Methode...
Home Nach oben Ursachen... Geschichte... Methode... Technik... LBZ-Methodik... Berufe... Quellen

 

 

3) Methodenstreit, so alt wie die Taubstummenbildung

Ronny Bohms

 

3.1. Vorwort

Taubstummenbildung war bis zu den Zeiten eines Abbe`de l `Epee ( 14.11.1962 - 1798 ) und eines Samuel Heinickes pädagogisches Zufallsprodukt. Engagierte Pädagogen beschäftigten sich auf Grundlage allgemeiner pädagogischer Methoden mehr oder weniger erfolgreich auch mit taubstummen Zöglingen. Anlaß war oft der Wille begüterter Familien, ihren taubstummen Sprößlingen christliche Erziehung zukommen zu lassen.

 

Die ersten sehr ausführlichen, pädagogisch und methodisch begründeten Hinweise stammen von den beiden o.g. Vorreitern der Gehörlosenpädagogik.

Sowohl Heinicke, als auch l`Epee waren der Meinung, das wahre geistige Bildung nur durch Sprache möglich sei.

Beide waren sich aber über die Metodik der Vermittlung der Sprache nicht einig und begannen eine Auseinandersetzung die in einen Streit ausartete, der in abgewandelter Form auch heute noch existiert und jüngster Zeit wieder verschärft ausgetragen wird.

 

l`Epee fragte sich: " Welche Sprache ist dem taubstummen Kind gemäß ?" und Heinickes Frage lautete: " Welche Sprache ist zweckmäßig ?"

Verallgemeinert kann man den Streitpunkt heute so definieren: Sollte eine Unterrichtsmethode für Gehörlose mehr lautsprachorientiert oder mehr gebärdenorientiert sein ?

 

 

3.2. Die Zeit vor 1945

Die ältesten überlieferten Hinweise auf Versuche Taubstumme als bildbare Menschen zu verstehen stammen aus dem 15/16.Jahrhundert. Eine Äbtissin des Stiftes Gernrode versuchte einem taubstummen Mädchen die Christenlehre durch Gebärden zu vermitteln. Sie ließ sich wahrscheinlich durch die im 10. Jahrhundert in Benediktinerklöstern verwendeten Klostergebärden zur Umgehung des Schweigegelübdes inspirieren.

Nachfolgende Unterrichtsversuche benutzten zusätzlich oft und manchmal ausschließlich die Schriftsprache ( Otto Benjamin Lasius, 1775 ) oder mischten beide Varianten je nach Bedarf.

 

Um das Jahr 1700 herum entwickelte sich die Gebärde als Kommunikationsmittel vor allem der Taubstummen untereinander. Das führt man zurück auf die beginnende Beschulung von Taubstummen. Erstmalig bildeten sie jeweils eine größere Gemeinschaft von Taubstummen und eine Gebärde machte Sinn. Es entstand die sogenannte Volksgebärde.

 

Die ersten umfangreichen Lehrberichte, theoretischen Ausarbeitungen und methodisch-pädagogischen Handreichungen zur Bildung von Taubstummen aber lieferten Abbe` de l` Epee und Samuel Heinicke, die aber von Anfang an verschiedene methodisch - pädagogische Wege beschritten.

l`Epee sah die Gebärde als Grundlage des Unterrichts und Heinicke die Lautsprache.

" Dem ausgesprochen visuellen Sprachtyp l`Epee stand der Akustomotoriker Heinicke gegenüber. l`Epee machte die Schriftsprache und die methodischen Zeichen, die einen natürlichen oder ....einen vernunftgemäßen Zusammenhang mit den zu bezeichnenden Gegenständen besitzen ", zur Grundlage seines Unterrichts. Für Heinicke hatte das Lautwort eine natürliche und denknotwendige Verbindung mit dem Vorgestellten. Denken und Sprechen standen für ihn in natürlichem Zusammenhang.

( Zitate: siehe 7) Literaturangaben; Quelle 10 )

 

 ´Epee war anderer Meinung und begründete das mit Hilfe der Anschauungen des Cartesianismus.

Cartesius ( 1596 - 1650 ) wird als Schöpfer der modernen Erkenntniskritik bezeichnet.

Dualismus ist sein Ausgangspunkt. " Körper und Geist, Räumlichkeit und Bewußtsein sind die zwei Seinsweisen, die sich in Menschen nur berühren und ihn den mechanischen Ablauf der Natur erkennen lassen. "

Es ist ein Wechselspiel, manchmal ein Gegenspiel, von res cogitans und res extensa, von Geist und Körper. "

Für l`Epee bestand zwischen Wort und Idee also lediglich eine Gewohnheitsassoziation.

