dagegen steht für den Status Quo: die de-facto-Unabhängigkeit Taiwans. Dabei ist Chens China-Politik bislang nicht nur vorsichtig, manchmal baut er sogar neue Brücken. Am Freitag erlaubte sein Kabinett taiwanesischen Firmen die Produktion von Notebooks auf dem Festland. Das war lange ein Tabu, denn einige befürchten eine zu große Abhängigkeit Taiwans von China, wenn nun auch die Hi-Tech-Fabriken der Insel übersetzen. China lohnt dem Präsidenten seine Initiativen bisher nicht, es ignoriert ihn großteils. Was man auch als Fortschritt sehen kann: Vor früheren Wahlen schickt Peking regelmäßig Drohungen, manchmal auch Manöver-Raketen. |
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