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5) Methodisch-pädagogische Grundlagen der Hörgeschädigtenbildung von 1945 bis heute am Beispiel des Landesbildungszentrums für Hörgeschädigte in Halberstadt

( Sachsen-Anhalt )

Ronny Bohms

 

Teil 1:

 

5.1. Methoden vor 1945 - ein kurzer historischer Abriß

Bevor man sich 1880 auf dem Mailänder Kongreß der Taubstummenlehrer auf die lautsprachorientierte Methode in der Taubstummenbildung einigte, wurden Taubstumme nach den unterschiedlichsten, teilweise abenteuerlich anmutenden Methoden gebildet.

Auf einige Beispiele möchten wir kurz verweisen.

 

Lasius beschreibt seine Hör- Sprechübungen mit einem taubstummen Mädchen 1775 in dem Buch

" Von der geschehenen Unterweisung der taub und stumm gebohrnen Fräulein von Meding..."

wie folgt: " ...mit den Büchnerischen Vorschlägen ward der Anfang gemacht, und ihr einen Trichter stark ins Ohr gerufen..." und weiter heißt es: " ...ließ ich die von Herrn Bücher vorgeschlagenen Stäbe verfertigen, setzte das eine Ende an das Clavecimbel, und ließ sie das andere Ende an die, von den Lippen entblößten Vorderzähne halten; ... Nun setzte ich ihr das eine Ende des Stabes an ihre Vorderzähne, und das andere nahm ich an die meinigen, und redete also zu ihr,..."

Ansonsten bediente sich Lasius auch einem ersten Fingeralphabet, welches auf der Anlage 5.1.1 zu sehen ist.

 

l`Epee z.B. benutzte zur Lautanbahnung, die er allerdings nicht allzu intensiv betrieb, folgende Methode:

" Zunächst läßt er den Taubstummen die Hände waschen. Dann schreibt er ein a an die Tafel., nimmt die Hand des Taubstummen und führt dessen vierten Finger bis zum 2. Gelenk sich in den Mund. Dann spricht er mehrere Male laut ein a und läßt ihn beachten, daß seine Zunge ruhig bleibt und sich nicht hebt, so daß sie den Finger nicht berührt. "

 

In der Folgezeit verwandten die Taubstummenlehrer vor allem Mischungen aus der lautsprachorientierten Methode, der gebärdenorientierten Methode und der Schriftsprachmethode, die sie je nach Überzeugung verschieden wichteten.

So war es auch an der Provinzialen Taubstummenanstalt in Halberstadt, die 1829 gegründet wurde.

Nach 1880 setzte sich die orale Methode in Europa und somit auch an der Taubstummenanstalt in Halberstadt durch.

 

 

5.2.) Methodisch-pädagogische Grundlagen der Hörgeschädigtenbildung in Halberstadt von 1945 - 2000

An der Bildungseinrichtung für Hörgeschädigte in Halberstadt wurde im Unterricht mit Gehörlosen immer die lautsprachorientierte Methode bevorzugt. Im Lauf der Geschichte kam es zu Beeinflussungen durch Strömungen innerhalb der lautsprachorientierten Methode und zu unterschiedlichen Wichtungen einzelner Mittel in der Methode. Das änderte aber nie etwas an der Grundeinstellung der Unterrichtsführung.

 

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges begann der Unterrichtsbetrieb an der Halberstädter Gehörlosenschule wieder relativ schnell normal abzulaufen.

Man nahm als Grundlage für die pädagogische Arbeit die vor dem Krieg verwendeten Methoden und auch Begründungen für die Anwendung dieser Methoden.

 

Damals definierte man 3 Ziele des Erstsprachunterrichts bei Gehörlosen.

1) die Vermittlung eines bestimmten Sprachmaterials,

2) die Entwicklung von Fertigkeiten im Absehen und Artikulieren, im Lesen und Schreiben,

3) die Befähigung, die Wortsprache zur Verständigung mit den Menschen ihrer Umgebung

nutzen zu können.

 

Das wollte man u.a. durch spezielles Hör- Sprechtraining und spezielle Artikulationsstunden erreichen. Dabei bediente man sich der verschiedensten Methoden.