" Der Zeichencharakter der Sprache ist Angelpunkt seiner Methode, daraus schloß er: die Begriffe haben mit den artikulierten Lauten keine natürlichere Verwandtschaft und Verbindung als mit dem geschriebenen Buchstaben. Die Verbindung mit dem Begriff entsteht durch Zeichen der Augen oder der Hand ".

( Zitate: siehe 7) Literaturangaben: Quelle 10 )

 

Das schien der Welt zunächst auch einleuchtend. Aus ganz Europa kamen Interessenten zu l`Epee um sich in seiner Methode ausbilden zu lassen und diese Verfahren dann im eigenen Land anzuwenden und dort zu verbreiten.

So schickte der österreichische Kaiser auch Stork und May zu l`Epee nach Paris.

Stork begründete dann 1779 die Taubstummenanstalt " Wiener Schule ", die wiederum in ganz Österreich Tochteranstalten gründete und auch einen starken methodischen Einfluß auf die süddeutschen Anstalten Karlsruhe, Freiburg, München, Gmünd und Camberg ausübte.

 

Als Heinicke in seiner Schrift " Über die Denkart von Taubstummen " seine eigene Ansicht zur Taubstummenbildung darlegte fühlte sich Stork als Leiter der " Wiener Schule " angegriffen und versuchte nun seinerseits Heinicke die Methode seines Meisters l`Epee zu erklären.

Heinicke antwortete darauf mit folgenden Einwänden in seinem legendären Brief etwa so:

1) Der Mangel des Gehörs könne nicht mit Hilfe des Gesichts ersetzt werden.

2) Abstrakte Begriffe könnten auch unter Beihilfe der Schrift und der methodischen Gebärden nicht dem Geist der Taubstummen nahegebracht werden.

3) In kurzer Zeit müßten die Gebärden und die durch sie den Schülern beigebrachten Wörter wieder vergessen sein.

Anmerke: Begründer der Lautsprachmethode war eigentlich der Schweizerdeutsche Johann Konrad Ammann, der im Jahr 1692 seine Arbeit

" Der sprechende Taubstumme oder eine Methode, nach der man Taubstumme das Sprechen lehren kann " herausgab.

Heinicke entwickelte diese Theorie dann lediglich weiter.

 

l`Epee wurde bald aber auch von seinem eigenen Nachfolger Sicards kritisiert.

Der warf seinem Meister vor, den Taubstummen nur die Einzelwörter gelehrt zu haben, ihnen aber nicht die Grammatik und den Satzzusammenhang beigebracht zu haben.

Als Sicards diese Einwände l`Epee selbst vorbrachte meinte dieser: " Übrigens, ich habe das Glas gefunden, Sie müssen die Brillen machen."

aus "Neue Blätter für Taubstummenbildung" März/April 1963

 

Aus der anfänglichen Lautsprachmethode von Heinicke wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine " reine Lautsprachmethode "( Vatter ). Für diese Methode war es typisch, daß sie die volle Ausschaltung der Daktylsprache und der mimischen und Gebärdensprache forderte. Ebenso wurde der schriftliche Ausdruck unterschätzt.

 

Ungefähr ab dem Jahr 1870 setzte sich die lautsprachorientierte Methode vor allem in Europa immer mehr durch und fand 1880 in den Beschlüssen des Mailänder Kongresses der Taubstummenlehrer einen seiner Höhepunkte.

Der Methodenstreit war damit aber nicht beendet. Immer wieder meldeten sich die Kritiker der oralen Methode zu Wort.

1891 schrieb der hörende Taubstummenlehrer Johannes Heidsiek das Buch " Ein Notschrei der Taubstummen ".

Das Buch erregte großes Aufsehen, da Heidsiek den Oralismus deutlich bekämpfte.

1890 gab es 2 Massenpetitionen von Taubstummen an den deutschen Kaiser. Sie wollten ihn auf die Mißerfolge der einseitigen, oralen Methode aufmerksam machen.

Die Methode wurde allerdings auch politisch vorgegeben. Die preußischen Gesetze legten z.B. fest, daß der Taubstumme nach Beendigung der elterlichen Aufsicht unter die Vormundschaft des Staates zu stellen sei. Eine Befreiung war nur möglich, wenn er seine Gedanken schriftlich niederlegen konnte. Das wiederum war nur möglich, wenn er längere Zeit daraufhin unterrichtet wurde.

 

Ab 1900 verzeichnete man dann eine Mäßigung des Oralismus in den Schulen.

Viele HNO-Ärzte orientierten zu dieser Zeit die Gehörlosenpädagogen auf pädagogisch nutzbare Hörreste bei Schülern der Taubstummenschulen. Dem Wiener Otologen Victor Urbantschitsch

( 1847 - 1921 ) wird die Einführung von Hörübungen als Unterrichtsstunden an den Taubstummenschulen zugeschrieben. Er orientierte sich dabei zuerst vorwiegend auf Schüler mit vorhandenen größeren Hörresten, dehnte seine Versuche aber dann auch auf Schüler aus, die man weitgehend für taub hielt.

