An Karl Riedel.

Pest, den 24. April 1868

Geehrtester Herr Riedel!

Aus Ihren Schreiben vom 20. v. M. ersehe ich mit Vergnügen, dass mein "Weihnachtslied" im allgemeinen Ihren Beifall gefunden hat. Sie wollten mir nach der beabsichtigten provisorischen Probe Ihr definitives Urteil, namentlich auch über die Ausführbarkeit des von Ihnen bedenklich gefundenen Mittelteils des Schlusssatzes, bekannt geben. Da das noch nicht geschehen ist, möchte ich Sie durch diese Zeilen dazu veranlassen, zugleich aber Ihre vorläufigen Ausstellungen durch folgende Bemerkungen beantworten:

Sie finden den letzten Satz im Verhältnis zu den übrigen Sätzen zu lang. Diese Länge dürfte sich aber aus der Eigentümlichkeit des von mir behandelten Gedichtes ganz wohl rechtfertigen lassen: Der Teufel in der ersten Strophe, die Warnung zum Schluss der zweiten, die Reue in der dritten nehmen hier einen für ein Weihnachtslied unverhältnismässig grossen Raum ein und lassen die düstere Färbung ungebührlich dominieren, welche durch die langsamen Zeitmasse des zweiten und dritten Saztes eher noch erhöht wird. Ich fühlte daher das Bedürfnis, zum Schluss in lebhaftem Tempo den Weihnachtsjubel gehöhrig ausklingen zu lassen, was nur in einem Satze geschehen konnte, welcher um vieles länger als jeder der vorangehenden Sätze war. Daher möchte ich den von mir so gestalteten Satz auch nicht um einen Takt verkürzt sehen.

Was ferner die mir von Ihnen vorgeworfene instrumentale Behandlung und die dadurch bedingte Ausführungsschwierigkeit der angefochtenen Partie betrifft, so suchte ich mir darüber in einer vor etlichen Tagen zu diesem Zwecke veranstalteten Probe Aufklärung zu verschaffen. Zu meiner Beruhigung brachte die dabei beteiligte kleine Anzahl intonations- und taktfester Sänger und Sängerinnen beim zweiten Durchsingen des ganzen Werkes jede Note richtig; auch erklärten am Ende alle einhellig, dass jede Stimme durchaus sangbar geschrieben sei. Somit hoffe ich, dass Ihr trefflicher Verein mit meinem Werke gleichfalls fertig werden wird.

Nach dieser Darlegung werden Sie erklärlich finden, dass ich mich vorderhand zu Änderungen nicht veranlass fühle. Demungeachtet ersuche ich Sie, mir Ihre neuerdings gemachten Wahrnehmungen in betreff meiner Komposition nicht vorzuenthalten. Machen Sie nur solche Änderungsvorschläge, die ich als Verbesserungen anerkennen muss, so werde ich dieselben gewiss dankbar aufnehmen. Am einfachsten wäre es, wenn Sie dieselben auf einem einzelnen Notenblatt angedeutet mir zuschicken wollten. Die in Ihrem Breiefe angeratene Weise der Umgestaltung des Schlussatzes aber möchte wohl meine ganze Intention vernichten, wozu ich mich schwerlich bequemen würde.

Da Sie sich übrigens bereit erklärt haben, mein Weihnachtslied auch in seiner gegenwärtigen Fassung zur Aufführung zu bringen, so darf ich ja jedenfalls hoffen, dass Sie meine Noten lebendig machen werden, wofür ich Ihnen im voraus schön danke.

In Erwartung einer baldigen Antwort von Ihnen verbleibe ich mir herzlichem Gruss

Ihr hochachtungsvoll ergebener

Robert Volkmann



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