Laute wurden u.a., ähnlich wie damals von l`Epee beschrieben, auch schon mal erfühlt.

Schon im Vorschulalter wurden intensiv vorhandene Hörreste geschult

Im Fachunterricht legte man sehr viel Wert auf Nutzung der Hörreste in Kombination mit dem Ablesen. Die Schriftsprache wurde ebenfalls häufig genutzt.

Unterstützt wurde die Unterrichtsführung in Halberstadt immer schon durch die natürliche Gebärde.

Anfang der 60 er Jahre geriet die Unterrichtsmethodik zunehmend unter sowjetischen Einfluß.

Dort schwor man inzwischen auf das Daktylzeichen bei der Sprachanbahnung und im Fachunterricht.

Anfang der 60er Jahre startete man auch in Halberstadt einen von der APW, der Akademie für Wissenschaften in Berlin, organisierten Schulversuch.

2 Klassen wurden 10 Jahre lang nach unterschiedlichen Methoden unterrichtet.

Man ging davon aus, daß die Aneignung des Sprachmaterials in Form der Daktylsprache analytisch-synthetischen Charakter hat, weil die Kinder, wenn sie neue Wörter kennenlernen, sie von Anfang an deutlich in einzelne Fingerzeichen gegliedert aufnehmen, die den Buchstaben entsprechen. Damit, so meinte man, nimmt auch der Prozeß der Aneignung des Sprachmaterials in der mündlichen und schriftlichen Form analytisch-synthetischen Charakter an ( das Absehen, das Artikulieren, das Lesen und Schreiben ).

 

In spezifischer Weise sollte der Artikulationsunterricht ablaufen.

Der Lehrer wandte sich in der Daktylsprache an die Kinder, wobei sich seine Hand in Brusthöhe am Kinn befand. Gleichzeitig artikulierte er die Worte um die Hörreste anzusprechen. Zusätzlich nutzte man noch die taktilen und Vibrationsempfindungen der Kinder durch Auflegen der Hand des Schülers auf den Mund und an den Kehlkopf.

Auch der Schreibunterricht baute auf Schriftbildern von Wörtern auf, die sich die Kinder in daktyler Form im Artikulationsunterricht angeeignet hatten.

Die neue Methode ging davon aus, daß die mimische und die Gebärdensprache nur im Notfall eingesetzt werden sollte.

In diesem Punkt wichen die Erfahrungen und Auffassungen der Halberstädter Gehörlosenlehrer aber von den staatlich angeordneten Unterrichtsmethoden ab.

"Schon während des Schulversuchs adaptierten die betroffenen Lehrkräfte ihre Auffassung in den Versuch hinein."

( F. Hartig, einer der betroffenenen Lehrer )

 

Sie nutzten sowohl das Daktyl in der vorgeschriebenen Weise, bedienten sich aber weiterhin aller bisher verwendeten pädagogischen Mittel zur Erreichung der Unterrichtsziele.

 

Als der Schulversuch nach 10 Jahren, natürlich " sehr erfolgreich ", auslief, wurde die Rolle des Daktylzeichens schnell wieder relativ betrachtet. Die Gehörlosenlehrer in Halberstadt waren sich in der Versuchsauswertung einig: Die dominante Verwendung des Daktyls störte den Prozeß der Sprachanbahnung und der Hörresteschulung.

Bei fließenden Übergängen in der Methodik sprach man ab Mitte der 80 er Jahre von der hörgerichteten Sprachanbahnung.

Man konnte dabei von den immer besser werdenden Hörgeräten profitieren.

Dieser Weg wird auch heute noch beschritten:

Der Unterricht erfolgt größtenteils mittels Nutzung des Restgehörs unter Verwendung technischer Hilfsmittel und durch Ablesen des Mundbildes.

Als Hilfsmittel dienen die Schriftsprache, die natürliche Mimik und Gestik, die natürliche Gebärde, die lautsprachbegleitende Gebärde und das Daktylzeichen.

Über deren Einsatz hat der Pädagoge verantwortungsbewußt unter Beachtung der Schädigungsspezifik eines jeden Schülers selbst zu entscheiden.

 

Rahmenrichtlinien der Regelschulen bilden die Unterrichtsgrundlage am Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte. Die Schüler erwerben gleichwertige Schulabschlüsse.