1921 erfolgte dann der vorerst letzte Versuch von Taubstummenverbänden, die Gebärdensprache wieder einzuführen, taubstumme Lehrer einzustellen und die Zusammenarbeit mit den Taubstummenlehrerverbänden in Deutschland und Österreich durchzusetzen.

Dieser Versuch mißlang und in der Folgezeit hatten die gehörlosen Menschen infolge des beginnenden unmenschlichen Umgangs mit den Hörbehinderten größere Sorgen. Es griffen Sterilisationsgesetze für Gehörlose und andere Randgruppen der Gesellschaft, und es begann eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der deutschen Gehörlosengemeinschaft in der Zeit der Machtausübung durch die Nationalsozialisten - bis hin zur Ermordung vieler Gehörloser durch die sogenannte " Euthanasie ".

 

3.3. Die Zeit nach 1945

Nach 1945 bemühten sich Gehörlosenlehrer aus der ganzen Welt recht schnell wieder um Zusammenarbeit. So wurden 1950 deutsche Gehörlosenpädagogen auf den ersten Nachkriegskongreß dieser Art nach Groningen eingeladen. Sie wollten die seit 1939 eingeschlafenen Beziehungen zu ihren Kollegen aus der Welt wieder aufbauen.

Aus dieser Zeit datieren auch die ersten wirkungsvollen Überlegungen, unterschiedliche Schulformen auf Grund der Art und der Schwere der Hörschädigung zu schaffen. Bereits 1951 richtete die Gehörlosenanstalt in St. Michielgestel eine Schwerhörigenanstalt mit Heim in Eindhoven ein, völlig abgeschlossen von der eigenen Gehörlosenanstalt.

In der Ausgabe Juni/Juli 1960 von " Neue Blätter für Taubstummenbildung " berichtete A.v. Uden über die Erfolge dieser Trennung.

Auch in Deutschland stritten führende Hörgeschädigtenpädagogen erfolgreich für die Trennung von Gehörlosenschulen und Schwerhörigenschulen.

Ungefähr in dieser Zeit liegt auch der Ursprung des vollzogenen Begriffwandels. Man erkannte, daß die wenigsten hörgeschädigten Menschen wirklich taubstumm waren und differenzierte zukünftig auch gewissenhafter im Begriff der jeweiligen Hörschädigung.

Anmerke: Schon Heinicke spricht 1778 von halbhörenden Taubstummen, nannte sein Institut aber selbst " Institut für Stumme und andere mit Sprachgebrechen behaftete Personen zu Leipzig ".

 

1951 wurde in Rom der Weltverband der Gehörlosen gegründet, dem damals 14 Länder angehörten.

Dieser Verband sollte in der Folgezeit eine wesentliche Rolle beim erneut aufkeimenden Methodenstreit spielen.

Selbst Befürworter der oral ausgerichteten Unterrichtsmethode distanzierten sich zunehmend von der

" reinen Lautsprachmethode " für Gehörlose.

Kurz nachdem ein europäischer Kongreß der Taubstummenlehrer die Einführung einer internationalen Gebärdensprache beschloß, schrieb A. Freunthaller-Wien in " Neue Blätter für Taubstummen-

bildung ", Juni/Juli 1960: " Es ist nicht mehr möglich, stillschweigend vor der Tatsache zu resignieren, daß von den nach 10 jährigem Aufenthalt in einer Taubstummenanstalt entlassenen Schülern nur eine geringe Zahl die Lautsprache als primäres Ausdrucks- und Verständigungsmittel inne hat und weiterhin gebraucht, während die übrigen sie schon kurze Zeit nach Verlassen der Schule ablegen, wie ein unbequemes Kleidungsstück und sich ausschließlich nurmehr der Gebärdensprache bedienen. "

 

Beide Parteien führten seit einiger Zeit adaptierte, gemäßigte Methoden ins Gefecht, wobei es den Extremisten der einen oder anderen Seite immer wieder gelang, eine erfolgversprechende sachliche Diskussion beider Seiten durch unsachliche Darstellungen in der Öffentlichkeit zu verhindern.

Man bezog die Methodendiskussion jetzt überwiegend auf gehörlose Menschen, die von Geburt an gehörlos sind. Vielfach ausgeklammert wurden inzwischen also schwerhörige, stark schwerhörige und gehörlose Menschen, die erst nach dem Spracherwerb gehörlos wurden. Für diese Gruppen wurde die lautsprachorientierte Methode inzwischen beidseitig akzeptiert oder sogar empfohlen.

Das war für beide Seiten als großer Fortschritt zu werten.

