An Wilhelm Rust.

Ofen, den 17. März 1873

Lieber Freund!

Allerhand verdriessliche Dinge nahmen in den letzten Wochen mein Gemüt so sehr in Anspruch, dass ich nicht die Stimmung fand, Ihnen zu Ihrer mir freundlich gemeldeten Verlobung zu gratulieren. Zwar bin ich jetzt noch mitten drin in den verdriesslichen Verhältnissen, doch wollte ich nicht länger zaudern, Ihnen meine Teilnahme kundzugeben; und so versichere ich Sie hiermit meiner Freude über Ihren Entschluss, ein Bündnis zu schliessen, von welchem Sie sich jedenfalls Glück versprechen; mögen Sie letzteres in reichem Masse finden! Es interessiert mich sehr, von Ihnen über die holde Braut Näheres zu erfahren; ist dieselbe vielleicht eine Verwandte der zwei Berliner Komponisten Urban? Bei dieser Gelegenheit fällt mir ein, dass ich vorm Jahre Herrn Julius Urban brieflich ersuchte, mir (gleichsam als Honorar) ein oder zwei Exemplare von dem Hefte seiner "Kunst des Gesanges" zu schicken, in welchem mein dafür geliefertes Weihnachtsliedchen enthalten ist; doch hat er mir nichts geschickt, auch meinen Brief nicht beantwortet, in welchem ich ihn um Einzelheiten über die Aufführung meiner Weihnachtsmotette durch den Berliner Domchor bat. Vielleicht können Sie mir darüber etwas mitteilen? Hörten Sie mein Werk, und welchen Eindrck brachte es auf Sie hervor? --- Ich habe überhaupt das Verlangen, von Ihnen wieder einen längeren Brief zu sehen; schreiben Sie mir doch, erzählen Sie mir, ob Ihr alter Vater noch lebt, wie es Ihren Geschwistern geht, was in Berlin musikalisch Interessantes vorkam, wo Sie mit Ihren Bach-Studien halten. Als glücklicher Bräutigam werden Sie allerdings jetzt wenig Lust verspüren, einen etwas aus den Augen verlornen alten Freund mit dgl. Nachrichten zu bedienen, Sie sind jetzt wahrscheinlich mehr Petrarca als Berliner Orgel- und Taktschläger! Wohl Ihnen!

Wenn Sie es nicht unschicklich finden, bringen Sie Ihrer geehrten Braut meinen hochachtungsvollen Gruss. Wann findet Ihre Vermählung statt? Gibt's eine Hochzeitsreise?

Nochmals Sie beglückwünschend verbleibe ich in alter Freundschaft

Ihr
 getreuer
  Robert Volkmann.



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