Eine großes Problem ist, daß vorgegebene Schlüsselzahlen keine optimalen Klasseneinteilungen an der Schule erlauben.

 

So müssen stark schwerhörige und gehörlose Schüler oft mit schwerhörigen Schülern in einer Klasse unterrichtet werden und damit nicht genug, sitzen zusätzlich auch noch Real- und Hauptschüler in einer Klasse.

Vor den Pädagogen stehen jeden Tag viele zusätzliche Probleme und Anforderungen. Neben der Modifikation der Rahmenrichtlinien muß auch im Unterricht in einer Klasse ständig nach dem Grad der Hörschädigung und dem Leistungsniveau differenziert unterrichtet werden.

Zunehmend sind auch Schüler mit Mehrfachschädigungen in den Klassen zu finden und verkompli-

zieren die Situation nochmals.

Dem werden die Lehrkräfte mit einer guten zusätzlichen Ausbildung und ihrer jahrelangen Erfahrung gerecht.

  

Ab 1990 begann man im LBZ Halberstadt massiv mit der Einführung moderner Unterrichtsmittel.

Die Lehrer und die Schulleitung waren überzeugt, daß jede mögliche anschauliche Methode zur Vermittlung des Lehrstoffes an der Schule genutzt werden müsse. Außerdem geht man in Halberstadt davon aus, daß eine solide informationstechnische Grundausbildung der Hörgeschädigten den späteren Berufseinstieg erleichtern wird.

So setzte man seit dieser Zeit auf einen verstärkten Einsatz moderner Informationstechnik.

Die Schule besitzt eines der modernsten Computerkabinette an Sachsen/Anhalts Schulen überhaupt.

Dort werden die Schüler im Rahmen des Wirtschaft/Technik - Unterrichts und in außerschulischen Kursen auf das spätere Berufs- und Privatleben mit moderner Technik vorbereitet.

Die Schule plant aber noch weiter.

Nachdem auch der Primarbereich schon Computer im Unterricht einsetzen kann, sollen bald alle Fachlehrer die Möglichkeit bekommen, bei Bedarf Computer als Unterrichtsmittel zu nutzen.

Auch in der Freizeit wird den Schülern verstärkt die Möglichkeit geboten, moderne Kommunikationstechnik zu nutzen.

Zur Veranschaulichung dient das als Anlage beigefügte Videoband.

 

Um mit den speziellen Problemen am Landesbildungszentrum besser umgehen zu können, nutzen die Lehrerinnen und Lehrer in großem Umfang die angebotenen Weiterbildungen und Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch mit den Kollegen der anderen Hörgeschädigteneinrichtungen in ganz Deutschland.

Die betreffenden Lehrerinnen und Lehrer fungieren dann im Kollegium häufig als Multiplikatoren und geben so ihr Wissen und ihre Erfahrungen an die anderen Kollegen weiter.

 

Die Halberstädter Lehrer und Lehrerinnen am Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte verfolgen aufmerksam den Methodenstreit innerhalb der Gehörlosenbildung.

Man bekennt sich zur hörgerichteten Erziehung und lehnt die bilinguale Methode ab.

 

Man wird aber in Zukunft die Entwicklung innerhalb der Hörgeschädigtenpädagogik noch aufmerksamer verfolgen, damit die Halberstädter Absolventen des Landesbildungszentrums nicht hinter der deutschlandweiten Entwicklung zurückbleiben.

 

Wünschenswert wäre, wenn sich auch die Halberstädter Hörgeschädigtenpädagogen zukünftig mehr in die Diskussion um die beste Methode einschalten, damit sie ihre Erfahrungen einbringen können.

Auf Grund der 170 jährigen Geschichte des Landesbildungszentrums für Hörgeschädigte sind es sehr viele und sehr gute Erfahrungen, die sicherlich der Hörgeschädigtenbildung in ganz Deutschland wertvolle Impulse und Anregungen geben können.

 

 

Teil 2:

 

Im 2. Teil habe ich aus Archivmaterial und mit Hilfe von noch lebenden Zeitzeugen die Geschichte des jetzigen Landesbildungszentrums aufgearbeitet und in Übersichtsform auf der Homepage unserer Schule veröffentlicht.

 

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