An Oskar Volkmann.

Ofen, den 23. Juni 1868.

Lieber Oskar!

Endlich muss ich Dir wieder einmal ein Lebenszeichen von mir geben, sonst denkst Du mit Recht weiss Gott was! Ich hätte Dir schon eher geschrieben, aber alles verlief bei mir im gewöhnlichen Geleise, was zwar sein Gutes hat, weil es in sich schliesst, dass man gesund ist und nicht bankerott ward, aber interessant ist das nicht für die Korrespondenz. Auch jetzt wüsste ich nichts Besonderes zu schreiben, als dass wir vorgestern früh 6 1/4 Uhr in Pest und Ofen ein kleines Erdbeben hatten, von dem ich aber nichts verspürt habe; in östlicher Richtung von Pest los dieses unterirdische Tier mehr Verwirrung und manchen Schaden angerichtet haben, z.B. In Fazsberenyi. Im Winter hatten wir in Pest auch einen Kircheneinfall: die 200 000 Zentner schwere, noch nicht ganz fertige Kuppel stürzte ein, ohne indes jemand zu beschädigen. Das nenne ich einen Durchfall --- nicht nur der Kuppel, sondern auch des Baumeisters; wenn ein Komponist durchfällt, so hat nur er den Schaden, aber der Durchfall unserer Kuppel kostet eine Million Gulden.

Wenn Du noch Klavier spielst, werde ich Dir wieder mal was Neues schicken; im Sommer oder Herbst erscheinen wieder leichte Sachen von mir. Wahrscheinlich wird, vielleicht noch im Sommer, etwas Neues von mir in Leipzig aufgeführt: ich komponierte für den Riedelschen Gesangverein eine Motette unter dem Titel "Weihnachtslied aus dem 12. Jahrhundert". Wenn Du über die Aufführung etwas liesest, so teile mir, bitte, den Inhalt mit. Da aber die Piece schwer zu singen ist, wird vielleicht die Aufführung erst später erfolgen.

Der Mai und Juni waren bis jetzt bei uns enorm heiss, als Zugabe hatten wir Wolkenbrüche, Hagelschlag und Blitzeinschläge in Menge; trotzdem wird Ungarn wieder ein gesegnetes Jahr haben, wenn die Elemente sich gut aufführen: Getreide, Wein und Obst verspricht viel. Pest hebt sich jetzt ausserordentlich, namentlich entstehen eine Menge grosser Fabriken, besonders aber Dampfmühlen für Getreide; auch erhielten wir seit einem Jahre mehrere Pferdeeisenbahnen in der Stadt und Umgebung, eine grosse Wasserleitung soll ebenfalls bald in Angriff genommen werden, so dass sich voraussehen laesst, dass Pest in kurzer Zeit eine grosse, blühende Stadt werden wird, in welcher sich, statt in Wien, der orientalische Handel konzentrieren wird. Jetzt war der Prinz Napoleon hier, ein feiner Diplomat, der den Ungarn eine Menge Schönes sagte und dafür gehöhrig gefeiert wurde.

Doch um wieder auf die Hitze zu kommen, melde ich, dass ich diesem Plagegeist morgen entgehen will, indem ich meinen gew&oum;hnlichen Landaufenthalt in Pilis-Maroth bei Gran in der Villa Heckenast nehmen werde. Was ich sonst noch im Sommer tun werde, weiss ich noch nicht, nur soviel, dass ich viel arbeiten will und muss.

Soeben erhielt ich den Jahresbericht des Dresdner Tonkünstlervereins, dessen Ehrenmitglied ich bin; ich ersehe aus dem Berichte, dass auch von mir eine Komposition aufgeführt wurde: die Variationen über ein Thema von Händel. Dieser Verein veranstaltet im Winter höchst interessante musikalische Aufführungen in seinen sogenannten vier "Promotionsabenden" und in den "Übungsabenden", die aber auch den Wert wirklicher Konzerte haben. Die Programme enthalten Tonstücke für Streich- und Blasinstrumente, sowie für Klavier und für Gesang. Du kannst leicht auswärtiges Mitglied werden. Du brauchst nur Deinen Wunsch einem Mitgliede des Vorstandes mitzuteilen, z.B. dem Vorsitzenden, Kammermusikus Rühlmann, oder dem Schatzmeister, dem Dir vielleicht bekannten Kammermusikus Hiebenthal (er war früher oft bei Hammers). --- Neulich liess mich mein Verleger in Öl malen, ein sehr gelungenes Porträt. --- So hätte ich doch mehr geschrieben, als ich hoffte, freilich wenig Gescheites. Gib auch wieder einmal ein Lebenszeichen. --- Alles wohl? Tausend Grüsse an Deine Frau und Mutter, Odertante, Hammers.

Dein treuer

Robert Volkmann.



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