Die ernstzunehmenden Vertreter der gebärdenorientierten Methode für von Geburt an gehörlose Menschen sprechen heute von der bilinguale Methode. Das bezeichnet u.a. den Einsatz der deutschen Gebärdensprache ( DGS ) als Erstsprache für alle Gehörlosen. Deutsch hat den Status einer Fremdsprache. Sie stellten an diese Methode den Anspruch, daß sie für Gehörlose zu einem zufriedenen Leben in einer Welt mit 2 Sprachen führt.

Die lautsprachorientierten Verfechter der Gehörlosenbildung verstanden ihre Methode als eine Kombination zwischen Lautsprache und lautsprachbegleitender Gebärden ( LBG ) mit einem deutlichen Übergewicht hin zur Lautsprache.

Sie gehen davon aus, daß nur gesprochenes Deutsch zur Integration der Gehörlosen führt.

Der Methodenstreit verlagerte sich durch die Zweistaatlichkeit in Deutschland bedingt bald auf das Gebiet der ehemaligen BRD.

In der DDR orientierte man sich einheitlich und staatlich festgelegt bis 1989 sehr stark an der sowjetischen Gehörlosenpädagogik, die bis 1938 unter dem Einfluß der " reinen Lautsprach-

pädagogik " stand.

Ab 1938 ging man dort bei der Erarbeitung der mündlichen Sprache vom Schriftbild aus.

Durch die Ergebnisse mehrjähriger Untersuchungen, wie sie von dem sowjetischen Gehörlosenpädagogen S.A. Sykow durchgeführt wurden, deckte man die Mängel der Methode auf.

Die Sprachausbildung war von der Tätigkeit der Kinder isoliert und man stellte fest, daß weder der mündliche noch der schriftliche Ausdruck von den Kindern genügend genutzt werden konnte.

Ungefähr ab 1970 wurde als Ausgangspunkt für die Sprachentwicklung die Daktylsprache genutzt, wobei die mimische und Gebärdensprache nur in Ausnahmefällen als Hilfsmittel verwendet wurde.

Bereits im Kindergarten begann man in speziellen Artikulationsstunden mit der Sprachanbahnung und Absehübungen.

Mit der Verbesserung der Hörgerätetechnik verschob sich ca. 10 Jahre später auch die Wichtung der Methodeninhalte zugunsten der Nutzung der vorhandenen Hörreste und des Absehens .

Man benutzte die lautsprachbegleitende Gebärde und auch die Daktylzeichen nur in Ausnahmefällen als Hilfsmittel und konzentrierte sich auf das Absehen und Hören.

 

 

3.4.) Das Problem heute

Seit 1989 steht wieder ganz Deutschland in der Diskussion um die richtige Methode in der Gehörlosenbildung.

Jede Seite verteidigt auch in der Öffentlichkeit seine Ansicht.

Ein Beispiel ist als Anlage 3.4.1. beigefügt.

Das Problem ist, das sich beide vorgeschlagenen Methoden in der vorliegenden Form weitgehend ausschließen. Fordern Vertreter der bilingualen Methode die Gebärdensprache als Erstsprache bereits in der Vorschule, wird genau dieses von den Vetretern der lautsprachorientierten Methode bekämpft. Ihrer Meinung nach führt die bilinguale Methode zur Verkümmerung der Sprachanbahnung, da das Kind sich hauptsächlich der Gebärde zuwenden wird und so die wichtigste Zeit für die Hörresteschulung und Sprachanbahnung irreparabel verpassen wird.

Bilingualisten wiederum stellen genau das in Abrede und reden von nicht bewiesenen Behauptungen.

Dazu führen sie medizinische Untersuchungen aus anderen Ländern ins Feld, denen die Oralisten andere Untersuchungen entgegenstellen, die ihre Auffassung bestärken.

...

Inzwischen ist man aber dabei, die bilinguale Methode auch in Deutschland verstärkt in Versuchen auf den Prüfstand zu stellen, nachdem z.B. in Schweden bilingualer Unterricht seit langem erfolgreich praktiziert wird.

 

In Hamburg wird in einem Schulversuch die bilinguale Unterrichtsmethode getestet.

 

Als erstes Bundesland hat Hessen Mitte Dezember 1998 die Einführung des bilingualen Systems in seinen Schulen beschlossen.

 

Alle Lehrer, die in Gehörlosenklassen unterrichten, sollten die neuen Ergebnisse der bilingualen Methode interessiert verfolgen, um gegebenenfalls ihre Methodik den neuen Ergebnissen anzupassen, denn in dem eigentlichen Ziel sind sich hoffentlich alle einig - die bestmögliche Beschulung gehörloser Mitmenschen.

 

Home Nach oben Ursachen... Geschichte... Methode... Technik... LBZ-Methodik... Berufe... Quellen